Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.02.2025, Az.: 8 SLa 509/24
Anspruch eines Arbeitnehmers auf Zahlungen von Urlaubsgeld und Sonderzuwendungen auf Basis des Manteltarufvertrages der Niedersächsischen Metallindustrie
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.02.2025
- Aktenzeichen
- 8 SLa 509/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2025, 13655
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2025:0212.8SLa509.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 13.05.2024 - AZ: 3 Ca 361/23
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 2 MTV Nds. Metallindustrie
- § 8 MTV Nds. Metallindustrie
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 9 Abs. 2 des Manteltarifvertrages der Nds. Metallindustrie (im Folgenden: MTV), auf den § 19 Abs. 2 MTV für die Berechnung des Urlaubsgeldes und § 3 Abs. 1 TV Sonderzahlungen Nds. Metallindustrie für die Berechnung der Sonderzahlung verweisen, regelt die Berechnung des Entgeltes für bezahlte Ausfallzeiten , unter welche die Norm beispielhaft Urlaub und Krankheit mit Entgeltfortzahlungsanspruch fasst. Damit binden die Tarifpartner die Berechnung der freiwilligen tariflichen Leistungen Urlaubsgeld und "Sonderzahlung" an zwei gesetzlich im Sinne von Mindestansprüchen geregelte Zahlungen.
- 2.
Gem. § 9 Abs. 2 MTV sind bei bezahlten Ausfallzeiten das gleichmäßige Monatsentgelt und der Durchschnitt der variablen Entgeltbestandteile fortzuzahlen, nicht hingegen die sonstigen Entgeltbestandteile gem. § 8 Ziff. 8 MTV. Als variable Entgeltbestandteile definiert § 8 Ziff. 7 MTV u.a. unmittelbar leistungsabhängige Entgeltbestandteile (z. B. Prämien-, Ziel- oder Akkordentgelte). "Unmittelbarkeit" setzt dabei nach Ansicht des erkennenden Gerichts lediglich die Zuordnungsfähigkeit zur individuellen, höchstpersönlichen, Leistung des Arbeitnehmers voraus, der die Leistung (vorliegend: eine Provision) erhält. Diese Voraussetzung erfüllt die in der vorliegend zu beurteilenden Konzernbetriebsvereinbarung geregelte Provisionszahlung, da es weit überwiegend in der Macht und Verantwortung des jeweiligen Arbeitnehmers liegt, ob er durch Einsatz seiner eigenen Arbeitskraft die individuell vereinbarten Ziele erreicht.
- 3.
Werden Leistungen, die inhaltlich die Kriterien für einen variablen Entgeltbestandteil erfüllen, entgegen der tariflichen Anordnung nicht monatlich, sondern vielmehr mit monatlichen Abschlägen oder auch gänzlich ohne dieselben jährlich ausbezahlt, so ergibt eine Auslegung nach Sinn und Zweck, dass wie regelmäßig - der inhaltlichen Komponente der tariflichen Definition das entscheidende Gewicht zukommt. Die bloß jährliche Auszahlung ändert damit nichts daran, dass die vorliegend zu beurteilende Provisionszahlung bei der tariflichen Berechnung von Urlaubsgeld und Sonderzahlung mit zu berücksichtigen ist.
- 4.
Eine Beteiligung am Umsatz oder Gewinn einer ganzen (Betriebs-)Abteilung, des Betriebes, des Unternehmens oder des Konzerns stellt hingegen eine Leistung dar, die regelmäßig unter den Begriff der jährlichen Erfolgsbeteiligung des § 8 Ziff. 8 MTV zu subsumieren ist und somit nach dem Willen der Tarifvertragsparteien keinen variablen, sondern einen - bei der Berechnung von Urlaubsgeld und Sonderzahlung nicht berücksichtigungsfähigen - sonstigen Entgeltbestandteil darstellt.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 13.05.2024 - 3 Ca 361/23 - abgeändert:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für das Jahr 2023 restliches Urlaubsgeld in Höhe von 1.319,74 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszinssatz seit dem 04.11.2023 zu zahlen.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für das Jahr 2023 eine restliche Sonderzahlung in Höhe von 1.052,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über den Basiszinssatz seit dem 28.03.2024 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten weitere Zahlungen auf das Urlaubsgeld und die Sonderzuwendung für das Jahr 2023.
Der am 00.00.0000 geborene und seit dem 00.00.1982 bei der Beklagten beschäftigte Kläger hat nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen der Niedersächsischen Metallindustrie einen Anspruch auf 30 Urlaubstage (§ 15 Manteltarifvertrag, im Folgenden: MTV) und auf ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 50 % des durchschnittlichen Tagesentgelts (§ 19 Abs. 2 MTV), welches gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 MTV zu berechnen ist. Weiter besitzt er einen tariflichen Anspruch auf eine Sonderzahlung, deren Höhe sich nach der Betriebszugehörigkeit richtet. Bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 36 Monaten beträgt die Sonderzahlung 55 % des Monatsentgeltes iSd. § 9 Abs. 2 MTV (§ 3 Abs. 1 TV Sonderzahlungen). Der Kläger ist Betriebsratsvorsitzender, er wechselte aufgrund der Übernahme dieses Amtes vom Außen- in den Innendienst.
