Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.12.2024, Az.: 10 SLa 230/24

Befristungsgrund des vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Befristungsabrede; Beschäftigungsbedarf in Zeiten der Corona-Pandemie

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
10.12.2024
Aktenzeichen
10 SLa 230/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 30914
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:1210.10SLa230.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Göttingen - 28.02.2024 - AZ: 4 Ca 290/23 Ã

Fundstellen

  • EzA-SD 9/2025, 3-4
  • FA 2025, 121-122
  • öAT 2025, 84

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Befristungsgrund des vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG erfordert zwar nicht, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer in dem Bereich eingesetzt wird, in dem der Mehrbedarf entstanden ist. Es genügt vielmehr, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Denn der Arbeitgeber ist nicht gehindert, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zuzuweisen.

  2. 2.

    Der Arbeitgeber darf einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften jedoch nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des prognostizierten Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten.

  3. 3.

    Für das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen prognostiziertem Mehrbedarf und Befristung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und ggf. die Beweislast.

Tenor:

  1. 1.

    Der Befristungsgrund des vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG erfordert nicht, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer in dem Bereich eingesetzt wird, in dem der Mehrbedarf entstanden ist. Es genügt vielmehr, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zuzuweisen.

  2. 2.

    Der Arbeitgeber darf einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften jedoch nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des prognostizierten Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten.

  3. 3.

    Für das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen prognostiziertem Mehrbedarf und Befristung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und ggf. die Beweislast.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 28. Februar 2024 - 4 Ca 290/23 Ö - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Befristungsabrede. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts B-Stadt (Bl. 126 bis 132 d.A. I. Instanz) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Befristung sei nicht wegen eines vorübergehenden zusätzlichen Beschäftigungsbedarfs aufgrund der Nachholung während der COVID-19-Pandemie ausgefallener Lehrveranstaltungen sachlich gerechtfertigt. Solchen vorübergehenden Mehrbedarf im Umfang von 74 Semesterwochenstunden habe die Beklagte zwar dargelegt, nicht aber die erforderliche Kausalität zu der nur vorübergehenden Beschäftigung des Klägers. Dieser sei nicht mit der Nachholung der ausgefallenen Lehrveranstaltungen betraut worden. Zwar könne der Arbeitgeber die Arbeitsorganisation ändern und die Arbeit anders verteilen; erforderlich sei aber, dass zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Das erfordere die Darstellung, wie der Bedarf mit Stammarbeitnehmern, befristet beschäftigten Arbeitnehmern oder auf andere Weise abgedeckt werden solle; hieran fehle es. Darzulegen gewesen wäre die Planung, wann und in welcher Weise nachzuholende Veranstaltungen von anderen Mitarbeitern mit der Folge durchgeführt werden sollten, dass durch deren Ausfall vorübergehender Beschäftigungsbedarf für den Kläger entstanden wäre.

Gegen das ihr am 29. Februar 2024 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 25. März 2024 Berufung eingelegt und sie innerhalb der verlängerten Frist am 28. Mai 2024 begründet.

Die Berufung führt aus: Die Beklagte habe den Kausalzusammenhang zwischen dem vorübergehenden Mehrbedarf und der befristeten Beschäftigung des Klägers hinreichend dargelegt, indem sie den durch pandemiebedingte Ausfälle verursachten Mehraufwand in Semesterwochenstunden aufgezeigt habe. Die ausgefallenen sportpraktischen Veranstaltungen seien vom Stammpersonal der Beklagten nachgeholt worden, welches ansonsten Aufgaben des Klägers übernommen hätte. Dieser habe im Wege der Aufgabenumverteilung seine ursprünglichen Aufgaben in einer Vertretungskette weitergeführt. Es sei offenkundig, dass ein Lehrpensum von 74 Semesterwochenstunden nicht vom Stammpersonal zu kompensieren sei. Der Arbeitgeber dürfe die vorhandene Arbeitsmenge verteilen, die Organisation ändern oder den Mehrbedarf anderen Arbeitnehmern zuweisen. Die Nennung der zur Deckung des Mehrbedarfs befristet eingestellten Arbeitnehmer zu fordern, überspanne die Darlegungslast. Da der Kläger im Rahmen einer Vertretungskette tätig geworden sei, so dass er seine vormaligen Aufgaben weiter habe ausüben können, sei die erforderliche Kausalität gegeben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil nach Maßgabe seiner Berufungsbeantwortung vom (Bl. 82 bis 85 d.A. II. Instanz).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt erfolglos.

