Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.03.2025, Az.: 5 U 129/24

Objektiver Kontrollverlust als ein immaterieller Schaden eines Nutzers bei einem sog. "Datenscraping-Vorfall"

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.03.2025
Aktenzeichen
5 U 129/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2025, 12629
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2025:0320.5U129.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 18.03.2024 - AZ: 18 O 42/23

Amtlicher Leitsatz

Bei einem sog. "Datenscraping-Vorfall" stellt bereits der bloße objektive Kontrollverlust einen immateriellen Schaden dar.

  1. 1.

    Zum zeitlichen Anwendungsbereich der DSGVO.

  2. 2.

    Für die schlüssige Darlegung eines "objektiven Kontrollverlustes" ist es im Regelfall nicht erforderlich, dass die betroffene Person darlegt, dass sie die betreffenden Daten nicht zuvor schon anderweitig freiwillig preisgegeben hat (abweichend zu OLG Hamm, Urteil vom 15. November 2024 - 25 U 33/24, juris Rn. 172; OLG Hamm, Urteil vom 5. November 2024 - 7 U 52/24, juris Rn. 40 f.; OLG Hamm, Urteil vom 18. Dezember 2024 - 11 U 168/23, juris Rn. 18 f.).

  3. 3.

    Für den bloßen Kontrollverlust als solchen kann in Fallgestaltungen wie der vorliegenden im Regelfall ein immaterieller Schaden in Höhe von 100 € als angemessen angesehen werden.

In dem Rechtsstreit
... - pp. - ...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richterin am Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05. März 2025 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen des Klägers sowie der Beklagten wird das Urteil der 18. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Hannover vom 18. März 2024 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. April 2023 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle materiellen künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Jahr 20XX erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall zu 2 Jahren, zu unterlassen, aufgrund einer von der Beklagten gesetzten Voreinstellung personenbezogene Daten der Klägerseite, insbesondere die Telefonnummer oder sonstige nicht öffentliche Datenpunkte, Dritten, die nicht aufgrund eines Vertrages oder Gesetzes gegenüber der Beklagten hierzu berechtigt sind, namentlich Hackern und/oder Scrapern, über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, wie geschehen, anlässlich des sogenannten Datenleaks, das nach Aussage der Beklagten im Jahr 20XX stattfand.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, die Telefonnummer des Klägers auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf "Privat" noch durch Verwendung des Import Tools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und im Fall der Nutzung der Messenger-App hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehenden Berufungen der Parteien werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt der Kläger 78 % und die Beklagte 22 %. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz trägt der Kläger.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird - insoweit in Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung - auf 4.100,00 € festgesetzt. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 4.100,00 € bis zum 21. Februar 2025 festgesetzt und auf 1.800,00 € ab diesem Zeitpunkt.

Gründe

A.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen behaupteter Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Zusammenhang mit einem sog. "Scraping-Vorfall" bei der Beklagten in Anspruch. Erstinstanzlich hat der Kläger die Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 2.000,00 € (als Ausgleich für Datenschutzverstöße etc.) sowie die Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 1.000,00 € (für die Nichterteilung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft) beantragt sowie Auskunft, Feststellung und Unterlassung begehrt. Das Landgericht hat - nach Anhörung des Klägers - die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 500,00 € (im Hinblick auf die geltend gemachten Datenschutzverstöße) verurteilt sowie den Feststellungs- und Unterlassungsanträgen stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien, die zunächst ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt haben, soweit das Landgericht diesen nicht stattgegeben hat. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2025 hat der Kläger sodann seinen Zahlungsantrag über 2.000,00 € (als Ausgleich für die Datenschutzverstöße) auf 1.000,00 € reduziert, seinen weiteren Zahlungsantrag über 1.000,00 € (wegen der Nichterteilung einer ordnungsgemäßen Auskunft) sowie seinen Auskunftsantrag zurückgenommen sowie seine Unterlassungsanträge umformuliert.

Von einer Darstellung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B.

Die zulässigen Berufungen der Parteien haben jeweils nur zum Teil Erfolg.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von 100,00 € gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu.

