Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.02.2025, Az.: 1 MN 147/24
Vorläufige Außervollzugsetzung des beschlossenen Bebauungsplans "Lerchenfeld-Nahversorgungszentrum" hinsichtlich Beeinträchtigung des Wohngrundstücks durch Lärmimmissionen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.02.2025
- Aktenzeichen
- 1 MN 147/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 11102
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2025:0218.1MN147.24.00
Rechtsgrundlage
- § 1 Abs. 7 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Will die planende Gemeinde einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb mit zentrenrelevantem Sortiment gemäß Plansatz Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 3 LROP 2017 ausnahmsweise in einer städtebaulich nicht integrierten Lage ansiedeln, muss sie im Einzelnen belegen, dass sie nicht über einen geeigneten Standort in städtebaulich integrierter Lage verfügt. Ob eine Ausnahme gerechtfertigt ist, unterliegt vollständiger gerichtlicher Überprüfung (Bestätigung der Senatsrspr., vgl. Senatsbeschl. v. 29.4.2021 - 1 MN 154/20 -, BauR 2021, 1067 = juris Rn. 25 ff.).
Tenor:
Der vom Rat des Antragsgegners am 18. Juni 2024 beschlossene Bebauungsplan "Lerchenfeld-Nahversorgungszentrum" wird vorläufig bis zur Rechtskraft einer Entscheidung des Senats über den von den Antragstellern erhobenen Normenkontrollantrag außer Vollzug gesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan "Lerchenfeld-Nahversorgungszentrum" des Antragsgegners, weil sie ihr Wohngrundstück durch Lärmimmissionen eines geplanten Einzelhandelsstandortes und den mit diesem verbundenen Zu- und Abfahrtsverkehr beeinträchtigt sehen.
Der Antragsteller zu 2. ist Eigentümer, der Antragsteller zu 1. Anwartschaftsberechtigter an dem in einem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstück unter der im Aktivrubrum genannten postalischen Adresse am südwestlichen Rand des städtebaulichen Siedlungsbereichs des Antragsgegners. An die rückwärtige, straßenabgewandte Grundstücksgrenze, zugleich die Grenze des bisherigen Siedlungsbereichs, schließen landwirtschaftlich genutzte Flächen an, auf denen durch den angegriffenen Bebauungsplan eine Bebauung mit zwei Verbrauchermärkten ermöglicht werden soll.
Der Antragsgegner ist eine Mitgliedsgemeinde der Samtgemeinde B-Stadt. Diese ist Bestandteil des Verbandsbereichs "Regionalverband Großraum Braunschweig". Nach den Vorgaben im Regionalen Raumordnungsplan für den Großraum Braunschweig, in Kraft seit dem 1. Juni 2008, bildet der Antragsgegner, bestehend aus den Ortsteilen B-Stadt und Altendorf, ein Grundzentrum, dem die Aufgabe der Sicherung und Entwicklung von Angeboten zur Deckung des allgemeinen täglichen Grundbedarfs zukommt (Plansatz Nr. 2.2 Abs. 05 Satz 4 des Landes-Raumordnungsprogramms in der Fassung vom 26.9.2017 (im Folgenden: LROP 2017)).
Der zentrale Versorgungsbereich des Antragsgegners beginnt vom Plangebiet aus gesehen östlich in ca. 700 m Entfernung an der innerörtlichen Kreuzung von Bahnhofstraße (B 248) und Wittinger Straße (B 244) und erstreckt sich von dieser Kreuzung aus östlich auf einer Länge von 800 m beidseits entlang der innerorts in West-Ost-Richtung verlaufenden Bahnhofstraße. Innerhalb dieses Versorgungsbereichs befindet sich ein großflächiger Lebensmitteldiscounter (Lidl). Im Süden des Gemeindegebiets befindet sich außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs noch ein großflächiger Lebensmittelvollsortimenter (Rewe) gemeinsam mit einem Lebensmitteldiscounter (Aldi; Verkaufsfläche: 900 m2) auf einem Grundstück im Einmündungsbereich der Braunschweiger Straße in die Wittinger Straße. Den in ca. 100 m Entfernung nördlich der Bahnhofstraße liegenden Edeka-Markt mit einer Verkaufsfläche von 780 m2 zählt der Antragsgegner an seinem jetzigen Standort nicht mehr zum zentralen Versorgungsbereich, weil er oberhalb des den Ort durchkreuzenden Flusses Ohre liege und von der zentralen Bahnhofstraße aus nur über eine verwinkelte Kreuzung und nur über eine Brücke zu erreichen sei.
