Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.03.2025, Az.: 8 TaBV 85/24
Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung eines Dokumentenmanagementsystems"
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 24.03.2025
- Aktenzeichen
- 8 TaBV 85/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 14561
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2025:0324.8TaBV85.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück - 23.10.2024 - AZ: 4 BV 13/24
Rechtsgrundlage
- § 22 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Es stellt eine unzulässige Rechtsausübung und einen Rechtsmissbrauch dar, die Einsetzung einer Einigungsstelle zu verlangen, wenn ein nur noch gem. § 22 BetrVG geschäftsführungsbefugter Betriebsrat bewusst und gewollt seiner Verpflichtung nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, unverzüglich einen Wahlvorstand zu bestellen, zuwiderhandelt, indem er die Bestellung in erheblichem Maße hinauszögert.
- 2.
Die unzulässige Rechtsausübung des nur noch gem. § 22 BetrVG geschäftsführungsbefugten Betriebsrates kann angemessen nur in der Weise sanktioniert werden, dass der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle als unbegründet zurückgewiesen wird. Die Möglichkeit, Anträge nach § 23 BetrVG auf Auflösung des Betriebsrates zu stellen, ist unzureichend, da sie den Betriebsrat nicht daran zu hindern vermag, vielfältige Mitbestimmungsrechte unter bewusster und gewollter Verzögerung von Neuwahlen noch selbst geltend zu machen.
- 3.
Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG werden in solchen Fällen angemessen und hinreichend dadurch gewahrt, dass der neu gewählte Betriebsrat, soweit er es für sachdienlich erachtet, hierüber auch später noch ggf. bis in die Einigungsstelle hinein verhandeln kann.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 23.10.2024 - 4 BV 13/24 abgeändert:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 1.) (im Folgenden: Betriebsrat) begehrt in diesem und in mehreren Parallelverfahren die Einsetzung von Einigungsstellen. Vorliegend verlangt er die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung eines Dokumentenmanagementsystems".
Der Betriebsrat ist seit Anfang des Jahres 2023 im Amt. Im Oktober 2023 erfolgte eine Versammlung der Belegschaft. Ob diese die rechtlichen Voraussetzungen für eine Betriebsversammlung erfüllt, ist zwischen den Beteiligten streitig. Weitere Betriebsversammlungen fanden unstreitig nicht statt, bis es im November 2024 zu einer Betriebsversammlung kam.
Ursprünglich bestand der Betriebsrat aus 9 Mitgliedern und 27 Ersatzmitgliedern. Ab Ende Juli 2024 kam es kontinuierlich zu Amtsniederlegungen von Betriebsratsmitgliedern. Die Ersatzmitglieder traten sodann ebenfalls zurück. Am 09.09.2024 bestand der Betriebsrat unter Berücksichtigung aller Mitglieder und Ersatzmitglieder nur noch aus acht Personen. Aufgrund weiterer Niederlegungen bestand ab dem 24.09.2024 der Betriebsrat noch aus den Mitgliedern und Herrn K.. Letzterer ist seit etwa einem Jahr arbeitsunfähig erkrankt.
Die Beteiligte zu 2.) (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt etwa 300 Arbeitnehmer.
In der Betriebsratssitzung vom 25.09.2024 wurde unter "TOP 6: Dokumentenmanagementsystem" lt. Protokoll folgender Beschluss getroffen:
"Der BR beschließt, die Rechtsanwälte S. mit der (ggf. gerichtlichen) Anforderung der Systembeschreibung und der konkreten Konfiguration des neuen Dokumentenmanagementsystems zu beauftragen. Ferner sollen die Rechtsanwälte S. die Einführungen und Anwendungen des Systems (erforderlichenfalls gerichtlich) unterbinden. Die Rechtsanwälte S. werden ferner gem. § 80 Abs. 3 BetrVG beauftragt, den BR bei der Verhandlung einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und zum Einsatz des Systems zu unterstützen und sollen hierzu mit der Arbeitgeberin eine Vergütungsabrede treffen."
Laut Protokoll der Betriebsratssitzung stimmte der Betriebsratsvorsitzende als alleinig Anwesender diesem Beschluss zu.
