Landgericht Göttingen
Beschl. v. 26.02.2025, Az.: 5 Qs 1/25
Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 26.02.2025
- Aktenzeichen
- 5 Qs 1/25
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 13102
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2025:0226.5QS1.25.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 16.10.2024 - AZ: 38 Gs 1218/24
Rechtsgrundlage
- § 97 Abs. 1 S. 1, 2, 3 InsO
Fundstellen
- NZI 2025, 550
- NZI 2025, 566-568
- ZIP 2025, 1412-1414
Amtlicher Leitsatz
Das Verwendungsverbot gemäß § 97 Abs. 1 S 3 InsO stehr der Durchführung von Ermittlungen entgegen, wenn der Anfangsverdacht lediglich auf Auskünften des Schuldners grünet, die aufgrund des in § 97 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO geregelten Offenbarungszwangs erlangt wurden. Das Verwendungsverbot gilt auch für Angaben gegenüber einem Sachverständigen, wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner unter Androhung von Zwangsmaßnahmen aufgibt, diesem Auskunft zu erteilen. Das Verwendungsverbot kommt nur demjenigen Schuldner zugute, der seinen Pflichten im Insolvenzverfahren ohne Einschränkung nachkommt; falsche oder unvollständige Auskünfte sind vom Anwendungsbereich des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nicht erfasst. Es gilt auch nicht für Straftaten, die der Schuldner nach (korrekter) Erfüllung seiner Auskunftsplicht begeht.
In der Strafsache
gegen
A.,
wegen Bankrotts
hier: Beschwerde gegen Durchsuchungsbeschluss
hat die 5. gr. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Göttingen durch die unterzeichnenden Richter am 26.02.2025 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Beschwerde des Beschuldigten vom 21. November 2024 gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 16. Oktober 2024 (Az.: 38 Gs 1218/24) wird als unbegründet verworfen.
- 2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschuldigte zu tragen.
Gründe
I.
Am 14.09.2022 wurde seitens des Finanzamts B. betreffend den Beschwerdeführer ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht Göttingen gestellt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 25.10.2022, Az. 71 IN 40/22 EIN, wurde der Sachverständige Rechtsanwalt C. mit der Erstellung eines Gutachtens u. a. zur Frage des Eröffnungsgrundes gem. § 16 InsO beauftragt.
Mit Schreiben vom 17.11.2022 wandte sich das Amtsgericht Göttingen an den Beschwerdeführer und gab diesem Gelegenheit, dem Sachverständigen binnen zwei Wochen die geforderten Auskünfte zu erteilen. Andernfalls müsse der Beschwerdeführer mit Zwangsmaßnahmen bis hin zum Erlass eines Haftbefehls rechnen. Das Schreiben erhielt der Sachverständige in Kopie.
Der Sachverständige teilte dem Insolvenzgericht mit Schriftsatz vom 06.12.2022 unter anderem mit, dass der Beschwerdeführer ihm in einem Termin am 24.11.2022 mitgeteilt habe, dass er Anfang des Jahres 2022 eine Immobilie veräußert habe. Der Kaufpreis in Höhe von 80.000,00 € bis 90.000,00 € solle sich in einem Bankschließfach der Freundin des Beschwerdeführers befinden.
Mit Beschluss vom 07.12.2022, Az. 71 IN 40/22 EIN, wurde der Sachverständige Rechtsanwalt C. zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Schriftsatz vom 19.12.2022 teilte der vorläufige Insolvenzverwalter dem Amtsgericht Göttingen mit, dass er den Beschwerdeführer am 16.12.2022 aufgefordert habe, eine eidesstattliche Versicherung bezüglich der bestehenden Verbindlichkeiten und Vermögenswerte, insbesondere der liquiden Vermögenswerte, abzugeben.
Der Beschwerdeführer gab am 03.01.2023 eine eidesstattliche Versicherung ab, in welcher er als Vermögenswerte u. a. einen Betrag i. H. v. 71.000,00 € aus Hausverkauf in einem Bankschließfach, 18.000,00 € aus Erbschaft sowie diverse Kraftfahrzeuge angab.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 21.03.2023, Az. 71 IN 40/22 EIN, wurde das Insolvenzverfahren gegen den Beschwerdeführer eröffnet und der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt C. zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Schriftsatz vom 26.08.2024 erstattete der Insolvenzverwalter Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Göttingen und teilte mit, dass der Beschwerdeführer ihm mitgeteilt habe, über Bargeld in Höhe von 71.000,00 € im Bankschließfach seiner Freundin zu verfügen. Eingezahlt worden seien beim Insolvenzverwalter jedoch lediglich 45.000,00 €. Betreffend der übrigen 26.000,00 € vermute der Insolvenzverwalter, dass diese durch den Beschwerdeführer beiseitegeschafft worden sein könnten. Zudem seien auch die in der eidesstattlichen Versicherung angegebenen 18.000,00 € aus einer Erbschaft durch den Beschwerdeführer trotz Aufforderung nicht herausgegeben worden. Der Beschwerdeführer habe außerdem behauptet, dass bestimmte Fahrzeuge nicht ihm selbst, sondern seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter gehören würden, obwohl er im Antragsverfahren noch mitgeteilt habe, dass diese in seinem Eigentum stünden. Dies ergebe sich aus der eidesstattlichen Versicherung.
