Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.01.2025, Az.: 2 OAus 68/24
Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Feststellung der Unzulässigkeit der Auslieferung eines straffällig gewordenen Verfolgten an einen Nicht-EU-Staat
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 06.01.2025
- Aktenzeichen
- 2 OAus 68/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 10031
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2025:0106.2OAUS68.24.00
Rechtsgrundlage
- § 29 Abs. 1 IRG
Amtlicher Leitsatz
Das Oberlandesgericht ist auch im Auslieferungsverkehr mit Staaten außerhalb der Europäischen Union zu einer Entscheidung über die Auslieferung gemäß § 29 IRG berufen, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung des Verfolgten für nicht bewilligungsfähig hält und eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung beantragt (Anschluss OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.03.2022 - 2 AR 46/21; OLG München, Beschluss vom 09.04.2021 - 1 AR 285/20).
In dem Auslieferungsverfahren
gegen den türkischen Staatsangehörigen
A. A.,
geboren am ...,
wohnhaft ...,
- Rechtsbeistand: Rechtsanwalt J. T. R., H.,
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Landgericht XXX am 6. Januar 2025 beschlossen:
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten an die Ukraine zum Zwecke der Strafverfolgung wegen des dem Interpol-Mitfahndungsersuchen (Rotecke) der ukrainischen Justizbehörden vom 30.08.2023 (Control No.: ..., File No.: ...) zugrunde liegenden Tatvorwurfs des in der Zeit vom 15.-17.06.2019 in K. und an anderen Orten in der Ukraine gemeinsam mit weiteren Tätern begangenen unerlaubten Besitzes und Transports von Betäubungsmitteln (Heroin) zum Zwecke des späteren Verkaufs ist unzulässig.
Gründe
I.
Die Justizbehörden der Ukraine betreiben im Rahmen eines Interpol-Mitfahndungsersuchens (Rotecke) vom 30.08.2023 die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Dem liegt der nationale Haftbefehl des Bezirksgerichts Kyjiw vom 29.01.2021 (Aktenzeichen: 757/4745/21-k) zu Grunde. Ausweislich der Angaben in der Fahndungsausschreibung wird dem Verfolgten in dem Haftbefehl zur Last gelegt, im Zeitraum vom 15.-17.06.2019 gemeinsam mit weiteren Tätern eine große Menge Betäubungsmittel (Heroin) zum Zwecke des Verkaufs unerlaubt besessen und transportiert zu haben. Das Tatgeschehen wird in der Ausschreibung wie folgt beschrieben:
Der Verfolgte reiste am 15.06.2019 gemeinsam mit dem C. A. in dem Pkw Audi Q7, amtliches Kennzeichen: BSCQ 249, über den Grenzübergang Y. in die Ukraine ein. Beide fuhren anschließend in dem Fahrzeug weiter bis nach Kyjiw. Dort stellten sie das Fahrzeug auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums "H." im Bereich des ... ab. Im Zeitraum vom 16.06.2019, 10.55 Uhr, bis zum 17.06.2019, 00.37 Uhr, verstauten der T. F. und ein weiterer unbekannter Täter insgesamt 14,9 kg Heroin, in 45 Päckchen aufgeteilt, in dem Fahrzeug. Anschließend fuhren sie mit dem Fahrzeug in die Nähe des Hotels "A." in der E. str. XX in K. und stellten es dort ab. Im weiteren Verlauf des 17.06.2019 begaben sich der Verfolgte und der C. A. zu dem Abstellort und fuhren mit dem Fahrzeug davon, um die Betäubungsmittel über die ukrainische Grenze zu verbringen und anschließend zum Zwecke des späteren Verkaufs weiter zu transportieren.
Das Tatgeschehen ist gemäß Art. 307 Abs. 3 des ukrainischen Strafgesetzbuchs mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 12 Jahren bedroht.
Der Verfolgte wurde aufgrund der Fahndungsausschreibung am 24.07.2024 in H. vorläufig festgenommen. Bei seiner am gleichen Tag im Beisein seines Rechtsbeistands erfolgten mündlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Hannover hat er der Auslieferung widersprochen und geltend gemacht, wegen der ihm von den ukrainischen Justizbehörden zur Last gelegten Tat bereits in Deutschland rechtskräftig verurteilt worden zu sein. Im Ergebnis der Anhörung erließ das Amtsgericht gegen den Verfolgten eine Festhalteanordnung nach § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG. Anschließend wurde der Verfolgte in die Justizvollzugsanstalt H. aufgenommen.
Vor dem Hintergrund eines in Betracht kommenden Auslieferungshindernisses wurde der Verfolgte auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft am 25.07.2024 aus der Haft entlassen. Seitdem befindet er sich auf freien Fuß.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Auslieferung des Verfolgten an die Ukraine wegen des Auslieferungshindernisses des Verbots der Doppelbestrafung für unzulässig und hat unter dem 23.12.2024 beantragt, die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.
II.
Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, war festzustellen, dass eine Auslieferung des Verfolgten an die Ukraine zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm in dem Interpol-Mitfahndungsersuchen (Rotecke) der ukrainischen Justizbehörden vom 30.08.2023 (Control No.: ..., File No.: ...) vorgeworfenen Tat unzulässig ist.
1.
