Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.11.2024, Az.: 10 SLa 225/24
Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie für einen Beschäftigten in Altersteilzeit im Blockmodell
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 05.11.2024
- Aktenzeichen
- 10 SLa 225/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 27561
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei der Inflationsausgleichsprämie als Einmalzahlung handelt es sich nicht um eine reine Sozialleistung, sondern um einen Entgeltbestandteil.
- 2.
Es stellt keine Ungleichbehandlung dar, die Verdienstgrenze, oberhalb derer ein Anspruch auf die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie nicht besteht, für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer Arbeitsleistung abzusenken.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 7. Februar 2024 - 3 Ca 391/23 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt 1.000 Euro.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie.
Die Klägerin ist Arbeitnehmerin der Beklagten. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di, die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Telekommunikation und IT e.V. Für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis 30. November 2028 vereinbarten die Parteien Altersteilzeit im Blockmodell. Seit dem 1. Dezember 2020 befindet sich die Klägerin in der Arbeitsphase, als deren Endpunkt der 30. November 2024 vorgesehen ist. Im Jahre 2022 bezog sie (ohne Berücksichtigung von Aufstockungsleistungen) eine Jahresvergütung in Höhe von 38.725,90 Euro brutto.
Die Beklagte ist eine sogenannte tarifierte Gesellschaft der Deutschen Telekom und als solche in der Anlage zum "Ergebnis der Gespräche über die Zahlung eines Energiegeldes bzw. einer Inflationsausgleichsprämie zwischen der Deutschen Telekom und der Gewerkschaft ver.di" genannt. Diese Vereinbarung (Bl. 116 bis 118 d.A. I. Instanz) lautet, soweit vorliegend von Belang:
In den tarifierten Gesellschaften der Deutschen Telekom in Deutschland (siehe Liste unten) erhalten
die ... tariflichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ..., deren Jahresfestentgeltanspruch ... auf Vollzeitbasis*... am 31. Dezember 2022 (Stichtag) einen Betrag von 75.000* Euro brutto ... nicht übersteigt, mit der Entgeltabrechnung März 2023 eine Einmalzahlung in Höhe von 1.000 €.
*ATZ: anteiliges ... Jahresfestentgelt von nicht mehr als 37.500 €
Voraussetzung ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Stichtag dem Geltungsbereich des ERTV unterfallen und im Auszahlungszeitpunkt in einem ungekündigten und aktiven Arbeitsverhältnis (Anspruch auf regelmäßiges Monatsentgelt, Urlaubsvergütung oder Krankenvergütung) zur jeweiligen Gesellschaft stehen.
Teilzeitarbeitnehmerinnen und Teilzeitarbeitnehmer ... die Einmalzahlung in gleicher Höhe (1.000 €), soweit die oben genannten Voraussetzungen vorliegen. Zur Berechnung der Entgelthöhe auf Vollzeitbasis gemäß Spiegelstrich 1 ist der Teilzeitgrad am Stichtag maßgeblich.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte dürfe die Obergrenze für den Anspruch nicht bei einer Jahresvergütung von 37.500 Euro ziehen; vielmehr müsse die für Vollzeitbeschäftigte geltende Grenze von 75.000 Euro auch für sie gelten, so dass ihr die Leistung zustehe. Dies gebiete deren Zweck, die Teuerungsrate auszugleichen. Arbeitnehmer in Teilzeit oder Altersteilzeit seien infolge ihres geringeren Einkommens stärker von der Inflation betroffen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000,00 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 1. Juli 2023 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei im Streitfall nicht anwendbar. Er sei jedenfalls nicht verletzt, weil die Differenzierung sachlich begründet sei. Es sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die andere Hälfte des erarbeiteten Entgelts in der Freistellungsphase ausgezahlt erhalten werde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Klägerin stehe der Anspruch nicht zu, denn ihr Jahresverdienst überschreite die von den Tarifvertragsparteien für Altersteilzeitkräfte festgelegte Obergrenze. Diese Regelung verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz. Den Tarifvertragsparteien stehe ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der vorliegend nicht überschritten sei. Besserverdienende von dem Ausgleich der gestiegenen Verbraucherpreise auszunehmen, sei sachlich gerechtfertigt. Auch dürfe die Verdienstgrenze für in Altersteilzeit befindliche Arbeitnehmer abgesenkt werden, weil sie Entgelte erarbeiteten, die nicht während der Arbeitsphase ausgezahlt, sondern für die spätere Freistellungsphase angespart würden. Dass die Tarifvertragsparteien nicht auf die absoluten Einkommen, sondern auf das Entgeltniveau aufgrund der Eingruppierung und des bezogenen Stundenlohns abstellten, halte sich im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gelange hier nicht zur Anwendung, weil die Beklagte keine eigene Verteilungsentscheidung getroffen, sondern die Einigung der Tarifvertragsparteien umgesetzt habe.
