Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.11.2024, Az.: 6 A 2/24
Berufsunfähigkeitsrente; Ingenieurkammer; Ledigenzuschlag; Teilnichtigkeit Satzung; Übergangsregelung; unechte Rückwirkung; Vertrauensschutz; Streichung des Ledigenzuschlags zum Altersruhegeld bei vorheriger Berufsunfähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.11.2024
- Aktenzeichen
- 6 A 2/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 27582
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2024:1114.6A2.24.00
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die übergangslose Streichung des sog. Ledigenzuschlags für Mitglieder eines Versorgungswerks der Ingenieurskammer, die vor Beginn der Altersruhe Berufsunfähigkeitsrente bezogen haben, verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
- 2.
Ein entsprechender unecht rückwirkender Eingriff in die Anwartschaften vorheriger Berufsunfähigkeitsrentner ist mit Blick auf die eingeschränkten Möglichkeiten der Mitglieder, die wegfallende Versorgungsleistung zu kompensieren, jedenfalls unter dem Eindruck der fehlenden Übergangsregelung nicht gerechtfertigt.
- 3.
Die gleichzeitig mit der Abschaffung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner erfolgte Absenkung des Ledigenzuschlags von 25% auf 12,5% für nicht-berufsunfähige Mitglieder ist - trotz Vorliegens einer Übergangsregelung - nicht auf vorherige Berufsunfähigkeitsrentner anzuwenden. Dies würde die von dem Satzungsgeber getroffene Regel in einer Weise zerstückeln, die in das Gestaltungsermessen des Normgebers eingreifen würde. Es liegt außerhalb der gerichtlichen Prüfungskompetenz, eine Übergangsregelung für eine Personengruppe (Berufsunfähige) für anwendbar zu erklären, die der Normgeber ausschließlich für eine andere Personengruppe mit geringeren Schutzbedürfnissen (Nicht-Berufsunfähige) geschaffen hat.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung des Ledigenzuschlags zu ihrem Altersruhegeld.
Die Klägerin wurde am I. Mai 1958 geboren und war seit dem J. Mai 1987 mit Herrn K., geboren am L. August 1957, verheiratet. Die mit Herrn K. geschlossene Ehe wurde am M. November 1993 geschieden.
Die Klägerin wurde am N. November 1995 Mitglied des Beklagten unter der Mitgliedsnummer O..
Am J. November 1995 kam es zu einem tödlichen Unfall des geschiedenen Ehemanns der Klägerin.
Mit Bescheid vom P. Juli 2006 wurde die Klägerin bei einer monatlichen Rentenzahlung von 1.100,40 EUR zunächst unter dem Vorbehalt der jederzeitigen Nachprüfung für das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen in die Berufsunfähigkeitsrente eingewiesen. Dieser Bescheid enthielt auf Seite 2 folgende Passage zum "Ledigenzuschlag":
"Mit Vollendung des 62. Lebensjahres wird das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit in Altersruhegeld umgewandelt. Die Höhe der Rente bleibt dieselbe. Das Altersruhegeld wird auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25% erhöht, wenn Sie zum Zeitpunkt des Ruhegeldbeginns nicht verheiratet sind und uns dies nachweisen. Als Nachweis gilt ein beglaubigter Auszug aus dem Familienbuch, den Sie bei Ihrer Gemeinde beantragen können."
Die Formulierung fußt auf § 30 Abs. 6 der Satzung des Beklagten in der Fassung vom 6. Dezember 2005, welche mit Wirkung zum 1. Januar 2006 in Kraft trat und wie folgt lautet:
"Das Altersruhegeld (§ 27 Abs. 1 bis 3, § 28 Abs. 7 Satz 2) wird auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25 v. H. erhöht, wenn das Mitglied nachweist, dass es im Zeitpunkt des Ruhegeldbeginns nicht verheiratet war."
Am 19. Juli 2006 wandte sich die Klägerin mit folgenden Schreiben an den Beklagten, das mit "Antrag auf um 25% erhöhtes Altersruhegeld für Unverheiratete" überschrieben war:
"[...] hiermit stelle ich den vorsorglich den Antrag, bei der im Alter von 62 Jahren vorzunehmenden Umwandlung von Berufsunfähigkeitsrente zu Altersruhegeld die Versorgungsbezüge um 25% für Unverheiratete zu erhöhen. [...]"
Darauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 25. Juli 2006, dass der Familienstand erst zum Zeitpunkt des vollendeten 62. Lebensjahres geprüft werde und deshalb gebeten werde, den Antrag mit einem Nachweis beizufügen.
Mit Bescheid vom Q. Oktober 2010 wurde der Klägerin die Berufsunfähigkeitsrente dauerhaft in Höhe von monatlich 1.100,40 EUR gewährt. Zu diesem Zeitpunkt galt die Satzung des Beklagten in der Fassung vom 6. August 2009, die weiterhin in § 30 Abs. 6 den "Ledigenzuschlag" mit derselben Formulierung enthielt, wie die Satzung vom 6. Dezember 2005.
Am 25. August 2011 beschloss die Vertretersammlung des Beklagten mehrere Satzungsänderungen, die das Ziel verfolgten, die Kalkulationsgrundlagen des Versorgungswerks an die deutlich längere Lebenserwartung der Mitglieder anzupassen. Der Begründungsteil zur Änderung der Satzung des Versorgungswerkes der Ingenieurkammer R. vom S. Dezember 2010 wird wie folgt eingeleitet:
"Das Versorgungswerk der Ingenieurkammer R. führt zum 01.01.2012 die durch das versicherungsmathematische Büro T. vorgelegten und für alle berufsständischen Versorgungswerke verbindlich einzusetzenden Sterbetafeln 2007 für die berufsständischen Versorgungswerke (Generationentafeln) ein. Aus diesen Tafeln ergibt sich, dass die Mitglieder der Freien Berufe eine deutlich längere Lebenserwartung haben, die sogar über der Lebenserwartung des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung liegt. Dies bedeutet für das Versorgungswerk der Ingenieurkammer R., dass die Ruhegelder aus dem Versorgungswerk länger gezahlt werden müssen. Die Kalkulationsgrundlagen des Versorgungswerkes müssen an diese neue Situation angepasst werden, um auch für die Zukunft die Finanzierbarkeit der Leistungen des Versorgungswerkes sicherzustellen. Im Zusammenhang mit der Einführung der Generationentafeln steht die Einführung der Rente mit 65, die Anpassung des Berufsunfähigkeitsruhegeldes und ein risikoentsprechender Ledigenzuschlag."
Im Zuge der Satzungsänderung wurde der bisher in § 30 Abs. 6 der alten Fassung geregelte Ledigenzuschlag geändert und in § 30 Abs. 5 n.F. wie folgt neu gefasst:
"Das Altersruhegeld (§ 27 Abs. 1 bis 3) wird für Mitglieder, die nach dem 31. Dezember 1954 geboren sind, auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 12,5 v. H. erhöht, wenn das Mitglied bei Einweisung in das Altersruhegeld kein Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit von der Versorgungseinrichtung bezogen hat und versichert, dass es keine nach der Satzung berechtigten Hinterbliebenen zu versorgen hätte.
Für Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1955 geboren sind, wird das Altersruhegeld auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25 v. H. erhöht, wenn die sonstigen Voraussetzungen des Satz 1 vorliegen. Mit Inanspruchnahme des erhöhten Altersruhegelds entfallen sämtliche gegebenenfalls später entstehenden Hinterbliebenenansprüche Dritter."
In oben genanntem Begründungsteil wurden die Änderungen im Zusammenhang mit dem Ledigenzuschlag wie folgt begründet:
"Die Änderung in Absatz 5 nimmt eine Anpassung des Ledigenzuschlages auf 12,5% vor und macht den Bezug davon abhängig, dass das Mitglied bei Einweisung in das Altersruhegeld unverheiratet war, kein Berufsunfähigkeitsruhegeld bezogen hat und keine sonst nach der Satzung berechtigten Hinterbliebenen zu versorgen hätte.
Die vorgenannten Einschränkungen sind notwendig, weil das Mitglied bei Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale entweder schon Leistungen vom Versorgungswerk bezogen hat (Berufsunfähigkeitsruhegeld) oder im Fall der Verheiratung oder weiterer berechtigter Hinterbliebener Witwen-, Witwer- bzw. Waisenrenten fällig würden, die dem Sinn und Zweck des Ledigenzuschlages zuwiderliefen.
Für rentennahe Jahrgänge wird in Absatz 5 Satz 2 eine Übergangsregelung geschaffen, die die Inanspruchnahme des Ledigenzuschlages in der bisherigen Höhe ermöglicht. Diese Regelung berücksichtigt Vertrauensschutzgesichtspunkte des genannten Personenkreises.