Gegen den Beschwerdeführer wurde am 16.10.2024 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Göttingen ein Durchsuchungsbeschluss zur Durchsuchung der Wohnung mit allen Nebenräumen, eventuell vorhandener Geschäftsräume und des sonstigen umfriedeten Besitztums sowie der Person des Beschwerdeführers erlassen. Zur Begründung führte das Amtsgericht an, der Beschuldigte sei verdächtig, im laufenden Insolvenzverfahren Vermögensgegenstände, namentlich Bargeldbeträge und Fahrzeuge, beiseite geschafft und hierdurch einen Bankrott begangen zu haben. Der Tatverdacht ergebe sich aus den Angaben des Insolvenzverwalters.
Am 21.11.2024 wurde der Durchsuchungsbeschluss umgesetzt.
Am gleichen Tag hat der Beschwerdeführer gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Anschuldigungen des Insolvenzverwalters seien falsch und verwies dazu auf die Durchsuchung.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1.
Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig, auch wenn sie durch die bereits am 21.11.2024 erfolgte Durchführung der Durchsuchung grundsätzlich prozessual überholt ist (vgl. insoweit BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Juli 1998 - 2 BvR 446/98 -, juris Rn. 9). Aufgrund der Tatsache, dass die Durchsuchung bereits erfolgt ist, ist die Beschwerde nunmehr dahingehend auszulegen, dass die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt werden soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, Vor § 296 Rn. 18a).
2.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, da die für die Anordnung der Durchsuchung erforderlichen Voraussetzungen gemäß §§ 102, 105 StPO vorlagen.
a)
Der für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses erforderliche Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten lag vor. Dieser ergab sich aus den Angaben des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt C. sowie den von diesem vorgelegten Unterlagen, wie der eidesstattlichen Versicherung des Beschwerdeführers vom 03.01.2023.
aa)
Die Auskünfte des Beschwerdeführers gegenüber dem Insolvenzverwalter sowie die eidesstattliche Versicherung unterliegen nicht dem Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.
Nach § 97 Abs. 1 S. 3 InsO gilt das Verwendungsverbot für Auskünfte des Schuldners, die dieser gemäß seiner Verpflichtung nach § 97 Abs. 1 S. 1 InsO erteilt, sodass die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen nicht auf einen Verdacht gestützt werden kann, der sich auf Auskünfte des Beschwerdeführers gründet, die aufgrund des dort geregelten Offenbarungszwangs erlangt wurden.
Nach § 97 Abs. 1 S. 1 InsO ist der Insolvenzschuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu erteilen. Die Auskunftspflicht trifft den Insolvenzschuldner gemäß § 20 Abs. 1 InsO gegenüber dem Insolvenzgericht sowie gemäß § 22 Abs. 3 S. 3 InsO gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter bereits im Eröffnungsverfahren. § 97 InsO ist dabei jeweils entsprechend anwendbar. Nach § 97 Abs. 1 S. 2 InsO hat der Schuldner dabei auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Aufgrund dieser Verpflichtung erteilte Auskünfte dürfen in einem Strafverfahren gegen den Schuldner jedoch nur mit dessen Zustimmung verwendet werden, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.
Das Verwendungsverbot enthält nicht nur ein Verwertungsverbot, sondern schließt auch etwaige Fernwirkungen mit ein, sodass die Auskünfte nicht einmal als Grundlage für den Beginn gezielter Ermittlungen nach anderen selbstständigen Beweismitteln verwendet werden dürfen (BT-Drs. 12/7302, S. 166; BGH Beschluss vom 26. Juli 2017 - 3 StR 52/17 -, juris; BeckOK InsR/Kramer, 38. Ed. 1.2.2025, InsO § 97 Rn. 29, beck-online, m. w. N.).
Zwar unterliegen Auskünfte, die freiwillig erteilt wurden, mithin solche außerhalb des sachlichen oder persönlichen Anwendungsbereichs des § 97 InsO, keinem Verwendungsverbot. Dies gilt unter anderem auch bei Angaben gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen, der nicht als Auskunftsberechtigter in § 97 Abs. 1 InsO aufgeführt ist (BeckOK InsR/Kramer, a. a. O. Rn. 28, beck-online). Das Insolvenzgericht kann jedoch dem Schuldner aufgeben, die diesem gegenüber dem Insolvenzgericht obliegenden Pflichten unmittelbar gegenüber dem Sachverständigen zu erfüllen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.07.2012 - IX ZB 6/12 -, Rn. 11, juris, m. w. N.). Wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner ausdrücklich aufgibt, dem Gutachter konkrete Auskünfte zu erteilen (und für den Fall der Missachtung dieser Pflicht Zwangsmaßnahmen androht), findet das Verwendungsverbot gem. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO entsprechende Anwendung, da der Schuldner in diesem Fall davon auszugehen hat, gegenüber dem Gutachter gleichgelagerte Auskunftspflichten wie gegenüber dem Insolvenzgericht zu haben (vgl. BeckOK InsR/Kramer, a. a. O. Rn. 28; LG Münster, Beschluss vom 31.8.2017 - 12 Qs-45 Js 916/16-25/17, BeckRS 2017, 135700, Rn. 14, beck-online).