Gegen das ihr am 26. Februar 2024 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 22. März 2024 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 21. Mai 2024 begründet.
Die Berufung führt aus: Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Vereinbarung nicht am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG zu korrigieren sei. Der für die Differenzierung erforderliche innere Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung bestehe nicht. Die "fiktive Hochrechnung" des Einkommens trage dem Zweck des Inflationsausgleichs nicht Rechnung. Maßgebend könne nur die Höhe des tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkommens sein, so dass für alle Beschäftigten eine Einkommensgrenze von 75.000 Euro jährlich anzusetzen sei. Von einem bloßen Arbeitszeitguthaben könnten Teilzeitbeschäftigten keine Einkäufe tätigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000,00 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2023 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Berufung sei mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Urteil unzulässig. Sie sei jedenfalls unbegründet, denn für die von den Tarifvertragsparteien getroffene Regelung bestehe ein sachlich vertretbarer Grund; er liege in den besonderen Bedingungen der Altersteilzeit.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung durch die Kammer gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt erfolglos.
I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2b ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 2 ZPO) und damit insgesamt zulässig. Die Berufungsbegründung genügt den gesetzlichen Anforderungen. Sie setzt sich hinreichend mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander; sie vertritt die Auffassung, das Arbeitsgericht habe den Gleichheitssatz nicht hinreichend berücksichtigt und sei daher zu dem unzutreffenden Ergebnis gelangt, einer Anpassung der zwischen den Tarifparteien getroffenen Vereinbarung bedürfe es nicht. Dies stellt eine auf den Einzelfall zugeschnittene Auseinandersetzung mit dem Urteil erster Instanz dar.
II.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die Klage bereits wegen des Antrags, die Beklagte zu einer Nettozahlung zu verurteilen, unbegründet ist.
1.
Hierfür könnte sprechen, dass die Gerichte für Arbeitssachen nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen festlegen können, ob ein Betrag abgabenpflichtig ist oder nicht. Deshalb ist in eine Entscheidungsformel das Wort "netto" nur dann aufzunehmen, wenn der Arbeitgeber aus arbeitsrechtlichen Gründen gehalten ist, alle etwaigen Abgaben zu tragen, die auf eine von ihm geschuldete Geldleistung zu entrichten sind (BAG 24. Februar 2021 - 10 AZR 130/19 - Rn. 35).
2.
Dies kann jedoch offen bleiben, denn der Anspruch besteht bereits dem Grunde nach nicht.
a)
Ansprüche aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz scheiden vorliegend aus, weil die Beklagte keine eigene Verteilungsentscheidung traf, sondern mit der Gewährung der Inflationsausgleichsprämie nur die Vereinbarung der Tarifvertragsparteien auf das Arbeitsverhältnis anwenden wollte. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Das Berufungsgericht folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung zu Ziff. I. 2., stellt dies hiermit fest und nimmt auf sie Bezug (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
b)
Einzig denkbare Anspruchsgrundlage ist somit das "Ergebnis der Gespräche über die Zahlung eines Energiegeldes bzw. einer Inflationsausgleichsprämie zwischen der Deutschen Telekom und der Gewerkschaft ver.di".
aa)
Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vereinbarung steht der Klägerin die geltend gemachte Einmalzahlung nicht zu. Sie bezog am 31. Dezember 2022 als dem festgesetzten Stichtag ein Jahresarbeitsentgelt von 38.725,90 Euro brutto. Zu dieser Zeit befand sie sich in der Arbeitsphase der Altersteilzeit. Damit überstieg ihr Entgelt den für diese Arbeitnehmergruppe festgelegten Höchstsatz von 37.500,00 Euro brutto.
bb)
Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf einen Verstoß der Tarifparteien gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit der Rechtsfolge einer Anpassung der Jahresverdienstgrenze "nach oben", also auf 75.000 Euro, stützen. Den Tarifparteien war es nämlich nicht verwehrt, für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer einschließlich derjenigen, die sich in der Arbeitsphase ihrer Altersteilzeit befinden, die Verdiensthöchstgrenze anteilig herabzusetzen. Bei der streitigen Einmalzahlung handelt es sich nicht um eine reine Sozialleistung, sondern um einen Entgeltbestandteil. Dies ergibt sich aus den von den Tarifparteien aufgestellten Bezugsbedingungen.