§ 9 Abs. 2 MTV lautet:
"Bei bezahlten Ausfallzeiten (z.B. Urlaub, Krankheit mit Entgeltfortzahlungsanspruch, Arbeitsversäumnis gem. § 11 II) sind das gleichmäßige Monatsentgelt und der Durchschnitt der variablen Entgeltbestandteile fortzuzahlen mit Ausnahme der Mehrarbeit und der auf die Mehrarbeit fallenden Zuschläge. Ausgenommen sind ferner Leistungen für Aufwendungen der Beschäftigten, die während der bezahlten Ausfallzeit nicht entstehen, z.B. Fahrgeld- oder Essensgeldzuschuss. Das fortzuzahlende durchschnittliche Arbeitsentgelt ergibt sich aus dem Bezugszeitraum der letzten drei abgerechneten Monate. Die sonstigen Entgeltbestandteile gem. § 8 Ziff. (8) gehen nicht in die Durchschnittsberechnung ein."
Gem. § 8 Abs. 2 MTV setzt sich das "gleichmäßige Monatsentgelt" aus dem "monatlichen Grundgehalt" und den "konstanten Entgeltbestandteilen" zusammen. Im Falle des Klägers sind dies - unstreitig - das Grundgehalt (4.851,00 € brutto), die tarifliche Leistungszulage (636,00 € brutto) und die übertarifliche Zulage (217,26 € brutto).
Als "variable Entgeltbestandteile" definiert § 8 Abs. 7 MTV "unmittelbar leistungsabhängige Entgeltbestandteile" (z. B. Prämien-, Ziel- oder Akkordentgelte) oder "zeitabhängige Entgeltbestandteile" (z. B. Vergütungen für Mehrarbeit, Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, Belastungszulagen sowie monatliche Erfolgsbeteiligungen). Die "variablen Entgeltbestandteile" sind entsprechend der Anzahl der geleisteten Stunden zusammen mit dem gleichmäßigen Monatsentgelt des Folgemonats auszuzahlen (§ 8 Abs. 7 MTV).
In § 8 Abs. 8 MTV wird der Begriff der "sonstigen Entgeltbestandteile" wie folgt geregelt:
"Zu den sonstigen Entgeltbestandteilen gehören die zusätzliche Urlaubsvergütung, die tarifliche Sonderzahlung, die vermögenswirksamen Leistungen, Auslösungen, Fahrtkostenerstattungen bzw. Reisespesen, Kontoführungsgebühren, Mietzuschüsse, Sachleistungen sowie einmalige Zahlungen (z.B. Weihnachtsgratifikationen, jährliche Erfolgsbeteiligungen u.ä.)."
Die bei der Beklagten geltende, zwischen der Geschäftsleitung der M. Gruppe und deren Konzernbetriebsrat abgeschlossene "Konzernbetriebsvereinbarung zum Provisionssystem für die ArbeitnehmerInnen des Vertriebs und des Marketings (sales incentive program ,sip') lautet auszugsweise:
"Präambel
Die Parteien vereinbaren diese Regelung zur Vergütung der Arbeitnehmer, welche in den Geschäftsbereichen Vertrieb, Marketing oder in den angrenzenden Funktionsbereichen tätig sind. Diese Arbeitnehmer haben durch ihre Leistung unmittelbaren Einfluss auf den kurz- und langfristigen Erfolg des Unternehmens. Die Provision, als variabler Entgeltbestandteil, soll in erster Linie der Motivation der Arbeitnehmer aber auch der Honorierung für erfolgreiche Arbeit dienen.
(...)
§ 1 Geltungsbereich
Persönlich: Für alle Arbeitnehmer der M. GmbH, M. A-Stadt GmbH & Co. KG und M. B-Stadt GmbH & Co. KG soweit sie die Funktion eines Field Sales, Sales Managers, Key Account Managers, Customer Service, Sales Backoffice, Produktmanagers oder Applikationsspezialisten wahrnehmen.
(...)
§ 3 Vereinbarung der Zielprovision
Zwischen dem Arbeitnehmer und der Führungskraft wird einmal jährlich spätestens bis zum 15. Juli eine Provisionsvereinbarung gemäß dieser Vereinbarung geschlossen. Sie enthält neben persönlichen und organisatorischen Angaben, die Zielprämie in EURO bei einem Zielerreichungsgrad von 100% sowie die individuellen finanziellen und Individuellen qualitativen (SMART) Ziele. Sie ist vom Arbeitnehmer und der Führungskraft zu unterzeichnen und an HRM zu übergeben. Es wird das Formblatt verwendet, welches dieser Vereinbarung als Anlage 1 beiliegt.
§ 4 Verhältnis zwischen fixem und variablem Entgelt
1. Das Unternehmen strebt an, bei den von dieser Regelung erfassten Arbeitnehmern ein bestimmtes Verhältnis von fixen und variablen Entgeltbestandteilen zu erreichen. Bei den Arbeitnehmern des Sales (Field Sales, Sales Manager, Key Account Manager) soll der Anteil fix/variabel 70/30 und bei allen anderen Arbeitnehmern 80/20 betragen. Diese Verteilung darf nicht zu Lasten einer tariflichen Eingruppierung erfolgen.
2. Aus dieser Regelung entsteht kein Anspruch auf Anpassung des Entgelts bei bestehenden Arbeitnehmern bzw. für Arbeitnehmer, die zukünftig eingestellt werden. Ferner plant das Unternehmen mit Einführung der Konzernbetriebsvereinbarung nur eine schrittweise Anpassung der Entgeltstruktur bei den bestehenden Arbeitnehmern [z.B. bei einer nicht tariflichen Entgelterhöhung).
3. Es erfolgt eine jährliche Überprüfung des Verhältnisses vom fixen und variablen Entgeltanteil durch die Führungskraft.
§ 5 Provisionszeltraum/Zielgrößen
1. Die Provisionsvereinbarung wird für ein Provisionsjahr abgeschlossen. Das Provisionsjahr entspricht dem Geschäftsjahr, also von April bis März.