In Absatz 6 wird die vorgesehene individuelle Justierung der Anwartschaften auf Grundlage des vorhandenen Deckungskapitals in der Satzung verankert. Rentennahe Jahrgänge werden von der Anpassung der Anwartschaften ausgenommen.
Absatz 7 nimmt eine Anpassung des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit auf 85% der zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit bestehenden Anwartschaft auf Altersruhegeld zzgl. des Ruhegeldes aus Hinzurechnung vor. Dies stellt auch im Vergleich zu anderen Versorgungswerken eine hohe Absicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit dar.
Die Anpassung des Ledigenzuschlages in Absatz 6 und die Anpassung des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit in Absatz 7 tragen dazu bei, die Finanzierbarkeit der Leistungen des Versorgungswerkes auch für die Zukunft zu sichern. Diese Maßnahmen zusammen mit der Einführung der Rente mit 65 finanzieren die Sterbetafeln T. 2007 (Generationentafeln) sowie die durch die Rechnungszinsabsenkung entstandene Deckungslücke zu einem erheblichen Teil und tragen auf diese Weise zu einer soliden Finanzierung der Leistungen des Versorgungswerkes bei."
Die Klägerin ist das einzige Mitglied des Beklagten, das von der Streichung des Ledigenzuschlags durch die Neufassung des § 30 Abs. 5 der Satzung i.d.F.v. 25. August 2011 betroffen ist.
Mit Bescheid vom M. August 2021 wurde das Berufsunfähigkeitsruhegeld der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2021 in das reguläre Altersruhegeld umgewandelt, die Rentenhöhe betrug weiterhin monatlich 1.100,40 EUR. Rechtsgrundlage für die Umwandlung war § 27 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 6 Satzung des Beklagten in der Fassung vom 11. Dezember 2018, wonach die Regelaltersgrenze für Mitglieder des Jahrgangs 1958 63 Jahre und 4 Monate betrug. Ein Ledigenzuschlag wurde in diesem Bescheid nicht festgesetzt.
Im Rahmen mehrerer Telefonate nach Bekanntgabe des Bescheids verlangte die Klägerin telefonisch gegenüber dem Beklagten die Zahlung des Ledigenzuschlags (s. Schreiben des Beklagten vom 16. September 2021 [Bl. 482 der Beiakte] sowie Telefonvermerk vom 9. September 2021, [Bl. 485 der Beiakte]). Mit Schreiben vom 16. September 2021 (Bl. 483 der Beiakte) teilte der Beklagte der Klägerin unter anderem mit, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheids vom 30. August 2021 die Satzung in der Fassung vom 11. Dezember 2018 gelte, wonach die Regelaltersgrenze für Mitglieder des Jahrgangs 1958 63 Jahre und 4 Monate betrage und der Ledigenzuschlag nur zu gewähren sei, wenn das Mitglied bei Einweisung in das Altersruhegeld kein Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit bezogen habe. Es bestehe keine satzungsgemäße Rechtsgrundlage die Umwandlung des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit in reguläres Altersruhegeld ab Vollendung des 62. Lebensjahres sowie für den begehrten Ledigenzuschlag. Die Umwandlung des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit habe satzungsgemäß zum 1. Oktober 2021 zu erfolgen und satzungsgemäß bestehe kein Anspruch auf Ledigenzuschlag, weil die Klägerin seit dem U. März 2005 Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit bezogen habe.
Mit Schreiben vom 27. September 2021 übersandte die Klägerin dem Beklagten einen Auszug aus dem Familienbuch (Eheurkunde mit Auflösungsvermerk), der laut Schreiben als Altersnachweis und als Nachweis für die Erhöhung des Altersruhegelds um 25% diene (Bl. 486, 487 der Beiakte).
Gegen den Bescheid vom M. August 2021 hat die Klägerin am V. September 2021 Klage erhoben.
Die Klägerin behauptet, die Mitarbeiterin des Beklagten Frau W. habe ihr am 4. Januar 2012 telefonisch mitgeteilt, dass die letzte Satzungsänderung für die Klägerin nicht von Bedeutung sei. Weiter behauptet sie, der Mitarbeiter des Beklagten Herr X. habe ihr in einem Telefonat am 8. September 2021 mitgeteilt, dass für die Klägerin die alte Satzung gelte. Dieselbe Aussage ihr gegenüber habe auch der Mitarbeiter des Beklagten Herr Y. in Telefonaten am 8. und 9. September 2021 getroffen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der Anspruch auf Ledigenzuschlag durch die Neufassung der Satzung vom 6. Dezember 2012 mit der Änderung des § 30 Abs. 6 (Altfassung) in § 30 Abs. 5 (Neufassung) nicht entfallen sei. Die Änderung und Neufassung des § 30 Abs. 5 der neuen Satzung sei nichtig und verstoße gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG.
Die Klägerin führt aus, dass die komplette Abschaffung des Ledigenzuschlags für Berufsunfähigkeitsrentenbezieher weder erforderlich noch angemessen sei. Es sei gänzlich unwahrscheinlich, dass der Beklagte bei Beibehaltung des Ledigenzuschlags für Berufsunfähigkeitsrentner in eine finanzielle Instabilität geraten wäre oder sonst zugesagte Leistungsverpflichtungen nicht mehr hätte erbringen können und dadurch die Funktionsfähigkeit des Versorgungswerks auch nur tangiert worden wäre. Die an dieser Gruppe der Berechtigten vorgenommenen Einsparungen in Höhe der Ledigenzuschläge falle versicherungsmathematisch nicht ins Gewicht und könne nicht zum Ausgleich von Deckungslücken beitragen. Der Ausgleich der vermeintlichen Deckungslücke sei schon durch die Absenkung des Zuschlags auf 12,5% erreicht. Nach dem Geschäftsbericht 2020 bestünden nur 18 Berufsunfähigkeitsrentner, davon sei die Klägerin die einzige, die von der Versagung des Ledigenzuschlags betroffen sei.
Es liege ein Fall der unechten Rückwirkung vor. Das Vertrauen der Klägerin auf die Gewährung des Ledigenzuschlags bei Eintritt in die Altersrente sei schutzwürdig. Der Satzungsgeber hätte zumindest eine Übergangsregelung schaffen müssen, um die von der bisherigen Norm begünstigten Personen nicht unverhältnismäßigen Nachteilen auszusetzen.
Ferner verstoße die Neufassung des § 30 Abs. 5 der Satzung gegen Art. 3 Abs. 1 G insoweit, als dass Berufsunfähigkeitsrentnern überhaupt kein Ledigenzuschlag mehr zugebilligt werde, während reguläre Altersruhegeldempfänger einen solchen erhalten könnten. Die Bildung der Vergleichsgruppen laufe schon den Grundprinzipien einer Solidargemeinschaft zuwider. Der Ledigenzuschlag werde vom Beklagten gewährt als gewisse Kompensation dafür, dass ein Mitglied keine Witwen oder Witwer im Falle des Todes hinterlassen würde und deshalb der Beklagte kein Witwen- oder Witwergeld zu zahlen brauche. An dieser Konstellation ändere sich nichts dadurch, ob ein Mitglied vor der Altersrente Berufungsfähigkeitsrente bezogen habe oder nicht.
Auch ist die Klägerin der Meinung, die Abschaffung des Ledigenzuschlags für Berufsunfähigkeitsrentner verstoße gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG. Der Ledigenzuschlag sei entgegen der obergerichtlichen Rechtsprechung eigentumsrechtlich geschützt. Anders als etwa der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg annähmen, beruhe der Ledigenzuschlag auf Eigenleistungen des Mitglieds. Dies gelte, weil die Klägerin mit ihren individuellen Beitragsleistungen auch zu den Zahlungen eines Ledigenzuschlags beigetragen habe, denn das Versorgungswerk sei nach dem offenen Deckungsplanverfahren finanziert, sodass die Klägerin infolge der Kapitaldeckung, die auch dieses offene Deckungsplanverfahren im überwiegenden Teil kennzeichne, zu den Leistungen des Beklagten individuell beitrage. In diesen Schutzbereich greife der Beklagte ungerechtfertigt ein, weil die Abschaffung des Ledigenzuschlags für Berufsunfähigkeitsrentner weder erforderlich noch angemessen sei und es an einer Übergangsregelung fehle.
