Landgericht Hannover
Urt. v. 28.11.2024, Az.: 19 O 161/23

Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrags nach vermeintlichem Widerruf

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
28.11.2024
Aktenzeichen
19 O 161/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 29141
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Urteil
in dem Rechtsstreit
XXX
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
XXX
gegen
XXX
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
hat das Landgericht Hannover - 19. Zivilkammer - durch denXXX auf die mündliche Verhandlung vom 08.11.2024 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Der Streitwert wird auf bis zum 8.11.2024 auf 28.995,91 € und ab dem 8.11.2024 auf 2.036,96 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrags, hilfsweise die Beteiligung in hälftiger Höhe an Bewertungsreserven.

Der Vater der Klägerin beantrage als Versicherungsnehmer für seine Tochter, der Klägerin, als versicherter Person am 09.12.2000 bei der Beklagten den Abschluss einer konventionellen Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht nach dem Tarif RR3 F. Unmittelbar über der Unterschrift des Versicherungsnehmers ist das Kästchen hinter der Aussage "Die Versicherungsbedingungen habe ich erhalten" mit "ja" angekreuzt.

Die Regelung des § 17 der allgemeinen Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen (AVB) der Beklagten trug die Überschrift "Wie sind Sie an unseren Überschüssen beteiligt." § 17 Absatz 1 lautet:

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§ 7 der Besonderen Bedingungen der Beklagten lautete: § 7 Wie sind Sie an unseren Überschüssen beteiligt? (1) Ihre Versicherung gehört zum Gewinnverband 2 in der Bestandsgruppe R der Rentenversicherungen. Die Versicherungen erhalten Jahresgewinnanteile nach mindestens einjähriger Dauer. Jahresgewinnanteile werden vor dem Rentenzahlungsbeginn für jedes mit dem vollen tariflichen Beitrag belegte Versicherungsjahr nach dessen Ablauf und nach dem Rentenzahlungsbeginn für jedes zu durchlaufende Jahr der Rentenzahlung zu dessen Beginn gewährt, Wird die Versicherung nach mindestens einjähriger Dauer vor Ablauf eines Versicherungsjahres beendet, erhält sie den zeitanteilig gekürzten Jahresgewinn.

(2) Die Jahresgewinnanteile bestehen aus einem Zinsgewinnanteil und bei Versicherungen mit laufender Beitragszahlung zusätzlich aus einem Grundgewinnanteil. Der Zinsgewinnanteil wird in Prozent des Deckungskapitals zu Anfang des gewinnberechtigten Versicherungsjahres der einzelnen Versicherung festgesetzt, der Grundgewinnanteil in Prozent des fälligen Beitrags. (3) Die Jahresgewinnanteile werden zur Rentenerhöhung (Gewinnrente) verwendet oder bei Zielrenten verzinslich angesammelt. Die Gewinnrente erhöht weder die etwa im Todesfall fällige Beitragsrückgewähr noch die im Todesfall fällige Jahresrente bei den Tarifen RA noch den bei Kündigung etwa vorhandenen Rückkaufswert.

(4) Die Bestimmungen über die Überschußbeteiligung können unter den Voraussetzungen des § 18 ALB auch für bestehende Versicherungen geändert werden.

Im Juli 2001 übertrug der Vater der Klägerin die Versicherungsnehmereigenschaft - für den Fall, dass er als Versicherungsnehmer vor der versicherten Person sterben sollte - auf seinen Sohn.

Im Juli 2017 verstarb der ursprüngliche Versicherungsnehmer, sodass der Vertrag auf den Sohn als neuen Versicherungsnehmer überging. Mit Schreiben vom 04.10.2017 beantragte der Sohn als neuer Versicherungsnehmer die Änderung des Bezugsrechts auf den Todesfall.

Unter dem 31.07.2022 erklärte die Klägerin mit Vollmacht des Versicherungsnehmers die Teilkündigung des Versicherungsvertrages i.H.v. 1.602,00 EUR. Beantragt wurde hierbei auch die Auszahlung der Kapitalabfindung zum 01.12.2022. Mit E-Mail vom 26.08.2022 erklärte die Klägerin unter Verweis auf ihre Kündigungsvollmacht im Namen des Versicherungsnehmers die Rücknahme der Teilkündigung. Sodann übertrug der Versicherungsnehmer mit an die Beklagte gerichteten Schriftsatz vom 20.04.2023 die Versicherungsnehmereigenschaft auf seine Schwester, die Klägerin.