2. Die vereinbarten Zielgrößen leiten sich aus den Budgetzahlen des Unternehmens bzw. des Teilkonzerns Intec für den Vereinbarungszeitraum, die Region sowie das Produkt bzw. die Produktgruppe ab. Die Zielgrößen für die SMARTen Ziele werden zwischen Führungskraft und Arbeitnehmer individuell vereinbart.
§ 6 Ziele
1. Für Field Sales können Individuelle quantitative (finanzielle Ziele) und qualitative (SMART) Ziele vereinbart werden. Für die quantitativen Ziele gilt, dass bis zu 50% der Ziele den Auftragseingang (eine Aufteilung nach Neu- und Bestandskunden ist möglich) als Zielgröße sowie die weiteren bis zu 50% den Umsatz (eine Aufteilung nach Neu- und Bestandskunden ist möglich) als Zielgröße haben. Vereinbart werden Zielgrößen, die sich auf die örtliche Region (Postleitzahlengebiet) sowie die Produkte/Produktgruppen/Serviceleistungen des Arbeitnehmers beziehen, für die er zuständig ist.
2. Für alle Arbeitnehmer können zwischen 75% und 100% individuelle quantitative Ziele vereinbart werden, wobei 50% der Ziele den Auftragseingang als Zielgröße sowie die weiteren 50% den Umsatz als Zielgröße haben. Vereinbart werden Zielgrößen, die sich auf die örtliche Region - soweit keine globale Verantwortung besteht (z.B. Produktmanager) - sowie die Produkte/Produktgruppen des Arbeitnehmers beziehen, für die er zuständig ist.
3. Für alle Arbeitnehmer können weiterhin individuelle qualitative Ziele vereinbart werden. Auf diese Ziele können 0% bis 25% der Zielprovision entfallen. Die individuellen qualitativen Ziele müssen der sog. SMART (Spezifisch Messbar Akzeptiert Realistisch Terminiert) Vorgabe entsprechen. Die Anzahl der SMARTen Ziele soll max. drei sein. Ziele können z.B. sein: Identifizierung, Kontaktierung und Besuch von X potentiellen Neukunden; Detaillierte, schriftliche Auswertung (Profiling) möglicher neuer Kunden; Produktpräsentationen auf Messen/Seminaren.
(...)
§ 9 Abschlagszahlungen
1. Abschlagszahlungen werden nicht gewährt. Soweit Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der KBV bereits eine Abschlagszahlung erhalten, wird diese nach folgenden Maßgaben gewährt:
2. Arbeitnehmer können sich eine monatliche Abschlagszahlung auf ihre mögliche Provision auszahlen lassen. Der monatliche Abschlag kann höchstens 1 /24 von 100% der Provision des Arbeitnehmers betragen.
3. Bei den Abschlagszahlungen handelt es sich nicht um garantierte Zahlungen. Sollte sich bei der Jahresabrechnung herausstellen, dass eine Überzahlung erfolgt ist, ist der zu viel gezahlte Betrag durch den Arbeitnehmer zurückzuerstatten.
Der rückzuzahlende Betrag wird nach vorheriger Information des Arbeitnehmers vom monatlichen Entgelt einbehalten. Um die finanziellen Folgen für den Arbeitnehmer gering zu halten, soll die Rückzahlung in monatlichen Raten (max. sechs) erfolgen oder in einem Monat erfolgen, in welchem der Arbeitnehmer anderweitige Zahlungen (z.B. Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, ...) erhält.
4. Die Führungskraft ist berechtigt die Abschlagszahlungen ganz oder teilweise für einzelne oder mehrere Arbeitnehmer auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass es nach Ablauf des Provisionsjahres zu einer Überzahlung kommt.
(...)"
Am 30.11.2015 / 7.12.2015 schlossen die Parteien in Ablösung aller bisherigen bestehenden Verträge bzw. Vertragsänderungen und/oder - ergänzungen mit Wirkung zum 01.01.2016 einen neuen Arbeitsvertrag (Bl. 66 ff. d.A. 1. Instanz). Gem. § 1 Ziffer 1 wird der Kläger im Customer-Service als Mitarbeiter mit Fachgebiet technischer Beratung eingesetzt. § 5 Ziffer 3 des Arbeitsvertrages lautet:
"Aufgrund der vertriebsorientierten Funktion nimmt der Arbeitnehmer an einem Provisionssystem teil. Der erreichbare Höchstbetrag, die Modalitäten der Auszahlung sowie die zu erreichenden Ziele werden jährlich gesondert vereinbart. Die jährliche Provisionshöhe bei 100%iger Zielerreichung beträgt 20.925,40 € brutto. (...)"
Am 18.07.2017 fand zwischen dem Kläger und Vertretern der Beklagten ein Personalgespräch statt, über dessen Inhalt eine Gesprächsnotiz mit folgendem Wortlaut angefertigt wurde:
"Es wird festgestellt, dass Herrn A. auch weiterhin ein Dienstfahrzeug nach den betrieblichen Regeln zur Verfügung gestellt wird. Dies ergibt sich aus seinem Arbeitsvertrag.
Weiterhin wurde über eine Berechnung des variablen Entgeltbestandteils für die Zukunft aber auch für das abgelaufene Geschäftsjahr 2017 gesprochen. Man stimmt darin überein, dass Herr A. als Zielerreichungsgrad den durchschnittlichen Zielerreichungsgrad aller Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst (Field Sales) Deutschland erhalten soll. Aktuell werden neun Mitarbeiter in die Vergleichsgruppe mit einbezogen.
