Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.12.2024, Az.: 12 SLa 478/24

Darlegungs- und Beweislast eines Arbeitgebers für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot hinsichtlich eines Betriebsratsmitglieds

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.12.2024
Aktenzeichen
12 SLa 478/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 29237
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:1209.12SLa478.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 05.06.2024 - AZ: 3 Ca 101/24

Amtlicher Leitsatz

Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend macht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung begünstige ihn unzulässig. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot ermöglicht (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 1. Juli 2024 1 Sa 636/23 , juris)

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 05.06.2024 - 3 Ca 101/24 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die dem Kläger während der Altersteilzeit zu gewährende Vergütung. Der Kläger war als Mitglied des Betriebsrats ist zuletzt als Betriebsratsmitglied von seiner Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt gewesen.

Der am 00.00.1960 geborene Kläger begann mit dem 01.08.1976 bei der Beklagten an deren Standort in B. eine Ausbildung als Werkzeugmacher. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung im Jahr 1980 wurde er als Werkzeugmacher in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Während seiner Tätigkeit hat der Kläger an zahlreichen Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildungen teilgenommen.

Bei der Beklagten handelt es sich um einen deutschen Automobilkonzern. Es finden die mit der IG-Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung, unter anderem auch der Entgelttarifvertrag vom 05.03.2018 in der Fassung vom 01.05.2021 (künftig: ETV), der eine Vergütung nach 22 Entgeltstufen (künftig: ES) vorsieht.

Seit Anfang Mai 1994 ist der Kläger Mitglied des am Standort in B. gebildeten Betriebsrats und mit Rücksicht auf dieses Ehrenamt vollumfänglich von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt gewesen.

Zum Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes erhielt der Kläger Vergütung nach der damaligen Tarifgruppe "L". Ab dem 01.03.1997 wurde der Kläger nach ES 9, ab dem 01.01.1999 nach der ES 14 und ab dem 01.01.2001 nach der ES 16 vergütet.

Zum 01.01.2002 hat die Beklagte die das alte Datenerfassungssystem "Pedatis" (Personaldaten-Informationssystem) abgelöst und durch ein anderes System ersetzt.

Seit dem 01.07.2003 wurde der Kläger nach ES 17 vergütet und mit Schreiben der Beklagten vom 26.05.2005 wurde dem Kläger mitgeteilt: "Die Kommission Betriebsratsvergütung hat Ihr Arbeitsentgelt entsprechend der mit Ihnen vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher Entwicklung gem. § 37 IV BetrVG der Entgeltstufe 18 angepasst. Ihre Vergütung ab dem 01.07.2005 beträgt daher 4.447,00 EUR." Den vorhergehenden Vergütungserhöhungen lagen gleichlautende Schreiben der Beklagten zugrunde.

Die erwähnte Kommission ist im Betrieb der Beklagten aufgrund der jeweils gültigen Gesamtbetriebsvereinbarung über die Festlegung der Vergütung von Betriebsräten eingesetzt und paritätisch von Unternehmens- und Betriebsratsseite besetzt. Die Geschäftsordnung der Kommission zur Festlegung der Vergütung der Betriebsratsmitglieder, beispielsweise vom 01.04.2012, sieht unter Ziffer 1) vor, dass die Kommission bei der erstmaligen Wahl eines Betriebsratsmitglieds eine Akte anlegt. Nach Ziffer 2) wird vermerkt, falls für den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer eine betriebsübliche Entwicklung vorgesehen ist. Weiter heißt es unter Ziffer 5) und 6) der Geschäftsordnung: "Bei der Vergütungserhöhung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds ist jeweils festzustellen, mit welcher Tätigkeit es nach Beendigung der Freistellung und angemessener Übergangs- und Einarbeitungszeit (vorbehaltlich der betrieblichen Möglichkeiten) betraut werden sollte. Die Empfehlungen der Kommission erfolgen schriftlich mit kurzer Begründung."

Unter dem 07.12.2016 trafen die Parteien eine Altersteilzeitvereinbarung, nach der sich an die aktive Phase vom 01.09.2020 bis 31.12.2022 eine passive Phase bis 30.04.2025 anschließen sollte. Unter Ziffer 5 des Altersteilzeitvertrages heißt es in Bezug auf die Vergütung des Klägers: "Die Vergütung wird auf Grundlage der jeweils für Ihre Tätigkeit geltenden Entgeltstufe 18 (z.Z. 5.930,30 EUR brutto) berechnet und monatlich fortlaufend gezahlt." Aufgrund der Entnahme von Zeitwerten aus seinem Langzeitarbeitskonto ist der Kläger bereits seit 29.03.2022 freigestellt und hat zu diesem Zeitpunkt sein Betriebsratsamt niedergelegt.

