Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 11.09.2024, Az.: S 38 SO 73/20
Gewährung eines Betrages für den von dem Pflegediens als Servicepauschale angesetzten Betrag für die Verwahrung, Bereitstellung, Bestandsüberprüfung und Besorgung von Medikamenten
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 11.09.2024
- Aktenzeichen
- S 38 SO 73/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 24848
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2024:0911.38SO73.20.00
Rechtsgrundlagen
- § 48 SGB XII
- § 78 SGB IX
Amtlicher Leitsatz
Das Medikamentenmanagement (das Besorgen von Rezepten beim Arzt, das Abholen von Medikamenten in der Apotheke, das Verwahren von Medikamenten und die Bestandsprüfung) kann Aufgabe der kompensatorischen Assistenz für behinderte Menschen sein.
Aufgaben im Vorfeld zur Medikamentengabe, also das Beschaffen von Medikamenten, deren Verwahren sowie die Bestandsprüfung, können solche der kompensatorischen Assistenz sein, wenn der oder die Betroffene nicht in der Lage ist, diese Aufgaben selbständig zu erledigen.
In dem Rechtsstreit
A. vertreten durch
B.- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
C. gegen
Landkreis Lüneburg,
vertreten durch den Landrat,
Auf dem Michaeliskloster 4, 21335 Lüneburg
- Beklagter -
beigeladen:
1. D.
2. E.
hat die 38. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2024 durch die Richterin am Sozialgericht F. sowie die ehrenamtliche Richterin G. und den ehrenamtlichen Richter H. für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Bescheid des Beklagte vom 19.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2020 wird aufgehoben.
- 2.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 01.01.2020 monatlich 15,00 € als einfache Assistenz zu bewilligen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Betrages von 15 € monatlich, den der beigeladene Pflegedienst [Beigeladene zu 2)] als Servicepauschale seit 1. Januar 2020 für die Verwahrung, Bereitstellung, Bestandsüberprüfung und Besorgung von Medikamenten sowie das rechtzeitige Anfordern von Nachfolgerezepten verlangt.
Die 1969 geborene Klägerin bezieht seit vielen Jahren Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII und gehört als behinderter Mensch zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 2 SGB IX. Bei ihr besteht der Verdacht auf ein fetales Alkoholsyndrom, ein Zustand nach Alkoholabhängigkeit, eine psychosomatische Störung, eine diffuse Schwindelsymptomatik, eine Intelligenzminderung sowie die Neigung zur Epilepsie. Seit Jahren erhält sie Leistungen der häuslichen Krankenpflege, wobei auch die Medikamentengabe zweimal täglich ärztlich verordnet ist. Für sie ist mindestens seit 2017 eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Seit 2023 erhält sie Essen auf Rädern an sieben Tagen in der Woche. Ausweislich der zugrundeliegenden ärztlichen Stellungnahme vom 30. April 2024 im Rahmen der Weiterbewilligung des Essens auf Rädern bestand zum seinerzeitigen Zeitpunkt auch eine Unterernährung. Die Klägerin hat als Hilfsmittel einen Rollator zur Verfügung, den sie aufgrund des Schwindels nutzt. Ihr werden seit langem Leistungen der qualifizierten Assistenz zur Bewältigung des Alltags und zur Unterstützung der vorhandenen Fähigkeiten bewilligt (ambulante Betreuung).
Mit Datum vom 13. Dezember 2019 schloss die Klägerin unter Heranziehung ihrer rechtlichen Betreuerin einen Vertrag mit der Beigeladenen zu 2), die auch zweimal täglich die Medikamente verabreicht, über eine Servicepauschale in Höhe von 15 € monatlich. Darin enthalten war unter anderem, dass der Pflegedienst den Medikamentenbestand überwachen, bei Bedarf Nachfolgerezepte bei Ärzten anfordern, die Medikamente in den Apotheken bestellen und abholen sowie die Medikamente bei sich lagern und zu den Einsätzen mitbringen würde.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2019 beantragte die Klägerin, rechtlich vertreten durch ihre rechtliche Betreuerin, sodann die Übernahme der Servicepauschale in Höhe von monatlich 15 € ab 1. Januar 2020. Zur Begründung führte die rechtliche Betreuerin aus, dass die Klägerin aufgrund ihrer geistigen Einschränkung auf diese Leistung angewiesen sei.