Bei der Berechnung des Zielerreichungsgrades sind alle Produkte der M. Gruppe (OEM, Inspection, Tank & Hopper, Systeme, Software, Industrial Weighing) sowie das Direkt- und das Partner-Geschäft zu berücksichtigen.
Der so berechnete Zielerreichungsgrad wird auch bei Ermittlung des Langzeitbonus berücksichtigt. Diese Absprache gilt, solange Herr A. über ein (Konzern-)Betriebsratsmandat verfügt.
Das Geschäftsjahr 2017 wird gemäß der oben beschriebenen Berechnungsweise nachberechnet und zur Auszahlung gebracht."
Für das Geschäftsjahr 2023 (01.04.2022 bis 31.03.2023) erhielt der Kläger eine Provision in Höhe von insgesamt 22.963,54 € brutto. Die Zahlung erfolgte durch monatliche Vorschüsse und eine im Abrechnungsmonat Mai 2023 erbrachte Abschlusszahlung.
Im Juni 2023 zahlte die Beklagte an den Kläger für 30 Urlaubstage ein tarifliches Urlaubsgeld in Höhe von 3.933,97 € brutto (Bl. 5 d. A. 1. Instanz). Bei der Berechnung des Urlaubsgeldes wurde das tarifvertragliche Grundgehalt (4.851,00 € brutto), die tarifliche Leistungszulage (636,00 € brutto) und die übertarifliche Zulage (217,26 € brutto), mithin ein Gesamtbetrag von 5.704,26 € brutto, berücksichtigt, nicht aber die (Jahres-) Provision. Daraus ermittelte die Beklagte einen Tagessatz von 262,26 € brutto (5.704,26 € / 21,75) und ein tägliches (zusätzliches) Urlaubsgeld von 131,13 € brutto (50% des Tagessatzes).
Im Jahr 2023 erhielt der Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 3.137,34 € brutto. Dies entspricht 55 % des auch hier von der Beklagten zugrunde gelegten Monatsgehaltes in Höhe von 5.704,26 € brutto.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht seine Ansicht vorgebracht, dass die an ihn im Geschäftsjahr 2023 gezahlte Provision bei der Berechnung des Urlaubsgeldes und der Sonderzahlung zusätzlich habe berücksichtigt werden müssen. Bei einer Gesamtprovision in Höhe von 22.963,54 € ergebe sich ein Durchschnittswert pro Monat in Höhe von 1.913,63 €. Daraus errechne sich ein Tagessatz in Höhe von 87,98 € brutto (1.913,63 € /21,75). Das auf die Provision entfallende zusätzliche Urlaubsgeld iHv. 50 % des Tagessatzes betrage mithin 43,99 € brutto pro Urlaubstag, bei 30 Urlaubstagen dementsprechend 1.319,74 € brutto. Die auf die Provision entfallende, nach seiner Auffassung noch zu leistende, weitere Sonderzahlung betrage 1.052,50 € (1.913,63 € x 55 %).
Der Kläger hat erstinstanzlich letztlich beantragt:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für das Jahr 2023 ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 1.319,74 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für das Jahr 2023 eine weitere Sonderzahlung in Höhe von 1.052,50 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Sie hat erstinstanzlich ihre Auffassung vorgebracht, die an den Kläger gezahlte Provision sei bei der Berechnung der Urlaubsvergütung, des zusätzlichen Urlaubsgeldes und der Sonderzahlung nicht zu berücksichtigen, da sie unter die Regelung des § 8 Abs. 8 MTV falle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die dort zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlung erster Instanz Bezug genommen.
Mit Urteil vom 13.05.2024, dem Kläger zugestellt am 04.06.2024, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die an den Kläger gezahlte Provision sei kein variabler Entgeltbestandteil iSd. § 8 Abs. 7 MTV, sondern ein sonstiger Entgeltbestandteil gem. § 8 Abs. 8 MTV. Tatsächlich handele es sich nicht um eine - unmittelbar leistungsbezogene - Provision an einem vermittelten Geschäft, sondern um eine von dem Grad der Zielerreichung abhängige Jahressonderzahlung. Es liege weder eine unmittelbar leistungsabhängige noch eine monatlich zur Auszahlung zu bringende Vergütung vor.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 03.07.2024 Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Fristverlängerung auf den 03.09.2024 mit einem am 03.09.2024 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Er meint, das Arbeitsgericht habe die Konzernbetriebsvereinbarung unzutreffend ausgelegt. Es habe verkannt, dass die Provision leistungsbezogen sei. Die Parteien hätten im Personalgespräch vom 18.07.2017 vereinbart, dass der Kläger den variablen Entgeltbestandteil auf der Grundlage des durchschnittlichen Zielerreichungsgrades aller Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst erhalten solle. Mit der Konzernbetriebsvereinbarung sowie mit dem Arbeitsvertrag und der Vereinbarung im Personalgespräch sei eine Regelung getroffen worden, die dem Kläger die Provision als variablen Entgeltbestandteil garantiere.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgericht Göttingen vom 13.05.2024, Aktenzeichen: 3 Ca 361/21, aufzuheben [gemeint war: abzuändern] und