Am 07.07.2023 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und den Rücktritt gemäß § 8 VVG a.F. Mit Schriftsatz vom 12.07.2023 lehnte die Beklagte unter Verweis auf eine ordnungsgemäße Belehrung des ursprünglichen Versicherungsnehmers über das diesem zustehenden Rücktrittsrecht den Widerspruch und die begehrte Rückabwicklung des Vertrages ab.

Mit Schreiben vom 12.07.2023 erklärte die Klägerin unter Aufrechterhaltung des erklärten Widerspruchs gemäß § 5a VVG a.F. und des Rücktritts gemäß § 8 VVG a.F. vom 07.07.2023 ergänzend die Kündigung des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages. Die Höhe der eingezahlten Prämien belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 10.225,84 EUR, seinerzeit 20.000,00 DM.

Die Beklagte rechnete den Vertrag daraufhin am 13.10.2023 ab, wobei eine auszuzahlende Kapitalabfindung i.H.v. 20.055,90 EUR zugrunde gelegt wurde. Die Beklagte überwies der Klägerin einen Betrag i.H.v. 20.114,91 EUR, welcher der Klägerin am 05.12.2023 gutgeschrieben wurde.

Die Klägerin behauptet, der letztvorliegende Geschäftsbericht der Beklagten habe Bewertungsreserven in Höhe von 1.872.6000,00 EUR ausgewiesen. Sie meint, der streitgegenständliche Vertrag sei nach dem sogenannten Policenmodell zustande gekommen. Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünde gegen die Beklagte ein Anspruch auf die Rückzahlung sämtlicher von ihr geleisteten Prämien i.H.v. 10.225,84 EUR, reduziert um den Wert des genossenen Risikoschutzes i.H.v. 10,00 EUR und erhöht um sämtliche aus den Prämien gezogenen Nutzungen ohne Bewertungsreserven auf Basis der Nettoverzinsung i.H.v. 14.706,15 EUR sowie ein Anspruch auf gezogene Nutzungen in Form von Bewertungsreserven ohne Beitragssurrogat i.H.v. 4.073,92 EUR zu.

Die Klägerin hat zunächst die Zahlung der Summe der geltend gemachten Positionen i.H.v. 28.955,91 EUR beantragt. Mit Schriftsatz vom 12.04.2024 hat die Klägerin den Rechtsstreit i.H.v. 20.114,91 EUR für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen.

Mit dem Hilfsantrag begehrt die Klägerin Auszahlung des hälftigen Anteils der von ihr mit 4.073,92 EUR bezifferten Bewertungsreserven, mithin einen Betrag i.H.v. 2.036,96 EUR.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.881,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung und Zinsen auf 20.114,91 EUR in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung und bis zum 05.12.2023 zu zahlen.

  2. 2.

    hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den hälftigen Anteil der Bewertungsreserven i.H.v. 2.036,96 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Gegensatz zu der Klägerin behauptet die Beklagte, zum maßgeblichen Stichtag der Vertragsauflösung - dem 9.10.2023 seien keine verteilungsfähigen Bewertungsreserven vorhanden gewesen. Vielmehr habe der Wert an diesem Tag bei -102.594.253,37 € gelegen. Die Beklagte meint, der streitgegenständliche Versicherungsvertrag sei nach dem sogenannten Antragsmodell zustande gekommen, sodass der Klägerin kein Widerspruchsrecht zustehe. Bei Vertragsabschluss sei der ursprüngliche Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über das ihm zustehende Rücktrittsrecht belehrt worden, sodass der nunmehr erklärte Rücktritt verfristet gewesen sei. Unabhängig hiervon sei auch infolge des Wechsels des Bezugsrechts das Rücktrittsrecht verwirkt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I. Der Hauptantrag ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von 8.881,00 EUR aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen die Beklagte, weil die Zahlung an die Beklagte nicht ohne rechtlichen Grund erbracht wurden.

1. Der Klägerin steht kein Widerspruchsrecht nach § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zu. Der Vertrag ist nicht nach dem Policenmodell, sondern nach dem Antragsmodell abgeschlossen worden, da dem ursprünglichen Versicherungsnehmer bereits bei der Antragstellung am 09.12.2000 die für den Vertrag maßgeblichen Unterlagen, insbesondere die AVB und die erforderlichen Verbraucherinformationen ausgehändigt worden waren. Dies zeigt das im Feld "Ja" vorhandene Kreuz auf dem Versicherungsantrag hinter der Aussage "2. Die Versicherungsbedingungen habe ich erhalten".