Als Anlage fügte sie ein Schreiben des Pflegedienstes bei, in dem unteren anderem ausgeführt wird, dass die Pauschale folgendes beinhalte:
"das rechtzeitige Bestellen der Verordnungen beim Arzt inklusive erforderlicher Zusatzdokumente wie zum Beispiel Entlassungsbericht, Medikamentenpläne, und Berichte, Laborwerte, Schemata etc.
die Prüfung der Verordnungen Aufrichtigkeit, gegebenenfalls Änderung und/oder Neuanforderung beim verordnenden Arzt
das Bearbeiten und Ausfüllen der Verordnungen. Einholen der Kundenunterschrift
das Einreichen der Verordnungen beim Kostenträger
das Prüfen des Medikamenten- und/oder Verbandstoffbestands, zeitnahe Bestellung von Rezepten beim Arzt, die Übermittlung an die Apotheke, sowie die Entgegennahme und Weitergabe an den/die Kunden.
Sowie Porto- und Versandkosten von Ärzten und zu den jeweiligen Kostenträger."
Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Januar 2020 als Leistung der Sozialhilfe nach dem SGB XII und mit Bescheid vom 20. Januar 2020 als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ab. Er begründete die Ablehnung nach dem SGB XII damit, dass eine Leistung im Rahmen der Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII) nicht in Betracht käme, da diese Leistung auch nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sei. Eine darüber hinausgehende Versorgung sei über das SGB XII nicht möglich. Die Ablehnung nach dem SGB IX begründete er damit, dass es sich bei der Servicepauschale nicht um Leistungen der Eingliederungshilfe handele. Es dürfte sich seiner Auffassung nach um eine Aufgabe der gesetzlichen Betreuung hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge handeln. Da kein Pflegegrad bestünde, käme auch eine Übernahme der Kosten aus Mitteln der Hilfe zur Pflege nicht Betracht.
Die rechtliche Betreuerin der Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 9. März 2020 Widerspruch ein. Sie begründete diesen damit, dass die Klägerin bereits aufgrund ärztlicher Verordnung das Verabreichen der Medikamente erhalte. Denn diese sei aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage zu erkennen, wann sie welche Medikamente in welcher Dosierung zu nehmen habe. Mit den Tätigkeiten, die dem Verabreichen vorausgingen, sei die Klägerin krankheitsbedingt ebenfalls überfordert, nämlich zum Beispiel mit dem rechtzeitigen Bestellen der ärztlichen Verordnungen beim Arzt, der Prüfung der Verordnung auf Richtigkeit, der Übermittlung der Rezepte an die Apotheke und der Entgegennahme und Überprüfung der Medikamente. Diese Tätigkeiten fielen auch nicht in den Aufgabenkreis des rechtlichen Betreuers. Dieser müsse lediglich regeln, wer diese Tätigkeiten durchführe und wer die Kosten hierfür tragen. Die Tätigkeiten seien daher als Assistenzleistung im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen, da durch die Durchführung der Tätigkeiten die Teilhabe an der Gemeinschaft sichergestellt werde. Wäre die medikamentöse Versorgung der Klägerin nicht sichergestellt, so könne sich die Erkrankung verschlimmern und sich in der Folge auch eine Gefährdung der Teilhabe an der Gemeinschaft verwirklichen.
Ein parallel bei der Kranken- bzw. Pflegekasse eingereichter Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme wurde von dort mit Schreiben vom 18. März 2020 mit der Begründung abgelehnt, es läge keine Einstufung in einen Pflegegrad vor und es handele sich im Übrigen nicht um eine übernahmefähige Leistung der gesetzlichen Kranken- oder Pflegekasse.
Das niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass es sich bei der angebotenen Leistung nicht um eine Assistenzleistung im Rahmen der Eingliederungshilfe handele. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem Anspruch auf medizinische Rehabilitation nach § 109 SGB IX, da die Kranken- und Pflegeversicherungen diese Aufwendungen ebenfalls nicht übernähmen.
Mit der am 20. Juli 2020 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Am 16. Februar 2022 hat die Klägerin einen weiteren Antrag auf einfache Assistenz gestellt. Nach den unstreitigen Angaben der Zeugin und der Beklagtenvertreterin liegt diesem Antrag ein Schreiben des Leistungserbringers, der die bereits bewilligten Leistungen der qualifizierten Assistenz (ambulante Betreuung) übernimmt, vom 19. Januar 2022 zugrunde. Danach habe sich der Betreuungsaufwand und der Betreuungsbedarf bei der Klägerin erhöht, da es zu Fehleinnahmen bei den Medikamenten gekommen sei und sich die Klägerin unzureichend ernähre. Sie müsse inzwischen auch außerhalb der Termine der Assistenz zur Tafel begleitet werden. Nach den Angaben der Beklagtenvertreterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin diesen Antrag in der Folge zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 13. November 2023 hat das Gericht die zuständige Krankenkasse zum Verfahren beigeladenen.