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für das Jahr 2023 ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 1.319,75 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für das Jahr 2023 eine weitere Sonderzahlung in Höhe von 1.052,50 Euro brutto zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt unter Verweis auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen vor, es handele sich bei der Provision nicht um einen "unmittelbar" von der Leistung des Klägers abhängigen Entgeltbestandteil. Damit stehe fest, dass es sich bei der "Provision" um einen sonstigen Entgeltbestandteil gem. § 8 Abs. 8 MTV - nämlich um eine jährliche Erfolgsbeteiligung - handele. Derartige sonstige Entgeltbestandteile seien aber, wie § 9 Abs. 2 letzter Satz MTV zu entnehmen sei, nicht bei der Berechnung von zusätzlichem Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung zu berücksichtigen. Es handele sich bei den "Provisionsabschlägen" auch nicht um eine monatliche Erfolgsbeteiligung im Sinne des § 8 Abs. 7 MTV, sondern um eine monatliche Abschlagszahlung, die zum Jahresende spitz abgerechnet werde. Mithin gebe die monatliche Abschlagszahlung auch nicht korrekt die Höhe der insgesamt im Jahr zu zahlenden "Provision" wieder. Auch nach Sinn und Zweck der Herausnahme der sonstigen Entgeltbestandteile in § 9 Abs. 2 MTV sei die jährliche Erfolgsbeteiligung nicht zu berücksichtigen, da für die Berechnung des Urlaubsgeldes und der Jahressonderzahlung ein durchschnittliches Arbeitsentgelt der letzten 3 abgerechneten Monate maßgeblich sein solle. Für eine Jahreszahlung bedeute dies, dass es von Zufällen abhängig sei, wann diese Jahreszahlung fällig bzw. gezahlt werde und damit auch, ob eine Berücksichtigung gem. § 9 Abs. 2 MTV erfolgen müsse oder nicht. Dies hätten auch die Tarifvertragsparteien gesehen, indem sie entsprechend § 8 Abs. 8 MTV eben jährliche Zahlungen und sonstige einmalige Zahlungen ausdrücklich aus der Berechnung des durchschnittlich fortzuzahlenden und der Berechnung von zusätzlichem Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung zugrunde zu legendem Entgelt herausgenommen hätten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien vor dem erkennenden Gericht wird auf die hier zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 12.02.2025 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist auch vollumfänglich begründet.
I.
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingereicht und begründet worden.
II.
Die Berufung ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die eingeforderten weiteren Zahlungen von Urlaubsgeld und Sonderzahlung verlangen.
1.
a)
Der Kläger besitzt gem. § 19 Abs. 2 MTV einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes in Höhe von 50 % des durchschnittlichen Tagesentgelts. Für das Jahr 2023 kann der Kläger für jeden der - unstreitig zugrunde zu legenden - 30 Urlaubstage ein Urlaubsgeld in Höhe von 175,12 Euro brutto fordern. Sein durchschnittliches Tagesentgelt iSd. §§ 19 Abs. 2, 9 Abs. 2 MTV beträgt 350,24 Euro auf der Grundlage eines anzusetzenden Bruttomonatsgehalts von 7.617,89 Euro (7.617,89 Euro: 21,75 = (gerundet) 350,24 Euro). Der Betrag von 7.617,89 Euro setzt sich aus dem "gleichmäßigen Monatsentgelt" von 5.704,26 Euro brutto sowie einem "variablen Entgeltbestandteil" in Höhe eines Zwölftels der an den Kläger für das Geschäftsjahr 2023 gezahlten Provision von (22.963,54 Euro: 12 =) 1.913,63 Euro brutto zusammen.
b)
Die an den Kläger gezahlte Provision ist ein "variabler Entgeltbestandteil" iSd. §§ 9 Abs. 2, 8 Abs. 7 MTV. Sie ist ein "unmittelbar leistungsabhängiger Entgeltbestandteil" iSd. § 8 Abs. 7 MTV. Der Umstand, dass die Provision nicht monats-, sondern jahresbezogen berechnet wird, ändert hieran bei zutreffender Auslegung des Tarifvertrages nichts.
aa)
§ 9 Abs. 2 MTV, auf den § 19 Abs. 2 MTV für die Berechnung des Urlaubsgeldes verweist, regelt die Berechnung des Entgeltes für "bezahlte Ausfallzeiten", unter welche die Norm beispielhaft "Urlaub" und "Krankheit mit Entgeltfortzahlungsanspruch" fasst. Damit binden die Tarifpartner die Berechnung der freiwilligen tariflichen Leistung "Urlaubsgeld" an zwei gesetzlich - im Sinne von Mindestansprüchen - geregelte Leistungen, das Urlaubsentgelt und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Sie nehmen also ersichtlich gerade keine Differenzierung vor, obwohl diese in rechtlicher Hinsicht durchaus möglich wäre. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifpartner das Schicksal des Urlaubsgeldanspruchs unter bestimmten Bedingungen oder in Bezug auf gewisse Aspekte abweichend regeln wollten, lassen sich dem MTV nicht entnehmen. Die Auslegung dieser Tarifnorm hat sich folgerichtig in erster Linie daran zu orientieren, welchen Regelungsinhalt die Tarifvertragsparteien in Bezug auf die gesetzlichen Leistungen Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vereinbaren wollten. Dabei ist zugrunde zu legen, dass die Tarifpartner sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben halten und somit keine Regelungen treffen wollten, die diesen Vorgaben und der im Zusammenhang mit ihnen entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung zuwiderlaufen.
