Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.02.2025, Az.: 1 LA 128/24

Einordnung einer versiegelten Fläche als Lagerplatz i.R.d. Bauplanungsrechts durch aktive oder mögliche Nutzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.02.2025
Aktenzeichen
1 LA 128/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2025, 11269
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2025:0211.1LA128.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 03.09.2024 - AZ: 4 A 1191/20

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine versiegelte Fläche ist nur dann ein Lagerplatz i.S.d. Bauplanungsrechts, wenn sie aktiv zur Lagerung genutzt wird oder sonstige Umstände die Erwartung begründen, eine Lagerung könne jederzeit stattfinden.

  2. 2.

    Die Berufung wird teilweise zugelassen; der Fall kann dem Senat Gelegenheit geben, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 NBauO und die im Rahmen einer Ermessensausübung zu berücksichtigenden Belange, namentlich die Frage, ob und in welchem Umfang es auf eine Atypik der zu beurteilenden Fallgestaltung ankommt, weitergehend als in seiner bisherigen Rechtsprechung (Senatsurt. v. 27.6.2018 - 1 LC 183/16 -, BauR 2018, 1848 = juris Rn. 56 ff.; Beschl. v. 26.3.2019 - 1 ME 23/19 -, DVBl. 2019, 801 = juris Rn. 15 ff.) zu definieren.

Tenor:

Auf den Antrag der Klägerin wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 3. September 2024 zugelassen, soweit die Klägerin eine Neubescheidung ihres Bauantrags vom 15. November 2018 für das im Süden ihres Grundstücks gelegene Ferienhaus unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren vorläufig auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung für die Errichtung zweier Ferienhäuser; hinsichtlich des einen ist die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im unbeplanten Blockinnenbereich, hinsichtlich des anderen die Vereinbarkeit mit § 7 NBauO umstritten.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks F. straße 145 in G.. Das 1.341 m2 große Grundstück liegt im Süden eines aus F. straße und H. gebildeten Straßengevierts und ist im Süden mit einem zu Ferienwohnzwecken genutzten Gebäude bebaut. Außerdem ist im rückwärtigen, nördlichen Teil des Grundstücks in zweiter Baureihe in Blockhausbauweise ein Ferienhaus errichtet worden; ein baugleiches Blockhaus steht weiter südlich zwischen dem hier etwas von der Straße zurückgesetzten Haupthaus und dem H.; dieses Gebäude weist zum Haupthaus einen Abstand von ca. 1,50 m auf.

Auf dem nordwestlich dieses Grundstücks gelegenen Grundstück F. straße 143 steht im straßennahen Bereich ein Wohnhaus, von dem aus der Eigentümer jenes Grundstücks einen Fahrradverleih betreibt. Der rückwärtige Bereich ist vollständig gepflastert und wurde als Bootslagerplatz genutzt.

Unter dem 15. November 2018 beantragte die Klägerin die nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung für die beiden Blockhäuser; für das südliche Blockhaus beantragte er "vorsorglich" eine Abweichung von § 7 Abs. 1 Satz 1 NBauO. Der Beklagte lehnte den Bauantrag ab.

Die hiergegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das nördliche Blockhaus sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da es sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Im insoweit maßgeblichen Straßengeviert gebe es keine prägenden Hauptgebäude in vergleichbarer Bautiefe. Selbst wenn die Nutzung des rückwärtigen Bereichs des Grundstücks F. straße 143 als Bootslager als Hauptanlage angesehen werde, sei sie nicht maßstabsbildend, da sie nicht genehmigt sei und sich der Beklagte auch nicht mit ihrer Fortsetzung abgefunden habe; er habe dem ca. 80-jährigen Eigentümer vielmehr zu verstehen gegeben, dass man die Lagerung der Boote/Bootstrailer bauaufsichtlich nicht tolerieren werde. Dieser habe schriftlich erklärt, dass er künftig keine Lagerung von Booten auf seinem Grundstück mehr beabsichtige. Der Beklagte habe sich vorbehalten, das Grundstück erneut zu kontrollieren und gegebenenfalls bauaufsichtlich einzuschreiten. Dass auf dem Grundstück zuletzt nur noch Bootstrailer ohne Boote gestanden hätten, sei offenkundig eine Reaktion auf das Einschreiten des Antragsgegners.