Mit weiteren Beschluss vom 19. Mai 2024 hat das Gericht den Pflegedienst, der die infrage stehende Leistung erbringt, beigeladenen.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Der Beklagte verteidigt sich gegen den geltend gemachten Anspruch damit, dass dieser unbegründet sei. Dabei vertieft er seine Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung verweist die Sitzungsvertreterin zudem darauf, dass die Leistung durch die vielen bereits gewährten Hilfen abgedeckt sein müsse. Für sie sei auch fraglich, ob der Antrag überhaupt noch bestünde, da ein weiterer Antrag am 16. Februar 2022 gestellt und dieser zurückgenommen worden sei. Schließlich fehle auch eine ärztliche Stellungnahme, aus der konkret hervorgehe, dass der Bedarf bestünde. Zudem sei es gemäß § 78 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auch Aufgabe der bereits eingerichteten qualifizierten Assistenz, Anleitungen und Übungen in den Bereichen nach § 78 Abs. 1 Satz 2 SGB IX vorzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Das Gericht hat den Sachverhalt näher aufgeklärt und hierzu die Befundberichte der behandelnden ärztlichen Psychotherapeutin I. vom 18. April 2024 und des behandelnden Hausarztes J. vom 17. April 2024 eingeholt. Der Hausarzt hat mitgeteilt, dass Lamotrigen und Vulproat regelmäßig eingenommen werden müssen. Die ärztliche Psychotherapeutin hat mitgeteilt, dass die eigenverantwortliche Zusammenstellung und Einnahme der Medikamente die Patientin überfordere. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme (Blatt 121-151 und 156-163 der Hauptakte) wird im Übrigen verwiesen.
Das Gericht hat die Sache am 1. Februar 2024, 3. Juli 2024 und 11. September 2024 verhandelt, wobei am 11. September 2024 die rechtliche Betreuerin der Klägerin als Zeugin einvernommen wurde. Diese hat verschiedene Situation geschildert, in denen die Klägerin in ihrem Alltag überfordert ist. Auf die Sitzungsniederschriften wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer einfachen Assistenz nach § 78 Abs. 2 Satz 2 Nummer 1 SGB IX zur Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlich verordneten Leistungen, gerichtet konkret auf die Leistungen, die dem Verabreichen von Medikamenten vorausgehen, mithin das Sichten des Medikamentenbestandes, das rechtzeitige Bestellen von Nachfolgerezepten, das Bestellen und Abholen der Medikamente in den Apotheken und das sichere Verwahren der Medikamente.
Die Tatbestandvoraussetzungen für die Bewilligung der einfachen (kompensatorischen) Assistenz liegen vor. Nach § 78 Abs. 1 SGB IX werden die Leistungen für Assistenz zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Nach § 78 Abs. 2 Satz 2 Nummer 1 SGB IX umfassen Assistenzleistungen die vollständige oder teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie Begleitung der Leistungsberechtigten.
Die Klägerin gehört unstreitig zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 2 Abs. 1 SGB IX, da sie angesichts des Verdachts auf ein fetales Alkoholsyndrom, dem Zustand nach Alkoholabhängigkeit, der psychosomatischen Störung, der diffusen Schwindelsymptomatik, der Intelligenzminderung sowie der Neigung zur Epilepsie an mehreren Behinderungen leidet, die sie in Wechselwirkung mit Einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern.