(1)
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet der in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG enthaltene Begriff des "bezahlten" Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs weiter zu gewähren ist. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12 - [Lock] Rn. 16; 15. September 2011 - C-155/10 - [Williams ua.] Rn. 19; 16. März 2006 - C-131/04 ua. - [Robinson-Steele ua.] Rn. 50). Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH 13. Dezember 2018 - C-385/17 - [Hein] Rn. 32 ff.; 29. November 2017 - C-214/16 - [King] Rn. 35 mwN; 22. Mai 2014 - C-539/12 - [Lock] Rn. 17 mwN; 16. März 2006 - C-131/04 ua. - [Robinson-Steele ua.] Rn. 58; vgl. hierzu auch BAG 17. Juni 2020 - 10 AZR 210/19 (A) - Rn. 49 ff., BAGE 171, 114; 20. September 2016 - 9 AZR 429/15 - Rn. 19 mwN). Dabei muss jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und durch einen in die Berechnung seines Gesamtentgelts eingehenden Geldbetrag abgegolten wird, zwingend Teil des Betrags sein, auf den der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat (EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12 - [Lock] Rn. 29). Fortzuzahlen sind auch diejenigen Bestandteile des Gesamtentgelts, die an die persönliche und berufliche Stellung des Arbeitnehmers anknüpfen (vgl. EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12 - [Lock] Rn. 30; 15. September 2011 - C-155/10 - [Williams ua.] Rn. 27). Maßgeblich ist, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Entgeltbestandteil und der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben besteht (EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12 - [Lock] Rn. 32, vgl. zum Vorstehenden BAG, Urteil vom 27. Juli 2021 - 9 AZR 376/20 -, Rn. 32, juris). Erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile, z.B. Provisionen, sind in richtlinienkonformer Auslegung von § 1 BUrlG als Teil des gewöhnlichen Arbeitseinkommens bei der Bemessung des Urlaubsentgelts nach § 11 BUrlG zu berücksichtigen. Das gilt dann, wenn sie vom Arbeitgeber für bestimmte Zeitabschnitte als Gegenleistung iSv. § 611 a II BGB zu zahlen sind, ihre Höhe zumindest auch von der erbrachten Arbeitsleistung abhängig ist und durch die Freistellung des Arbeitnehmers von der Pflicht zur Arbeitsleistung während des Urlaubs beeinflusst werden kann (BAG, Urteil vom 27. Juli 2021 - 9 AZR 376/20 -, Rn. 32, juris).
§ 13 Abs. 1 BUrlG ändert hieran nichts. Auch Tarifvertragsparteien dürfen nicht abweichend vom Gesetz zulasten der Arbeitnehmer bestimmen, was als Verdienst zugrunde gelegt wird (ErfK/Gallner, 25. Aufl. 2025, § 13 BUrlG Rn. 18).
Die in der Konzernbetriebsvereinbarung geregelte Provision knüpft im vorbezeichneten Sinne an die persönliche und berufliche Stellung des Arbeitnehmers an. Zwischen ihr und der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben besteht ein innerer Zusammenhang. Sie muss daher bei der Berechnung des Urlaubsentgelts Berücksichtigung finden; auch Tarifpartner könnten diese Zahlungen bei der Bemessung des Urlaubsentgelts nicht ausnehmen. Da die Tarifpartner, wie oben ausgeführt, das Schicksal des Urlaubsgeldes an das Urlaubsentgelt geknüpft haben, kann hierfür nichts Anderes gelten.
(2)
Das Entgeltfortzahlungsgesetz ordnet in § 4 Abs. 1a Satz 2 ausdrücklich an, dass, soweit der Arbeitnehmer eine auf das Ergebnis der Arbeit abgestellte Vergütung erhält, der von ihm in der für ihn maßgebenden Arbeitszeit erzielbare Durchschnittsverdienst der Berechnung (der Entgeltfortzahlung) zugrunde zu legen ist. Die Bestimmung erfasst nicht nur den Leistungslohn im engeren Sinne, sondern auch die Beträge, die allein oder neben einem festen Zeitlohn als Erfolgsvergütung vereinbart sind, wie Provisionen, Tantiemen, Boni und Prämien u.a. (ErfK/Reinhard, 25. Aufl. 2025, § 4 EFZG Rn. 13).
Auch hier gilt, dass die Regelung der § 4 Abs. 4, § 12 EFZG hieran nichts zu ändern vermag. Die durch die eingeschränkte Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 EFZG eingeräumte Gestaltungsmacht findet ihre Grenze dort, wo der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in seiner Substanz angetastet wird. Die Tarifvertragsparteien sind insbesondere an den Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung (100 %) gebunden.
Die in der Konzernbetriebsvereinbarung geregelte Provision ist in die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von den Tarifpartnern mit einzubeziehen. Da die Tarifpartner, wie oben ausgeführt, das Schicksal des Urlaubsgeldes (auch) an die tariflichen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geknüpft haben, kann hierfür nichts Anderes gelten.
bb)
Die Auslegung der Konzernbetriebsvereinbarung (im Folgenden: KBV) ergibt, dass es sich bei der dort geregelten Provision um einen unmittelbar leistungsabhängigen und damit um einen variablen Entgeltbestandteil iSd. § 8 Abs. 7 MTV handelt. Hierauf stützt das erkennende Gericht sich zur Begründung im Verhältnis zu vorstehend aa) selbstständig und tragend.
Für dieses Auslegungsergebnis spricht bereits der von den Parteien der KBV gebrauchte Wortlaut. Durchgängig ist in Bezug auf die vereinbarte Leistung von einer "Provision" - und gerade nicht, wie der Beklagtenvertreter es lesen möchte, von einer (Jahres-) Sonderzahlung, Gratifikation, 13. Monatsgehalt, (allgemeinen) Beteiligung am Erfolg des Unternehmens o.ä. - die Rede. In der Präambel ist davon die Rede, dass die Arbeitnehmer (der Geschäftsbereiche Vertrieb, Marketing pp.) durch ihre Leistung unmittelbaren Einfluss auf den kurz- und langfristigen Erfolg des Unternehmens haben. Zudem wird die Provision in der Präambel ausdrücklich als variabler Entgeltbestandteil (der in erster Linie der Motivation der Arbeitnehmer, aber auch der Honorierung für erfolgreiche Arbeit dienen solle) bezeichnet und damit exakt der Sprachgebrauch des Tarifvertrages aufgegriffen, was ein gewichtiges Indiz für den von den Betriebsparteien zugrunde gelegten Rechtscharakter der in der KBV geregelten Leistung darstellt.
