Arbeitsgericht Emden
Urt. v. 07.05.2024, Az.: 2 Ca 387/22

Klage gegen den ehemaligen Arbeitgeber wegen der Kürzung von Urlaubsansprüchen aufgrund unwirksamer Kurzarbeitsvereinbarung

Bibliographie

Gericht
ArbG Emden
Datum
07.05.2024
Aktenzeichen
2 Ca 387/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 31429
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
LAG Niedersachsen - 04.02.2025 - AZ: 10SLa 470/24

Amtlicher Leitsatz

  1. 1)

    In Arbeitsverträgen vorformulierte Klauseln, die dem Arbeitgeber die einseitige Anordnung von Kurzarbeit ermöglichen, stellen eine Abweichung von §§ 611, 611a BGB, § 2 KSchG dar. Solche Klauseln sind unwirksam, wenn sie nicht ausdrücklich eine Ankündigungsfrist vorsehen. Sie können zudem gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam sein, wenn sie Regelungen über Umfang und Ausmaß der Kurzarbeit, Festlegung des betroffenen Personenkreises, Art und Weise der Einbeziehung des Personenkreises und dergleichen völlig offenlassen.

  2. 2)

    Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7.10.2010 - 2 Sa 1230/10, Juris = NZA-RR, 2011, 65

In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Emden auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2024 durch ... für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt,

    an den Kläger 6.600,96 EUR brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes In Höhe von 2.219,94 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.4.2022

    zu zahlen.

  2. 2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 34 %, die Beklagte 66 % zu tragen.

  4. 4.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.617,16 EUR festgesetzt.

  5. 5.

    Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche.

Der Kläger war vom 01.09.2018 bis zum 31.03.2022 bei der Beklagten als Mechatroniker zuletzt mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 2.684,60 EUR oder 2.648,60 EUR (vgl. die unterschiedlichen Angaben in der Klage ... beschäftigt.

Der Kläger beendete das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung zum 31.03.2022.

Der Kläger war seit ca. Mai 2020 durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Hinsichtlich der Höhe der vom Kläger bezogenen Sozialleistungen wird auf die Anlagen ... zum klägerseitigen Schriftsatz ... Bezug genommen.

Der Kläger macht geltend, der von ihm nicht genommene Urlaub sei abzugelten. Der Arbeitgeber habe nicht auf den Verfall des Urlaubsanspruches hingewiesen, sodass die Urlausansprüche nicht verfallen seien. Laut Arbeitsvertrag bestehe ein jährlicher Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen. Danach ergäbe sich für das Jahr 2020 ein Anspruch auf Abgeltung von 24 Tagen, für das Jahr 2021 ein Anspruch auf Abgeltung von 24 Tagen sowie für das Jahr 2022 ein Anspruch auf Abgeltung von 6 Tagen. Hinsichtlich der Berechnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs wird auf die Klage Bezug genommen.

Mit Nichtwissen bestreite der Kläger, dass vom 01.03.2022 bis 31.03.2022 bei der Beklagten Kurzarbeit gewesen sei. Zudem sei der Kläger objektiv nicht in Kurzarbeit, sondern arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Eine Kürzung wegen Kurzarbeit scheide daher aus.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, 6.617,16 EUR brutto nebst Zinsen In Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.04.2022 an den Kläger zu zahlen mit der Maßgabe, dass von dem Klagbetrag für 54 Arbeitstage ein Arbeitslosengeldsatz in Höhe von jeweils arbeitstäglich 41,11 Euro in Abzug zu bringen sind, also insgesamt 2.219,94 Euro netto.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, in der Zeit vom 01.03.2022 bis zum 31.03.2022 hätten sich sämtliche Mitarbeiter der Beklagten in Kurzarbeit befunden. Dazu werde von der Beklagten die Vereinbarung zwischen den Parteien über die Kurzarbeit beginnend vom 17. März 2020 als Anlage ... überreicht. Dementsprechend sei der Urlaubsanspruch des Klägers zu kürzen. Aus den vorgelegten Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit an die Beklagte hinsichtlich der Kurzarbeit ergebe sich, dass bei der Beklagten ab 01.03.2020 bis 31.07.2021 sowie vom 01.01.2022 bis zum 31.03.2022 kurzgearbeitet worden sei (vgl. Bescheide der Bundesagentur für Arbeit zur Kurzarbeit, Anlagen zum Beklagtenschriftsatz ...).