Auf der Grundlage der Beschlussfassungen des Betriebsrates vom 25.09.2024 und 02.10.2024 (dort TOP 3) wandten sich seine jetzigen Prozessbevollmächtigten am 02.10.2024 um 08:45 Uhr per E-Mail an die Arbeitgeberin und teilten mit, dass der Betriebsrat beschlossen habe, sie als Sachverständige gem. § 80 Abs. 3 BetrVG zu Verhandlungen beizuziehen. Die Prozessbevollmächtigten forderten mit gleicher E-Mail die Arbeitgeberin auf, eine Vergütungsvereinbarung über ein Stundenhonorar in Höhe von 330,00 € netto (auch für Fahrtzeiten) und Fahrtkostenersatz von 0,50 € pro km abzuschließen, und regten an, Verhandlungen über eine entsprechende Betriebsvereinbarung aufzunehmen.
Dies lehnte die durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten vertretene Arbeitgeberin mit E-Mail vom 02.10.2024, 09:26 Uhr, ab und verwies zur Begründung auf die ihres Erachtens mangelhaften Beschlussfassungen und die ihres Erachtens nicht angemessenen Konditionen.
In der Betriebsratssitzung vom 02.10.2024 (laut Protokoll Beginn um 8 Uhr und Ende um 9:40 Uhr) wurde unter "TOP 6: Beauftragung der Rechtsanwälte S. Rahmen-BV-IT-Systeme (B241002-04)" folgender Beschluss gefasst:
"Der BR beschließt, die Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zum Regelungsgegenstand "Einführung und Anwendung eines Dokumentenmanagementsystems" für gescheitert zu erklären. Mit der (ggf. gerichtlichen) Einsetzung einer Einigungsstelle unter Vorsitz des Herrn T., Direktor des Arbeitsgerichts O., unter Teilnahme von 3 Beisitzern je Seite werden die Rechtsanwälte S. beauftragt."
In der 38. Kalenderwoche (16. bis 20. September) wies die Arbeitgeberin, vertreten durch Frau N., den Betriebsrat darauf hin, dass er zur Einleitung von Neuwahlen verpflichtet sei.
Der Betriebsratsvorsitzende teilte der Belegschaft im Intranet erstmals am 07.10.2024 mit, dass Arbeitnehmer sich bis zum 25.10.2024 melden könnten, wenn sie sich vorstellen könnten, als Wahlvorstand tätig zu sein. Am 30.10.2024 wurde erstmals ein Wahlvorstand eingesetzt, der jedoch durch Amtsniederlegungen unvollständig blieb. Der Betriebsratsvorsitzende bestellte in der Folgezeit weitere Wahlvorstandsmitglieder, die jedoch kurze Zeit später ihr Amt niederlegten. Erst am 18.12.2024 kam es zur Bildung eines vollständigen, handlungsfähigen Wahlvorstandes. Dieser besteht u.a. aus dem Betriebsratsvorsitzenden P.
Der Betriebsrat hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, zu den Betriebsratssitzungen am 25.09.2024 und 02.10.2024 sei ordnungsgemäß eingeladen worden. Das Betriebsratsmitglied K. habe seit langem seine dauerhafte Verhinderung angezeigt und sich jedenfalls bis einschließlich zum 02.10.2024 in einer Reha-Maßnahme befunden. Herr K. habe sich unmittelbar mit dem Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Betriebsrat und allen seinen damaligen Mitgliedern einschließlich dessen Vorsitzendem und auch gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin dahingehend geäußert, dass er längerfristig, nämlich während des gesamten Bestehens seiner Arbeitsunfähigkeit, verhindert sei, sein Betriebsratsamt auszuüben und sich ausdrücklich wünsche, nicht kontaktiert zu werden. Der Betriebsratsvorsitzende Herr P. habe sich selber unter Mitteilung der Tagesordnung geladen und die entsprechenden Beschlüsse gefasst. Die Verhandlungen über den hier in Rede stehenden Regelungsgegenstand seien auch gescheitert, was sich aus den Ausführungen der Arbeitgeberin ergebe.