Die inhaltliche Betrachtung stützt das im Wege der Wortlautauslegung gefundene Ergebnis. Gem. "§ 3 Vereinbarung der Zielprovision" wird zwischen dem Arbeitnehmer und der Führungskraft einmal jährlich spätestens bis zum 15. Juli eine Provisionsvereinbarung gemäß der KBV geschlossen. Diese enthält insbesondere die Zielprämie in EURO bei einem Zielerreichungsgrad von 100% sowie die individuellen finanziellen und individuellen qualitativen (SMART) Ziele. Als Zielgrößen werden gem. § 6 der KBV Auftragseingang und Umsatz vereinbart, und zwar bezogen auf die örtliche Region (Postleitzahlengebiet) sowie die Produkte/Produktgruppen/Serviceleistungen des Arbeitnehmers, für die er zuständig ist. Soweit das Arbeitsgericht hierzu ausgeführt hat, es handele sich nicht um einen unmittelbar leistungsabhängigen Entgeltbestandteil wie bei einer Provision an einem vermittelten Geschäft, und damit offenbar die Auffassung vertreten will, Unmittelbarkeit setze die Zuordnungsfähigkeit zu einem konkreten Geschäftsvorgang voraus, kann das erkennende Gericht diese Auffassung nicht teilen. Unmittelbarkeit im Sinne der auszulegenden Tarifnorm des § 8 MTV setzt nach Ansicht des erkennenden Gerichts vielmehr - lediglich - die Zuordnungsfähigkeit zur individuellen, höchstpersönlichen, Leistung des Arbeitnehmers voraus, der die Provision erhält. Diese Voraussetzung erfüllt die in der KBV vereinbarte Provisionszahlung, da es weit überwiegend in der Macht und Verantwortung des jeweiligen Arbeitnehmers liegt, ob er durch Einsatz seiner eigenen Arbeitskraft die individuell vereinbarten Ziele erreicht. Gelegentliche Vertretungssituationen bei Urlaub, Krankheit und anderen Verhinderungsfällen vermögen hieran nichts zu ändern. Anders läge es beispielsweise bei einer Beteiligung am Umsatz oder Gewinn einer ganzen (Betriebs-)Abteilung, des Betriebes, des Unternehmens oder gar des Konzerns. Die letztgenannten Fälle stellen Leistungen dar, die unter den Begriff der "jährlichen Erfolgsbeteiligung" des § 8 Abs. 8 MTV subsumiert werden können und somit nach dem Willen der Tarifvertragsparteien keine variablen Entgeltbestandteile darstellen.
cc)
Der Umstand, dass in der KBV - im Grundsatz - eine jährliche Auszahlung der Provision geregelt ist, ändert nichts an dem gefundenen Auslegungsergebnis. Zwar ist richtig, dass § 8 Abs. 7 MTV für die "variablen Entgeltbestandteile" bestimmt, dass diese entsprechend der Anzahl der geleisteten Stunden zusammen mit dem gleichmäßigen Monatsentgelt des Folgemonats auszuzahlen sind, wohingegen "einmalige Zahlungen" als "sonstige Entgeltbestandteile" iSd. § 8 Abs. 8 MTV gelten und damit bei der Berechnung u.a. des Urlaubsgeldes nicht zu berücksichtigen sein sollen. Der MTV regelt jedoch an keiner Stelle, wie zu verfahren ist, wenn Zahlungen, die inhaltlich die Kriterien für einen variablen Entgeltbestandteil erfüllen, entgegen der tariflichen Anordnung nicht monatlich, sondern vielmehr - mit monatlichen Abschlägen oder auch gänzlich ohne dieselben - jährlich ausbezahlt werden. Es liegt eine tarifliche Regelungslücke vor, die im Wege der Auslegung zu schließen ist. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck ergibt, dass - wie regelmäßig - der inhaltlichen Komponente der tariflichen Definition das entscheidende Gewicht zukommt. Liegen also - wie hier - sämtliche inhaltlichen Voraussetzungen für einen variablen Entgeltbestandteil vor, vermag der Umstand, dass die Auszahlung abweichend von den tariflichen Vorgaben gestaltet wird, nichts zu ändern. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Regelungen des Tarifvertrages - sei es vorsätzlich, sei es versehentlich - durch betriebliche oder einzelarbeitsvertragliche Fälligkeitsregelungen unterlaufen werden könnten.
dd)
Dafür, dass die in der KBV geregelten Provisionszahlungen unter § 8 Abs. 7 MTV fallen, spricht ferner, dass sie sich nicht unter die in § 8 Abs. 8 MTV geregelten "sonstigen Entgeltbestandteile" fassen lassen. Sie fallen unter kein dort genanntes Beispiel und haben auch einen anderen Leistungscharakter als diese. Insbesondere stellen sie keine "jährliche Erfolgsbeteiligung" dar. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts zeichnet sich letztere dadurch aus, dass sie sich an allgemeinen, unabhängig von der individuellen Leistung des Arbeitnehmers ermittelten Parametern, insbesondere dem Unternehmensgewinn, orientiert.
c)
Der Kläger kann, obgleich er nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich der KBV fällt, von der Beklagten verlangen, dass die an ihn gezahlte Provision als variabler Entgeltbestandteil iSd. § 8 Abs. 7 MTV behandelt und damit der Berechnung des Urlaubsgeldes zugrunde gelegt wird.