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2b ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 2 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

1.

Das Berufungsgericht folgt nach eigener Prüfung den zutreffenden Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, stellt dies hierdurch gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Entscheidungsgründe Bezug.

2.

Die Ausführungen der Berufung führen zu keinem anderen Ergebnis.

a)Der Befristungsgrund des vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG, auf den sich die Beklagte beruft, erfordert zwar nicht, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer in dem Bereich eingesetzt wird, in dem der Mehrbedarf entstanden ist. Es genügt vielmehr, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zuzuweisen (BAG 14. Dezember 2016 - 7 AZR 688/14 - Rn. 15 mwN; Boecken/Joussen TzBfG 7. Aufl. 2024 § 14 Rn. 57).

Er darf einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften jedoch nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des prognostizierten Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten (BAG 14. Dezember 2016 - 7 AZR 688/14 - Rn. 15 mwN; ErfK/Müller-Glöge 25. Aufl. 2025 TzBfG § 14 Rn. 23b mwN). Für das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen prognostiziertem Mehrbedarf und Befristung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und ggf. die Beweislast (BAG 14. Dezember 2016 - 7 AZR 688/14 - Rn. 15; Boecken/Joussen TzBfG 7. Aufl. 2024 § 14 Rn. 57).

b)Das Vorbringen der Beklagten lässt auch in der Berufungsinstanz nicht erkennen, dass die im Streit stehende Befristung auf einem nur vorübergehenden Mehrbedarf beruht.

aa)Der Kläger wurde im Befristungszeitraum, wie bereits zuvor, mit Daueraufgaben betraut, nämlich hauptsächlich mit der Durchführung regulärer Lehrveranstaltungen und der Mitwirkung bei Prüfungen. Dies ist zwischen den Parteien außer Streit.

bb)Einen zusätzlichen Mehrbedarf, der dadurch entstanden wäre, dass die Beklagte die vorhandene Arbeitsmenge verteilt, ihre Arbeitsorganisation geändert oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zugewiesen hätte, trägt sie nach wie vor nicht substantiiert vor.

(1)Sie behauptet lediglich, das durch pandemiebedingte Ausfälle entstandene Lehrdefizit von 74 Semesterwochenstunden könne nicht durch das Stammpersonal kompensiert werden, was "offenkundig" sei; der Kläger sei im Rahmen einer "Vertretungskette" tätig gewesen, so dass die Kausalität gegeben sei.

(2)Dieser Vortrag bleibt weit hinter dem die Beklagte treffenden Substantiierungserfordernis zurück. Er erlaubt weder dem Kläger eine Einlassung noch dem Gericht eine Überprüfung der streitigen Kausalität. Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, wäre es hierfür erforderlich gewesen vorzutragen, welche vom Kläger im Befristungszeitraum verrichteten Daueraufgaben aufgrund welcher Organisationsentscheidung in welchem zeitlichen Umfang von welchen anderen Beschäftigten wann und wie abgearbeitet werden sollten. Dies gilt umso mehr, als - wie die Beklagte selbst vorträgt - der Kläger allein bei weitem nicht 74 Semesterwochenstunden hätte kompensieren können. An einem solchen Vortrag fehlt es. Auf entsprechende Nachfrage des Arbeitsgerichts im Termin zur Kammerverhandlung hat die Beklagte vielmehr erklärt, die konkrete Planung hinsichtlich der Wahrnehmung nachzuholender Lehrveranstaltungen und der darauf beruhenden Aufgabenumverteilung lasse sich nicht mehr so nachvollziehen, dass sie vorgetragen werden könne. Auch im Berufungsrechtszug hat sie diesen erforderlichen Vortrag nicht nachgeholt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72b ArbGG) wird hingewiesen.