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,
eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung eines Dokumentenmanagementsystems" unter Vorsitz des Herrn T., Direktor des Arbeitsgerichts O., mit drei Beisitzern je Betriebspartei einzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat vor dem Arbeitsgericht ihre Auffassung vorgebracht, die durch den Betriebsrat seit dem 19.09.2024 erfolgten Beschlussfassungen seien unwirksam. Eine Beschlussfassung bei zwei verbliebenen Mitgliedern des Betriebsrates allein durch den Vorsitzenden sei nicht möglich. Aus der derzeitigen Arbeitsunfähigkeit des Betriebsratsmitglieds K. könne nicht geschlossen werden, dass dieser nicht in der Lage sei, sein Betriebsratsamt auszuüben und an Sitzungen teilzunehmen. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass Herr K. aus gesundheitlichen Gründen an der Ausübung seines Betriebsratsamtes gehindert sei. Eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Ladung zur Sitzung an alle Betriebsratsmitglieder sei damit nicht erfolgt. Die Arbeitgeberin bestreitet, dass der Ladung eine ordnungsgemäße Mitteilung der Tagesordnung beigefügt gewesen sei.
Die Arbeitgeberin hat weiter vorgebracht, da Verhalten des Betriebsrates verstoße auch gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Der Betriebsrat handele darüber hinaus auch rechtsmissbräuchlich, da durch den Betriebsratsvorsitzenden im Alleingang Fakten geschaffen würden, bevor ein neuer Betriebsrat gewählt werde. Ebendiese Wahl habe der Betriebsrat aber gerade nicht unverzüglich eingeleitet, sondern verzögere pflichtwidrig Neuwahlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze und den erstinstanzlichen Beschluss Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 23.10.2024 hat das Arbeitsgericht dem Antrag - mit Ausnahme des Umstandes, dass es zwei statt drei Beisitzer je Betriebspartei festgesetzt hat - stattgegeben. Es hat zur Begründung u.a. ausgeführt, das Verhalten des Betriebsrates verstoße nicht gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und begründe keine unzulässige Rechtsausübung. Jedenfalls bezogen auf das Datum der Betriebsratssitzungen und die darin getroffenen Beschlüsse vom 25.09.2024 und vom 02.10.2024 habe zwar schon die Verpflichtung des Betriebsratsvorsitzenden bestanden, Neuwahlen zum Betriebsrat einzuleiten. Daraus folge aber nicht, dass ein Betriebsrat, der (nur) noch i.S.v. § 22 BetrVG die Amtsgeschäfte weiterführe, nicht berechtigt wäre, zur Sicherung seiner Mitbestimmungsrechte Einigungsstellenverfahren einzuleiten.
Gegen diesen ihr am 06.12.2024 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 11.12.2024 bei dem erkennenden Gericht eingehend Beschwerde erhoben und diese nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis zum 07.01.2025 mit einem am 07.01.2025 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie macht u.a. geltend, das Verhalten des Betriebsrates verstoße entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und begegne dem Einwand des Rechtsmissbrauchs. Der Betriebsrat begehe eine schwerwiegende Pflichtverletzung, indem er nicht unverzüglich einen handlungsfähigen Wahlvorstand eingesetzt habe.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 23. Oktober 2024 - 4 BV 13/24 - abzuändern und den Antrag insgesamt zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die Beschwerde für bereits unzulässig. Zudem meint er, der Einwand des Rechtsmissbrauchs bzw. der unzulässigen Rechtsausübung verfange nicht. Der Betriebsrat sei seiner Pflicht zur Bestellung eines Wahlvorstandes unstreitig längst nachgekommen. Bis zur Neuwahl führe er gem. § 22 BetrVG die Geschäfte weiter.
Sowohl die Arbeitgeberin als auch 106 wahlberechtigte Arbeitnehmer haben in gesondert geführten Beschlussverfahren ein Auflösungsverfahren nach § 23 BetrVG gegen den Betriebsrat initiiert. Nach den in der Sitzung vom 24.03.2025 durch beide Beteiligte übereinstimmend mitgeteilten Informationen hat das Arbeitsgericht Osnabrück am 12.03.2025 auf den Antrag der Arbeitgeberin den Betriebsrat aufgelöst. Es hat die verzögerliche Einleitung der Neuwahlen als so gravierende Pflichtverletzung angesehen, dass die Auflösung begründet sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Anhörung vom 24.03.2025 verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
1.