Die Beklagte sah sich infolge der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10.01.2023, 6 StR 133/22, veranlasst, die den freigestellten Betriebsratsmitgliedern gewährte Vergütung der internen Überprüfung zu unterziehen. In dem strafrechtlichen Verfahren hatten sich verschiedene (ehemalige) Beschäftigte der Beklagten dem Vorwurf der Untreue im Sinn des § 266 Abs. 1 StGB zu verantworten. Mit seiner Entscheidung verknüpfte der BGH den Untreuetatbestand über die Vermögensbetreuungspflicht mit § 78 S. 2 BetrVG und sah eine Verletzung als möglich an, wenn einem Betriebsratsmitglied ein Arbeitsentgelt gewährt wird, das gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot verstößt.

Nach dieser Überprüfung erachtete die Beklagte eine Vergütung des Klägers nach der ES 15 als zutreffend und rechnete das Arbeitsverhältnis ab Februar 2024 entsprechend ab. Während sich die Vergütung nach der ES 18 im Februar 2024 inklusive des Altersteilzeitzuschlages auf 4.450,40 EUR brutto belief, betrug das Bruttoentgelt gemäß ES 15 einschließlich des Zuschlages auf nur 3.798,80 EUR. Für die Monate Oktober 2023 bis Januar 2024 forderte die Beklagte die Differenz zwischen der gewährten ES 18 und der nunmehr als zutreffend erachteten ES 15 in Höhe von insgesamt 1.739,36 EUR zurück und behielt hiervon bis einschließlich Mai 2024 579,80 EUR netto von der Vergütung des Klägers ein.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass seine Vergütung nach ES 18 einer für ihn passenden betriebsüblichen Entwicklung entspreche. Ohne seine Freistellung für das Betriebsratsamt hätte er sich mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit entsprechend entwickelt. Dazu hat der Kläger im Verfahren vor dem Arbeitsgericht eine Vergleichsgruppe von neun Mitarbeitern benannt, die zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme Anfang Mai 1994 mit ihm als ausgebildeten Werkzeugbauer und im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit vergleichbar gewesen seien. Diese hätten sich seither mindestens bis in die ES 18 weiterentwickelt. Im Einzelnen hätten sich zwei Mitarbeiter in die ES 18, eine Mitarbeiterin in die ES 19, fünf Mitarbeiter in die ES 20 und ein Mitarbeiter sogar in die ES 32 entwickelt (vgl. Bl. 12 f. d. erstinstanzlichen Akte). Der Kläger hat zudem die Ansicht vertreten, die von der Beklagten wegen des Verstoßes gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG geltend gemachte Rückforderung überzahlter Vergütung scheitere bereits an § 817 BGB.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger nach Entgeltstufe 18 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 05.03.2018 in der Fassung vom 01.05.2021 zu vergüten und die Bruttozahlungsbeträge gemäß § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen;

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 651,50 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2024 zu zahlen;

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 579,80 EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.06.2024 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, den Kläger treffe die Darlegungs- und Beweislast für die von ihm als zutreffende erachtete Vergütung nach der ES 18. Bei einem Verstoß der gewährten Vergütung gegen das in § 78 S. 2 BetrVG normierte Begünstigungsverbot könne sich der Kläger nicht auf einen etwaigen Vertrauensschutz berufen.