Zuletzt stünde der Klägerin der sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch zu, weil ihr die Mitarbeiterin des Beklagten Frau Z. telefonisch am 4. Januar 2012 mitgeteilt habe, dass die letzte Satzungsänderung vom 1. Januar 2012 für die Klägerin nicht von Bedeutung sei. Ferner, weil ihr die Mitarbeiter Herr X. und Herr Y. in Telefonatem vom 8. und 9. September 2021 mitgeteilt hätten, für die Klägerin gelte die Altfassung der Satzung.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30. August 2021 zur Mitgliedsnummer abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, das Altersruhegeld der Klägerin um den 25%igen Unverheiratetenzuschlag, also um 275,10 (brutto) EUR zu erhöhen und das Altersruhegeld unter Berücksichtigung des Unverheiratetenzuschlags von 25% ab dem 1. Juni 2020, zumindest aber ab dem 1. Oktober 2021 zuzüglich Zinsen p.a. in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 1. Juni 2020, zumindest aber seit Rechtshängigkeit, neu festzusetzen.
hilfsweise: um 12,5% zu erhöhen und unter Berücksichtigung des Unverheiratetenzuschlags von 12,5% ab dem 1. Juni 2020, zumindest aber ab 1. Oktober 2021, zuzüglich Zinsen p.a. in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 1. Juni 2020, zumindest aber seit Rechtshängigkeit, neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Abschaffung des Ledigenzuschlags für Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente durch Neufassung des § 30 Abs. 5 der Satzung rechtmäßig sei.
Es läge kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG vor, denn der Ledigenzuschlag beruhe nicht auf Eigenleistung.
Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG sei nicht feststellbar, denn der Satzungsgeber sei grundsätzlich berechtigt, in das satzungsrechtlich bestimmte Versorgungssystem ordnen einzugreifen. Die Abschaffung des Ledigenzuschlags für Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente sei aus den im Begründungsteil zur Änderung der Satzung vorgetragenen Gründen notwendig. Die Anpassung der Regelungen zum Ledigenzuschlag sei Bestandteil eines Maßnahmenpakets zur Schließung einer Deckungslücke, die Maßnahmen seien geeignet und erforderlich, um die dauerhafte Finanzierbarkeit der Versorgungszusagen sicherzustellen zu können. Zudem habe die Klägerin durch den Bezug des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit ab dem Jahr 2005 bereits in hohem Maße von Solidarleistungen des Versorgungswerks profitiert und habe durch die bestehenden Übergangsregelungen im Gegensatz zum Großteil der Anwärter keine Leistungskürzungen hinnehmen müssen. Es sei daher sachgerecht, dass die Klägerin nun bei Einweisung in das Altersruhegeld einen Beitrag zur Sicherstellung der dauerhaften Finanzierbarkeit des Versorgungswerks leiste, indem kein Ledigenzuschlag gewährt werde.
Das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes habe der Beklagte beachtet. Es liege ein Fall der unechten Rückwirkung vor, aber es fehle an der erforderlichen besonderen Schutzbedürftigkeit der Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente. Der Ledigenzuschlag werde nicht als Einkommensersatz gewährt, er sei weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich vorgesehen und speziell im Fall der Klägerin scheitere die besondere Schutzwürdigkeit auch daran, dass sie seit 2005 durch Bezug ihres Berufsunfähigkeitsgeldes von Solidarleistungen profitiere.
Einer behaupteten Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG tritt der Beklagte mit dem Argument entgegen, dass durch die Abschaffung des Ledigenzuschlags im Fall der Klägerin lediglich eine bisher gegebene Ungleichbehandlung beseitigt werde. Denn durch den Ledigenzuschlag werde Mitgliedern ohne sonstige rentenbezugsberechtigte Angehörige bei gleichen Beitragsleistungen tatsächlich eine höhere Versorgungsleistung gewährt als Mitgliedern mit sonstigen rentenbezugsberechtigten Personen. Mitglieder ohne sonstige rentenbezugsberechtigte Angehörige könnten nicht beanspruchen, dass die hiermit verbundene Besserstellung und Ungleichbehandlung gegenüber den Mitgliedern mit sonstigen rentenbezugsberechtigten Angehörigen unverändert aufrecht erhalten bleibe. Die unterschiedliche Behandlung von Fällen wie demjenigen der Klägerin - Bezug eines Berufsunfähigkeitsgeldes zum Zeitpunkt der Einweisung in das Altersruhegeld zu den Fällen, in denen der Ledigenzuschlag auf 12,5% reduziert wurde - finde seinen Grund darin, dass in diesen Fällen ein Berufsunfähigkeitsruhegeld und damit eine umfassende Solidarleistung der Versicherungsgemeinschaft des Versorgungswerks nicht in Anspruch genommen worden sei.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin hinsichtlich der Inhalte der Telefonate vom 4. Januar 2012 sowie 8. und 9. September 2021 Beweisanträge gestellt, die das Gericht durch Beschluss vom 14. November 2024 abgelehnt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung eines Ledigenzuschlags in Höhe von 25% zu dem mit Bescheid vom 30. August 2021 festgesetzten Altersruhegeld ab dem 1. Oktober 2021 (I.). Ihr steht ferner ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen zu, nicht aber auf Verzugszinsen (II.).
I. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung des Ledigenzuschlags in Höhe von 25% ergibt sich aus § 30 Abs. 6 der Satzung des Versorgungswerkes der Ingenieurkammer R. in der Fassung vom 7. Dezember 2010 (im Folgenden: § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010). Danach wird das Altersruhegeld (§ 27 Abs. 1 bis 3, § 28 Abs. 7 Satz 2) auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25 v. H. erhöht, wenn das Mitglied nachweist, dass es im Zeitpunkt des Ruhegeldbeginns nicht verheiratet war.
Es verstößt gegen höherrangiges Recht, dass der Beklagte Mitglieder, die bei Einweisung in das Altersruhegeld Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit von der Versorgungseinrichtung bezogen haben (im Folgenden: vorherige Berufsunfähigkeitsrentner), von der Gewährung des Ledigenzuschlags durch Neufassung des § 30 Abs. 5 der Satzung des Beklagten in der Fassung vom 25. August 2011 (im Folgenden: § 30 Abs. 5 n.F.) ausgeschlossen hat (1.). Folge dieser Rechtswidrigkeit ist die Teilnichtigkeit des § 30 Abs. 5 n.F. insoweit vorherige Berufsunfähigkeitsrentner vom Ledigenzuschlag ausgeschlossen werden; für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner, zu denen auch die Klägerin gehört, gilt die Vorgängerregelung des § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 fort (2.). Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des für sie deshalb anwendbaren § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010; entgegen der klägerischen Auffassung besteht ihr Anspruch auf Gewährung des Ledigenzuschlags in Höhe von 25% des Altersruhegeldes jedoch erst ab dem 1. Oktober 2021 und nicht ab 1. Juni 2020 (3.). Die Klägerin kann auch nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verlangen, dass ihr der Ledigenzuschlag in Höhe von 25% bereits ab dem 1. Juni 2020 gewährt wird (4.).
1. Der durch § 30 Abs. 5 n.F. geregelte Ausschluss vorheriger Berufsunfähigkeitsrentner von der Gewährung des Ledigenzuschlags verstößt gegen höherrangiges Recht.
Zwar schließt sich die erkennende Kammer den Ausführungen der Klägerin nicht an, wonach die Streichung des Ledigenzuschlags die Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG verletze. Insofern folgt die Kammer vollumfänglich den ausführlichen Erwägungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, wonach der Ledigenzuschlag nicht dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie unterfällt, weil dieser Anspruch nicht auf einer Eigenleistung des Anspruchsinhabers beruht (NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 33 ff.).
§ 30 Abs. 5 n.F. verstößt aber gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (a.) sowie gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG (b.).
a. Die durch § 30 Abs. 5 n.F. bewirkte übergangslose Abschaffung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art. 20 Abs. 3 GG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Umgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen zum Nachteil der Versicherten am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Dessen Schutzbereich ist berührt, wenn der Gesetzgeber einerseits durch die Anordnung von Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflichten in einem öffentlich-rechtlichen Verband der Sozialversicherung die allgemeine Betätigungsfreiheit des Einzelnen durch Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht unerheblich einengt, andererseits dem Versicherten gesetzlich zugesagte und beitragsfinanzierte Leistungen dieses Verbandes wesentlich vermindert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 -, juris Rn. 66 (zur Hinterbliebenenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung)). Bei einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, deren Finanzierungssystem - wie dasjenige des Beklagten - auf einem kapitalbasierten, sogenannten offenen Deckungsplanverfahren beruht, ist der Grundrechtsschutz grundsätzlich nicht geringer als im umlagefinanzierten gesetzlichen Rentensystem (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.4.2012 - 8 B 86.11 -, juris Rn. 6 m.w.N.).