Ein Nahversorgungskonzept des Antragsgegners aus August 2022 bzw. eine aktualisierte Auswirkungsanalyse, ebenfalls aus August 2022 und ergänzt im März 2024, kommen zu dem Ergebnis, dass sowohl der Aldi- als auch der Edeka-Markt an ihren bisherigen Standorten mittel- bis langfristig keine Perspektive mehr hätten. Beide Betriebe beabsichtigten daher eine Umsiedlung in das Plangebiet, die im Falle des Edeka-Markts mit einer Erhöhung von gegenwärtig 780 m2 der Verkaufsfläche auf 1.500 m2 und im Falle des Aldi Nord von gegenwärtig 900 m2 auf 1.200 m2, insgesamt mit einer Zunahme der Verkaufsfläche im Umfang von 1.020 m2 verbunden wäre. Es sei zusammenfassend festzustellen, dass das Verlagerungsvorhaben zur Verbesserung der Nahversorgung mit zwei modernen Lebensmittelmärkten beitrage und die Grundversorgungsfunktion des Antragsgegners erfüllen könne. Alternative Standorte im zentralen Versorgungsbereich bzw. dessen direktem Umfeld seien geprüft, aber jeweils aus unterschiedlichen Gründen verworfen worden.
Der Bebauungsplan für den neuen Einzelhandelsstandort setzt in seinem Geltungsbereich A ein im Eigentum des Antragsgegners stehendes Grundstück mit einer Größe von ca. 1,6 ha als Sonstiges Sondergebiet fest. Innerhalb dieser Fläche werden zwei Baufenster SO 1 und SO 2 festgesetzt. Das näher an der Bestandsbebauung gelegene Sondergebiet SO 1 dient der Unterbringung großflächiger Vollsortimenter mit einer Verkaufsflächenzahl von höchstens 0,0946 (=1.500 m2) und einer Mindestverkaufsfläche je Betrieb von 1.300 m2. Das südwestlich an dieses Gebiet anschließende Sondergebiet SO 2 dient der Unterbringung großflächiger Lebensmitteldiscountmärkte mit einer Verkaufsflächenzahl von höchstens 0,0757 (=1.200 m2) und einer Mindestverkaufsfläche von 950 m2. Auf der restlichen Fläche des Plangebiets sollen 167 Stellplätze entstehen. Über eine zwischen dem Plangebiet und der Bestandsbebauung zu errichtende Straßenanbindung soll das Gebiet verkehrlich erschlossen werden. Außerdem sieht der Bebauungsplan die Anpflanzung von Bäumen und in dem weiteren Geltungsbereich B auf einer ca. 1,3 ha großen Fläche im Osten des Gemeindegebiets Ausgleichsmaßnahmen für die planbedingten Eingriffe in Natur und Landschaft vor. Die Beigeladene ist Bauherrin des Vorhabens.
Der Rat des Antragsgegners beschloss nach einem vorangegangenen Heilungsverfahren in seiner Sitzung vom 18. Juni 2024 den Bebauungsplan rückwirkend zum 30. November 2023.
Die Antragsteller haben am 20. November 2024 einen Normenkontroll- und -eilantrag gestellt. Beide Anträge begründen sie damit, dass selbst nach den von dem Antragsgegner eingeholten Gutachten die ermittelten Lärmimmissionswerte an ihrem Wohngrundstück über den zulässigen Richtwerten lägen, jedenfalls aber abwägungserheblich seien, woraus sich ihre Antragsbefugnis ergebe. Ihr Antrag sei auch begründet. Der Bebauungsplan verstoße unter anderem gegen Ziele der Raumordnung, namentlich das Integrationsgebot. Der Standort liege außerhalb einer integrierten Lage und nicht mehr im zentralen Versorgungsbereich des Antragsgegners. Der Antragsgegner habe die Voraussetzungen dafür, dass ausnahmsweise außerhalb der integrierten Lage Einzelhandelsgroßprojekte angesiedelt werden dürften, nicht dargelegt.
Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen entgegen; die Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert.
II.
Der Normenkontrolleilantrag hat Erfolg.
1.
Der Normenkontrolleilantrag ist zulässig; insbesondere fehlt den Antragstellern nicht die gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis.
Nach der vorgenannten Vorschrift ist im Normenkontrollverfahren und ebenso im Normenkontrolleilverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht "abgearbeitet" werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. Gemessen daran sind die Antragsteller antragsbefugt.
Als abwägungserheblichen privaten Belang haben die Antragsteller zu Recht ihr Interesse ins Feld geführt, von vorhabenbedingten Gewerbelärmimmissionen auf ihr Wohngrundstück verschont zu bleiben. Die Schwelle der Abwägungserheblichkeit ist nach der Rechtsprechung des Senats in Anlehnung an Nr. 2.2 der TA Lärm um 10 dB(A) unter der Zumutbarkeitsschwelle anzusetzen (vgl. Senatsurt. v. 18.7.2019 - 1 KN 78/17 -, juris Rn. 33; v. 5.10.2023 - 1 KN 66/20 -, BauR 2024, 234 = juris Rn. 19). Diese Schwelle wird auf der Grundlage der Feststellungen des Antragsgegners überschritten. Das Grundstück der Antragsteller liegt nahe des vom Antragsgegner betrachteten Immissionsorts IO05 und nördlich des weiter entfernten und nach der schalltechnischen Untersuchung geringer belasteten Immissionsorts IO06. Am Immissionsort IO05 werden tagsüber vorhabenbedingte Immissionen von 49,4 dB(A), nachts je nach Betriebsweise zwischen 18,5 und 44,6 dB(A) erwartet (Schalltechnische Untersuchung v. 22.12.2021, S. 24). Das liegt weniger als 10 dB(A) unter den für ein allgemeines Wohngebiet nach Nr. 6.1 Buchst. e TA Lärm geltenden Immissionsrichtwerten von 55/40 dB(A).
Die Antragsteller müssen sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass sie keine eigenen schutzwürdigen Interessen verfolgen. Der Antragsgegner stützt diesen Einwand auf den Inhalt eines Telefonats, in dem der Antragsteller zu 1. gegenüber dem Bürgermeister des Antragsgegners sinngemäß gesagt haben soll, dass er "die Angelegenheit [gemeint: den Normenkontroll(eil)antrag] über einen Strohmann laufen lasse." Der Vortrag ist bereits in sich nicht schlüssig, da der Antragsteller zu 1. selbst den Normenkontrollantrag gestellt und mit dem eigenen Interesse begründet hat, von unzulässigen Lärmemissionen verschont zu bleiben. Das reicht für die Zulässigkeit des Antrags aus.
2.
Der Normenkontrolleilantrag ist auch begründet.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Erweist sich, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (stRspr, vgl. Senatsbeschl. v. 28.2.2020 - 1 MN 153/19 -, BauR 2020, 978 = juris Rn. 15; v. 21.1.2025 - 1 MN 125/24 -, juris Rn. 14). So liegen die Dinge hier.
Der Plan weist materielle Rechtsfehler auf, weil er entgegen § 1 Abs. 4 BauGB nicht den Zielen der Raumordnung angepasst ist. Der Plan verstößt gegen das raumordnungsrechtliche Integrationsgebot.