Die Beschwerde ist zulässig, sie ist frist- und formgerecht eingereicht worden. Eine einmalige Verlängerung der Beschwerdefrist - wie hier erfolgt - ist auch im Falle des § 100 ArbGG statthaft (LAG Köln 03.08.2017 - 9 TaBV 63/17, juris). Die Arbeitgeberin hat ihre Beschwerde innerhalb der verlängerten Frist begründet. Die Beschwerdebegründung genügt entgegen der Auffassung des Betriebsrates den Anforderungen an ihre Zulässigkeit.
2.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Begehren des Betriebsrates, eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung eines Dokumentenmanagementsystems" einzusetzen, ist rechtsmissbräuchlich. Es stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar, die Einsetzung einer Einigungsstelle zu verlangen, wenn der Betriebsrat gleichzeitig bewusst und gewollt seiner Verpflichtung, unverzüglich einen Wahlvorstand zu bestellen, zuwiderhandelt.
a)
Eine gegen Treu und Glauben verstoßende Ausübung einer formalen Rechtsstellung ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig (BGH 27. Februar 2018 - VI ZR 109/17 - Rn. 20). Der im Zivilrecht in § 242 BGB zum Ausdruck gekommene Einwand der unzulässigen Rechtsausübung beherrscht das gesamte Recht (vgl. BAG 14. Mai 1987 - 6 ABR 39/84 - zu II 3 der Gründe). Als allgemeine Schranke der Rechtsausübung begrenzt er sowohl Rechtsinstitute und Rechtsnormen als auch subjektive Rechte (vgl. BAG 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - Rn. 56 mwN, BAGE 105, 19). Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung gilt gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG auch im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (vgl. BAG 19. Februar 2008 - 1 ABR 84/06 - Rn. 24; 13. Februar 2007 - 1 ABR 14/06 - Rn. 25, BAGE 121, 139; 14. Mai 1987 - 6 ABR 39/84 - zu II 3 der Gründe mwN; 12. Februar 1980 - 6 ABR 2/78 - zu II 3 e der Gründe; 18. September 1973 - 1 ABR 7/73 - zu III 3 der Gründe, BAGE 25, 292). Der dort normierte Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen. Damit geht es letztlich um die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auch im Rahmen der Betriebsverfassung (vgl. BAG 26. September 2018 - 7 ABR 18/16 - Rn. 56; 28. Mai 2014 - 7 ABR 36/12 - Rn. 35, BAGE 148, 182). Aus dem in § 23 Abs. 1 BetrVG vorgesehenen Antragsrecht des Arbeitgebers zur gerichtlichen Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung dessen gesetzlicher Pflichten ergibt sich nichts Gegenteiliges. Das in § 2 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich verankerte Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zeigt, dass der Gesetzgeber dem Arbeitgeber durch die Gewährung der Antragsberechtigung in § 23 Abs. 1 BetrVG, die eine Auflösung des Betriebsrats und damit den Amtsverlust aller Betriebsratsmitglieder zum Gegenstand hat, nicht den Einwand einer - einzelfallbezogenen - unzulässigen Rechtsausübung gegenüber dem Betriebsrat nehmen wollte.
Eine gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende und damit unzulässige Rechtsausübung kann vorliegen, wenn sich eine Betriebspartei auf eine formale Rechtsposition beruft, die sie durch ein in erheblichem Maße eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten erlangt hat. Wegen der Besonderheiten des durch die Wahrnehmung strukturell gegensätzlicher Interessen gekennzeichneten Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommt eine solche unzulässige Rechtsausübung jedoch nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht (zu allem Vorstehenden BAG, Beschluss vom 12. März 2019 - 1 ABR 42/17 -, BAGE 166, 79-97, Rn. 42 - 47).
b)
Der Betriebsrat bestand seit dem 09.09.2024 nur noch aus acht Mitgliedern, Ersatzmitglieder waren nicht mehr vorhanden. Damit lagen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG vor; es war zwingend ein neuer Betriebsrat zu wählen. Dieser Fall ist ausdrücklich in § 22 BetrVG geregelt; der alte Betriebsrat führt die Geschäfte weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist. Die Geschäftsführungsbefugnis ist umfassend. Sie umfasst die Befugnis zu Wahrnehmung sämtlicher Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte (Fitting pp., BetrVG, 32. Auflage, § 22 Rn. 8). Auch die in § 87 geregelten Mitbestimmungsrechte, die hier betroffen sind, sind hiervon umfasst.