Nach diesem vom Bundesverfassungsgericht gebildeten Maßstab tangiert die Abschaffung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG. Die zu fordernde wesentliche Verminderung des zugesagten Umfangs der Altersversorgungsleistung liegt vor, denn die Abschaffung des Ledigenzuschlags für die Klägerin bewirkt, dass ihre Gesamtversorgungsleistung um 20% gemindert wird (die Wesentlichkeit bezweifelte das NdsOVG lediglich im Fall der Absenkung des Ledigenzuschlags, die zu einer Verminderung der gesamten Altersversorgungsleistung von unter 10% führte, ohne die Frage aber entscheiden zu müssen, NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 39). Die satzungsrechtlich zugesagte Versorgungsleistung setzt sich zunächst aus der Altersrente und dem darauf gewährten Ledigenzuschlag von 25% zusammen. Der hier streitgegenständliche Ledigenzuschlag in Höhe von 25% auf das Altersruhegeld der Klägerin in Höhe von 1.100,40 EUR würde 275,10 EUR im Monat betragen, was eine zugesagte Gesamtversorgungsleistung in Höhe von 1.375,50 EUR ergibt. An dieser Gesamtversorgungsleistung macht der Zuschlag in Höhe von 275,10 EUR insgesamt einen Anteil von 20% aus.
Der Eingriff ist jedoch nicht gerechtfertigt. Die zur Abschaffung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner führende Satzungsregelung kann zwar grundsätzlich als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts rechtfertigen. Der hier vorgenommene Eingriff erweist sich aber als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.
Der Satzungsgeber einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist grundsätzlich berechtigt, in das satzungsrechtlich bestimmte Versorgungssystem ordnend einzugreifen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 -, juris Rn. 67 (zur gesetzlichen Rentenversicherung); VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.9.2014 - 9 S 2333/12 -, juris Rn. 35 (zu einem Steuerberaterversorgungswerk); OVG Saarland, Urt. v. 19.1.2011 - 3 A 417/09 -, juris Rn. 82 (zu einem Notarversorgungswerk)). Versorgungsanwartschaften ist - insbesondere wegen des im Regelfall längeren Zeitraums, der zwischen dem Erwerb und der Realisierung eines Versorgungsanspruchs liegt - die Möglichkeit von Änderungen immanent (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 u.a. -, juris Rn. 79; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7.8.2012 - OVG 12 B 28.11 -, juris Rn. 26 und 43). Dem Satzungsgeber kommt daher bei der ändernden Bestimmung des Inhalts und der Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zu (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.9.2005 - 6 C 3/05 -, juris Rn. 32). Änderungen müssen aber einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 u.a. -, juris Rn. 79). Knüpft der Satzungsgeber an ein bereits bestehendes Versicherungsverhältnis an und verändert er die in dessen Rahmen begründete Anwartschaft zum Nachteil des versicherten Mitglieds, hat er zudem den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 -, juris Rn. 67 f. m.w.N.)). Dabei verengt sich die Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers bei der Beschränkung von Versorgungsanwartschaften und -ansprüchen in dem Maße, in dem diese durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistungen des versicherten Mitglieds geprägt sind (NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 41 m.w.N.)
Hier liegt ein Fall der unechten Rückwirkung vor. Die Abschaffung des Ledigenzuschlags tangiert Bestandsversorgungsleistungen nicht; sie bezieht sich ausschließlich auf Versorgungsanwartschaften. Die Beklagte hat damit auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt und eine Rechtsposition zum Nachteil der Betroffenen verändert (vgl. zur unechten Rückwirkung und zur Abgrenzung gegenüber einer echten Rückwirkung: BVerfG, Beschl. v. 12.11.2015 - 1 BvR 2961/14 u.a. -, juris Rn. 42 ff. m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung; s. dazu, dass die Absenkung des Ledigenzuschlags am Maßstab der unechten Rückwirkung zu messen ist, auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.9.2014 - 9 S 2333/12 -, Rn. 50). Eine unechte Rückwirkung unterliegt den Grenzen des rechtsstaatlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes (zu lediglich durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Positionen vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2006 - 1 BvL 9/00 u.a. -, juris Rn. 99; Beschl. v. 18.02.1998 - 1 BvR 1318/86 -, juris Rn. 76 ff.).
Die unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 -, juris Rn. 76). Regelmäßig ist aber eine Abwägung zwischen dem Vertrauen des Einzelnen in den Fortbestand der für ihn günstigen Rechtslage, der Bedeutung des normgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit sowie der Schwere des Eingriffs erforderlich. Ergebnis dieser Abwägung kann eine Verpflichtung des Normgebers zum Erlass einer Übergangsregelung sein (zum Ganzen etwa VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.9.2014 - 9 S 2333/12 -, juris Rn. 51 m.w.N.).
Hier übersteigt das Gewicht des enttäuschten Vertrauens das Gewicht und die Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe.
Das notwendige Vertrauen der Klägerin ist entgegen der Auffassung des Beklagten gegeben. Anknüpfungspunkt eines Vertrauens der Mitglieder ist jedenfalls die unstreitig in der Vergangenheit erfolgte Gewährung eines Ledigenzuschlags, auch wenn die Mitglieder vor Einweisung in die Altersrente eine Berufsunfähigkeitsrente bezogen haben. Weitere, ein Vertrauen bildende Umstände liegen ebenfalls vor. So stellte der Beklagte der Klägerin in persönlicher Ansprache im (Berufsunfähigkeits-)Rentenbescheid vom P. Juli 2006 wie folgt die Möglichkeit der späteren Beantragung eines Ledigenzuschlags in Aussicht (Bl. 169 der Beiakte):
"Mit Vollendung des 62. Lebensjahres wird das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit in Altersruhegeld umgewandelt. Die Höhe der Rente bleibt dieselbe. Das Altersruhegeld wird auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25% erhöht, wenn Sie zum Zeitpunkt des Ruhegeldbeginns nicht verheiratet sind und uns dies nachweisen. Als Nachweis gilt ein beglaubigter Auszug aus dem Familienbuch, den Sie bei Ihrer Gemeinde beantragen können".
Nachdem die Klägerin einen vorzeitigen Antrag auf Gewährung des Ledigenzuschlags am 19. Juli 2006 stellte, teilte ihr der Beklagte am 25. Juli 2006 mit, dass zum Zeitpunkt des vollendeten 62. Lebensjahres der Antrag mit einem Nachweis beizufügen sei (Bl. 157 d. A.).
Die bloße Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, genießt zwar grundsätzlich keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz; etwas Anderes gilt jedoch, wenn besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten (NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 54 m.w.N.).
Solche besonderen Momente der Schutzwürdigkeit liegen hier vor. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass sich das Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit maßgeblich nach dem Zweck der von nachteiligen Veränderungen betroffenen Versorgungsleistungen richtet. Der Ledigenzuschlag ist dabei grundsätzlich nicht besonders schutzwürdig, denn er wird, wie der Beklagte zutreffend erkennt, anders als die Altersrente nicht als Einkommensersatz gewährt, um auch nach dem Renteneintritt den Lebensunterhalt der Empfänger zu gewährleisten und ihren bisherigen Lebensstandard in angemessenem Umfang aufrechtzuerhalten (vgl. NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, Rn. 55 m.w.N.).
Allerdings begründen andere Umstände die besondere Schutzwürdigkeit. Bei der - im Vergleich zur Abschaffung deutlich weniger eingriffsintensiven - Frage der Absenkung des Ledigenzuschlags erkannte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, dass es auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Betroffenen hindeuten könne, wenn deren Möglichkeiten zur Kompensation der Absenkung des Ledigenzuschlags durch andere Versorgungsformen schon mit Blick auf einen bevorstehenden Renteneintritt eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen sein können (NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, Rn. 55). Jedenfalls besonders schutzwürdig sind daher vorherige Berufsunfähigkeitsrentner, die altersrentennah sind. Diesen verbleibt nur ein eingeschränkter Zeitraum, sich durch Anpassung ihrer Altersvorsorge auf den Wegfall des zugesagten Ledigenzuschlags in der Altersrente vorzubereiten.