1. Der zeitliche Anwendungsbereich der DSGVO ist vorliegend erfüllt.

a) Zeitlich anwendbar ist die DSGVO bei Verstößen, die zeitlich nach dem 25. Mai 2018 stattgefunden haben (BGH, Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, juris Rn. 19).

b) Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass das streitgegenständliche Datenscraping zeitlich nach dem 25. Mai 2018 stattgefunden hat und beruft sich in diesem Rahmen auch auf ihr günstige obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Stuttgart, Urteil vom 26. Juni 2024 - 4 U 172/23, juris Rn. 48 ff.).

Im Ergebnis greift das nicht durch. Es kann dahinstehen, ob das Bestreiten der Beklagten - gerade auch im Hinblick auf die nachfolgend erörterte Pressemitteilung der Beklagten vom ... 2021 (Anlage B10) - überhaupt prozessual beachtlich ist. Denn jedenfalls hat der Senat aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles gemäß § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. zu den diesbezüglichen Kriterien z.B. BGH, Urteil vom 7. November 2024 - III ZR 79/23, juris Rn. 39 f.) die hinreichende Überzeugung davon gewonnen, dass der streitgegenständliche "Scraping-Vorfall" zeitlich nach dem 25. Mai 2018 stattgefunden hat. Diese Überzeugungsbildung des Senats beruht auf der eigenen Pressemitteilung der Beklagten vom ... 2021:

  • In dem ersten Absatz dieses Schreibens heißt es: "Es ist wichtig zu verstehen, dass böswillige Akteure diese Daten nicht durch das Hacken unserer Systeme erlangt haben, sondern indem sie sie vor ... 20XX von unserer Plattform gescrapt haben". Diese Formulierung schließt natürlich nicht aus, dass der streitgegenständliche Vorfall dann schon ziemlich weit zeitlich vor dem Zeitpunkt "...20XX" erfolgt ist und also insbesondere auch schon vor dem 25. Mai 2018. Sonderlich naheliegend wäre eine solche Deutung allerdings aus Sicht des Senats schon nicht.

  • In jedem Fall aber heißt es dann am Ende auf Seite 1/dem Anfang von Seite 2 dieses Schreibens: "... sind wir zuversichtlich, dass das spezifische Problem, das ihnen das Scrapen dieser Daten im Jahr 20XX ermöglichte, nicht mehr besteht". Ebenso heißt es in dem dritten Absatz auf Seite 2 dieses Schreibens: "Als uns bewusst wurde, wie böswillige Akteure diese Funktion im Jahr 20XX nutzten, haben wir ...".

Gerade auch im Hinblick auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Überzeugungsbildung i.S.d. § 286 Abs. 1 ZPO nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraussetzt (z.B. Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20, juris Rn. 19), genügt dies - auch unter Berücksichtigung der dagegen gerichteten Argumentation der Beklagten - dem Senat, den zeitlichen Anwendungsbereich der DSGVO vorliegend zu bejahen (ebenso z.B. OLG Oldenburg, Urteil vom 18. Juni 2024 - 13 U 112/23, nicht veröffentlicht; OLG Dresden, Urteil vom 5. Dezember 2023 - 4 U 1094/23, juris Rn. 33).

2. Der Beklagten ist eine Pflichtverletzung jedenfalls insofern zur Last zu legen, als sie gegen den Grundsatz der Datenminimierung gemäß Art. 5 Abs. 1 b und c, Art. 25 Abs. 2 Satz 1 und 3 DSGVO verstoßen hat.

Die Beklagte wendet dagegen ein, dass der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 18. November 2024 (VI ZR 10/24) den erforderlichen Verstoß gegen die DSGVO lediglich revisionsrechtlich unterstellt habe. Das ist formal betrachtet auch richtig (a.a.O., juris Rn. 22). Indes hat der Bundesgerichtshof an dieser Stelle auf seine nachfolgenden Ausführungen in Rn. 86 ff. verwiesen, wo er im Wege einer "Segelanweisung" ausführlich und ausdrücklich ausgeführt hat, dass jedenfalls ein Verstoß gegen den Grundsatz der Datenminimierung i.S.v. Art. 5 Abs. 1b und c, Art. 25 Abs. 2 Satz 1 und 3 DSGVO vorliege. Der dortigen sehr ausführlichen Argumentation des Bundesgerichtshofs schließt sich der Senat nach eigenständiger Überprüfung an.

