Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.01.2025, Az.: 13 ME 7/25

Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach Mithilfe an der Identitätsfeststellung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.01.2025
Aktenzeichen
13 ME 7/25
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2025, 10602
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2025:0128.13ME7.25.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 19.12.2024 - AZ: 4 B 148/24

Amtlicher Leitsatz

§ 60c Abs. 7 AufenthG ermöglicht nur ein Absehen vom Versagungsgrund nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, nicht aber vom Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 60c Abs. 1 AufenthG.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 19. Dezember 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 19. Dezember 2024 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den durch Auslegung bestimmten Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die am 27. August 2024 erhobene Klage (VG Lüneburg, Az. 4 A 350/24) zu verpflichten, ihm eine Ausbildungsduldung und eine Arbeitserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung als Maler und Lackierer zu erteilen, zutreffend abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner Beschwerde vor, er habe zügig nach rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens Identitätsbemühungen nachgewiesen, in dem er seine Geburtsurkunde vorgelegt und einen Reisepass beantragt habe. Ihm sei deshalb eine Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 7 AufenthG unabhängig von der Regelung in § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG zu erteilen. Der Antragsgegner habe sein Ermessen nicht bzw. fehlerhaft ausgeübt. Soweit der Antragsgegner ausführe, es sei davon auszugehen, dass er die eingereichten Identitätsdokumente bislang pflichtwidrig unterdrückt habe, um die Abschiebung zu verhindern und dass er widersprüchliche Angaben zum Verlust seines früheren Reisepasses gemacht habe, handele es sich um Spekulationen. Selbst wenn sie zuträfen, sei dies irrelevant, da er im Asylverfahren nicht verpflichtet gewesen sei, seine Identität zu klären. Er habe alles Erforderliche zur Identitätsklärung getan und verfüge über Bildungspotential für einen Handwerksberuf, in dem Fachkräftebedarf bestehe.

1. Dieses Beschwerdevorbringen ist von vorneherein nicht geeignet, die Richtigkeit des Ergebnisses der angefochtenen Entscheidung durchgreifend in Zweifel zu ziehen (vgl. zum Maßstab der Ergebnisrichtigkeit: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, NordÖR 2014, 502 f. - juris Rn. 4).

Denn das Verwaltungsgericht hat den Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG mit der selbständig tragenden und vom Antragsteller mit der Beschwerde nicht angegriffenen Begründung verneint, dass dem Antragsteller zuletzt eine bis zum 27. November 2024 gültige Duldung für Personen mit ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG ausgestellt worden sei, die inzwischen aber abgelaufen sei (Beschl. v. 19.12.2024, S. 5 f.). Damit sind schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ("im Besitz einer Duldung nach § 60a"; vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 27.11.2023 - 13 ME 219/23 -, V.n.B. Umdruck S. 3 f.) nicht erfüllt, ohne dass § 60c Abs. 7 AufenthG eine Ausnahme hiervon im Ermessenswege gestatten würde. Denn § 60c Abs. 7 AufenthG ermöglicht nur ein Absehen vom Versagungsgrund nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ("unbeachtlich des Absatzes 2 Nummer 3"), nicht aber vom Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 60c Abs. 1 AufenthG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9.7.2020 - OVG 3 M 129/20 -, juris Rn. 27; Breidenbach, in: BeckOK Ausländerrecht, AufenthG § 60c Rn. 25 (Stand: 1.4.2024)).

2. Im Übrigen stellt das Beschwerdevorbringen aber auch in der Sache die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe den Versagungsgrund nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. c) AufenthG verwirklicht (Beschl. v. 19.12.2024, S. 6 f.) und er könne ein Absehen hiervon im Ermessenswege nach § 60c Abs. 7 AufenthG nicht beanspruchen (Beschl. v. 19.12.2024, S. 7 f.), nicht infrage.

Das Verwaltungsgericht führt hierzu aus, der Antragsteller habe bislang einen zur Identitätsklärung notwendigen Pass nicht vorgelegt, sondern erst am 16. September 2024 beantragt. Auch seine Geburtsurkunde habe er erst nach Zustellung der ablehnenden Entscheidung vorgelegt. Die Frist gelte auch nicht nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 AufenthG als gewahrt. Zwar habe der Antragsteller mittlerweile einen Pass beantragt, dies habe er aber erst am 16. September 2024 unternommen. Auch habe er den angeblichen Verlust des Reisepasses in Italien am 9. September 2024 zur Anzeige gebracht, was im Widerspruch zu seinen Angaben vor dem Bundesamt im Rahmen seines Asylverfahrens stehe und was nicht für ein kooperatives Verhalten des Antragstellers streite.

Gegen die Richtigkeit dieser Ausführungen trägt der Antragsteller nichts vor. Dass er mittlerweile einen Reisepass vorgelegt hat, ist unerheblich, da die Vorlage - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt (Beschl. v. 19.12.2024, S. 6 f.) - nicht innerhalb der von § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. c) AufenthG gesetzten Frist von sechs Monaten nach der Einreise erfolgte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller innerhalb dieser Frist alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden konnte, ohne dass er dies zu vertreten hat (§ 60c Abs. 2 Nr. 3 letzter Halbsatz AufenthG). Es war dem Antragsteller offensichtlich ohne Probleme möglich, einen Reisepass zu beschaffen und damit seine Identität zu klären. Die Passbeantragung erfolgte am 16. September 2024 und die Passvorlage beim Antragsgegner bereits am 14. November 2024 (Blatt 179 des Verwaltungsvorgangs). Es ist in keiner Weise ersichtlich, weshalb dem Antragsteller eine frühere Passbeantragung nicht möglich gewesen sein soll. Seine insoweit widersprüchlichen Angaben zum Verbleib seines Reisepasses deuten vielmehr auf ein Zurückhalten von Identitätsdokumenten hin, um Abschiebemaßnahmen zu verhindern. Dies entkräftet der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht.

Soweit der Antragsteller vorträgt, er sei während des Asylverfahrens nicht dazu verpflichtet gewesen, an einer Identitätsklärung mitzuwirken, trifft dies in dieser Pauschalität nicht zu (§§ 49 Abs. 2, 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 15 AsylG). Der von ihm in der Beschwerde in Bezug genommene § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG betrifft lediglich die besondere Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG (vgl. zur Systematik des § 60b Abs. 2 AufenthG: Kluth, in: BeckOK Ausländerrecht, AufenthG § 60b Rn. 20 ff. (Stand: 1.7.2024)).

Auch hat der Antragsteller - unabhängig davon, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 60c Abs. 7 AufenthG vorliegen - nicht glaubhaft gemacht, dass das dem Antragsgegner zukommende Ermessen dahin reduziert ist, dass allein die Ausstellung einer Ausbildungsduldung eine von nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Fehlern freie Ermessensentscheidung darstellt, mithin das Ermessen "auf Null" reduziert ist.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG sowie Nr. 8.3 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).