Aber auch aus dem Umstand der Berufsunfähigkeit an sich folgt eine besondere Schutzwürdigkeit, ohne dass es zwangsläufig auf die Altersrentennähe ankäme. Die grundsätzlichen Erwägungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, die die besondere Schutzbedürftigkeit von Möglichkeiten der Kompensation abhängig machen, sind auch hier zu beachten. Nach der Definition in der Satzung des Beklagten ist ein Mitglied berufsunfähig, dessen Fähigkeit zur Ausübung einer jeden Erwerbstätigkeit in der zur Mitgliedschaft in der Ingenieurkammer R. berechtigenden Berufe aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend umfassend entfallen ist (s. § 28 Abs. 1 der Satzung des Beklagten, sowohl i.d.F.v. 10. Dezember 2010 als auch vom 25. August 2011). Entfällt für Berufsunfähige mit dem Ledigenzuschlag ein Teil der berufsständischen Versorgung, bleibt als Kompensationsmöglichkeit nur die private Altersvorsorge. Die Möglichkeiten Berufsunfähiger, privat vorzusorgen und damit Einschnitte in der berufsständischen Versorgung zu kompensieren, sind jedoch - in den meisten Fällen erheblich - eingeschränkt, wenn nicht ausgeschlossen. Berufsunfähige sind, ausgehend von dem Verständnis, das der Beklagte in seiner Satzung auch zum Ausdruck bringt, nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, womit grundsätzlich die Option ausscheidet, durch Mehrarbeit Rücklagen zur Kompensation zu erwirtschaften. Zudem dürfte eine Berufsunfähigkeitsrente regelmäßig nur sehr eingeschränkt geeignet sein, um private Versorgungsmöglichkeiten wie Immobilien, Aktien oder Versicherungen in erheblichem Umfang zu nutzen, da diese allesamt den Einsatz von Kapital erfordern. Die Berufsunfähigkeit zählt zu den größten Armutsrisiken. Hintergrund ist die regelmäßig geringe Höhe des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit, welches nach der Satzung des Beklagten 85 v.H. der zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit bestehenden Anwartschaft auf Altersruhegeld beträgt, gegebenenfalls zuzüglich eines Zuschlags. Die Schwierigkeit, einen Versorgungseinschnitt durch private Vorsorge auszugleichen, wird anhand des Fall der Klägerin deutlich: Ihr Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit beträgt 1.100,40 EUR, was es unwahrscheinlich macht, dass nach Abzug der Lebenshaltungskosten noch Kapital in einem solchen Umfang eingesetzt werden kann, dass die Streichung des Zuschlags in Höhe von 25% des Altersruhegeldes ansatzweise kompensiert werden kann. Die Bedenken ergeben sich unter anderem daraus, dass laut Statistischem Bundesamt die Armutsgefährdungsschwelle für das Erhebungsjahr 2023 für Alleinlebende bei 15.765 EUR liegt (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Lebensbedingungen-Armutsgefaehrdung/Tabellen/armutsschwelle-gefaehrdung-mz-silc.html, zuletzt abgerufen am 18. November 2024).
Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit vorheriger Berufsunfähiger bedarf es zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zumindest einer Übergangsregelung. Übergangsregelungen sind notwendige Instrumente, um bei Einschnitten in Versorgungsleistungen die Verhältnismäßigkeit herzustellen, wie auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Absenkung des Ledigenzuschlags für B. grundsätzlich annimmt:
"Mangels besonderer Schutzbedürftigkeit bedarf es daher zur Wahrung einer sonst nicht gegebenen Verhältnismäßigkeit auch keiner Übergangsregelungen für rentennahe Jahrgänge der Mitglieder ohne sonstige rentenbezugsberechtigte Angehörige." (NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 56)
Ebenso der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, wenn er bei der Abschaffung des Ledigenzuschlags für alle Mitglieder eines berufsständischen Versorgungswerks im Rahmen der Abwägung feststellt:
"Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass der Antragsgegner dem Vertrauensschutzinteresse der Betroffenen durch eine langfristig angelegte Übergangsregelung Rechnung getragen hat. Die in der Übergangsregelung erfolgte Anknüpfung an den Gesichtspunkt der Rentennähe kann weder im Grundsatz noch in der konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich beanstandet werden (zum Aspekt der Rentennähe vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006, a.a.O., Juris Rn. 105 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 12.06.2014 - 8 LC 130/12 -, Juris Rn. 57). Die bis zum 31.12.1956 geborenen rentennahen Mitglieder werden von dem Eingriff verschont. Auch ist davon auszugehen, dass der Gruppe der rentenfernen Mitglieder, der der am 01.11.1967 geborene Antragsteller zuzurechnen ist, ausreichend Zeit für die Umstellung auf die neue Rechtslage zur Verfügung steht." (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.9.2014 - 9 S 2333/12 -, juris Rn. 52)
Zwar enthält der hier streitgegenständliche § 30 Abs. 6 Satz 2 n.F. eine Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge; diese umfasst aber nur die Absenkung des Ledigenzuschlags und nimmt Berufungsunfähigkeitsrentner vollständig vom Anwendungsbereich aus. Die vorhandene Übergangsregelung lautet im Ganzen:
Für Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1955 geboren sind, wird das Altersruhegeld auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25 v. H. erhöht, wenn die sonstigen Voraussetzungen des Satz 1 vorliegen.
Diese Übergangsregelung verlangt, dass die sonstigen Voraussetzungen des Satz 1 vorliegen, wozu auch gehört, dass das Mitglied bei Einweisung in das Altersruhegeld kein Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit von der Versorgungseinrichtung bezogen hat. Im Ergebnis wird vorherigen Berufsunfähigkeitsrentnern damit das Berufen auf die Übergangsregelung verwehrt. Bestandsinteressen insbesondere altersrentennaher, berufsunfähiger Mitglieder werden durch den pauschalen Ausschluss in keiner Weise berücksichtigt. Berufsunfähigen wird kein Zeitraum zugestanden, sich auf eine erheblich geringere Gesamtversorgungsleistung in der Altersrente einzustellen und gegebenenfalls anderweitig vorzusorgen.
Gewichtige Belange der Solidargemeinschaft, die es rechtfertigen, vorherige Berufsunfähigkeitsrentner übergangslos den deutlichen Einschnitten in die Versorgungsanwartschaften auszusetzen, liegen nicht vor.
Im Begründungsteil der Satzungsänderung heißt es auf Seite 4, dass die Einschränkung notwendig sei, weil das Mitglied bei Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale schon Leistungen vom Versorgungswerk bezogen habe (Berufsunfähigkeitsruhegeld). Die Anpassung des Ledigenzuschlages in Absatz 6 und die Anpassung des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit in Absatz 7 trage nach der Begründung der Satzungsänderung dazu bei, die Finanzierbarkeit der Leistungen des Versorgungswerkes auch für die Zukunft zu sichern. Diese Maßnahmen würden zusammen mit der Einführung der Rente mit 65 die Sterbetafeln T. 2007 (Generationentafeln) sowie die durch die Rechnungszinsabsenkung entstandene Deckungslücke zu einem erheblichen Teil finanzieren und auf diese Weise zu einer soliden Finanzierung der Leistungen des Versorgungswerkes beitragen.
Dieser Argumentation folgt die Kammer nicht. Zwar mag es im berechtigten Interesse der Beklagten gelegen haben, durch Einsparungen finanzielle Stabilität zu erreichen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass die übergangslose Streichung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner auch nur im Ansatz geeignet wäre, die finanzielle Situation des Beklagten spürbar zu entlasten. Es wurde nicht nachvollziehbar vorgetragen, wie hoch die Entlastungen sein sollten, die durch Abschaffung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner bewirkt werden sollten. Aus den vorliegenden Geschäftsberichten geht nicht hervor, wie hoch die Ausgaben für Ledigenzuschläge insbesondere für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner ist. Ausweislich der vorgelegten Geschäftsberichte von 2011 und 2012 erbrachte der Beklagte 16 Ruhegelder bei Berufsunfähigkeit (Seite 13 des Geschäftsberichts von 2012). Dies ist die Anzahl an Personen, die potentiell bei späterer Umwandlung in das Altersruhegeld dann - entgegen der vorherigen Rechtslage - keinen Ledigenzuschlag erhalten würden. Beim Einsparungspotential wäre dann noch zu berücksichtigen, dass nicht jedes dieser Mitglieder auch nach der alten Rechtslage anspruchsberechtigt wäre, zum Beispiel dann nicht, wenn das Mitglied bei Umwandlung in Altersruhegeld verheiratet ist oder die Leistung nicht beantragt. Das Einsparungspotential dürfte auch deswegen überschaubar sein, weil die Altersruhegelder von vorherigen Berufsunfähigkeitsrentnern aufgrund der vorherigen Erwerbsunfähigkeit deutlich unterdurchschnittlich sein dürften und entsprechend die individuellen Zuschläge geringer ausfallen würden als bei Altersrentnern, die zuvor kein Berufsunfähigkeitsrentengeld bezogen haben. Dass nicht nur das Einsparungspotential, sondern auch die tatsächlich eingetretene Einsparung überschaubar ist, zeigt sich darin, dass die Klägerin nach ihren von dem Beklagten unwidersprochenen Angaben das einzige Mitglied ist, das von der Änderung der Rechtslage durch die Neufassung des § 30 Abs. 5 i.d.F.v. 25. August 2011 dergestalt betroffen ist, dass ihre Anwartschaft auf den Ledigenzuschlag entfällt. Die Einsparungen durch die übergangslose Abschaffung für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner fallen offenkundig versicherungsmathematisch nicht ins Gewicht, standen diesen erwarteten Einsparungen in Höhe von 3.301,20 EUR pro Jahr (Ledigenzuschlag der Klägerin in Höhe von 275,10 EUR x 12 Monate) doch im Geschäftsjahr 2011 - dem Jahr der Neugestaltung des Ledigenzuschlags - u.a. 23,591 Mio. EUR gebuchte Bruttobeiträge, 349,853 Mio. EUR Kapitalanlagen, 12,087 Mio. EUR laufende Kapitalerträge und 355,240 Mio. EUR versicherungstechnische Rückstellungen gegenüber (Geschäftsbericht 2011, Bl. 99 der Akte).