Das einzige, was der Bundesgerichtshof dem dortigen Berufungsgericht noch zur erneuten Prüfung aufgegeben hat, ist, ob von einer Einwilligung der Klagepartei in die Verwendbarkeit ihrer Telefonnummer im Rahmen der Suchbarkeitsfunktion i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Unterabschnitt 1b bis f DSGVO auszugehen ist (a.a.O., Rn. 91). Dazu wiederum hat der Bundesgerichtshof auf seine Ausführungen in Rn. 43 und 44 verwiesen. Diese Ausführungen wiederum, mit denen der Bundesgerichtshof auf die entsprechenden - sehr ausführlichen - Darlegungen in den Urteilen des OLG Hamm (Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 112, 117 ff.) und OLG Oldenburg (Urteil vom 21. Mai 2024 - 13 U 100/23, juris Rn. 30 ff.) verwiesen hat, wo jeweils eine Einwilligung verneint worden ist, kann nach dem Verständnis des Senats nicht anders verstanden werden, als dass der Bundesgerichtshof dem dortigen Berufungsgericht eine "Segelanweisung" dahingehend erteilen wollte, dass im Ergebnis von einer rechtfertigenden Einwilligung nicht ausgegangen werden kann.

Unabhängig davon, ob das letztgenannte Verständnis des Senats von der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs als solches richtig ist und ob die Beklagte sich in dem vorliegenden Verfahren überhaupt auf eine rechtfertigende Einwilligung beruft (dies nimmt sie in der Klageerwiderung, dort Rn. 187, ausdrücklich in Abrede), geht der Senat auch nach eigener Prüfung davon aus, dass die im Rahmen des Registrierungsverfahrens abgegebene Einwilligung des Klägers nicht den Anforderungen von Art. 4 Nr. 11 DSGVO genügt. Dabei kann bereits dahingestellt bleiben, ob das Ersuchen der Beklagten um Einwilligung (etwa der als Anlage B 18 vorgelegte Auszug aus der Website der Beklagten in Verbindung mit den Nutzungsbedingungen, Anlage B 19, oder der Datenrichtlinie, Anlage B 9) ausreichend transparent ist. Denn jedenfalls bewertet der Senat die auf dieser Grundlage abgegebene Einwilligung nicht als ausreichend informiert im Sinne von Art. 4 Nr. 11 DSGVO. Es kann nach verständiger Würdigung nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlich kenntnisreicher Nutzer die Möglichkeit einkalkuliert, dass über die standardisierte Voreinstellung "alle" bei den "Suchbarkeitseinstellungen" unter Verwendung eines von der Beklagten vorgehaltenen "Import Tools" automatisierte (Massen-) Abfragen möglich sind, die im Ergebnis zu einer Offenlegung der Daten auch gegenüber Unbekannten führt, die nur durch eine automatisierte, zufällige Erstellung etwa über die Mobilfunknummer des Nutzers verfügen. Dass die Beklagte im Ergebnis diese Einschätzung teilt, ergibt sich nach dem Verständnis des Senats auch mittelbar aus den von der Beklagten selbst dargelegten Anti-Scraping-Maßnahmen (Klageerwiderung, Rn. 73 ff.), die nur den Schluss zulassen, dass auch sie selbst das Scraping als unzulässige Nutzung des Import Tools ansieht.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann für die erforderliche Einwilligung in die Datenverarbeitung nicht auf den Scraping-Vorfall selbst abgestellt werden, bei dem - so der Argumentationsgang der Beklagten - die Beklagte selbst keine Datenverarbeitung vorgenommen hat. Maßgeblich ist vielmehr die Zurverfügungstellung und Speicherung der Daten im Rahmen des Registrierungsverfahrens.

3. Der Kläger ist durch den streitgegenständlichen "Scraping-Vorfall" auch persönlich betroffen. Die Beklagte hat lediglich bestritten, dass einzelne Teilbereiche der von Seiten des Klägers seiner Klageschrift zugrunde gelegten Daten durch den streitgegenständlichen Vorfall betroffen gewesen sind. Im Hinblick darauf, dass mithin unstreitig ist, dass jedenfalls in Bezug auf einzelne der von Seiten des Klägers geltend gemachten Daten unstreitig ist, dass diese von dem streitgegenständlichen Vorfall betroffen gewesen sind, ist von einer "Betroffenheit" des Klägers auszugehen. Der Umstand, dass teilweise das Vorbringen des Klägers mithin streitig ist, ist für die vorliegende Entscheidung nicht von Erheblichkeit. Insbesondere vermag der Senat nicht zu erkennen, dass dies Auswirkungen auf die Bemessung des Schadensersatzanspruches des Klägers hat.

4. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist vorliegend auch von einem "objektiven Kontrollverlust" auszugehen.

Für ihre gegenteilige Auffassung beruft sich die Beklagte auf obergerichtliche Rechtsprechung (z.B. OLG Hamm, Urteil vom 15. November 2024 - 25 U 33/24, juris Rn. 172; OLG Hamm, Urteil vom 5. November 2024 - 7 U 52/24, juris Rn. 40 f.; OLG Hamm, Urteil vom 18. Dezember 2024 - 11 U 168/23, juris Rn. 18 f.), die - so jedenfalls das Verständnis des Senats - argumentiert, dass ein "Kontrollverlust" voraussetze, dass der Betroffene zunächst die Kontrolle über die konkreten personenbezogenen Daten hatte und diese Kontrolle später gegen seinen Willen durch den streitgegenständlichen Datenschutzverstoß verloren hat. Im Hinblick darauf müsse der potenziell Geschädigte darlegen, dass er die Hoheit über die Daten nicht schon zuvor verloren hatte. Eine solche Darlegung bzw. Beweisführung könne den jeweiligen Betroffenen - so jedenfalls das Verständnis des Senats von den vorgenannten Entscheidungen - nicht gelingen, wenn bei dem erkennenden Gericht Zweifel verblieben, ob der jeweilige Betroffene seine betreffenden Daten nicht auch schon anderweitig freiwillig preisgegeben habe.

Diese Deutung des Begriffes "Kontrollverlust" steht aus Sicht des Senats nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang. Nicht entscheidend ist nach dem Verständnis des Senats, ob der Betroffene die jeweiligen Daten auch schon einmal anderweitig auf andere Art und Weise, beispielsweise auf anderen "Kanälen", Plattformen etc., freiwillig herausgegeben hat. Maßgeblich ist vielmehr allein das Verhältnis der jeweiligen Klage- zu der jeweiligen Beklagtenpartei: Hat der Kläger dem Beklagten - bspw. im Rahmen eines Vertragsverhältnisses - persönliche Daten übergeben, hat und behält er im Rahmen dieses Verhältnisses die Kontrolle über seine Daten. Diese Kontrolle verliert die Klagepartei in der Regel dann, wenn innerhalb der Sphäre der Beklagtenpartei diese Daten einem Dritten zugänglich gemacht werden (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28. Januar 2025 - VI ZR 109/23, juris Rn. 18). Ob es von diesem Grundsatz in Einzelfällen Ausnahmen geben kann, kann dahinstehen. Anhaltspunkte für eine solche Ausnahmefallgestaltung sind jedenfalls vorliegend nicht ersichtlich.

Das steht nach dem Verständnis des Senats - neben der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs - auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der im Rahmen der Prüfung eines etwaigen "Kontrollverlustes" ebenfalls nur auf das konkrete Verhältnis zwischen Klage- und Beklagtenpartei abstellt und nicht die Frage aufwirft, ob die Klagepartei ihre Daten auch schon außerhalb dieses Beziehungsverhältnisses "aus der Hand gegeben" hatte (z. B. Urteil vom 20. Juni 2024 - C-590/22, juris Rn. 33, 36; Urteil vom 20. Juni 2024 - C-182/22, juris Rn. 58; Urteil vom 11. April 2024 - C-741/21, juris Rn. 41, 42; Urteil vom 14. Dezember 2023 - C-456/22, juris Rn. 22).

Die Ausgangsüberlegung der eingangs genannten abweichenden obergerichtlichen Rechtsprechung sowie die Anforderungen, die diese in diesem Rahmen an die Klagepartei bzgl. ihrer Darlegungs- und Beweislast stellt, dürften es im Übrigen aus Sicht des Senats in der Praxis ausschließen lassen, dass eine Klagepartei überhaupt einmal einen Schadensersatzanspruch i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf einen "Kontrollverlust" stützen könnte, da sie derartigen Anforderungen praktisch niemals nachkommen könnte.