Nach dem in Plansatz Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 1 LROP 2017 enthaltenen Integrationsgebot sind neue Einzelhandelsgroßprojekte, deren Kernsortimente innenstadtrelevant sind, nur innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zulässig. Ein Einzelhandelsgroßprojekt im Sinne von Plansatz Nr. 2.3 Abs. 02 Satz 1 und 2 LROP 2017 mit zentrenrelevantem Kernsortiment liegt mit der geplanten Ansiedlung eines großflächigen Lebensmittelvollsortimenters und eines ebenfalls großflächigen Lebensmitteldiscounters vor. Um einen Betrieb zur wohnortbezogenen Nahversorgung mit einem überwiegend fußläufigen Einzugsbereich, den das LROP 2017 als nicht raumbedeutsam und daher nicht als Einzelhandelsgroßprojekt einstuft (vgl. Erläuterungen zu Plansatz Nr. 2.3 Abs. 02 Satz 2 und 3 und Senatsbeschl. v. 28.9.2015 - 1 MN 144/15 -, BauR 2015, 1944 = BRS 83 Nr. 29 = juris Rn. 31 ff.), handelt es sich dabei nicht. Betriebe zur wohnortbezogenen Nahversorgung sind nur solche, die nachweislich einen überwiegend fußläufigen Einzugsbereich aufweisen, also der Vorhabenumsatz zu mehr als 50 % mit Kaufkraft aus dem fußläufig erreichbaren Umfeld des Betriebes erzielt wird (LROP 2017, Begründung zu Abschnitt 2.3, S. 107). Das ist bei den geplanten Lebensmittelmärkten nicht der Fall. Laut Planbegründung soll am geplanten Standort vielmehr die Grundversorgungsfunktion im gesamten grundzentralen Verflechtungsbereich gebündelt werden (S. 11 der Planbegründung).
Das mithin raumbedeutsame Vorhaben soll jedoch weder in einer städtebaulich integrierten Lage verwirklicht werden, noch kann sich der Antragsgegner auf die Ausnahmevorschrift des Plansatzes Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 3 LROP 2017 berufen.
Dass das geplante Vorhaben an seinem Standort ca. 700 m westlich des zentralen Versorgungsbereichs nicht innerhalb einer städtebaulich integrierten Lage liegt, ist offensichtlich und wird auch vom Antragsgegner nicht infrage gestellt (vgl. etwa Planbegründung, S. 12 und BBE, Ergänzende Stellungnahme zum Bebauungsplanverfahren "Lerchenfeld - Nahversorgungszentrum", S. 2).
Auch die Voraussetzungen, unter denen Plansatz Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 3 LROP 2017 neue Einzelhandelsgroßprojekte mit zentrenrelevantem Kernsortiment ausnahmsweise außerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zulässt, liegen nicht vor. Zulässig sind danach neue Einzelhandelsgroßprojekte, deren Sortimente zu mindestens 90 vom Hundert periodische Sortimente sind, auf der Grundlage eines städtebaulichen Konzeptes innerhalb des zentralen Siedlungsgebietes des Zentralen Ortes im räumlichen Zusammenhang mit Wohnbebauung, wenn eine Ansiedlung in den städtebaulich integrierten Lagen aus städtebaulichen oder siedlungsstrukturellen Gründen, insbesondere zum Erhalt gewachsener baulicher Strukturen, der Rücksichtnahme auf ein historisch wertvolles Ortsbild oder aus verkehrlichen Gründen nicht möglich ist. Plansatz Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 3 LROP 2017 ermöglicht damit in den Fällen, in denen Einzelhandelsgroßprojekte trotz ihres zentrenrelevanten Kernsortiments nicht in städtebaulich integrierter Lage angesiedelt werden können, eine Ansiedlung außerhalb. Insofern stellt die Vorschrift strenge Anforderungen; von der Ausnahmevorschrift darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn eine Ansiedlung in bzw. in räumlich-funktionalem Zusammenhang mit einem Zentrum aus im Einzelnen genannten Gründen nicht möglich ist. Es genügt daher nicht, dass eine Ansiedlung in städtebaulich integrierter Lage aus Sicht der planenden Gemeinde oder gar nur des ansiedlungswilligen Unternehmens Nachteile aufweist oder sich ein nicht integrierter Standort in bestimmter Hinsicht als günstiger, vor allem wirtschaftlich attraktiver darstellt. Erst die Unmöglichkeit der Ansiedlung im Zentrum bzw. in räumlich-funktionalem Zusammenhang mit einem solchen, und zwar aus städtebaulichen oder siedlungsstrukturellen Gründen, eröffnet der planenden Gemeinde die Option, auch städtebaulich nicht integrierte Standorte in ihre Betrachtung einzubeziehen.