c)
Der Betriebsrat war daher Inhaber einer formalen Rechtsposition. Auf diese beruft er sich vorliegend, indem er die unter § 87 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 BetrVG fallende Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung eines Dokumentenmanagementsystems" von der Arbeitgeberin verlangt. Gleichzeitig liegt jedoch ein in erheblichem Maße eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten des Betriebsrates vor. Die Ausübung der formalen Rechtsposition und das betriebsverfassungswidrige Verhalten sind auch dergestalt verknüpft, dass die Art und Weise, wie die formale Rechtsposition geltend gemacht und durchgesetzt wird, in erheblichem Maße durch das betriebsverfassungswidrige Verhalten beeinflusst wird, und dass der Betriebsrat sich diese Umstände gezielt, bewusst und gewollt zur Verfolgung sachfremder Ziele zunutze macht. Damit liegt ein besonders schwerwiegender Ausnahmefall im oben bezeichneten Sinne vor, der das Handeln des Betriebsrates als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lässt.
aa)
Die Vorschrift des § 16 BetrVG gilt unmittelbar auch für die Fälle, in denen die Amtszeit des Betriebsrates nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 i.V.m. § 21 Satz 5 und § 22 BetrVG vorzeitig abläuft. Der Betriebsrat hat in diesen Fällen den Wahlvorstand unverzüglich, d.h., ohne schuldhaftes Zögern, zu bestellen, nachdem ein die Neuwahl bedingender Tatbestand nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG eingetreten ist (BAG 16.11.2017 - 2 AZR 14/17, NZA 2018, 240 [BAG 27.07.2017 - 2 AZR 476/16]).
Diese Verpflichtung hat der Betriebsrat vorliegend vorsätzlich und in besonders grobem Maße verletzt. Der die Neuwahl iSd. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG bedingende Tatbestand trat vorliegend am 09.09.2024 ein. Der Betriebsrat hatte ab diesem Zeitpunkt eine unverzügliche Bestellung des Wahlvorstandes vorzunehmen. Um diese gesetzliche Verpflichtung musste der - im Übrigen offensichtlich umfangreich anwaltlich beratene - Betriebsrat wissen; darüber hinaus hat die Arbeitgeberin, vertreten durch Frau N., unstreitig in der 38. Kalenderwoche (16. bis 20. September) den Betriebsrat darauf hingewiesen, dass er zur Einleitung von Neuwahlen verpflichtet sei. Am 24.09.2024 verschärfte sich die Situation noch insofern, als der Betriebsrat ab diesem Zeitpunkt nur noch aus zwei Mitgliedern bestand, von denen überdies eines dauererkrankt und auch zur Wahrnehmung des Amtes nicht mehr in der Lage war.
Ein auf die Bestellung eines Wahlvorstandes gerichtetes Handeln zeigte der Betriebsrat jedoch erst am 07.10.2024, d.h., erst vier Wochen später. Weshalb er erst zu diesem Zeitpunkt aktiv wurde, erklärt der Betriebsrat nicht. Dieses Handeln war zudem auch unzureichend, da die Setzung einer Frist bis zum 25.10.2024 für Interessenten an einer Tätigkeit im Wahlvorstand, sich zu melden, mit 18 Tagen als solche ebenfalls dem Unverzüglichkeitsgebot grob zuwiderlief. Darüber hinaus liegt die Vermutung mehr als nahe, dass auch die zwischen dem 30.10.2024 und dem 18.12.2024 liegende Verzögerung bei pflichtgemäßem Handeln vermeidbar gewesen wäre; hierauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an, da bereits die beiden geschilderten Verfahrensweisen jede für sich, jedenfalls aber in ihrer Gesamtschau, eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen.