5. Die Beklagte bestreitet einen Kausalzusammenhang zwischen unterstellter Pflichtverletzung und vermeintlichem Kontrollverlust sowie einen kausalen Zusammenhang zwischen einer angeblichen Pflichtverletzung und sonstigen angeblichen negativen Folgen für den Kläger.

Das greift im Ergebnis nicht durch. Das Landgericht hat nach der persönlichen Anhörung des Klägers die hinreichende Überzeugung davon gewonnen, dass vorliegend sowohl das eine wie das andere zu bejahen ist. An diese Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da "konkrete Anhaltspunkte" i.S.d. Vorschrift nicht ersichtlich sind und auch von Seiten der Beklagten nicht geltend gemacht werden.

6. Aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch in Höhe von (lediglich) 100,00 € gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu.

a) Für die Bemessung eines Schadensersatzanspruches in Fällen wie dem vorliegenden gelten nach dem Verständnis des Senats von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. November 2024 (VI ZR 10/24, juris) folgende "Grundparameter":

  • Der bloße objektive Kontrollverlust stellt bereits einen immateriellen Schaden dar und es bedarf keiner sich daraus entwickelnden besonderen Befürchtungen oder Ängste der betroffenen Klagepartei; letztgenannte wären lediglich geeignet, den eingetretenen immateriellen Schaden noch zu vertiefen oder zu vergrößern (BGH, a.a.O., Rn. 31).

  • Für den bloßen Kontrollverlust als solchen würde der Senat nach Maßgabe seines derzeitigen Beratungsstandes im Regelfall einen immateriellen Schaden in Höhe von 100,00 € als angemessen ansehen (vgl. dazu BGH, a.a.O., Rn. 99, 100). Soweit die Beklagte diesbezüglich argumentiert, dass der Bundesgerichtshof in seiner genannten Entscheidung lediglich Beträge in einstelliger Höhe als mit dem Effektivitätsgrundsatz schwer vereinbar angesehen, im Übrigen aber explizit keine Untergrenze festgelegt habe, weshalb sich der Schadensersatzanspruch "allenfalls in einer Spanne von 10,00 € - 100,00 €" ergeben könne, folgt dem der Senat nicht. Nach seinem Verständnis sind die genannten Ausführungen des Bundesgerichtshofs als Untergrenze zu verstehen.

  • Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in Rn. 101 seines vorgenannten Urteils versteht der Senat so, dass gewisse mit dem eingetretenen Kontrollverlust für die betroffene Klagepartei einhergehende "Folgeerscheinungen", die der Bundesgerichtshof als "mit dem eingetretenen Kontrollverlust für jedermann unmittelbar zusammenhängende Unannehmlichkeiten" bezeichnet, mit diesem Schadensersatzbetrag in Höhe von 100,00 € "mit abgegolten" sind. Nach dem Verständnis des Senats obliegt es demgemäß im Einzelfall dem jeweiligen Tatgericht zu prüfen, ob die von der jeweiligen Klagepartei schriftsätzlich behaupteten festgestellten "Folgeerscheinungen" über diese Schwelle der "für jedermann unmittelbar zusammenhängenden Unannehmlichkeiten" hinausgehen und demgemäß eine Anhörung der jeweiligen Klagepartei nach § 141 ZPO bedingen (BGH, a.a.O., Rn. 101), und sodann ggf. einen die Höhe von 100,00 € übersteigenden immateriellen Schadensersatz rechtfertigen.

  • Soweit dem der Kläger das Urteil des EuGH vom 8. Januar 2025 (T-354/22, juris) entgegenhält, wo dieser der dortigen Klagepartei eigenständig eine immaterielle Entschädigung in Höhe von 400,00 € zugesprochen hat, hat dies aus Sicht des Senats keine erheblichen Auswirkungen auf die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes in dem vorliegenden wie in vergleichbaren (Parallel-)Verfahren. Die dortige Fallgestaltung ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar: Noch nicht einmal die Anspruchsnorm war in jenem Verfahren mit der in dem vorliegenden Verfahren identisch. Vorliegend geht es um einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO, in jenem Verfahren ging es um einen immateriellen Schaden gemäß Art. 65 der Verordnung 2018/1725. Auch die dortige Verletzungshandlung der dortigen Beklagtenpartei ist mit dem vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht vergleichbar. Zudem: Für die vorliegende Fallgestaltung hat der Bundesgerichtshof nun einmal ausdrücklich ausgeführt, dass für einen solchen Verstoß jedenfalls im Regelfall ein immaterieller Schadensersatz in Höhe von 100,00 € angemessen ist. Dabei hat es aus Sicht des Senats zu verbleiben.