Will eine Gemeinde von der Ausnahmevorschrift Gebrauch machen, obliegt ihr die Darlegungs- und Begründungslast. Sie muss die tatsächlichen Rahmenbedingungen einer Ansiedlung in städtebaulich integrierter Lage sorgfältig ermitteln und nachweisen, dass diese Rahmenbedingungen eine Ansiedlung bei objektiver Betrachtung nicht gestatten. Um dem Charakter einer Ausnahmevorschrift gerecht zu werden, sind an Ermittlung und Nachweis der Unmöglichkeit strenge Anforderungen zu stellen. Die vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im September 2017 herausgegebene Arbeitshilfe zum Abschnitt 2.3 "Entwicklung der Versorgungsstrukturen des Einzelhandels" des LROP 2017 beschreibt die geltenden Anforderungen unter Nr. 5.24 (S. 55) wie folgt:
"Es ist nachvollziehbar zu belegen, dass innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen weder geeignete Bestandsflächen (Grundstücke/ Baulücken) noch potentiell entwickelbare Flächen (Aufkauf/Abriss von Bestandsimmobilien) weder aktuell noch auf absehbare Zeit verfügbar sind. Hilfreich ist hierfür die Führung eines Baulückenkatasters. Es gehören ggf. auch Aussagen dazu, ob und wann Gespräche mit Grundstückeigentümern geführt wurden und mit welchem Ergebnis. Auch die Option eines partiellen Abrisses und Neubaus ist im Einzelfall mitzudenken, wenn auf dieser Basis ein Standort in städtebaulich integrierter Lage entwickelbar wäre."
Das gibt die Rechtslage zutreffend wieder. Von den Gemeinden sind Tatkraft, Kreativität und Phantasie gefordert, um eine Ansiedlung innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zu ermöglichen; ihre Aufgabe ist es, ihre zentralen Versorgungsbereiche lebensfähig zu erhalten und zu stärken. Nur wenn alle Versuche gescheitert sind oder aufgrund objektiver belegbarer Umstände von vornherein keinen Erfolg versprechen, darf ausnahmsweise in eine nicht integrierte Lage ausgewichen werden. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung (zu allem Vorstehenden Senatsbeschl. v. 29.4.2021 - 1 MN 154/20 -, BauR 2021, 1067 = juris Rn. 25 ff.).
Daran gemessen hat der Antragsgegner mindestens zwei mögliche Alternativstandorte keiner ausreichenden Prüfung unterzogen.
a) Es ist nicht ausreichend belegt, weshalb der bestehende Edeka-Markt an seinem jetzigen Standort ein unzureichendes Entwicklungspotential hat. Östlich des bisherigen Standorts des Edeka-Markts befinden sich die beiden Flurstücke Gemarkung B-Stadt, Flur 2, Nr. 159/1 und 159/4, mit einer Gesamtfläche von ca. 1.350 m2, die im Eigentum des Antragsgegners stehen. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand und ist demnach auch nicht im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung belegt, dass der Lebensmittelvollsortimenter seine Absicht, seine Verkaufsfläche auf ein zeitgemäßes Maß zu erweitern, nicht mithilfe dieser Flächen realisieren könnte.