Auch das Argument des Beklagten, es sei sachgerecht, diese Mitgliedergruppe auszuschließen, da diese in hohem Maße durch Berufsunfähigkeitsgeld von Solidarleistungen der Gemeinschaft profitierten, vermag die übergangslose Streichung nicht zu rechtfertigen. Zwar ist dem Beklagten grundsätzlich zuzugestehen, zusätzliche Leistungen wieder zu streichen, auch aus Gründen einer behaupteten Sachgerechtigkeit. Wenn diese Leistungen aber konkret in Aussicht gestellt wurden und insoweit schützenswertes Vertrauen begründet wurde, sind an die Abschaffung höhere Anforderungen zu stellen. Entscheidend für die Abwägung ist hier die starke Betroffenheit von vorherigen Berufsunfähigkeitsrentnern, denn die Verminderung der Versorgungsleistung um einen Zuschlag in Höhe von 25% des Altersruhegeldes ist wesentlich. Dies gilt umso mehr, als dass es aus den bereits dargestellten Gründen Berufsunfähigen nur erschwert möglich ist, privat vorzusorgen und ihre Altersrenten aufgrund der vorherigen Berufsunfähigkeit durchschnittlich deutlich geringer sind als diejenigen regulärer Altersrentner.
b. Der Ausschluss von vorherigen Berufsunfähigkeitsrentnern von der Gewährung des Ledigenzuschlags ist auch nicht mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG normierten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40 m.w.N.). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, diese bedürfen jedoch der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, juris Rn. 30 m.w.N.).
Bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Normgeber regelmäßig einer strengen Bindung, die umso enger ist, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten nur mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (s. etwa NdsOVG, Urt. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 59).
Eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ist hier gegeben. Vergleichsgruppen sind einerseits Mitglieder, die vor Einweisung in die Altersrente keine Berufsunfähigkeitsrente bezogen haben und Mitglieder, die vor Einweisung in die Altersrente Berufsunfähigkeitsrente bezogen haben. Ersteren wird bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der Ledigenzuschlag gewährt, letzteren nicht.
Diese Ungleichbehandlung ist nach dem genannten Maßstab nicht gerechtfertigt.
Insbesondere ist zu beachten, dass der Normgeber hier einer strengeren Normbindung unterliegt, weil sich das Merkmal der Berufsunfähigkeit an die personenbezogenen Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG - konkret der in Satz 2 genannten Behinderung - annähert. Auch wenn die Begriffe Behinderung und Berufsunfähigkeit nicht deckungsgleich sind, kann es Überschneidungen geben, denn beide Definitionen knüpfen an nicht nur vorübergehende regelwidrige Zustände an, die u.a. körperliche, geistige und gesundheitliche Merkmale betreffen. Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist jede nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht (BVerfG, Beschl. v. 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, juris Rn. 65). Die Definition der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 28 Abs. 1 der Satzung des Beklagten (sowohl in der Fassung vom 7. Dezember 2010 als auch in der Fassung vom 25. August 2011) stellt darauf ab, dass die Fähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend entfallen ist. Es liegt nahe, dass Mitglieder, die eine Behinderung haben, aufgrund ihrer Behinderung auch aus gesundheitlichen Gründen berufsunfähig sind. Diese Annahme wird durch das Beispiel der Klägerin gestützt, der am AA. Dezember 2006 unter dem Az. AB. vom Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt wurde (Bl. 112 der Beiakte). Dies bedeutet, dass über die Anknüpfung an das Kriterium der Berufsunfähigkeit für die Nichtgewährung des Ledigenzuschlags Behinderte mittelbar benachteiligt werden können.
Die bloße Gefahr der Diskriminierung reicht nach dem dargestellten Maßstab aus, um die Anwendbarkeit der strengeren Bindung zu begründen.
Insofern ist eine strenge Prüfung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmen. Diese kommt zum selben Ergebnis wie die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Rückwirkungsverbots: Die Abschaffung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner ist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts bereits aus dem Grund unverhältnismäßig, dass es an einer Übergangsregelung für diese Personengruppe fehlt.
2. Aufgrund des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ist § 30 Abs. 5 n.F. teilnichtig.
Die Streichung des Ledigenzuschlags für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner hätte für die unecht rückwirkend betroffenen Personen, zu denen die Klägerin gehört, nicht ohne eine angemessene Übergangsregelung erfolgen dürfen. Die durch Satzungsänderung vom 25. August 2011 aufgehobene Vorschrift des § 30 Abs. 6 der Satzung des Beklagten i.d.F.v. 7. Dezember 2010 gilt daher für den genannten Personenkreis bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung des Ledigenzuschlags weiter (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.1976 - 1 C 23.71 -, juris Rn. 14 zur Weitergeltung der vorherigen Rechtslage bei der rechtswidrigen Streichung der Geschiedenenrente durch Satzungsänderung).
Es kommt insoweit nicht in Betracht, die in § 30 Abs. 5 n.F. vorgesehene Absenkung des Ledigenzuschlags von 25% auf 12,5% auf vorherige Berufsunfähigkeitsrentner anzuwenden.
Erweisen sich einzelne Bestimmungen einer Rechtsnorm als unwirksam, so kommt eine nur hierauf bezogene Teilnichtigkeit unter ihrer Fortgeltung im Übrigen in entsprechender Anwendung des § 139 BGB nur dann in Betracht, wenn ein auf einen (räumlichen oder sachlichen) Teil der Norm isolierbarer Fehler vorliegt. Der fehlerbehaftete Teil darf mit dem gesamten restlichen Normgefüge nicht so verflochten sein, dass die Restbestimmung ohne den nichtigen Teil nicht sinnvoll bestehen bleiben kann (vgl. Panzer in Schoch/Schneider, VwGO, § 47 Rn. 110; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 82). Es muss darüber hinaus mit Sicherheit anzunehmen sein, dass der Normgeber die Restbestimmung auch ohne den nichtigen Teil erlassen hätte (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers). Der hypothetische Wille des Normgebers muss objektiviert sein, d. h. es ist auf den im Verfahren zum Erlass der Rechtsnorm zum Ausdruck gekommenen Willen des jeweiligen Normgebers abzustellen, im Zweifel auch eine Rechtsnorm dieses eingeschränkten Inhalts zu beschließen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.7.1989 - 4 N 3.87 -, juris Rn. 20; v. 13.1.2012 - 9 B 56.11 -, juris Rn. 5; v. 28.7.2015 - 9 B 17.15 -, juris Rn. 9; jeweils m. w. N.). Dabei ist den rechtsprechenden Organen, die mit der Rechtssatzprüfung betraut sind, nicht gestattet, durch Zerstückelung und partielle Aufrechterhaltung von Gesetzen selbst Aufgaben der Gesetzgebung wahrnehmen und in das Gestaltungsermessen des Normgebers eingreifen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1978 - 7 C 44.76 -, juris Rn. 54).
Danach kommt hier nicht in Betracht, die in § 30 Abs. 5 n.F. enthaltene Absenkung des Ledigenzuschlags von 25% auf 12,5% auch auf vorherige Berufsunfähigkeitsrentner anzuwenden, denn das würde die von dem Satzungsgeber getroffene Regel in einer Weise zerstückeln, die in das Gestaltungsermessen des Normgebers eingreifen würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1978 - 7 C 44.76 -, juris Rn. 54). Hier ist besonders zu beachten, dass dem Satzungsgeber bei der Änderung rentenversicherungsrechtlicher Positionen eine weite Gestaltungsfreiheit zukommt. Dies umfasst auch die Regelung des Übergangs von einer älteren zu einer neueren Regelung. Wie Übergangsregelungen gestaltet werden, richtet sich im Wesentlichen nach den Vertrauensschutzinteressen der Betroffenen. Diese müssen denklogisch durch den Normgeber erst erkannt werden, ehe die Übergangsregelung konkret ausgestaltet wird, um den Interessen der Betroffenen gerecht zu werden. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob eine Übergangsregelung verfassungsrechtlich erforderlich bzw. eine vom Normgeber gewählte Übergangsregelung ausreichend und angemessen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.9.2014 - 9 S 2333/12 -, juris Rn. 42).