  • Gegenteiliges ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2025 (VI ZR 183/22, juris). Zwar ging es dort - wie vorliegend - um einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Schon der dortige Lebenssachverhalt war aber ein anderer als der vorliegende. Jedenfalls aber hat der Bundesgerichtshof in jenem Verfahren keine eigene Bemessung der Höhe eines Schadensersatzanspruches vorgenommen. Vielmehr hatte dort lediglich die Klagepartei Revision eingelegt und der Bundesgerichtshof hat lediglich ausgeführt, dass jedenfalls ein Anspruch über die vom dortigen Berufungsgericht zugesprochenen 500,00 € hinaus nicht in Betracht komme (a.a.O., juris Rn. 13). Darüber, ob nicht sogar dieser ausgeurteilte Betrag von 500,00 € zu hoch ausgefallen war, hatte der Bundesgerichtshof prozessual nicht zu befinden.

b) Gemessen an den vorstehend gemachten Ausführungen vermag der Senat nach Überprüfung nicht zu erkennen, dass vorliegend ein über den "Regelbetrag" in Höhe von 100,00 € hinausgehender Schadensersatzanspruch zuzusprechen ist:

Das Landgericht hat den Kläger nach § 141 ZPO persönlich angehört. Maßgeblich für die hiesige Prüfung des Senats sind nach dieser Maßgabe allein die Feststellungen, die das Landgericht aufgrund dieser persönlichen Anhörung des Klägers getroffen hat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), und gerade nicht das schriftsätzliche Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Klägers (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Mai 2019 - III ZR 176718, juris Rn. 26). Nach dieser Maßgabe ist festzustellen, dass der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zwar durchaus umfangreiche "Anstrengungen und Betätigungen" geschildert hat, die er infolge des streitgegenständlichen Scraping-Vorfalls vorgenommen hat (was das Landgericht als glaubhaft gewertet hat). Es kann dahinstehen, ob dieses mindestens leicht überdurchschnittliche "Folgenbeseitigungsverhalten" des Klägers bei isolierter Betrachtung geeignet sein könnte, den vorliegenden Fall aus dem Bereich der "typischen 100,00 €-Fälle" herauszuheben. Denn jedenfalls ist im Rahmen einer Gesamtabwägung auch zu bedenken, dass der Kläger - auch nicht auf die ausdrückliche Frage des Landgerichts hin - gerade keine "Sorgen, Ängste o.ä." geschildert hat (weshalb das diametral anderslautende schriftsätzliche Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Klägers als - mindestens objektiv - wahrheitswidrig zu bezeichnen ist). Betrachtet man das eine wie das andere in einer Gesamtschau, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass es vorliegend geboten ist, einen über einen Betrag von 100,00 € hinausgehenden Schadensersatz auszuurteilen.

II. Feststellungsantrag:

Einen Feststellungsantrag wie den vorliegenden hat der Bundesgerichtshof in seinem genannten Urteil vom 18. November 2024 (VI ZR 10/24, juris Rn. 46 - 50) als zulässig und begründet erachtet. Auch unter Berücksichtigung der dagegen gerichteten Einwendungen der Beklagten in dem vorliegenden Verfahren vermag der Senat nach Überprüfung nicht zu erkennen, dass dies in dem vorliegenden Fall anders zu bewerten sein müsste.

III. Unterlassungsanträge:

1. Der Kläger hat seine beiden Unterlassungsanträge in der Berufungsinstanz umformuliert. Es kann dahinstehen, ob es sich insoweit um eine Klageänderung handelt. Wäre dies der Fall, würde der Senat diese gemäß § 533 ZPO zulassen.