Die Beklagte hat vorgetragen, es habe am 01.01.2002 insgesamt 202 Arbeitnehmer am Standort B. gegeben, die als Werkzeugmacher mit dem Kläger vergleichbar und wie er zum damaligen Zeitpunkt in die ES 12 eingruppiert gewesen seien. Da zum 01.01.2002 ein neues Datenerfassungssystem installiert worden sei, habe sie keinen Zugriff mehr auf ältere Daten. Von dieser auf den Stichtag 01.01.2002 gebildeten Vergleichsgruppe seien zwischenzeitlich 65 Mitarbeiter aufgrund Eintritts in das Rentenalter ausgeschieden. Im Folgenden seien nur Werkzeugmacher zu berücksichtigen, die sich in Bezug auf Alter und Betriebszugehörigkeit des Klägers in einem Korridor von weniger und mehr als fünf Jahren bewegten. Von diesen achtzehn verbleibenden Vergleichspersonen, sei der Median weiterhin in der ES 12 eingruppiert. Nur ein Mitarbeiter habe sich als Teamsprecher bis in die ES 15 weiterentwickelt. Somit sei die ES 15 die höchste Entgeltgruppe, die der Kläger als Werkzeugmacher habe erreichen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die vor dem Arbeitsgericht Braunschweig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Mit Urteil vom 05.06.2024 hat das Arbeitsgericht Braunschweig der Klage vollumfänglich stattgeben und zur Begründung zentral darauf abgestellt, dass die Altersteilzeitvereinbarung vom 07.12.2016 so auszulegen sei, dass darin mit dem Kläger eine Vergütung auf Grundlage der jeweils geltenden Entgeltstufe 18 konstitutiv vereinbart worden sei. Ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG sei damit nicht verbunden.

Diese Entscheidung wurde am 10.06.2024 an die Beklagte zugestellt. Die dagegen gerichtete Berufungsschrift der Beklagten ist am 24.06.2024 und die dazugehörige Berufungsbegründung am 12.09.2024 und damit am letzten Tag der bis dahin verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Mit ihrer Berufungsbegründung macht die Beklagte geltend, dass das Arbeitsgericht in seinem Urteil vom 05.06.2024 fehlerhaft davon ausgegangen sei, dass die Altersteilzeitvereinbarung vom 07.12.2016 als konstitutive Vergütungsregelung anzusehen sei. Im Bereich der Festlegung der Vergütung freigestellter Betriebsräte fehle es aufgrund der zwingenden Regelungen aus § 37 Abs. 4 BetrVG und § 78 S. 2 BetrVG an der sonst bestehenden Vertragsautonomie der Parteien zum Abschluss konstitutiver Vergütungsvereinbarungen. Zwar zwinge Ziffer 4.2.1 des TV ATZ die Beklagte zur Aufnahme einer Regelung zur Vergütung in die Altersteilzeitvereinbarung. Die in der Altersteilzeitvereinbarung vom 07.12.2016 genannte Entgeltstufe 18 sei indes nur deklaratorisch in Bezug genommen. Maßgeblich seien allein die unabdingbaren Vorschriften zur Vergütung freigestellter Betriebsräte. Ein anderes Ergebnis könne auch nicht aus den Vorschriften zur AGB-Kontrolle hergeleitet werden. Bei den zwingenden Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zur Vergütungsbemessung von freigestellten Betriebsräten aus § 37 Abs. 4 BetrVG und § 78 S. 2 BetrVG handele es sich um "im Arbeitsrecht geltende Besonderheiten" im Sinne von § 310 Abs. 4 S. 2 BGB.

Entgegen der klägerischen Auffassung sei die grundsätzlich das Betriebsratsmitglied treffende Darlegungs- und Beweislast BetrVG weder aufgrund einer Vergütungsvereinbarung noch nach den Grundsätzen der korrigierenden Rückgruppierung auf die Beklagte übergegangen. Darüber hinaus könne sich der Kläger aus verschiedenen Gründen nicht auf einen etwaigen Vertrauensschutz berufen. Ein derartiger Vertrauensschutz bestehe nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei einem Verstoß gegen das Begünstigungsverbot nach § 78 S. 2 BetrVG ohnehin nicht. Daher trage der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für die Richtigkeit der ihm bisher gezahlten Vergütung nach ES 18.

Die Beklagte habe zu der für den Kläger gebildeten Vergleichsgruppe mit Median-Vergütung in der ES 12 und der Fehlerhaftigkeit der Vergütungserhöhungen in der Vergangenheit ihrerseits hinreichend vorgetragen. Dabei habe sie zugunsten des Klägers sogar die hypothetische Entwicklung zum Teamsprecher berücksichtigt, welche in die ES 15 führe. Anhaltspunkte für eine weitergehende hypothetische berufliche Entwicklung des Klägers seien nicht gegeben.

Durch die allein mögliche Vergleichsgruppenbildung zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt der Systemumstellung am 01.01.2002 werde die betriebsübliche Entwicklung im Rahmen des Möglichen hinreichend abgebildet. Vor dem Hintergrund der Betrachtung eines Zeitraums von mehr als 22 Jahren sei es wenig wahrscheinlich, dass die beiden denkbaren Zeitpunkte (Freistellung des Klägers ab 1994 und Systemumstellung zu 2002) zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen führen würden.