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgt aus § 29 Abs. 1 IRG. Der Senat ist zur Entscheidung über den Antrag und zur Feststellung der Unzulässigkeit der Auslieferung berufen.
a)
Für den Bereich des Auslieferungsverkehrs mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass eine gerichtliche Entscheidung auch in dem Fall erforderlich ist, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung für unzulässig hält, hieran aber aufgrund ihrer bestehenden Weisungsabhängigkeit gehindert ist (vgl. BGH, Beschl. v. 18.08.2022 - 4 ARs 13/21 -, juris).
b)
Bzgl. des Auslieferungsverkehrs mit einem Drittstaat folgt der Senat der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Brandenburg und München (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.03.2022 - 2 AR 46/21 -, juris; OLG München, Beschl. v. 09.04.2021 - 1 AR 285/20 - juris), wonach auch in den hier auftretenden Konstellationen der von der Generalstaatsanwaltschaft als unzulässig angesehenen Auslieferung auf Antrag eine gerichtliche Entscheidung nach § 29 Abs. 1 IRG zu treffen ist. Entgegen der in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Riegel in: Schaumburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6 Aufl. 2020, § 29 IRG Rd. 5) ergibt sich das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft daraus, dass der Verfolgte, der kein eigenes Antragsrecht hat, nicht als reines Objekt internationalen Rechts behandelt werden darf und einen Anspruch auf Rechtssicherheit hat. Dieser Anspruch folgt (indirekt) aus der Rechtsschutzfunktion des § 29 IRG, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Zweck der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung im förmlichen Auslieferungsverfahren der präventive Rechtsschutz des Verfolgten. Dieser soll sich im Rahmen des gerichtlichen Zulässigkeitsverfahrens vor staatlichen Eingriffen in seine grundrechtlich geschützten Interessen zur Wehr setzen können (vgl. OLG Brandenburg, aaO, unter Verweis auf BVerfGE 113, 273, 312 [BVerfG 18.07.2005 - 2 BvR 2236/04]; Riegel in Schomburg/Lagodny, 6. Aufl., 2020, § 29 IRG Rn. 2). Da der Verfolgte mangels eines eigenen Antragsrechts Rechtssicherheit mit verfahrensabschließender Außenwirkung gegenüber dem ersuchenden Staat selbst nicht herbeiführen kann, ist er insoweit auf einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf gerichtliche Entscheidung nach § 29 Abs. 1 IRG angewiesen (vgl. § 77 IRG i.V.m. § 296 Abs. 2 StPO). Eine solche Verfahrensweise trägt zudem dem Gesichtspunkt der "(außen)-politischen Rückendeckung" für die Bewilligungsbehörde Rechnung, indem sich der ersuchte Staat bei einer Ablehnung der Auslieferung gegebenenfalls auf eine die Exekutive bindende Entscheidung der Judikative berufen kann (vgl. OLG Brandenburg, aaO).
Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit beruht vorliegend darauf, dass das Bundesamt für Justiz als zuständige Bewilligungsbehörde gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft erklärt hat, dass nach dortiger Auffassung die Prüfung der Bewilligungsfähigkeit des Auslieferungsersuchens der ukrainischen Justizbehörden im Hinblick auf das in Betracht kommende Auslieferungshindernis des Verbots der Doppelbestrafung nicht durch die Bewilligungsbehörde, sondern im Zulässigkeitsverfahren nach § 29 Abs. 1 IRG, mithin durch das Oberlandesgericht zu erfolgen habe. Angesichts dessen würde, wenn der Senat das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 29 Abs. 1 IRG verneinen und eine Entscheidung ablehnen würde, die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten und eines entgegen stehenden Zulässigkeitshindernisses in einem ungeklärten Schwebezustand verbleiben. Die hieraus folgende Rechtsunsicherheit kann nur mit der sowohl im Interesse des Verfolgten und auch der am Auslieferungsverfahren beteiligten innerstaatlichen Behörden liegenden Interesse liegenden gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 IRG beseitigt werden.
2.
Die Auslieferung des Verfolgten an die Ukraine beurteilt sich nach den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 (EuAlÜbK) und ergänzend nach den Regelungen des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG).
Der Zulässigkeit der Auslieferung steht das aus Art. 9 Satz 1 EuAlÜbK und § 9 Nr. 1 IRG folgende Auslieferungshindernis des Verbots der Doppelbestrafung entgegen. Denn der Verfolgte wurde wegen des in dem Interpol-Mitfahndungsersuchen der ukrainischen Justizbehörden und in dem zugrunde liegenden nationalen Haftbefehl des Bezirksgerichts Kyjiw vom 29.01.2021 (Az. 757/4745-21-k) erhobenen Tatvorwurfs bereits in Deutschland vom Landgericht Hannover (Az. 40 KLs 6051 Js 20302/21-9/21) durch rechtskräftiges Urteil vom 21.04.2022 wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Heroin) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten auf Bewährung verurteilt. Unter Zugrundelegung der in den Urteilsgründen zum abgeurteilten Tatgeschehen getroffenen Feststellungen besteht insoweit eine Tatidentität mit der dem Verfolgten von den ukrainischen Justizbehörden zur Last gelegten Tat.
Nach alledem war die Auslieferung des Verfolgten an die ukrainischen Justizbehörden zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in Rede stehenden Tat für unzulässig zu erklären.