Nach diesem Maßstab liegt es außerhalb der gerichtlichen Prüfungskompetenz, eine Übergangsregelung für eine Personengruppe (Berufsunfähige) für anwendbar zu erklären, die der Normgeber für eine andere Personengruppe mit geringeren Schutzbedürfnissen (Nicht-Berufsunfähige) geschaffen hat.
Die vom Normgeber gewählte Übergangsregelung ist nur auf die Schutzbedürfnisse von Mitgliedern zugeschnitten, die zuvor kein Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit erhalten haben. Im Begründungsteil zur Änderung der Satzung vom 7. Dezember 2010 heißt es unter Ziffer 6 zur Übergangsregelung:
"Für rentennahe Jahrgänge wird in Absatz 5 Satz 2 eine Übergangsregelung geschaffen, die die Inanspruchnahme des Ledigenzuschlages in der bisherigen Höhe ermöglicht. Diese Regelung berücksichtigt Vertrauensschutzgesichtspunkte des genannten Personenkreises."
Es wurden ausdrücklich nur Vertrauensschutzgesichtspunkte rentennaher, nicht berufsunfähiger Mitglieder berücksichtigt, denn nur diese gehören zum "genannten Personenkreis". Der Normgeber hat sich keine Gedanken dazu gemacht, welche Übergangsregelung für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner angemessen wäre. Diese Gruppe hat jedoch eigene Schutzbedürfnisse, denn ihre Möglichkeiten, Versorgungslücken zu kompensieren, sind durch die Berufsunfähigkeit erheblich eingeschränkt, wenn nicht sogar gänzlich ausgeschlossen. Ihre Situation ist damit eine gänzlich andere als diejenige der regulären Mitglieder, denen andere Möglichkeiten der privaten Vorsorge grundsätzlich offenstehen. Die Identifikation des besonderen Schutzbedürfnisses und den Prozess, hierauf aufbauend eine angemessene Übergangsregelung zu schaffen, kann die erkennende Kammer mit Blick auf das Gestaltungsermessen des Normgebers und die eingeschränkte gerichtliche Prüfkompetenz nicht ersetzen. Genau dies wäre aber der Fall, wenn die Übergangsregelung des Normgebers, die für eine andere Personengruppe mit unterschiedlichen Schutzbedürfnissen geschaffen wurde, für vorherige Berufsunfähigkeitsrentner für anwendbar erklärt werden würde.
3. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Gewährung des Ledigenzuschlags nach § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 liegen vor. Die Norm lautet:
Das Altersruhegeld (§ 27 Abs. 1 bis 3, § 28 Abs. 7 Satz 2) wird auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25 v. H. erhöht, wenn das Mitglied nachweist, dass es im Zeitpunkt des Ruhegeldbeginns nicht verheiratet war.
Der Antrag auf Gewährung des Ledigenzuschlags wurde zumindest unstreitig telefonisch gestellt (Schreiben des Beklagten vom 16. September 2021, Bl. 483 der Beiakte). § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 verlangt einen Antrag, statuiert aber kein Schriftformerfordernis, sodass eine mündliche Antragstellung möglich ist. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus den Regelungen zum Altersruhegeld und zum Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit: Diesbezüglich sieht die Satzung jeweils ausdrücklich einen schriftlichen Antrag vor (§ 27 Abs. 3 und § 28 Abs. 6 der Satzung i.d.F.v. 7. Dezember 2010).
Des Weiteren ist es unstreitig, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Ruhegeldbeginns nicht verheiratet war. Hierzu hat die Klägerin dem Beklagten auch einen Auszug aus dem Familienbuch mit Stand vom AC. September 2021 als Nachweis übermittelt (Eheurkunde mit Auflösungsvermerk, Bl. 486 und 487 der Beiakte).
Entgegen der klägerischen Auffassung besteht der Anspruch auf Gewährung des Ledigenzuschlags jedoch erst ab dem 1. Oktober 2021 und nicht ab 1. Juni 2020.
Zwar nimmt § 30 Abs. 5 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 für den Anspruch auf Ledigenzuschlag auf das Altersruhegeld Bezug, wie es in § 27 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 7 Satz 2 in der damaligen Fassung der Satzung geregelt war. § 28 Abs. 7 Satz 2 der Satzung i.d.F.v. 7. Dezember 2010 regelt, dass das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit in Altersruhegeld mit Vollendung des 62. Lebensjahres umgewandelt wird. Nach § 27 Abs. 1 der Satzung i.d.F.v. 7. Dezember 2010 besteht der Anspruch auf Altersruhegeld ab dem Ersten des Monats, der auf die Vollendung des 62. Lebensjahres folgt. Die Klägerin vollendete das 62. Lebensjahr am 11. Mai 2020, sodass - bei Betrachtung des Ledigenzuschlags - auf einen Versorgungsbezug ab 1. Juni 2020 abzustellen sein könnte.
Eine solche Sichtweise würde aber verkennen, dass der Normgeber den Ledigenzuschlag rechtstechnisch von der Gewährung des Altersruhegeldes abhängig macht: § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 formuliert, dass das Altersruhegeld auf Antrag für die gesamte Dauer des Versorgungsbezugs um 25% erhöht wird. Aufgrund der Kopplung des Ledigenzuschlags an das Altersruhegeld kommt es für den Beginn des Ledigenzuschlags darauf an, wann die Umwandlung von Berufsunfähigkeits- in Altersruhegeld erfolgte. Damit ist die Regelaltersgrenze in den Blick zu nehmen. Der Normgeber kann im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit die Regelaltersgrenze für die Altersrente grundsätzlich anheben. Eine Unabänderlichkeit der bei der Begründung von Anwartschaften bestehenden Bedingungen widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das im Unterschied zu einem privaten Versicherungsverhältnis von Anfang an nicht allein auf dem Versicherungsprinzip, sondern auch auf dem Gedanken der Verantwortung und des sozialen Ausgleichs beruht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.2008 - 1 BvL 3/05 u.a. -, juris Rn. 79). Hier hat der Normgeber die Regelaltersgrenze angehoben: Nach der im Zeitpunkt der Umwandlung in Altersruhegeld geltenden Satzung (§ 28 Abs. 6 i.d.F.v. 11. Dezember 2018, vgl. auch Schreiben des Beklagten vom 16. September 2021 [Bl. 482 der Beiakte]) tritt mit Erreichen der Regelaltersgrenze das Altersruhegeld an die Stelle des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit. Nach § 27 Abs. 1 der Satzung i.d.F.v. 11. Dezember 2018 beträgt die Regelaltersgrenze für den Jahrgang 1958, zu dem die Klägerin gehört, 63 Jahre und 4 Monate - und demnach keine vollendeten 62. Lebensjahre mehr, wie dies noch nach § 30 Abs. 6 der Satzung i.d.F.v. 7. Dezember 2010 der Fall war.
Die Anhebung der Regelaltersgrenze und die grundsätzliche Abhängigkeit des Ledigenzuschlags vom Eintritt in die Altersrente sind nicht zu beanstanden und wurden auch von der Klägerin nicht angegriffen. Würde der Klägerin der Ledigenzuschlag aber ab Vollendung des 62. Lebensjahres gewährt werden, also mit Wirkung ab 1. Juni 2020, würde dies die Abhängigkeit des Ledigenzuschlags von der Umwandlung in das Altersruhegeld lösen, denn die Klägerin befand sich unstreitig am 1. Juni 2020 noch nicht in Altersrente, sondern bezog zu diesem Zeitpunkt noch Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit. Ein solches Ergebnis widerspricht deutlich dem Wortlaut des § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 und damit der Entscheidung, den Ledigenzuschlag erst mit dem Altersruhegeld zu gewähren.
Der Beklagte hat den Beginn des Bezugs des Altersruhegeldes auch nach seiner Satzung korrekt berechnet, es ist - wie im Bescheid vom 30. August 2021 angegeben - der 1. Oktober 2021. Der Anspruch auf Altersruhegeld entsteht mit dem Ersten des Monats, der dem Erreichen der Regelaltersgrenze folgt (§ 27 Abs. 1 der Satzung i.d.F.v. 11. Dezember 2018). Die Klägerin ist am 11. Mai 1958 geboren und war entsprechend im September 2021 63 Jahre und 4 Monate alt; der Erste des Monats nach Erreichen der Regelaltersgrenze ist demnach der 1. Oktober 2021.