Die Beklagte erläutert noch einmal die von ihr vorgenommene Vergleichsgruppenbildung. Nach weiterer Filterung dieser potenziellen Vergleichsgruppe entlang eines Zeitkorridors von +/-5 Jahren bei Lebensalter und Betriebszugehörigkeit und derselben Qualifikation, wie sie der Kläger als Werkzeugmacher aufweise, verbleibe eine tatsächliche Vergleichsgruppe von 18 Personen, die im Median in der ES 12 vergütet werde. Die Beklagte hält an ihrer Rechtsansicht fest, nach der sie aus datenschutzrechtlichen Gründen weder verpflichtet noch berechtigt sei, die Klarnamen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offenzulegen, aus den sie die für die berufliche Entwicklung des Klägers maßgebliche Vergleichsgruppe gebildet habe. Gleichwohl legt sie in den Anlagen B 11 und B 12 (Bl. 128 f. d. A.) die Namen der Mitarbeiter aus den Vergleichsgruppen jetzt vorsorglich offen.

Schließlich habe das Arbeitsgericht das für die Beklagte bestehende Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung im Falle einer ungerechtfertigt hohen Vergütung des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt. Darin liege zugleich eine Verletzung des Rechts der Beklagten auf rechtliches Gehör. Die Beklagte regt an, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ergänzend wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 12.09.2024 (Bl. 104 ff. d. A.) und deren Schriftsatz vom 29.11.2024 (Bl. 197 ff. d. A.) verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 5. Juni 2024 - Az. 3 Ca 101/24 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit seiner Berufungserwiderung macht der Kläger geltend, dass eine Bindung der Arbeitsgerichtsbarkeit an die Rechtsprechung in einem strafrechtlichen Verfahren nicht gegeben sei. Bei der Bestimmung der Höhe der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder bestünden eigene Bewertungsspielräume der Arbeitsgerichtsbarkeit.

So wie der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür trage, dass ihm eine höhere Vergütung zusteht, trage umgekehrt der Arbeitgeber nach von ihm festgesetzter Vergütung die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass diese Vergütung zu hoch sei. Bei einer einseitigen Reduzierung ihrer Vergütung könnten sich Arbeitnehmer zunächst auf ihr schutzwürdiges Vertrauen in die ursprüngliche Mitteilung der Eingruppierung durch den Arbeitgeber berufen. Dem liege der Gedanke zugrunde, dass davon auszugehen sei, dass die Eingruppierung vom Arbeitgeber sorgfältig und korrekt vorgenommen worden sei. Auch freigestellte Betriebsratsmitglieder dürften darauf vertrauen, dass Vergütungsentwicklungen vom Arbeitgeber korrekt und sorgfältig ermittelt worden seien. Vorliegend sei die Herleitung der Vergütung nebst aller Überlegungen weder den Arbeitnehmern ohne Amt noch den Amtsträgern bekannt. Für Amtsträger sei die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung sogar erschwert, da ihrer Vergütung eine "mittelbare Eingruppierung" auf Basis der Begutachtung der Eingruppierung der Vergleichspersonen mit betriebsüblicher Entwicklung zugrunde liege. Das erwartete Vertrauen in die korrekte und sorgfältige Vornahme dieser mittelbaren Eingruppierung sei noch höher als das Vertrauen, das Arbeitnehmern ohne Freistellung abverlangt werde. Arbeitnehmer ohne Amt könnten zumindest die von ihnen ausgeübte Tätigkeit selbst mit den Tarifvorschriften abgleichen.

Der Altersteilzeitvertrag vom 07.12.2016 regele die dem Kläger zustehende Vergütung konstitutiv. Durch diesen Vertrag sei das Arbeitsverhältnis für die Altersteilzeit auf eine (neue) exakte Basis gestellt worden. Der Altersteilzeitvertrag sei nicht nur von der Beklagten, sondern auch vom Kläger unterzeichnet worden. Dies sei ein grundlegender Unterschied zu den einseitigen Eingruppierungsmitteilungen, die zuvor erfolgt seien.