Die Klägerin kann die sogenannte kompensatorische Assistenzleistung beanspruchen, da sie zur Bewältigung des Alltags eine Assistenz benötigt, die die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlich verordneten Leistungen bewirken soll. Sie benötigt Hilfe dabei, den Medikamentenbestand im Auge zu behandeln, neue Verordnungen anzufordern, Medikamente in den Apotheken abzuholen und auch dabei, Medikamente im Haushalt sicher zu verwahren. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer bereits aus der anschaulichen und nachvollziehbaren Darstellung der Zeugin betreffend die Fähigkeiten der Klägerin im Alltag sowie aus der Gesamtschau der Akte und der eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte. Die Zeugin hat Situationen geschildert, in denen die Klägerin zwar selbstständig Gespräche mit Ärzten führt, im Nachhinein aber nicht wiedergeben kann, was Thema gewesen ist und was sie als Folge des Gesprächs zu tun habe. Darüber hinaus hat sie schlüssig beschrieben, dass die Klägerin panisch wird, wenn sich der Markenname auf einer Medikamentenpackung verändert, obwohl es der gleiche Wirkstoff bleibe. In einer anderen Situation habe die Klägerin die ihr wegen einer Blasenentzündung verschriebenen Antibiotika in der Apotheke nicht gekauft, weil die Klägerin in der konkreten Situation in der Apotheke vergessen hatte, dass sie von den Zuzahlungen befreit ist und sie angesichts nicht ausreichenden Bargeldes lieber das Handy aufladen wollte, anstatt die Medikamente zu bezahlen. Nach der überzeugenden Darstellung der Zeugin ist die Klägerin auch nicht in der Lage zu erkennen, zu welchem Arzt sie mit welchem Anliegen zu gehen habe. Die Zeugin hat schließlich ein vom Betreuungsgericht eingeholtes psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2017 wiedergegeben, wonach die Klägerin gerade auch im Hinblick auf die Gesundheitssorge nicht selbstständig für sich sorgen könne.
Die Darstellung wird durch den Befundbericht der behandelnden Neurologin/Psychotherapeutin bestätigt, als diese auf die Bitte um Bericht über die Notwendigkeit des Medikamentenmanagements dahingehend antwortet, dass die eigenverantwortliche Zusammenstellung und Einnahme der Medikamente die Patientin überforderten.
In Zusammenschau mit der Akte, den diagnostizierten Erkrankungen der Klägerin sowie dem bereits anerkannten Bedarf für qualifizierte Assistenzleistungen zur Bewältigung des Alltags und der ärztlich verordneten Medikamentengabe ergeben sich in der Gesamtschau mit der Zeugenaussage für die Kammer keine Zweifel daran, dass die Klägerin auch einer Assistenz in Bezug auf die geforderten Leistungen bedarf. Zur Überzeugung der Kammer ist die Klägerin in ihren Alltagsfähigkeiten aufgrund ihrer Behinderungen derart eingeschränkt, dass sie nicht in der Lage ist, selbstständig zu erkennen, wann sie Rezepte bei Ärzten nachfordern muss, bei welchen Ärzten sie dies tun müsste, die Medikamente zuverlässig selbstständig in der Apotheke zu besorgen und sicher im Haus zu verwahren. Diese Handlungen sind aber dringend erforderlich, da die Klägerin auf die tägliche Einnahme von Medikamenten angewiesen ist.
Der Anspruch ist nicht bereits durch andere Leistungen abgedeckt. Insbesondere sind die hier infrage stehenden Leistungen nicht vom Regelbedarf umfasst, da es sich um Dienstleistungen konkret für Menschen mit Behinderung handelt. Der Regelbedarf umfasst im Gegensatz dazu lediglich existenzsichernde Leistungen und keine Fachleistungen für behinderte Menschen. Die existenzsichernden Leistungen wurden im Rahmen der Reform durch das Bundesteilhabegesetz von den Fachleistungen zum 1. Januar 2020 getrennt. Das Recht auf Eingliederungshilfe und entsprechende Fachleistungen erwächst aus dem Umstand, zum leistungsberechtigten Personenkreis der behinderten Menschen zu gehören. Die Fachleistungen sind nicht durch die existenzsichernden Leistungen abgedeckt oder müssen aus diesen finanziert werden. Ist ein Tatbestand der Eingliederungshilfe erfüllt, so würde dieser unterlaufen, wenn in der Folge der behinderte Mensch auf die Finanzierung aus dem Regelsatz verwiesen würde.