Der Antragsgegner hat dem Inhaber des Marktes laut den Ausführungen in der Planbegründung bereits im Jahr 2012 die Flächen zur Grundstückserweiterung angeboten (S. 13 Planbegründung). Zum Grund, warum es trotz dieses Angebots nicht zu einer Erweiterung gekommen ist, enthält die Begründung nur die Bemerkung: "Optionen sind nicht ausreichend." Laut der Aktualisierten Auswirkungsanalyse des vom Beigeladenen beauftragten Beratungsbüros vom 5. März 2024 sei die Erweiterung des Marktes am bisherigen Standort umfassend geprüft worden. Eine Umsetzung habe es aber in den vergangenen Jahren nicht gegeben. Diese sei trotz Angebot des Fleckens nicht aufgegriffen worden (BBE, Ergänzende Stellungnahme zum Bebauungsplanverfahren "Lerchenfeld - Nahversorgungszentrum", S. 5). Zu den genauen Gründen, warum eine Erweiterung auf diese Fläche nicht ausreicht und deshalb nicht aufgegriffen wurde, schweigt sowohl die Planbegründung als auch die ergänzende Stellungnahme in den Planaufstellungsunterlagen.
Der aus einer solchen Erweiterung entstehende, dann großflächige Lebensmittelmarkt befände sich entgegen der Ansicht des Antragsgegners in einer städtebaulich integrierten Lage im Sinne des Plansatzes Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 1 LROP 2017. Städtebaulich integrierte Lagen stehen nach ständiger Senatsrechtsprechung in Übereinstimmung mit den Erläuterungen zu Plansatz Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 1 und 2 LROP 2017 im engen räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit den zentralen Versorgungsbereichen im Sinne des § 2 Abs. 2 und § 9 Abs. 2a BauGB. Sie verfügen über ein vielfältiges und dichtes Angebot an Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen, haben einen wesentlichen fußläufigen Einzugsbereich und sind in das ÖPNV-Netz eingebunden. Von Bedeutung ist auch ein attraktives Parkmanagement für den individuellen Verkehr. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Versorgungsfunktion können sowohl Innenstädte bzw. deren Ortsmitten/-kerne als Hauptzentren als auch Stadtteilzentren als Nebenzentren das Kriterium der "städtebaulich integrierten Lage" erfüllen (vgl. Senatsbeschl. v. 17.5.2013 - 1 ME 56/13 -, juris Rn. 30; v. 20.3.2014 - 1 MN 7/14 - BauR 2014, 949 = BRS 82 Nr. 17 = juris Rn. 63.; Senatsurt. v. 10.7.2014 - 1 KN 121/11 -, BauR 2015,73 = BRS 82 Nr. 10 = juris Rn. 29; v. 6.6.2016 - 1 KN 83/14 -, BauR 2016, 1439 = BRS 84 Nr. 3 = juris Rn. 30).
Eine Errichtung in städtebaulich integrierter Lage kann darüber hinaus nach ständiger Senatsrechtsprechung auch dann vorliegen, wenn das Vorhaben selbst nicht innerhalb eines Haupt- oder Nebenzentrums, wohl aber in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit diesem entstehen soll. In einem solchen Fall darf der großflächige Einzelhandelsbetrieb keinen Umfang annehmen, welcher gleichberechtigt neben das Zentrum tritt, und muss dieses in sich räumlich "anschmiegender" Weise funktionell ergänzen (vgl. im Einzelnen Senatsbeschl. v. 29.9.2014 - 1 MN 102/14 -, BauR 2015, 232 = BRS 82 Nr. 11 = juris Rn. 26 ff.). Dabei kommt es nicht auf den Ist- sondern auf den planerisch gewünschten Soll-Zustand an, soweit die Gemeinde eine realistische und kongruente Einzelhandelsplanung betreibt (vgl. Senatsbeschl. v. 29.4.2021 - 1 MN 154/20 -, BauR 2021, 1067 = juris Rn. 22; v. 17.5.2013 - 1 ME 56/13 -, juris Rn. 35, 38).