Mit der nunmehr eingetretenen gesetzlichen Neuregelung sei klar, dass für den Zeitpunkt der Vergleichsgruppenbildung auf die Amtsübernahme und nicht auf einen anderen Zeitpunkt abzustellen sei. Unterlagen über die Vergleichsgruppen selbst müssen bei der Beklagten gemäß der Betriebsvereinbarung und der bei ihr geltenden Regelungen vorgehalten werden. Die Beklagte müsse diese im hiesigen Verfahren vorlegen oder sich mit den Folgen abfinden, die sich daraus ergäben, dass die Beklagte der ihr eigentlich obliegende Darlegungslast nicht gerecht werde.

Ergänzend wird auf die Berufungserwiderung des Klägers vom 28.10.2024 (Bl. 160 ff. d. A.) und dessen Schriftsatz vom 02.12.2024 (Bl. 209 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§ 64 ArbGG) und von der Beklagten frist- und formgerecht eingelegte und begründete (§ 66 ArbGG) Berufung ist zulässig aber unbegründet.

I.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Kläger weiterhin nach der ES 18 zu vergüten ist. Somit ist auch der Bruttodifferenzbetrag zu dem von der Beklagten für den Monat Februar 2024 reduzierten Entgelt nach der ES 15 zu nachzuzahlen. Die infolge der von der Beklagten für die Zeit von Oktober 2023 bis Januar 2024 auf Grundlage der ES 15 geltend gemachten Rückforderung vorgenommenen Verrechnungen über insgesamt 579,80 EUR netto sind wieder auszuzahlen. Die ausgeurteilten Verzugszinsen rechtfertigen sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB, da § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der Volkswagen AG bestimmt die Fälligkeit auf den jeweils letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats festlegt.

1.

Der Kläger konnte darlegen, dass seine berufliche Entwicklung in die ES 18 einer bei der Beklagten "betriebsüblichen beruflichen Entwicklung" entsprach.

a.

Nach § 37 Abs. 4 Satz BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrates einschließlich eines Zeitraumes von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass Mitglieder des Betriebsrates weder in wirtschaftlicher, noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden. Die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds darf daher während der Dauer seiner Amtszeit in Relation zu derjenigen vergleichbare Arbeitnehmer nicht zurückbleiben. Vergleichbar im Sinne von § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeübt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren. Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Amtsübernahme für die Bildung von Vergleichsgruppen inzwischen mit Wirkung zum 25.07.2024 durch die gesetzliche Neufassung von § 37 Abs.4 S. 3 BetrVG klargestellt worden ("Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt."). Üblich ist eine Entwicklung, die ausgehend vom Zeitpunkt der Amtsübernahme vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben. Eine Üblichkeit entsteht aufgrund gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers und einer von ihm aufgestellten Regel. Dabei muss der Geschehensablauf so typisch sein, dass aufgrund der Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle mit der jeweiligen Entwicklung gerechnet werden kann. Da § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG konkretisiert, darf die Anwendung der Vorschrift nicht zu einer Begünstigung des Betriebsratsmitgliedes gegenüber anderen Arbeitnehmern führen. Deshalb ist die Übertragung höherwertiger Tätigkeiten nur dann betriebsüblich, wenn diese dem Betriebsratsmitglied nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätten übertragen werden müssen oder die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreicht. Nicht ausreichend ist, dass das Betriebsratsmitglied bei der Amtsübernahme in seiner bisherigen beruflichen Entwicklung einen vergleichbaren Arbeitnehmer vollkommen gleichgestanden hat oder die Besserstellung eines oder mehrerer vergleichbarer Arbeitnehmer auf individuellen, nur auf diese bzw. diesen Arbeitnehmer persönlich zugeschnittenen Gründen beruht (vgl. BAG, 22.01.2020 - 7 AZR 222/19 - Rn. 20 bis 21)

b.