Die ... vorgelegte Ergänzungsvereinbarung sei nicht mit der Erklärung vergleichbar, die der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2011 zugrunde gelegen habe. In dem dort entschiedenen Fall habe die zu überprüfende Vereinbarung den Arbeitgeber dazu berechtigt, die Arbeitszeit des Arbeitnehmers ohne jede Ankündigungsfrist und ohne Begrenzung zu verringern. So liege der Fall hier nicht. Die fragliche Vereinbarung zwischen den Parteien sei mit Wirkung vom 02. März 2020 geschlossen worden und habe die Beklagte berechtigt, mit Wirkung vom 17. März 2020 Kurzarbeit einzuführen. Es sei also eine Ankündigungsfrist von mehr als zwei Wochen eingehalten worden, die es dem Kläger gestattet habe, sich auf den bevorstehenden teilweisen Lohnausfall einzustellen. Die voraussichtliche Dauer der Kurzarbeit sei beim Abschluss der Vereinbarung für die Beklagte nicht absehbar gewesen, so dass sie insoweit keine Angaben habe machen können. Es sei bloße Förmelei, wolle man dennoch die Angabe einer bestimmten Dauer in der Vereinbarung verlangen; bei fortdauernden Voraussetzungen für Kurzarbeit bei Ablauf einer gedachten Frist hätten die Parteien im Zweifel Verlängerungsvereinbarungen nach Bedarf geschlossen. Schließlich habe die Beklagte in der Vereinbarung darauf hingewiesen, dass sie bei Verbesserung der Nachfrage die Kurzarbeit sofort abbrechen werde. Es sei dem Kläger daher unbenommen gewesen, bei der Betriebs- oder Geschäftsleitung nachzufragen, ob und wann mit einer Verbesserung der Nachfrage zu rechnen sei. Eine solche Nachfrage sei dem Kläger bei dem persönlichen Verhältnis, das in einem überschaubaren Betrieb wie dem der Beklagten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehe, ohne weiteres zuzumuten gewesen. Es dürfte auch nicht aus dem Auge verloren werden, dass der Kläger die Arbeitsbefreiung durch die Kurzarbeit bis zu seiner Erkrankung auch tatsächlich in Anspruch genommen habe. Genau unter diesem Aspekt sei ja nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Kürzung des Urlaubsanspruchs zulässig, weil der wegen Kurzarbeit arbeitsbefreite Arbeitnehmer anders als der erkrankte Arbeitnehmer die freien Tage durchaus zu Erholungs- und sonstigen Freizeitzwecken verbrauchen könne. Der Kläger habe auch für die Folgezeit des Bezuges von Leistungen keine finanziellen Einbußen hinzunehmen gehabt.

Ergänzend wird Bezug genommen auf die von den Parteien zu Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verhandlungsprotokolle.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang - teilweise - begründet.

I) Der Kläger hat im tenorierten Umfang Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG für 54 Tage aus den Jahren 2020 bis 2022 zu einem Tagessatz in Höhe von 122,24 EUR brutto.

1) Die Urlaubsansprüche des Klägers waren für die genannten Jahre in dem Umfang, wie in der Klage angegeben, entstanden. Eine Kürzung der Urlaubsansprüche des Klägers wegen Kurzarbeit kommt hingegen nicht in Betracht, da die von der Beklagten vorgelegte Vereinbarung ... gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam ist. Die Vereinbarung benachteiligte den Kläger unangemessen.

a) Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung des LAG Berlin-Brandenburg (vgl. etwa Urteil vom 7.10.2010 - 2 Sa 1230/10, Juris = NZA-RR, 2011, 65) an, wonach die in Arbeitsverträgen vorformulierte Klauseln, die dem Arbeitgeber die einseitige Anordnung von Kurzarbeit ermöglichen, eine Abweichung von § 611 BGB, § 2 KSchG darstellen. Solche Klauseln sind unwirksam, wenn sie nicht ausdrücklich eine Ankündigungsfrist vorsehen. Sie können zudem gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam sein, wenn sie Regelungen über Umfang und Ausmaß der Kurzarbeit, Festlegung des betroffenen Personenkreises, Art und Weise der Einbeziehung des Personenkreises und dergleichen völlig offenlassen.

b) So liegt der Fall hier. Namentlich ist die potentielle Dauer der von der Beklagten einführbaren Kurzarbeit nicht befristet, sondern in der von der Beklagten vorgelegten Vereinbarung völlig offengelassen. Auch eine Ankündigungsfrist nach Abbruch und Wiedereinführung der Kurzarbeit, wie von der Beklagten hier offenbar praktiziert (Ende des ersten Kurzarbeitszeitraums war nach dem Vortrag der Beklagten der 31.07.2021, zum 01.01.2022 führte die Beklagte wiederum erneut Kurzarbeit ein), ist nicht vorgesehen. Insgesamt ist die von der Beklagten vorgelegte Vereinbarung als - mit Ausnahme des Anfangszeitpunktes der Vereinbarung (17.03.2020) - völlig unbestimmt - mit der Folge ihrer Unwirksamkeit - anzusehen.

2) Ein - teilweiser - Verfall des Urlaubsanspruchs des Klägers hat nicht stattgefunden, da die Beklagte insoweit ihren Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten gegenüber dem Kläger nicht nachgekommen war (vgl. Schinz in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Auflage 2022, § 7 BUrlG Rn. 72 ff. mit weiteren Nachweisen).

3) Wie vom Kläger beantragt (vgl. § 308 ZPO), war von der Klageforderung gemäß § 115 SGB X das klägerseits bezogene Arbeitslosengeld in Abzug zu bringen. Hinsichtlich der Höhe des vom Kläger bezogenen Arbeitslosengeldes wird auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 21.02.2024 (vgl. Blatt 106ff. der Akte) Bezug genommen.

4) Hinsichtlich der Berechnung der Urlaubsabgeltung wird im Übrigen auf die Klageschrift Bezug genommen. Dabei war von dem vom Kläger errechneten Tagessatz in Höhe von 122,24 EUR auszugehen mit der Folge, dass sich für 54 abzugeltende Urlaubstage der tenorierte Betrag ergibt.

II) Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.

III) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 92, 269 ZPO. Der Wert des Streitgegenstandes war gemäß §§ 46 Abs. 2 Satz 1, 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO festzusetzen. Die Berufung war nicht gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe a) ArbGG, Abs. 3 ArbGG gesondert zuzulassen, da ein Zulassungsgrund nicht vorliegt. Auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung wird verwiesen.