Daran gemessen würde sich der großflächige Lebensmittelmarkt - sofern man seinen Standort entgegen den wenig überzeugenden Ausführungen des Antragsgegners nicht ohnehin als dem zentralen Versorgungsbereich zugehörig ansieht - an den zentralen Versorgungsbereich anschmiegen, wenn man ihn an seinem jetzigen Standort erweitern würde. Die Entfernung beträgt lediglich etwa 80 m; der Markt ist zudem über einen gut ausgebauten Bürgersteig komfortabel zu Fuß erreichbar. Entgegen der Darstellung des Antragsgegners und unabhängig davon, ob dieser Aspekt maßgeblich ist, besteht auch eine Sichtbeziehung vom Einmündungsbereich der Mühlenstraße in die Bahnhofstraße, wie sich aus den unter maps.google.de abrufbaren Streetview-Bildern ergibt. Es liegt nahe, dass Kunden des Lebensmittelmarkts im Anschluss an oder vor einem Einkauf in dem Markt weitere Einzelhandelsanbieter im zentralen Versorgungsbereich aufsuchen. Umgekehrt profitiert auch der Markt von mit Erledigungen im Zentrum von B-Stadt verbundenen Einkäufen. Zudem ist der Markt auch unter Berücksichtigung einer Erweiterung nach Osten nicht von derartiger Größe, dass er gleichberechtigt neben das Zentrum tritt. Wie bereits ausgeführt ist es nach der Senatsrechtsprechung nicht mit dem Ausnahmecharakter des Plansatzes Nr. 2.3 Abs. 05 Satz 3 LROP 2017 vereinbar, dem Standort im Plangebiet als "günstigsten" bzw. "idealsten" den Vorzug zu geben - etwa wegen seiner für die automobile Kundschaft günstigeren Verkehrsbeziehungen (vgl. Senatsbeschl. v. 29.4.2021 - 1 MN 154/20 -, BauR 2021, 1067 = juris Rn. 36).
b) Innerorts gibt es überdies eine Freifläche nördlich des Grundstücks, auf dem sich das Rathaus der Samtgemeinde B-Stadt befindet. Dieses Flurstück (Gemarkung B-Stadt, Flur 2, Nr. 446/18) hat eine Fläche von über 5.000 m2 und steht im Eigentum des Antragsgegners. Abgesehen von einem kleinen, ca. 40 m2 großen Teil (Gemarkung B-Stadt, Flur 2, Nr. 446/26), der im Eigentum des örtlichen Wasserverbands steht, gehört zudem das unmittelbar südliche angrenzende Flurstück Gemarkung B-Stadt, Flur 2, Nr. 446/27 dem Antragsgegner und ist nur im südlichen, an der Bahnhofstraße angrenzenden Teil mit dem Gebäude des Rathauses bebaut und im Übrigen auf einer Fläche von deutlich über 2.000 m2 unbebaut. Jedenfalls auf der daraus gebildeten Gesamtfläche hätte der Edeka-Markt das Potenzial, einen Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von 1.500 m2 und zugehörigen Parkplatzflächen unterzubringen. Auch ein dort errichteter großflächiger Lebensmittelvollsortimenter würde sich im Sinne der zitierten Rechtsprechung mindestens noch an den zentralen Versorgungsbereich anschmiegen und damit zur städtebaulich integrierten Lage gehören.
c) Vergleichbares gilt für den Aldi-Markt. Dass dessen Umsiedlung - sollte insofern tatsächlich Bedarf bestehen - an einen der vorgenannten Standorte nicht möglich ist, ist ebenfalls nicht belegt.
Ob der Plan darüber hinaus unter weiteren Rechtsfehlern leidet, lässt der Senat mit Blick darauf, dass sich die gravierenden raumordnungsrechtlichen Einwände auch unter Durchführung eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB voraussichtlich nicht ohne Weiteres beheben lassen, offen.
3.
Ist der Bebauungsplan damit aller Voraussicht nach im Normenkontrollverfahren für unwirksam zu erklären, geht die gebotene Abwägung zu Gunsten der Antragsteller aus. Angesichts der Tatsache, dass die großflächigen Verbrauchermärkte an dem angestrebten Standort nach gegenwärtigem Stand nicht realisiert werden dürfen, ist es ihnen nicht zuzumuten, die nachteiligen Auswirkungen dieses Vorhabens - insbesondere mit Blick auf die zu erwartenden Lärmimmissionen - auch nur vorübergehend hinzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 7 a, 8 c und 17 b der auf der Internetseite des Gerichts abrufbaren Streitwertannahmen des Senats für ab dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).