Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.04.2025, Az.: 8 PS 43/25

Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts i.R.d. Zuerkennung der Asylberechtigung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.04.2025
Aktenzeichen
8 PS 43/25
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2025, 13883
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2025:0417.8PS43.25.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 01.04.2025 - AZ: 2 B 72/25

Redaktioneller Leitsatz

Die Vorschrift des § 53 VwGO enthält keine Regelung, nach welchen materiellen Kriterien das zuständige Gericht zu bestimmen ist. Die Entscheidung ist daher nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zu treffen und hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren. Hierbei können Aspekte wie etwa die örtliche Nähe eines Gerichts für die Beteiligten berücksichtigt werden.

Tenor:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Braunschweig bestimmt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Zuerkennung der Asylberechtigung.

Der am ... 2025 in der Bundesrepublik Deutschland (Braunschweig) geborene Antragsteller besitzt sowohl die Staatsangehörigkeit der Republik Moldau als auch die der Türkei. Am 19. Februar 2025 wurde aufgrund der Antragsfiktion des § 14a Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) mit Eingang des Schreibens der Ausländerbehörde vom 7. Februar 2025 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) für ihn ein Asylantrag als gestellt erachtet.

Den Asylantrag des Vaters des Antragstellers lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 19. Februar 2025 ab; die hiergegen gerichtete Klage ist bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig unter dem Aktenzeichen 5 A 164/25 anhängig. Die Asylanträge der Mutter sowie der Geschwister des Antragstellers waren mit Bescheid des Bundesamtes vom 17. Juni 2024 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Seine Mutter und Geschwister haben ebenfalls bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig Klage erhoben, welches den entsprechenden Eilantrag mit Beschluss vom 8. Juni 2024 abgelehnt hat (8 B 301/24).

Mit Bescheid vom 14. März 2025 lehnte das Bundesamt die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1. bis 3.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4.), ordnete die Abschiebung in die Republik Moldau oder in die Türkei an (Ziffer 5.), ordnete ferner das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristete dieses auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise (Ziffer 6.) und ordnete schließlich das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 7.).

Der Antragsteller hat am 24. März 2025 - der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 14. März 2025 folgend - bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg Klage erhoben und dort zugleich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat mit Beschluss vom 1. April 2025 das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht angerufen und beantragt, das innerhalb der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit örtlich zuständige Gericht zu bestimmen. Den Beteiligten ist hinsichtlich dieses Antrags Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, wovon sie keinen Gebrauch gemacht haben.

II.

1. Die Anrufung des Oberverwaltungsgerichts ist zulässig. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch das Oberverwaltungsgericht sind erfüllt, weil sich der Gerichtsstand nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen.

Hier ist eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz streitgegenständlich. Nach § 52 Nr. 2 Satz 3, 1. Halbsatz VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 52 Nr. 2, 2. Halbsatz VwGO in Verbindung mit § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO nach dem Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der Betreffende seinen Wohnsitz hat. Da der Antragsteller seinen Wohnsitz in A-Stadt (Landkreis E.) hat und der Landkreis E. in das Zuständigkeitsgebiet des Verwaltungsgerichts Braunschweig fällt (§ 73 Abs. 2 Nr. 1 des Niedersächsischen Justizgesetzes - NJG -), ist nach dem Aufenthalt bzw. Wohnsitz des Antragstellers das Verwaltungsgericht Braunschweig das für sein Asylbegehren örtlich zuständige Gericht.