4. Die Klägerin kann die Gewährung des Ledigenzuschlags ab 1. Juni 2020 auch nicht auf Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist darauf gerichtet, in Fällen von Pflichtverletzungen eines Sozialleistungsträgers denjenigen Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zuständige Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. BSG, Urt. v. 12.10.1979 - 12 RK 47/77 -, juris Rn. 16 ff.). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift ein, wenn ein Leistungsberechtigter in einem bestehenden oder angebahnten Sozialrechtsverhältnis, das auf einem Anspruch auf Sozialleistung beruht, durch die Verletzung sozialbehördlicher Pflichten einen Nachteil erlitten hat. Dabei kann es sich um Nebenpflichten handeln wie diejenigen zur Auskunft, Betreuung und Beratung (§§ 14, 15 SGB I) oder zur verständnisvollen Förderung (BSG, Urt. v. 18.12.1975 - 12 RJ 88/75 -, v. 26.06.1991 - 8 RKn 15/90 -, v. 16.12.1993 - 13 RJ 19/92 - und v. 22.10.1996 - 13 RJ 69/95 -, jeweils juris). Diese für das Sozialrecht entwickelten Grundsätze sind nach der Rechtsprechung des Eufach0000000009s jedenfalls dort anwendbar, wo Pflichtverletzungen in einem sozialrechtlich geprägten Verwaltungsverfahren durch Naturalrestitution auszugleichen sind und keine Spezialregelungen bestehen (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 30.6.2011 - 3 C 36/10 -, BVerwGE 140, 103 bis 113).
Diese Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zur Begründung der Pflichtverletzungen beruft sich die Klägerin auf mehrere Telefonate mit Mitarbeitern des Beklagten. So mit Frau W. vom 4. Januar 2012, bei welchem diese Mitarbeiterin des Beklagten bestätigt haben soll, dass die letzte Satzungsänderung vom 1. Januar 2012 nicht von Bedeutung für die Klägerin sei. Ferner hätten die Herren X. und Y. der Klägerin in Telefonaten vom 8. und 9. September 2021 mitgeteilt, dass für die Klägerin die Satzung des Beklagten in der Altfassung gelte.
Mangels Entscheidungserheblichkeit hat die erkennende Kammer die auf Zeugenvernehmung gerichteten Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Es kann nämlich dahinstehen, ob tatsächlich eine Pflichtverletzung in Form einer Falschberatung in diesen Telefonaten vorliegt. Die Klägerin müsste durch die behauptete Verletzung der Beratungspflicht einen Nachteil erlitten haben. Dies ist nicht der Fall. Ein Nachteil kann nur darin gesehen werden, dass ihr der Ledigenzuschlag nicht schon ab dem 1. Juni 2020 gewährt wird. Denkbar wäre die Kausalität zwischen Beratung und Nachteil nur, wenn man annähme, dass es die Klägerin infolge der Beratung unterlassen hätte, verwaltungsverfahrensrechtliche oder gerichtliche Schritte einzuleiten, die - wenn sie denn ergriffen worden wären - zu dem begehrten Ziel geführt hätten. Dies ist aber nicht der Fall. Zwar ist es plausibel, dass die Klägerin nach Kenntnis über die Satzungsänderungen behördliche oder gerichtliche Schritte eingeleitet hätte, ggf. hätte sich die Klägerin bei Kenntnis von der Satzungsänderung mit Wirkung zum 25. August 2011 im Wege der Normenkontrolle gegen die Abschaffung des Ledigenzuschlags gewehrt. Behördliche oder gerichtliche Schritte hätten im Ergebnis aber nicht dazu geführt, dass der Ledigenzuschlag bereits ab 1. Juni 2020 zu gewähren wäre. Entscheidend ist, dass der Ledigenzuschlag nach § 30 Abs. 6 i.d.F.v. 7. Dezember 2010 an das Altersruhegeld gekoppelt ist ("Das Altersruhegeld [...] wird [...] erhöht"). Wie bereits dargestellt, wurde durch Satzungsänderung jedoch auch das Regeleintrittsalter in Bezug auf das Altersruhegeld angehoben, im Fall der Klägerin auf 63 Jahre und 4 Monate durch § 27 Abs. 1 der Satzung i.d.F.v. 25. August 2011. Dies ist nicht zu beanstanden und führt dazu, dass der Ledigenzuschlag nicht ab 1. Juni 2020 gewährt werden kann, ist dies doch ein Zeitpunkt, zu welchem die Klägerin noch kein Altersruhegeld bezog (s. oben unter I.3.). Das Altersruhegeld wurde erst ab dem 1. Oktober 2021 gewährt.
II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen (a.), aber auf Prozesszinsen (b.).
a. Der behauptete Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen besteht nicht. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, aus dem die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen hergeleitet werden kann; die Folgen der Nichterfüllung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen richten sich vielmehr nach dem im Einzelfall einschlägigen Spezialrecht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.1990 - 3 C 56/88 -, juris Rn. 17; VG Stuttgart, Urt. v. 24.8.2020 - 4 K 722/19 -, juris Rn. 44). Die Satzung des Beklagten enthält keine Regelung, die den Beklagten verpflichtet, für rückständige Versorgungsleistungen Zinsen zu zahlen. Insbesondere der von der Klägerin angeführte § 35 der Satzung regelt nur die Auszahlung der Versorgungsleistungen (monatlich im Voraus), ohne einen Zinsanspruch zu begründen.
Ein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen folgt auch nicht aus der analogen Anwendung von § 288 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung kommt ein Anspruch auf Verzugszinsen nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es sich bei der öffentlich-rechtlichen Forderung um eine Entgeltforderung handelt, das heißt um eine vertragliche Leistungspflicht, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistungspflicht des anderen Vertragspartners steht. Denn insoweit besteht kein entscheidender Unterschied zu bürgerlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen (BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - 5 C 1.13 D -, juris Rn. 44). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Es fehlt am Gegenseitigkeitsverhältnis, denn der Ledigenzuschlag beruht auf keiner Eigenleistung der Klägerin, sondern wird als Ausgleich für ausbleibende Hinterbliebenenrentenleistungen gewährt. Die erkennende Kammer folgt, wie bereits ausgeführt, den klägerischen Bedenken gegenüber der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht und schließt sich den ausführlichen Erwägungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts an, wonach der Ledigenzuschlag nicht auf einer Eigenleistung der Mitglieder beruht und nicht dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt (NdsOVG, Urt. v. 24.6.2016 - 8 LC 31/16 -, juris Rn. 33 ff.).
b. Die Klägerin steht aber ein Anspruch auf Prozesszinsen zu. Der Anspruch auf Gewährung des Ledigenzuschlags ist ab Eintritt der Rechtshängigkeit - also ab dem 29. September 2021 - mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Nach den auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften der § 291 Satz 1 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB sind Prozesszinsen immer dann zu zahlen, wenn das einschlägige Fachrecht keine abweichende Regelung trifft und die Geldforderung eindeutig bestimmt ist (BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - 5 C 1.13 D -, juris Rn. 46 m.w.N.; vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 4.12.2020 - 10 LC 402/18 -, juris Rn. 49). Das einschlägige Fachrecht trifft hier keine abweichende Regelung. Die Geldforderung ist eindeutig bestimmt, da sie sich nach einem festen Prozentsatz (25%) in Abhängigkeit von einem feststehenden Geldbetrag - dem Altersruhegeld in Höhe von 1.100,40 EUR - berechnet wird und damit 275,10 EUR beträgt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da die Klägerin teils obsiegt, teils unterliegt. Vorliegend ist eine Verteilung der Kosten von 1/4 auf die Klägerin und 3/4 auf den Beklagten sachgerecht. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Ledigenzuschlags in Höhe von 25% ist weit überwiegend erfolgreich. Der Anspruch ist aber erst seit 1. Oktober 2021 gegeben und nicht, wie beantragt, seit 1. Juni 2020. Zudem besteht nur ein Anspruch auf Prozess-, nicht aber auf Verzugszinsen.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Bei der Verknüpfung von Verpflichtungsklage und Leistungsklage analog § 113 Abs. 4 VwGO darf das Urteil zur Vermeidung einer Umgehung des § 167 Abs. 2 VwGO auch hinsichtlich des Leistungsausspruchs - hier in Ziffer 2 des Tenors - nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (so auch Nds. OVG, Beschl. v. 4.12.2020 - 10 LC 402/18 -, juris Rn. 51, unter Hinweis auf Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 113 Rn. 21 m.w.N.).
V. Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.