(1)
Die streitige Einmalzahlung hat - zumindest auch - Vergütungscharakter. Dies ergibt sich aus ihren Bezugsbedingungen. Sehen diese für Teilzeitbeschäftigte eine Kürzung im Verhältnis ihrer Arbeitszeit zu derjenigen eines Vollzeitarbeitnehmers vor, so spricht dies dafür, dass es sich um einen Vergütungsbestandteil handelt (vgl. BAG 20. September 2017 - 10 AZR 610/15 - Rn. 23). Teilzeitbeschäftigte unterscheiden sich von den Vollzeitbeschäftigten nur durch ihr geringeres Arbeitszeitvolumen, also nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG gestattet es dem Arbeitgeber aus diesem Grund, das Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten verringerten Arbeitsleistung anteilig zu kürzen (BAG 24. September 2008 - 10 AZR 634/07 - Rn. 22, BAGE 128, 21; LAG Düsseldorf 19. Juli 2024 - 7 Sa 1186/23 - Rn. 62).
(2)
Spiegelbildlich dazu stellt es ebenso wenig eine Ungleichbehandlung dar, die Verdienstgrenze, oberhalb derer ein Anspruch auf die Zahlung nicht besteht, für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer Arbeitsleistung abzusenken. Auch diese unterschiedliche Behandlung dient dem Zweck, das Bestehen des Anspruchs nicht nur auf diejenigen Arbeitnehmer zu beschränken, die wegen ihres geringeren Einkommens von den Folgen der Inflation stärker betroffen sind, sondern zugleich einen Bezug zur erbrachten Arbeitsleistung herzustellen und diese über das regelmäßig zu zahlende Arbeitsentgelt hinaus zu entlohnen.
(3)
Der Umstand, dass die Klägerin sich zum Stichtag in der Arbeitsphase der Altersteilzeit befand und währenddessen eine Arbeitsleistung von wöchentlich 37 Stunden zu erbringen hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis.
(a)
Bei Altersteilzeit im Blockmodell hat der Arbeitnehmer während der Freistellungsphase Anspruch auf die durch seine Vorarbeit in der Arbeitsphase erworbenen Entgeltansprüche (BAG 17. November 2015 - 9 AZR 509/14 - Rn. 30; 11. April 2006 - 9 AZR 369/05 - Rn. 50, BAGE 118, 1). Während der Arbeitsphase tritt er mit seiner vollen Arbeitsleistung im Hinblick auf die anschließende Freistellungsphase in Vorleistung. Er erarbeitet sich im Umfang seiner Vorleistungen zum einen Ansprüche auf die spätere Zahlung der Bezüge und zum anderen einen entsprechenden Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht und damit ein Zeitguthaben (BAG 17. November 2015 - 9 AZR 509/14 - Rn. 30).
(b)
Diese Besonderheiten des Altersteilzeitvertrages stellen einen die Differenzierung rechtfertigenden Sachgrund dar. Die Klägerin erarbeitete - ohne Berücksichtigung von Aufstockungsleistungen - für das Jahr 2022 ein Arbeitsentgelt von 77.451,80 Euro brutto, wobei für den hälftigen Betrag lediglich die Auszahlung aufgeschoben ist, um ihn auf die kommende Freistellungsphase anzusparen. Der darin liegende Unterschied zu einem Vollzeitarbeitsverhältnis, bei dem das gesamte Arbeitsentgelt am Ende des jeweiligen Monats fällig wird, stellt einen sachlichen Grund dafür dar, den Höchstbetrag entsprechend anzupassen. Das Argument der Klägerin, es komme auf das jetzt für sie verfügbare Einkommen an, verkennt, dass sie in der Freistellungsphase - anders als Vollzeitarbeitnehmer - Entgeltzahlungen zu erwarten hat, ohne dafür noch Arbeitsleistung erbringen zu müssen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.