Angesichts dessen, dass vorliegend der Kläger eine eigenständige Berufung eingelegt hat, stellt sich auch von vornherein nicht die Problematik, ob diesem in der Berufungsinstanz eine - unjuristisch formuliert - "Umformulierung" seiner Unterlassungsanträge prozessual noch möglich gewesen ist (vgl. zu dieser Problematik: BGH, Urteil vom 28. April 2023 - V ZR 270/21, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 23. Februar 2024 - V ZR 111/23, juris Rn. 11 ff.).

2. Der nunmehrige Berufungsantrag zu 4. ist nach seinem Wortlaut identisch mit dem Unterlassungsantrag zu 3. b) in dem Klageverfahren, über das der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 18. November 2024 entschieden hat. Der Bundesgerichtshof hat diesen Antrag als zulässig und begründet erachtet (a.a.O., Rn. 59 - 71). Dem schließt sich der Senat - auch unter Berücksichtigung der dagegen gerichteten Einwendungen der Beklagten - an.

3. Seinen ursprünglichen Unterlassungsantrag zu 5. der Klageschrift hat der Kläger nunmehr unter Ziffer 3. der Anträge in dem Schriftsatz vom 21. Februar 2025 umformuliert. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesgerichtshofs in Rn. 51 - 58 einerseits und 59 - 71 andererseits (a.a.O., juris) vermag der Senat - auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Einwendungen der Beklagten - nicht zu erkennen, dass dieser geänderte Unterlassungsantrag nicht zulässig und begründet ist.

IV.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291, 187 Abs. 1 analog BGB einen Tag nach Zustellung der Klage (am 12. April 2023), mithin ab dem 13. April 2023.

V.

Ein Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Einen solchen Anspruch hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Eines rechtlichen Hinweises darauf bedurfte es nicht, da es sich insoweit lediglich um eine Nebenforderung handelt (§ 139 Abs. 2 ZPO).

Es fehlt jedenfalls an Vortrag dazu, dass der Kläger seinem Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich einen Auftrag zu einer außergerichtlichen Einigung bzw. einen bedingten Prozessauftrag erteilt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 70/17, juris Rn. 14). Insbesondere ergibt sich dies auch nicht allein schon aus dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers zunächst außergerichtlich tätig gewesen ist. Denn dies als solches ist noch kein hinreichendes Indiz für einen zunächst nur zum Zwecke einer außergerichtlichen Einigung erteilten Auftrag bzw. einen bedingten Prozessauftrag (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - VII ZR 320/21, juris Rn. 24).

C.

I.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 und 2 ZPO. Für die Berufungsinstanz hat der Senat die Vorschrift des § 97 Abs. 2 ZPO in Bezug auf die beiden Unterlassungsanträge angewandt (vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 11. November 2008 - XI ZR 468/07, juris Rn. 38, 39). Auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Terminsgebühr in der Berufungsinstanz nur zu einem geringeren Streitwert angefallen ist, sind nach dieser Maßgabe die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erfüllt.

II.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

III.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen. Zulassungsgründe i.S.v. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof über eine Fallkonstellation wie die vorliegende zwischenzeitlich bereits eine Grundsatzentscheidung getroffen (Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, juris).

Auch soweit der Senat mit seiner hiesigen Entscheidung von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte im Ergebnis abweicht, bedingt das nicht, die Revision zuzulassen:

  • Die "Abweichung" im Rahmen des Aspektes "Betroffenheit" stellt keine Abweichung in rechtlicher Hinsicht dar, vielmehr hat der Senat insoweit lediglich auf Tatsachenebene in dem hiesigen Einzelfall eine Beweisentscheidung getroffen, die im Ergebnis zu einer anderen Entscheidung führt, als in anderen Verfahren, über die andere Oberlandesgerichte zu entscheiden hatten. Eine solche Einzelfallentscheidung auf Tatsachenebene begründet keine Revisionszulassung.

  • In Bezug auf den Aspekt "Kontrollverlust" stellt der Senat zwar rechtliche Erwägungen an, die von denen anderer Oberlandesgerichte abweichen. Indes ist auch insoweit keine Zulassung der Revision erforderlich, weil mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2025 (VI ZR 109/23, juris) sowie den vorstehend genannten Urteilen des EuGH bereits höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen, die diese Rechtsfrage geklärt haben. Die Revision zulassen müssten aus Sicht des Senats allenfalls die Instanzgerichte, die von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen wollen.