Die im Rahmen des Antragsmodells dem Versicherungsnehmer notwendigerweise zu erteilende Auskunft über die Überschussbeteiligung und die Überschussermittlung erfüllen auch die gesetzlichen Anforderungen der Transparenzvorschriften der Ziffer 2a) des Abschnittes I der Anlage D zu § 10a VAG a.F. an eine hinreichende Belehrung. Hiernach sind den Versicherungsnehmern bei Lebens- und Unfallversicherungen mit Prämienrückgewehr zusätzlich notwendige Angaben über die für die Überschussermittlung und Überschussbeteiligung geltenden Berechnungsgrundsätze und Maßstäbe mitzuteilen sind. Das Transparenzgebot fordert insofern eine für den Versicherungsnehmer verständliche Darstellung nur soweit, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Urt. vom 09.05.2001 - IV ZR 121/00 = NJW 2001, 2014, 2019).

Vorliegend enthalten die Regelungen § 17 AVB und § 7 der Besonderen Bedingungen hinreichende Informationen. Aus § 17 Absatz 1 AVB ergibt sich, woraus die Überschüsse entstehen und wie diese grundsätzlich verwendet werden. Absatz 2 gibt insbesondere Auskunft darüber gibt, dass die Ermittlung der Höhe der Zuschüsse abhängig von der jeweiligen Art des abgeschlossenen Versicherungsvertrages ist. Absatz 2 Satz 4 regelt, dass die Bemessungsgröße der Überschussanteile nach versicherungsmathematischen Regeln mit den Rechnungsgrundlagen der Tarifkalkulation ermittelt werden. Satz 5 zeigt auf, welche Tafeln für die Heranziehung der Berechnungsvariablen verwendet werden und benennt die Höhe des angelegten Rechnungszinssatzes von 3,25 %. Die Regelungen verdeutlichen abstrakt, dass der Beklagten bei der Ermittlung des Überschusses ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Die Heranziehung von Berechnungsvariablen ist in ihren Grundzügen für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich und nachvollziehbar. Die Benennung der Höhe des herangezogenen Rechnungszinssatzes in § 17 Abs. 2 S. 4 AVB ermöglicht es einem Versicherungsnehmer, Vergleich zu Konkurrenzprodukten zu ziehen. Gleiches gilt für die Regelung des § 7 der Besonderen Bedingungen der Beklagten. Hier wird in Absatz genauer beschrieben, wie die Jahresgewinnanteile ermittelt werden, indem sie darlegt, welche grundsätzlichen Berechnungsvariablen für die Ermittlung der Jahresgewinnanteile herangezogen werden. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird bei der Lektüre der beiden Regelungen hinreichend klar, dass die Ermittlung der Überschüsse von verschiedenen Variablen abhängt. Eine eindeutige und eigenständige Ermittlung des Überschusses durch die Person des Versicherungsnehmers ist - wenn überhaupt - nur schätzungsweise möglich und aufgrund der nur grundsätzlichen Darstellung der Berechnungsvorgänge mit großen Unsicherheiten verbunden. Insofern verweist jedoch auch die höchstrichterliche Rechtsprechung darauf, dass die Berechnungsfaktoren nicht konstant sind und mit der Zeit schwanken (BGH, Urt. vom 09.05.2001 - IV ZR 121/00 = NJW 2001, 2014, 2018 f.). Den Versicherern ist es unmöglich, und es kann daher auch nicht von ihnen verlangt werden, dass die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufgeführten Berechnungsgrundlagen so detailliert dargestellt sind, dass die Versicherungsnehmer einen bestimmten, jährlich überprüfbaren Anspruch feststellen können (BGH, Urt. vom 09.05.2001 - IV ZR 121/00 = NJW 2001, 2014, 2018 f.).

Das Rücktrittsrecht ist hier vom Kläger am 07.07.2023 verfristet ausgeübt worden. Nach dem Antragsmodell kann der Versicherungsnehmer gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 VVG a.F. innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Abschluss des Vertrages vom Vertrag zurücktreten, wobei die Frist gemäß § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. erst zu laufen beginnt, wenn der VR den VN über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat.