Eine hiervon abweichende örtliche Zuständigkeit ergibt sich in Anwendung der Regelung des § 52 Nr. 2 Satz 4 VwGO, die mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 in das Gesetz aufgenommen worden ist (vgl. BGBl. I S. 1722) vor dem Hintergrund, dass die ebenfalls mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 geschaffene Vorschrift des § 83 Abs. 3 AsylG es den Landesregierungen ermöglicht, durch Rechtsverordnung einem Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte Streitigkeiten nach dem Asylgesetz hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zuzuweisen, sofern dies für die Verfahrensförderung dieser Streitigkeiten sachdienlich ist. Soweit das Bundesland, in dem der Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat, von der Möglichkeit nach § 83 Abs. 3 AsylG Gebrauch gemacht - also Zuständigkeitskonzentrationen bei bestimmten Verwaltungsgerichten geschaffen - hat, ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das nach dem jeweiligen Landesrecht für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz betreffend den Herkunftsstaat des Ausländers zuständig ist (§ 52 Nr. 2 Satz 4 VwGO). Das Land Niedersachsen hat von der Ermächtigung des § 83 Abs. 3 Satz 1 AsylG Gebrauch gemacht, indem das Niedersächsische Justizministerium gemäß § 83 Abs. 3 Satz 2 AsylG in Verbindung mit § 1 Nr. 61 der Subdelegationsverordnung-Justiz die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) vom 15. Juli 2024 mit Wirkung vom 1. September 2024 durch Einfügung des neuen § 43 ZustVO-Justiz dahingehend geändert hat, dass nunmehr für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz in Abhängigkeit vom Herkunftsstaat des Ausländers das Verwaltungsgericht Lüneburg (konzentriert) zuständig ist für die Verwaltungsgerichtsbezirke Braunschweig, Göttingen und Lüneburg u. a. hinsichtlich sicherer Herkunftsstaaten nach § 29a Abs. 2 AsylG, zu denen die Republik Moldau gehört (vgl. Anlage II zu § 29a AsylG). Demnach ist aufgrund des Umstandes, dass der Antragsteller die Staatsangehörigkeit der Republik Moldau besitzt, unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeitskonzentration nach § 52 Nr. 2 Satz 4 VwGO das Verwaltungsgericht Lüneburg das für ihn örtlich zuständige Gericht. Für Ausländer aus dem Herkunftsstaat Türkei, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller ebenfalls besitzt, trifft § 43 ZustVO-Justiz indes keine Regelung, so dass es bei der oben dargestellten allgemeinen Regelung verbleibt, also nach dem Aufenthalt bzw. Wohnort des Antragstellers das Verwaltungsgericht Braunschweig örtlich zuständig ist.

Demensprechend kommen hier verschiedene Verwaltungsgerichte - herkunftsstaatsunabhängig das Verwaltungsgericht Braunschweig und herkunftsstaatsabhängig das Verwaltungsgericht Lüneburg - als örtlich zuständige Gerichte gemäß § 52 VwGO in Betracht.

2. Die Vorschrift des § 53 VwGO enthält keine Regelung, nach welchen materiellen Kriterien das zuständige Gericht zu bestimmen ist. Die Entscheidung ist daher nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zu treffen und hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.3.2009 - 7 AV 1.09 u. a. -, juris Rn. 3; Beschl. v. 18.4.2019 - 2 AV 1.19 -, juris Rn. 16; Beschl. v. 27.2.2023 - 5 AV 1.22 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 30.5.2023 - 10 AV 2.23 -, juris Rn. 4; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.3.2003 - 8 PS 37/03 -, juris Rn. 15; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.4.2020 - 11 S 25/20 -, juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.3.2025 - 5 F 11/25 -, juris Rn. 10). Hierbei können Aspekte wie etwa die örtliche Nähe eines Gerichts für die Beteiligten berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.3.2009 - 7 AV 1.09 -, juris Rn. 3; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.4.2020 - 11 S 25/20 -, juris Rn. 10; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.9.2024 - 8 PS 103/24 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.3.2025 - 5 F 11/25 -, juris Rn. 3).

Mit Blick auf das Gebot effektiver und sachgerechter Verfahrensdurchführung sowie den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit ist es angezeigt, das Verwaltungsgericht Braunschweig als das zuständige Gericht zu bestimmen. Denn in dessen Bezirk hat der Antragsteller seinen Wohnsitz (zu nehmen) bzw. haben seine Eltern ihren Wohnsitz. Außerdem führen seine Eltern und Geschwister asylrechtliche Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig. Angesichts dessen, dass die Regelung des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO eine gewisse Ortsnähe der Verwaltungsgerichtsbarkeit gewährleisten will und damit auf die Gewährung eines möglichst "heimatnahen" Rechtsschutzes gerichtet ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.6.2020 - 6 AV 3.20 -, juris Rn. 7; Beschl. v. 27.2.2023 - 5 AV 1.22 -, juris Rn. 3), hat der Senat das Verwaltungsgericht Braunschweig als das für den Antragsteller heimatnähere der beiden in Betracht kommenden Gerichte als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).