Das Blockhaus im vorderen Grundstücksbereich sei mit Blick auf § 7 Abs. 1 Satz 1 NBauO wegen Unterschreitung des notwendigen Gebäudeabstands von 6 m nicht genehmigungsfähig. Die von der Klägerin beantragte Abweichung könne nicht zugelassen werden. Ob für deren Zulassung, wie vom Beklagten angenommen, eine atypische Situation erforderlich sei, könne dahinstehen; auch beim Absehen von diesem Erfordernis verdichte sich im vorliegenden Fall das behördliche Ermessen dahingehend, eine Abweichung nicht zuzulassen. Zu würdigen seien die Interessen des Bauherrn an der Vornahme einer Abweichung und die entgegenstehenden öffentlichen Belange, insbesondere, ob im Falle einer Abweichung die Schutzziele der Norm, von der abgewichen werden solle, noch ausreichend und angemessen zur Geltung kämen. Zweck der Grenzabstandsregelung seien insbesondere ausreichende Belichtung und Luftzufuhr. Das sei bei einer Reduzierung des gesetzlichen Abstands auf 25 % nicht der Fall. Soweit es um Wohn- oder wie hier Ferienwohnnutzung gehe, sei eine Reduzierung der Grenzabstände nur unter ganz besonderen Umständen denkbar. Denn neben Belichtung und Belüftung sollten die Abstandsvorschriften auch sicherstellen, dass auf dem Baugrundstück noch Flächen für Nebenanlagen freigehalten würden. Das Interesse der Klägerin, ihr Grundstück noch wirtschaftlicher zu nutzen, müsse dahinter zurücktreten. Besondere Grundstücksgegebenheiten, die diese dichte Bebauung erforderten, seien schon aufgrund der Grundstücksgröße nicht erkennbar. Die Klägerin hätte an das Bestandsgebäude anbauen können. Zwar möge es im Straßengeviert einzelne Grenzabstandsunterschreitungen geben. Diese seien aber historisch gewachsen; hinsichtlich neuer Vorhaben bestehe der Beklagte auf Einhaltung des Grenzabstandes. Im Übrigen verpflichte der Gleichheitssatz nicht zur Wiederholung rechtswidriger Abweichungen.

II.

Der dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch am Entscheidungsergebnis etwas ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; es genügt, wenn sich diese auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens als offen erweisen. Das ist hier nur in Bezug auf das südliche Blockhaus, und auch in Bezug auf dieses nur teilweise der Fall.

1.

Hinsichtlich des im rückwärtigen Grundstücksbereich gelegenen nördlichen Blockhauses vermag das Zulassungsvorbringen der Klägerin die Erwägung des Verwaltungsgerichts, der auf dem nordwestlichen Nachbargrundstück vorhandene Lagerplatz präge die Eigenart der näheren Umgebung nicht mit, nicht zu überzeugen. Soweit die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe diesen Lagerplatz als Nebenanlage angesehen, trifft dies nichts zu; das Verwaltungsgericht hat die Einstufung als Haupt- oder Nebenanlage vielmehr offengelassen und tragend darauf abgestellt, dass der Beklagte diese Nutzung nicht - wie erforderlich - in einer Weise dulde, die keinen Zweifel daran lasse, dass er sich mit ihrem Vorhandensein abgefunden habe. Der hiergegen gerichtete Einwand der Klägerin, entscheidend sei nicht die Nutzung der Fläche zum Abstellen von Booten oder Bootstrailern, sondern das Vorhandensein einer baulichen Anlage in Gestalt einer versiegelten Fläche, auf der die Lagerung "von was auch immer" möglich sei, überzeugt nicht. Eine versiegelte Fläche ist nicht zwangsläufig ein Lagerplatz. Die baurechtlich relevanten Wirkungen einer solchen Fläche - die ihr ggf. einen gebietsprägenden Charakter geben können - entstehen erst mit ihrer aktiven Nutzung, ggf. auch daraus, dass sonstige Umstände die Erwartung begründen, eine Lagerung von Gegenständen könne jederzeit stattfinden. Sähe man dies anders, so wäre jede Freifläche als Lagerplatz zu qualifizieren, da ein solcher nicht zwangsläufig einer Befestigung bedarf (vgl. für den bauordnungsrechtlichen Lagerplatzbegriff Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 2 Rn. 28). Dass der Beklagte sich mit einer Nutzung der Fläche als Lagerplatz in Zukunft nicht mehr abfinden werde, hat er spätestens zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinreichend deutlich gemacht. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, er habe dem Eigentümer lediglich ein Vorgehen gegen die Nutzung als Bootslager in Aussicht gestellt. Zu einem Einschreiten gegen eine anderweitige Lagernutzung hat der Beklagte bislang keinen Anlass, da eine Absicht des Eigentümers, eine solche aufzunehmen, nicht erkennbar ist. Der Beklagte mag in Zukunft erwägen müssen, mit Blick auf § 9 Abs. 2 NBauO auch gegen die Versiegelung des Grundstücks bauaufsichtlich einzuschreiten; für die Frage, ob auf dem Grundstück noch eine gebietsprägende Hauptanlage vorhanden ist, ist das aber ohne Belang.