Geht es wie vorliegend zunächst darum, eine betriebsübliche Beförderungspraxis als Voraussetzung einer entsprechenden Gehaltssteigerung darzulegen, hat das Mitglied des Betriebsrates unter Berücksichtigung der zugänglichen Tatsachen vorzutragen, mit welchen Arbeitnehmern es aus seiner Sicht vergleichbar ist und aus welchen Umständen auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit zu schließen ist, dass die Mehrzahl der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer die behauptete Gehaltsentwicklung genommen hat (BAG, 04.11.2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 24). Verfügt das Betriebsratsmitglied wegen der Größe des Betriebes und der Vielzahl vergleichbarer Arbeitnehmer nicht über ausreichend Erkenntnismöglichkeiten, kann es genügen, wenn das Betriebsratsmitglied Referenzfälle schlüssig darlegt, aus denen sich auf eine betriebsübliche Beförderungspraxis in dem Zeitraum seiner Zugehörigkeit zum Betriebsrat schließen lässt (BAG, aaO). Insoweit ist unter Anwendung des im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren geltenden Beiwohnungsgrundsatzes davon auszugehen, dass das Gericht seiner Entscheidung nur die Tatsachen zugrunde legen darf, die die Parteien vorgetragen haben. Übereinstimmend Vorgetragenes und Zugestandenes ist grundsätzlich ohne Beweisaufnahme zu übernehmen, §§ 138 Abs.3, 288 ZPO (vgl. BAG, 24.03.1993 - 2 AZR 21/82 - Rn. 32). Zudem sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast zu berücksichtigen. Ist der darlegungspflichtigen Partei ein näheres Vorbringen zu den erforderlichen Tatsachen nicht möglich oder zumutbar, während der bestreitende Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und die nähere Angaben zuzumuten sind, kann von diesem nach dem Grundsatz der sekundären Darlegungslast das substantiierte Bestreiten einer durch die darlegungspflichtige Partei behaupteten Tatsachen unter Darlegung der für das Gegenteil sprechende Tatsachenumstände und damit der Vortrag positiver Gegenangaben verlangt werden. Kommt der sekundär Darlegungsverpflichtete seiner Vortragslast nicht nach, gilt die Behauptung des primär Darlegungspflichtigen im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BAG 20.03.2024 - 4 AZR 142/23 - Rn. 68).

c.

Hier hat der Kläger bereits in der Klagschrift vom 11.03.2024 auf Seite 10 und 11 bezogen auf den rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt seiner erstmaligen Freistellung anlässlich der Übernahme des Betriebsratsamtes Anfang Mai 1994 eine Vergleichsgruppe aus acht Arbeitnehmern und einer Arbeitnehmerin gebildet, die - mit Ausnahme der Arbeitnehmerin - alle wie der Kläger selbst ursprünglich den Ausbildungsberuf des Werkzeugmachers erlernt haben und anschließend ebenfalls im Bereich des Werkzeugbaus tätig geworden sind. Die Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe weisen als Einstellungsdatum Anfang August/September 1976 bzw. 1977 auf. Lediglich der Arbeitnehmer M. B. weist mit dem 01.09.1983 ein etwas späteres Einstellungsdatum auf. Insoweit sind diese acht Arbeitnehmer mit dem Kläger vergleichbar, der zum 01.08.1976 seine Ausbildung zum Werkzeugmacher bei der Beklagten begonnen hat.

Soweit der Kläger in die von ihm gebildete Vergleichsgruppe als neunte Person Frau C. R. (Eintrittsdatum: 01.09.1986) einbezogen hat, war diese Arbeitnehmerin aus Rechtsgründen aus der Vergleichsbetrachtung auszusparen, weil die Arbeitnehmerin R. - anders als der zum Werkzeugmacher ausgebildete Kläger - eine Ausbildung zur Werkzeugmechanikerin Stanz- und Umformtechnik absolviert hat. Die Ausbildung zum Werkzeugmechaniker mit der Fachrichtung Stanz- und Umformtechnik ist moderner und - auf die Anforderungen der Beklagten gesehen - spezialisierter. Sie ist insofern mit der Ausbildung des Klägers zum Werkzeugmacher nur eingeschränkt vergleichbar.

Die verbleibenden acht Arbeitnehmer der vom Kläger gebildeten Vergleichsgruppe haben - zum Teil nach umfänglichen Weiterqualifizierungen (z.B. zum "Industriemeister" oder "Techniker Maschinenbau") - in zwei Fällen die ES 18, in fünf Fällen die ES 20 und in einem Fall sogar die ES 32 erreicht. Auch der Kläger hat durch die vorgelegten Belege seine kontinuierlich bestehende Bereitschaft zur Fort- und Weiterbildung belegt. Dass es ihm nicht möglich war, die aufwändige Fortbildung zum Industriemeister oder Techniker durchzuführen, ist auf seine schon Anfang Mai 1994 erfolgte Freistellung als Betriebsratsmitglied zurückzuführen. Damit hat der Kläger schlüssig dargelegt, dass seine von der "Kommission Betriebsratsvergütung" in die ES18 fortgeschriebene berufliche Entwicklung einer bei der Beklagten "betriebsüblichen beruflichen Entwicklung" entspricht.