In dem Versicherungsantrag vom 01.09.1995 ist die Klägerin formal und inhaltlich ordnungsgemäß nach § 8 Abs. 5 S. 3 VVG a.F. über ihr Rücktrittsrecht belehrt worden. Die Belehrung ist durch die Unterschrift des ursprünglichen Versicherungsnehmers bestätigt worden. Diese Bestätigung ist der Klägerin zuzurechnen. Die Belehrung befindet sich auf Seite 2 des zweiseitigen Antragsformulars unter der in einer von der Schriftgröße hervorgehobenen Überschrift "Schlußerklärung, wichtig für die Antragstellung". Eine besondere drucktechnische Hervorhebung verlangt § 8 Abs. 5 VVG a.F. nicht (BGH, Urt. v. 25. 1. 2017 - IV ZR 173/15 = r+s 2017, 126, 127, Rn. 18), sodass unschädlich ist, dass die Belehrung vorliegend nicht in Fett- oder Kursivdruck gehalten bzw. unterstrichen ist. Darüber hinaus ist eine Form erforderlich, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt und darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (BGH, Urt. v. 25. 1. 2017 - IV ZR 173/15 = r+s 2017, 126, 127, Rn. 18). Eine Abhebung von dem vorstehenden Text und insofern eine erhöhte optische Erkennbarkeit erfüllt die Rücktrittsbelehrung vorliegend, indem sie mit den unterstrichenen Worten "Ich behalte mir vor, ..." eingeleitet wird und sich unmittelbar über der Unterschriftenzeile in einem alleinstehenden Absatz befindet. Die Klägerin bzw. ihr Vater konnte die Belehrung mithin nicht übersehen. Zudem wird die Belehrung auch den inhaltlichen Anforderungen gerecht. Sie vermittelt dem Antragsteller, unter welchen Bedingungen das Recht zum Rücktritt grundsätzlich besteht, erteilt Auskunft darüber, dass der Rücktritt der schriftlichen Form bedarf und legt den zeitlichen Rahmen für die Rücktrittsausübung fest. Insofern ist die Belehrung inhaltlich umfassend, unmissverständlichen und aus Sicht der Versicherungsnehmer eindeutig.

2. Jedenfalls wäre ein Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrecht i.S.d. § 242 BGB verwirkt. Es liegen sowohl das hierfür erforderliche Zeit- als auch Umstandsmoment vor. Die Beklagte durfte darauf vertrauen, dass die Klägerin am Vertrag festhalten möchte.

Die Verwirkung leitet sich aus dem Grundsatz nach Treu und Glauben aus § 242 BGB ab und setzt ein Zeit- und Umstandsmoment voraus.

Erforderlich ist, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre und der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat und auch einrichten durfte, dass dieser das Recht auch zukünftig nicht mehr geltend machen wird (BGH, Urt. v. 18. Oktober 2001 - I ZR 91/99 - BGH, NJW 2002, 670). Das Zeitmoment ist gegeben, weil mit die Widerspruchs- bzw. Rücktrittserklärung der Klägerin 23 Jahre nach dem Vertragsabschluss ergeht. Das Umstandsmoment rührt bereits aus dem Verhalten des Vaters der Klägerin während der Vertragslaufzeit. Bereits mit der Übertragung der Versicherungsnehmereigenschaft auf den Sohn im Jahr 2001 signalisierte dieser der Beklagten, dass er von einem wirksamen Vertrag ausgehe. Anderenfalls hätte es der Änderung nicht bedurft. Auch die vom Bruder der Klägerin erklärte Teilkündigung und die Rücknahme derselben seitens der Klägerin selbst im Sommer 2022 konnten bei der Beklagten nur den Eindruck entstehen lassen, dass der Vertrag wirksam war. Besonders schwer wiegt an dieser Stelle die von der Klägerin erklärte Rücknahme der Teilkündigung, bringt diese doch nicht nur zum Ausdruck, von einer Wirksamkeit des Vertrages auszugehen. Mit der Rücknahme der Teilkündigung bringt sie nämlich darüberhinausgehend zum Ausdruck auch an dem ursprünglichen Umfang festhalten zu wollen. Schlussendlich erfolgte dann noch der Wechsel auf die Klägerin als Versicherungsnehmerin im Jahr 2023. Ein derartiger Versicherungsnehmerwechsel kann allein im Falle eines wirksamen Versicherungsvertrages vorgenommen werden. Wenn somit ein solcher Wechsel erfragt wird und stattfindet, so ist dem konkludent zu entnehmen, dass der ursprüngliche Versicherungsnehmer von der Wirksamkeit des Vertrages ausgegangen ist und an dem Vertrag festhalten möchte; der neue Versicherungsnehmer erweckt den Anschein, Rücktritts- oder Widerspruchsrechte gerade nicht geltend machen, sondern vielmehr die Vorteile des Vertrages genießen zu wollen (OLG Hamburg Beschl. v. 23.4.2020 - 9 U 33/20, BeckRS 2020, 14153 Rn. 6). Infolge dessen lässt die Versicherung diesen Versicherungsvertrag laufen und bietet dem Versicherungsnehmer weiterhin den vereinbarten Schutz. Diese rege Einwirkung auf den Vertrag durch drei verschiedene Personen, die jeweils der Beklagten gegenüber zum Ausdruck brachten, den Vertrag als wirksam anzusehen, hat auch in einer auf Versicherungsrecht spezialisierten Kammer Seltenheitswert und ist in besonderem Maße geeignet der Beklagten gegenüber den Eindruck zu erwecken, dass der Vertrag wirksam ist. Hieran wird sich die Klägerin festhalten lassen müssen.