Zwar schließt der Kläger mit der Beklagten keine Provisionsvereinbarung (mehr) ab. Allerdings haben die Parteien mit Vertrag vom 30.11.2015 / 7.12.2015 in Ablösung aller bisherigen bestehenden Verträge bzw. Vertragsänderungen und/oder - ergänzungen mit Wirkung zum 01.01.2016 vereinbart, dass der Kläger aufgrund seiner vertriebsorientierten Funktion an einem Provisionssystem teilnimmt, und dass der erreichbare Höchstbetrag, die Modalitäten der Auszahlung sowie die zu erreichenden Ziele jährlich gesondert vereinbart werden, sowie, dass die jährliche Provisionshöhe bei 100%iger Zielerreichung 20.925,40 € brutto beträgt. In Ausfüllung dieser Vereinbarung haben die Parteien am 18.07.2017 in einem Personalgespräch vereinbart, dass bei der Berechnung des variablen Entgeltbestandteils - auch hier wird wieder ausdrücklich die Diktion des § 8 Abs. 7 MTV aufgenommen! - für die Zukunft, aber auch für das abgelaufene Geschäftsjahr 2017, als Zielerreichungsgrad der durchschnittliche Zielerreichungsgrad aller Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst (Field Sales) Deutschland zugrunde gelegt und neun Mitarbeiter in die Vergleichsgruppe mit einbezogen werden. Damit ist einzelarbeitsvertraglich eine Gleichbehandlung des Klägers mit den unmittelbar unter die KBV fallenden Vertriebs- bzw. Marketingmitarbeitern vereinbart worden, die sich ersichtlich auch auf die Charakterisierung der zu zahlenden Provision als variabler Entgeltbestandteil und die daraus tariflich resultierenden Folgen, insbesondere auch für das Urlaubsgeld, erstrecken sollte.
d)
Der Kläger hat zutreffend als Höhe des gem. § 8 Abs. 7 MTV der Berechnung des Urlaubsgeldes zugrunde zu legenden variablen Entgeltbestandteils der Provision ein Zwölftel der für das Geschäftsjahr 2023 an ihn gezahlten Jahresprovision in Ansatz gebracht. Hätten die Parteien der KBV bzw. die Arbeitsvertragsparteien die Regelungen des MTV beachtet, hätten sie für diesen unmittelbar leistungsbezogenen Vergütungsbestandteil eine monatliche Berechnung und Zahlung vorgesehen. Es liegt nahe, dieses Versäumnis dadurch zu beheben, dass auf die Jahresgesamtzahlung abgestellt und diese auf zwölf Monate verteilt wird. Als Alternative käme in Betracht, aufgrund der Auszahlung des Urlaubsgeldes im Monat Juni 2023 darauf abzustellen, in welcher Höhe dem Kläger bei monatsbezogener Abrechnung für die drei davor liegenden Monate (siehe § 9 Abs. 2 MTV), vorliegend also März, April und Mai 2023, Provision zugestanden hätte. Dies hat allerdings keine der beiden Parteien ermittelt und in den Rechtsstreit ordnungsgemäß eingeführt, so dass es angemessen erschien, als Bezugszeitraum auf die Zeit vom 1.4.2022 bis zum 31.3.2023 abzustellen, was mit Heranziehung der Jahres-Provisionszahlung 2023 inzident erfolgt.
2.
Für die tarifliche Sonderzahlung verweist § 3 Abs. 1, ebenso wie § 19 Abs. 2 MTV es für die Berechnung des Urlaubsgeldes anordnet, auf § 9 Abs. 2 MTV. Die obigen Ausführungen gelten folgerichtig in gleicher Weise für die Berechnung der tariflichen Sonderzahlung. Der Umstand, dass die Tarifparteien frei darin waren bzw. sind, das Schicksal der tariflichen Sonderzahlung abweichend von den Vorgaben für das Urlaubsentgelt bzw. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu regeln, ändert hieran nichts, da die Tarifpartner von dieser Freiheit keinen Gebrauch gemacht haben.
Die bereits geleistete Jahressonderzahlung in Höhe von 3.137,34 € brutto entspricht unstreitig 55 % des auch hier zugrunde zu legenden Monatsgehaltes des Klägers in Höhe von 5.704,26 € brutto. Unter Zugrundelegung des variablen Entgeltbestandteils iHv. 1.913,63 Euro brutto - siehe dazu ebenfalls die Ausführungen oben unter 1 d) - ergibt sich ein noch nicht geleisteter Anteil der Sonderzahlung in Höhe von 1.052,50 € (1.913,63 € x 55 %). Gegen diese Berechnung der Höhe nach hat sich die Beklagte auch nicht gewandt.
III.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie bei zutreffender Rechtsanwendung bereits in erster Instanz unterlegen gewesen wäre.
Es handelt sich um einen Einzelfall der Auslegung einer Konzernbetriebsvereinbarung danach, ob die dort geregelten Zahlungen "variable Entgeltbestandteile" im Sinne des MTV darstellen. Die KBV betrifft nach ihrem Regelungsinhalt nur die im Konzern, dem die Beklagte angehört, tätigen Mitarbeiter des Vertriebs und des Marketing, mit denen eine Zielvereinbarung getroffen wurde bzw. wird. Die Rechtssache hat daher keine grundsätzliche Bedeutung iSd. § 72 ArbGG. Bei der Auslegung der KBV und - im Zusammenhang damit - bei der Auslegung der hier einschlägigen tariflichen Normen hat sich das Gericht an den Auslegungsgrundsätzen orientiert, die in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung vertreten werden.