Im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 02.05.2024 vorgetragen, die von dem Kläger benannten Vergleichspersonen befänden sich weder unter den potentiellen Vergleichspersonen (Anlage B 3) noch in der letztlich festgelegten Vergleichsgruppe (Anlage B 4), da diese Personen zum von der Beklagten gewählten Betrachtungszeitpunkt am 01.01.2002 nicht als Werkzeugmacher in der ES 12 tätig gewesen seien. Konkreter bzw. substantiierter hat die Beklagte zu der von Kläger gebildeten achtköpfigen Vergleichsgruppe nicht vorgetragen. Dabei hat die Beklagte - rechtlich gesehen - den falschen Beurteilungsstichtag gewählt: Anfang 2020 befand sich der Kläger schon seit fast acht Jahren in der Freistellung als Betriebsratsmitglied. Die von ihm zutreffend benannten acht Vergleichspersonen hatten bis Anfang 2002 fast acht Jahre Zeit, Berufungserfahrung im Beruf des Werkzeugmachers zu sammeln und ggf. eine berufsbegleitende Fortbildung zum Industriemeister oder Techniker Maschinenbau zu beginnen oder sogar schon abzuschließen.

Die Ablösung des vormaligen Personaldaten-Informationssystems ("Pedatis") entbindet die Beklagte rechtlich nicht von der Pflicht und tatsächlich nicht von der Möglichkeit, sich detailliert zur Vergleichbarkeit der Laufbahnen der vom Kläger benannten acht Vergleichspersonen zu erklären. Die allein von der Beklagten entschiedene und zu verantwortende Ablösung von "Pedatis" stellt auch keinen "sachlichen Grund für eine spätere Neubestimmung" der Vergleichsgruppen i.S.d. Neufassung von § 37 Abs. 4 S. 3 BetrVG dar. Ein solcher "sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung" müsste sich aus der beruflichen Entwicklung des (freigestellten) Betriebsratsmitglieds oder Besonderheiten der beruflichen Entwicklung der ursprünglich gebildeten Vergleichsgruppe ableiten lassen. Eine bloß technische Modifikation der Mittel, mit denen die Personalverwaltung erfolgt, rechtfertigt keinen materiellen Eingriff die Schutzvorschrift des § 37 Abs. 4 BetrVG. Die stattdessen von der Beklagten vorgenommene Bildung einer völlig neuen Vergleichsgruppe mit am Ende 18 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum falschen Zeitpunkt (01.01.2002) ist daher für die Beklagte unbehelflich.

2.

Daneben hinaus stützt das Gericht seine Entscheidung selbständig tragend darauf, dass die Beklagte nicht darlegen konnte, dass die dem Kläger von der Beklagten ursprünglich zugebilligte Vergütung nach ES 18 eine Begünstigung i.S.v. § 78 S. 2 BetrVG darstellt.

a.

Zwar trägt grundsätzlich das Betriebsratsmitglied, das den Arbeitgeber auf die Zahlung einer höheren Vergütung aus § 611 a Abs. 2 BGB iVm. § 78 S.2 BetrVG in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (vgl. etwa BAG, Urt. v. 25. Juni 2014 - 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209 Rn. 36 mwN). Das Betriebsratsmitglied hat in diesem Fall darzulegen, dass es ohne das Betriebsratsamt die behauptete berufliche Entwicklung tatsächlich genommen hätte. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach die Nichtberücksichtigung eines Betriebsratsmitglieds bei einer Beförderung auf dessen Betriebsratstätigkeit beruht. Daher ist weder Raum für eine entsprechende tatsächliche Vermutung noch für die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Auch die Beweislastregel des § 22 AGG ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Es kommen aber die Grundsätze über die abgestufte Darlegungs-, Einlassungs- und Beweislast zur Anwendung. Will der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderung einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten (vgl. BAG, Urt. v. v. 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19, NZA 2020, 594 Rn. 31 mwN): Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist (BAG, Urt. v. 4. November 2015 - 7 AZR 972/13, NZA 2016, 1339 Rn. 31; BAG, Urt. v. 27. Juni 2001 - 7 AZR 496/99, NZA 2002, 106 [zu B II 1 b aa] mwN). Hat sich ein freigestellter Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation in Folge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (vgl. BAG, Urt. v. 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864 Rn. 24 mwN). Nicht ausreichend ist es dagegen, dass lediglich eine "Beförderungschance" dargelegt wird (vgl. BAG, Urt. v.14. Juli 2010 - 7 AZR 359/09, NJOZ 2011, 272 Rn. 25; BAG, Urt. v. 11. Dezember 1991 - 7 AZR 75/91, NZA 1993, 909 [zu II 2 b]), eine Beförderung ohne Betriebsratsamt möglich oder das Betriebsratsmitglied grundsätzlich für die Stelle geeignet und vom Arbeitgeber zu einer Bewerbung aufgefordert worden ist (BAG, Urt. v. 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864, Rn. 28). Eine Praxis, nach der andere Betriebsratsmitglieder regelmäßig ohne Rücksicht auf das Vorhandensein einer konkreten Stelle befördert wurden, genügt ebenfalls nicht, weil aus einer rechtswidrigen Handhabung keine Rechte hergeleitet werden können (Jacobs, RdA 2023, 193, 201; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 7. August 2024 - 8 Sa 18/24 -, Rn. 53, juris).

Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend macht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung verstoße gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S.2 BetrVG. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf eine unzulässige Begünstigung ermöglicht (BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 44; BGH 13. Januar 1983 - III ZR 88/81 - Rn. 23); auch dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der sich auf einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz beruft, diesen beweisen muss (BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - a.a.O.) Solange somit eine höhere Vergütung zwischen den Parteien im Streit und noch nicht durch den Arbeitgeber zugesagt ist, trägt deshalb das Betriebsratsmitglied die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG; möchte der Arbeitgeber, der eine höhere Vergütung zugesagt hat, sich von dieser unter Berufung auf einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG wieder lösen, so muss er den Verstoß gegen das Verbotsgesetz darlegen und beweisen (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 1. Juli 2024 - 1 Sa 636/23 -, Rn. 33, juris).

b.

Mit Schreiben vom 26.05.2005 wurde dem Kläger mitgeteilt: "Die Kommission Betriebsratsvergütung hat Ihr Arbeitsentgelt entsprechend der mit Ihnen vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher Entwicklung gem. § 37 IV BetrVG der Entgeltstufe 18 angepasst. Ihr Vergütung ab dem 01.07.2005 beträgt daher 4.447,00 EUR." (Bl. 139 d. erstinstanzlichen Akte). Nach ihrem eigenen Bekunden hat die namens und im Auftrage der Beklagten gebildete Kommission die von § 37 Abs. 4 BetrVG vorgegebenen rechtlichen Maßstäbe zur Anwendung gebracht und entsprechende Vergleichsgruppen gebildet. Weder für den Kläger noch für das Gericht ist mit letzter Sicherheit feststellbar, ob die Beklagten die konkreten Überlegungen zur Bildung von Vergleichsgruppen, die den Kläger in die ES 18 geführt haben, nicht (mehr) vorlegen kann oder nicht vorlegen will. Beide Sachverhaltsvarianten führen aber nach der unter I.2.a. der Entscheidungsgründe dargelegten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast dazu, dass eine Begünstigung des Klägers durch Zahlung der ES 18 nicht belegt ist. Nicht der Kläger hat sich eine Vergütung nach ES 18 "genehmigt", sondern die Beklagte hat sie ihm zugewiesen. Für den Kläger stellt sich das Wirken der "Kommission Betriebsratsvergütung" als "black box" dar. Unzulänglichkeiten in der Dokumentation der Tätigkeit dieser Kommission gehen nicht zu Lasten des Klägers, sondern zu Lasten der Beklagten. Dabei fließt zugleich in die Betrachtung ein, dass der Kläger mit der ihm in der in der Klagschrift vom 11.03.2024 auf Seite 10 und 11 bezogen auf den rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt seiner erstmaligen Freistellung anlässlich der Übernahme des Betriebsratsamtes Anfang Mai 1994 eine Vergleichsgruppe aus acht Arbeitnehmern gebildet hat, die eine betriebsübliche berufliche Entwicklung bis in die ES 18 schlüssig abbildet. Es verleibt für den Kläger bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2025 bei einer Vergütung nach ES 18.

II.

Die Kosten der von ihr erfolglos eingelegten Berufung sind gem. § 97 ZPO von der Beklagten zu zahlen.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Ziff. 1. und 2. ArbGG zuzulassen, da die Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten im Bereich der §§ 37 Abs. 4 und § 78 S. 2 BetrVG höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt ist und die Kammern des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zur dieser Rechtsfrage unterschiedliche Positionen vertreten und divergierend entschieden haben.