II. Der Hilfsantrag ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von 2.036,90 € gegen die Beklagte aus § 153 VVG. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass Bewertungsreserven zum maßgeblichen Stichtag - somit den 09. Oktober 2023 - nicht vorlagen.

In aller Regel wird bei der gerichtlichen Überprüfung der Höhe des Anspruchs von den Angaben im Jahresabschluss auszugehen sein (Langheid/Rixecker/Grote, 7. Aufl. 2022, VVG § 153 Rn. 55). Bei den Bewertungsreserven nach § 153 Abs. 1 VVG handelt es sich nicht um tatsächlich realisierte Geldzuflüsse. Vielmehr stellen stille Reserven einen vom Zeitwert abweichenden handelsrechtlichen Buchwert dar und unterliegen aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Kapitalmarkt starken Schwankungen. Selbst wenn stille Reserven rechnerisch einzelnen Verträgen zugeordnet werden, bedeutet dies nicht, dass diesen Kapital in bestimmter Höhe gutgeschrieben worden sei (OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 14.6.2017 - 7 U 128/15, BeckRS 2017, 158088 Rn. 62). Der Geschäftsbericht des Jahres 2023 weist für den 09. Oktober 2023 lediglich eine stille Last in Höhe von 102.594.253,37 € auf. Eine Zuteilung von stillen Lasten sieht das Gesetz allerdings gerade nicht vor (Langheid/Rixecker/Grote, 7. Aufl. 2022, VVG § 153 Rn. 41). Die Klägerin ist diesem Vortrag der Beklagten trotz der sie treffenden Darlegungslast auch nicht hinreichend entgegengetreten. So setzt Sie sich nicht mit der Darlegung der Beklagten, dass und warum die Werte starken Schwankungen unterliegen, auseinander. Ferner hat sie für ihre Berechnung zunächst auf den 7.12.2023 abgestellt, obwohl dies - wie sie auch später erklärte - nicht der maßgebliche Stichtag ist. Dass und warum der von der Beklagten vorgetragene Wert fehlerhaft sein soll, erklärt sie jedoch nicht. Das geht zu ihren Lasten, weil die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast hinreichend nachgekommen ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 91a Abs. 1 S. 1 ZPO. Danach hat die Klägerin auch für den für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits die Kosten zu tragen. Bei der seitens der Beklagten an die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.10.2023 ausgezahlten Summe von 20.114,91 EUR hat es sich um die Auszahlung der Kapitalabfindung gehandelt, welche durch die Anerkennung der Beklagten hinsichtlich der Beendigung des Versicherungsverhältnisses durch Kündigung des Vertrages zum 12.07.2023 fällig geworden ist. Die Kapitalabfindung als solche ist jedoch nicht von den in der hiesigen Klage geltend gemachten Ansprüchen umfasst gewesen. Die klägerseitig dargestellte Zusammensetzung der eingeklagten 28.955,91 EUR bezog sich vielmehr auf die Summe aus eingezahlten Beiträgen (10.224,84 EUR), abzüglich des Werts für genossenen Risikoschutz (10,00 EUR), zuzüglich gezogener Nutzungen ohne Bewertungsreserven auf Basis der Nettoverzinsung (14.706,15 EUR) und auf zuzüglich gezogene Nutzungen in Form von Bewertungsreserven aus Nettoverzinsung aus Kapitalanlage (14.706,15 EUR). Auf diese Beträge hatte die Klägerin jedoch nie einen Anspruch, s.o.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 709 ZPO.