Auch ist die Leistung vorliegend nicht bereits über die Gewährung der häuslichen Krankenpflege und die Verordnung der Medikamentengabe nach § 37 Abs. 2 SGB V abgedeckt. Denn ausweislich der Vereinbarung gemäß § 132 Abs. 4 SGB V zur häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1, Absatz 1A und Abs. 2 SGB V zwischen den gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen auf der einen Seite und den freien Verbänden der Wohlfahrtspflege in Niedersachsen sowie die in der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens zusammengeschlossenen Trägerverbände auf der anderen Seite umfasst nach Anlage 1 "Leistungsbeschreibung zur Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 37 Abs. 1 und 1a sowie zur Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V" die Position 26.2, DTA 032233, "Verabreichung/Eingeben von Medikamenten" lediglich die Verabreichung/das Eingeben von Medikamenten über den Magen-/Darmtrakt, die Haut (Medikamentenpflaster) und Schleimhaut, die Nase, die Ohren, die Augen oder die Atemwege. Weder die Überwachung des Medikamentenbestandes noch die Aufbewahrung der Medikamente oder das Anfordern von Rezepten und Abholen bei Apotheken ist Teil der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V.
Ebenso wenig kann die Klägerin darauf verwiesen werden, ihre gesetzliche Betreuerin habe diese Tätigkeiten im Rahmen der ihr übertragenen Aufgabe "Gesundheitssorge" mit zu erledigen. Denn eine rechtliche Betreuung wird nur für die eingesetzt, wenn Menschen ihre rechtlichen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können und dies auf einer Krankheit oder Behinderung beruht (§ 1901 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung bzw. § 1814 Abs. 1 BGB in der seit dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung). Vorliegend geht es nicht um die Ausübung von Rechten, sondern um tatsächliche Handlungen im Alltag, für die es keiner rechtlichen Betreuung und auch keiner Person bedarf, die für die rechtliche Betreuung qualifiziert ist. Es ist sogar keine spezielle Fachqualifikation für die Übernahme dieser Tätigkeit erforderlich.
Schließlich steht der Entscheidung auch nicht entgegen, dass die Beigeladene zu 2) den Betrag in Höhe von 15 € als Servicepauschale insgesamt berechnet und dabei als Grundlage für die Aufstellung dieser Rechenposition auch andere Tätigkeiten als nur die Überwachung des Medikamentenbestandes, die rechtzeitige Anforderung von Rezepten und rechtzeitige Besorgung der Medikamente sowie die Verwahrung der Medikamente aufführt. Zum einen hat die Beigeladene zu 2) in der ersten mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2024 überzeugend dargelegt, dass diese Auflistung von einer rechtlich nicht weiter ausgebildeten Angestellten gefertigt wurde und es geplant sei, das Formular zu überarbeiten. Zum anderen ist zur Überzeugung der Kammer eine Servicepauschale von 15 € der Höhe nach für die hier infrage stehenden zu übernehmenden Tätigkeiten der einfachen Assistenz gerechtfertigt. Insofern kommt es nicht darauf an, dass die Beigeladene zu 2) in ihrer Auflistung noch weitere Tätigkeiten genannt hat, da auch ein Weglassen dieser Tätigkeiten in der Auflistung zur Überzeugung der Kammer es nicht dazu führte, dass der Betrag in Höhe von 15 € monatlich abzusenken wäre. Zudem ist es dem Sozialhilferecht nicht fremd, Bedarfe in Pauschalen abzubilden, wie man am Beispiel des Barbetrags oder der Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 2 SGB XII erkennen kann, genauso wie am inkludiert notwendigen Lebensunterhalt nach § 27b Abs. 1 SGB XII, die jeweils nicht auf konkreten Bedarfsberechnungen, sondern auf Schätzungen beruhen (vergleiche Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 27b SGB XII (Stand: 05.06.2024), 9). Erst die Pauschalierung macht vorliegend eine Abrechnung praktisch möglich, da eine Konkretisierung auf den einzelnen Bedarf des jeweiligen Kunden angesichts der Vielzahl von Kunden und Apotheken, die jeweils täglich angefahren würden, kaum denkbar ist.
Zuletzt ist nicht erkennbar, dass der Antrag in Bezug auf die Gewährung von 15 € monatlich zurückgenommen worden wäre. Hierfür fehlt es an konkreten Anhaltspunkten. Soweit andere Anträge Anfang 2022 auf einfach Assistenz gestellt und zurückgenommen worden sind, so ist nicht im Ansatz ersichtlich, dass dies dieses Verfahren betreffen soll. Anträge und auch die Rücknahme von Anträgen sind auszulegen, §§ 133, 153 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in entsprechender Anwendung. Dass der klageweise geltend gemachte Anspruch zurückgenommen sein soll, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist dem Gericht gegenüber keine solche Mitteilung gemacht worden.
Die Entscheidung zu den Kosten ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1, 183 SGG.