2.

Demgegenüber sind ernstliche Zweifel an der Erwägung des Verwaltungsgerichts dargelegt, der Beklagte habe die Zulassung einer Abweichung von § 7 Abs. 1 Satz 1 NBauO für das südliche Blockhaus fehlerfrei abgelehnt. Während der Beklagte seine Entscheidung mit dem Fehlen einer aus seiner Sicht erforderlichen Atypik begründet, einen Anspruch der Klägerin also schon auf Tatbestandsseite abgelehnt und kein Ermessen betätigt hat, hat das Verwaltungsgericht die Erforderlichkeit einer Atypik offen gelassen, ist aber davon ausgegangen, dass ein Anspruch des Klägers auf Verpflichtung zur Abweichungserteilung oder auch nur zur Neubescheidung schon deshalb ausscheide, weil ein Fall der Ermessensreduktion auf Null hin zur Versagung der Abweichung vorliege. Zutreffend ist, dass im Fall einer Ermessensreduktion auf Null unerheblich ist, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 NBauO vorliegen und grundsätzlich Ermessen eröffnet wäre. Allerdings hat das Verwaltungsgericht in seine Prüfung der für und gegen die Abweichung sprechenden Gesichtspunkte einige Erwägungen eingestellt, die den von der Klägerin dargelegten Bedenken begegnen. Namentlich dürfte das Interesse, auf dem Grundstück Freiflächen für Nebenanlagen bereitzuhalten, hier nicht gegen die Abweichung streiten, und die Klägerin kann auch nicht auf die bloße Größe ihres Grundstücks verwiesen werden, da dieses ja zu erheblichen Teilen nicht mit Hauptanlagen bebaubar ist. Dass die verbleibenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts das Ergebnis einer Ermessensreduktion auf Null tragen, ist gleichwohl sehr gut möglich, bedarf aber einer Prüfung im Berufungsverfahren. Ggf. kann das Berufungsverfahren dem Senat darüber hinausgehend Gelegenheit geben, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 NBauO und die im Rahmen einer Ermessensausübung zu berücksichtigenden Belange, namentlich die Frage, ob und in welchem Umfang es auf eine Atypik der zu beurteilenden Fallgestaltung ankommt, weitergehend als in bisherigen Entscheidungen (Senatsurt. v. 27.6.2018 - 1 LC 183/16 -, BauR 2018, 1848 = juris Rn. 56 ff.; Beschl. v. 26.3.2019 - 1 ME 23/19 -, DVBl. 2019, 801 = juris Rn. 15 ff.) zu definieren.

Der Zulassungsausspruch beschränkt sich allerdings auf den im Verpflichtungsantrag der Klägerin enthaltenen Antrag auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Den weitergehenden Verpflichtungsantrag der Klägerin hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt; die dafür erforderliche Ermessensreduktion auf Null hin zur Zulassung einer Abweichung von § 7 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist offenkundig ausgeschlossen. Die Klägerin ist namentlich der Würdigung des Verwaltungsgerichts, der Gleichheitssatz gebiete die Zulassung der Abweichung nicht, da der Beklagte jedenfalls nach seiner heutigen Verwaltungspraxis Gebäudeabstandsunterschreitungen nicht dulde, im Zulassungsverfahren nicht entgegengetreten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht. Die Berufung ist innerhalb eines Monats ab Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einzureichen.

Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG; der Senat orientiert sich an Nr. 2 a) und Nr. 3 seiner aktuellen Streitwertannahmen (NdsVBl. 2021 247).