Das Verwendungsverbot ("Insolvenzgeheimnis") gem. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO schützt den nemo tenetur-Grundsatz und beseitigt etwaige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der umfassenden Auskunftspflicht. Dabei soll es nach dem Gesetzeszweck indes nur demjenigen Schuldner zugutekommen, der seinen Pflichten im Insolvenzverfahren ohne Einschränkung nachkommt; falsche oder unvollständige Auskünfte sind vom Anwendungsbereich des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nicht erfasst (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016, - 2 Ws 299/16 -, zit. nach juris; vgl. auch BeckOK InsR/Kramer, a. a. O. Rn. 27, beck-online, m. w. N.).
bb)
Vorliegend hat der Beschwerdeführer die Angabe, er habe Anfang des Jahres 2022 eine Immobilie veräußert und der Kaufpreis in Höhe von 80.000,00 € bis 90.000,00 € befinde sich in einem Bankschließfach seiner Freundin ausweislich des Schriftsatz des Sachverständigen in einem Termin am 24.11.2022 gegenüber dem Sachverständigen mitgeteilt. Zuvor hatte bereits das Insolvenzgericht, gegenüber dem der Beschwerdeführer auskunfts- und mitwirkungsverpflichtet ist, diesem mit Schreiben vom 17.11.2022 Gelegenheit gegeben, dem Sachverständigen binnen zwei Wochen die geforderten Auskünfte zu erteilen. Andernfalls müsse der Beschwerdeführer mit Zwangsmaßnahmen bis hin zum Erlass eines Haftbefehls rechnen. Das Schreiben erhielt der Sachverständige in Kopie. Der Beschwerdeführer musste daher aufgrund des Schreibens des Amtsgerichts Göttingen vom 17.11.2022 davon ausgehen, dass er dem Sachverständigen ebenso wie unmittelbar dem Insolvenzgericht oder dem Insolvenzverwalter auskunftsverpflichtet war.
Allerdings findet das Verwendungsverbot nach § 97 Abs. 1 S. 3 InsO trotz dieser Tatsache hier keine - auch keine entsprechende - Anwendung und zwar unabhängig davon, ob der Anfangsverdacht darauf gerichtet war, dass der Beschuldigte die Bankrotthandlungen vor oder nach der jeweiligen Auskunft begangen hat.
(1)
Wäre die im Verdacht stehende Tathandlung des § 283 StGB bereits zeitlich vor der Auskunftserteilung getätigt worden, hätte es sich um eine unrichtige bzw. unvollständige Auskunft gehandelt, da der Beschuldigte dann nicht offenbart hätte, dass das Bargeld oder die Kraftfahrzeuge von ihm bereits weitergegeben wurden.
(2)
Doch auch soweit die im Verdacht stehende Tathandlung im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, das Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von Bestandteilen des Vermögens, erst im Anschluss an die Auskunftserteilung erfolgt wäre, kommt eine entsprechende Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nicht in Betracht, denn die Konfliktlage, vor der § 97 Abs. 1 S. 3 InsO den Schuldner schützen soll, nämlich seiner Auskunftspflicht nicht genügen zu können, ohne sich oder einen Angehörigen der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen, hätte in diesem Fall nicht bestanden. Der Schutzzweck der Norm besteht gerade nicht darin, dem Schuldner die Begehung von Straftaten nach der Auskunft zu erleichtern. Denn dies würde zu einer Begünstigung von Insolvenzschuldnern führen, die ihrer Auskunftspflicht zwar vollständig nachkommen, anschließend jedoch Vermögensgegenstände beiseiteschaffen. Aus diesem Grund ist dem Beschwerdeführer nach Auffassung der Kammer das Verwendungsverbot für solche Straftaten nicht zuzubilligen.
b)
Es bestand zudem die hinreichende Aussicht, Beweismittel wie Bargeld, Dokumente oder Kommunikation aufzufinden.
c)
Darüber hinaus sind auch Anhaltspunkte dafür, dass die Durchsuchungsmaßnahme außer Verhältnis zu dem In Rede stehenden Tatverdacht des Bankrotts stand, nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
IV.
Dieser Beschluss ist gemäß § 310 Abs. 2 StPO nicht anfechtbar.