bb)
Diese Pflichtwidrigkeit beeinflusste auch die Art und Weise der Geltendmachung des Mitbestimmungsrechts gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Dabei kommt es nicht darauf an, ob bis zum Zeitpunkt der außergerichtlichen bzw. gerichtlichen Geltendmachung dieses Rechts ein neuer Betriebsrat bereits hätte gewählt sein können (was zu verneinen ist). Entscheidend ist vielmehr, dass infolge der erheblichen Verzögerung der Verpflichtung zur Bestellung eines Wahlvorstandes auch die Wahl als solche in erheblichem Maße zeitlich nach hinten verschoben und die Geschäftsführungsbefugnis des alten Betriebsrates gem. § 22 BetrVG zeitlich über die Maßen ausgedehnt wird und sich - wie in den Parallelverfahren zu beobachten - das Szenario ergibt, dass im Falle der Einsetzung einer Einigungsstelle möglicherweise noch der alte Betriebsrat über die Person der Beisitzer der Betriebsratsseite bestimmt, obwohl seit einem halben Jahr Neuwahlen hätten stattfinden müssen. Ob aber der alte oder ein neuer Betriebsrat mit der Arbeitgeberin über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung verhandelt, ist regelmäßig für deren Inhalt und Ausgestaltung von grundlegender Bedeutung. Die Belegschaft besitzt einen Anspruch darauf, dass eine solche Betriebsvereinbarung nicht infolge vorsätzlich herbeigeführter erheblicher Verzögerungen bei der Vorbereitung der Neuwahlen noch von dem alten Betriebsrat mitbestimmt wird. Demgegenüber ist auch der Verweis auf das Recht des neuen Betriebsrates, neue Verhandlungen über diesen Regelungsgegenstand aufzunehmen und ggf. eine geänderte Betriebsvereinbarung abzuschließen, untauglich, denn der alte Betriebsrat vermag durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit langen Kündigungsfristen bzw. durch den Abschluss einer nachwirkenden Betriebsvereinbarung für längere Zeiträume nicht abänderbare Fakten zu schaffen. Darüber hinaus hat auch die Arbeitgeberin ein schützenswertes Interesse, nicht unnötig (zunächst) mit einem Betriebsrat verhandeln zu müssen, der längst Neuwahlen hätte einleiten müssen, und dadurch u.a. voraussichtlich erhebliche Kosten für die Durchführung zahlreicher Einigungsstellen tragen zu müssen, die im Falle einer unmittelbaren Einigung mit dem neuen Betriebsrat nicht entstehen bzw. bei erneuter Verhandlung mit dem neuen Betriebsrat zu vermeidbaren Mehr- und Doppelbelastungen führen würden.
Die pflichtwidrige Verzögerung des alten Betriebsrates bei der Bestellung eines Wahlvorstandes ist für sich genommen geeignet, das Verdikt der unzulässigen Rechtsausübung zu begründen. Im vorliegenden Fall wird das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit darüber hinaus noch dadurch gesteigert, dass erstens der ursprünglich neunköpfige Betriebsrat nur noch aus zwei Personen besteht und der Betriebsratsvorsitzende aufgrund der Erkrankung des anderen verbleibenden Mitgliedes de facto alleine die Interessen der Belegschaft beim Abschluss mehrerer Betriebsvereinbarungen vertreten könnte, und dass der Betriebsrat zweitens grob gegen seine Verpflichtung nach § 43 Abs. 1 BetrVG, einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen, verstoßen hat, indem er in einem Zeitraum von rd. 1,5 Jahren - allenfalls - eine Betriebsversammlung durchgeführt hat. Hierin zeigt sich besonders deutlich der Wille des alten Betriebsrates, ohne Erörterung der betriebsverfassungsrechtlichen Fragestellungen mit der Belegschaft eigene Entscheidungen über deren Wohl und Wehe zu treffen.
cc)
Die unzulässige Rechtsausübung des alten Betriebsrates kann angemessen nur in der Weise sanktioniert werden, dass der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle als unbegründet zurückgewiesen wird. Die Möglichkeit, Anträge nach § 23 BetrVG auf Auflösung des Betriebsrates zu stellen, ist unzureichend, da sie den alten Betriebsrat nicht daran zu hindern vermag, vielfältige Mitbestimmungsrechte unter bewusster und gewollter Verzögerung von Neuwahlen noch selbst geltend zu machen. Die Abweisung des Antrages als unbegründet läuft auch den Interessen der Gesamtheit der Arbeitnehmer nicht zuwider, da der neu gewählte Betriebsrat, soweit er es für sachdienlich erachtet, über den Abschluss ua. der hier gegenständlichen Betriebsvereinbarung mit der Arbeitgeberin auch noch - ggf. bis in die Einigungsstelle hinein - verhandeln kann.