Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.06.2024, Az.: 12 K 38/24
Berücksichtigung und Höhe von Fahrtkosten für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstelle im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.06.2024
- Aktenzeichen
- 12 K 38/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 33231
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2024:0618.12K38.24.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VI R 2/25
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
- § 9 Abs. 2, Abs. 4 S. 3 EStG
Amtlicher Leitsatz
Für die Frage, ob eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses erfolgt, ist auf das einheitliche befristete Beschäftigungsverhältnis (wiederholt verlängertes Beschäftigungsverhältnis) und nicht lediglich auf den Zeitraum der Verlängerung abzustellen (vgl. BFH, Urteil vom 10. April 2019 VI R 6/17 , BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539, Rz. 34 und 35). Bei einem einheitlichen befristeten Beschäftigungsverhältnis liegt daher keine dauerhafte Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG vor, wenn der Einsatz des Arbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen besteht.
Tatbestand
Streitig ist, ob Fahrtkosten, die im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses entstanden sind, mit 0,30 € pro Entfernungskilometer (Entfernungspauschale) oder mit 0,30 € pro gefahrenen Kilometer (Auswärtstätigkeit) als Werbungskosten berücksichtigt werden können.
Der Kläger wird in den Streitjahren einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er war seit dem 23. Januar 2015 mit einem befristeten Arbeitsvertrag bei der Firma X angestellt, einem Personaldienstleister (Verleiher), der über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verfügt und u.a. Arbeitnehmer im Rahmen von Zeitarbeit überlässt.
Unter § 3 des Arbeitsvertrages wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er an verschiedenen Orten bundesweit eingesetzt werden könne. Er musste arbeitsvertraglich sein Einverständnis erklären, anderen Firmen zur Arbeitsleistung überlassen zu werden. Der Kläger wurde zudem darauf hingewiesen, dass der Verleiher sich vorbehalte, aus betrieblichen Gründen Umsetzungen und Versetzungen vorzunehmen.
Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. November 2015 befristet. Jeweils mit Ablauf der Befristung erfolgte eine Verlängerung des Leiharbeitsverhältnisses (bis 31. Januar 2016 gemäß Vertragsverlängerung vom 20. November 2015; bis 30. April 2016 gemäß Vertragsverlängerung vom 25. Januar 2016; bis 30. September 2016 gemäß Vertragsverlängerung vom 11. April 2016; bis zum 31. Dezember 2017 gemäß Vertragsverlängerung vom 17. März 2017).
Bis zum 31. Dezember 2017 war der Kläger als Produktionshelfer bei dem Entleiher Y im Werk in A zunächst in der Schmelzerei und dann ab dem 15. Mai 2017 in der Montage eingesetzt. Die Zuweisungen von der X (Verleiher) erfolgten dabei jeweils befristet und wurden in Absprache mit dem Entleiher Y jeweils (kurzfristig) verlängert. Wegen der Einzelheiten wird auf Schreiben der X vom 18. April 2024 im Rahmen des Auskunftsersuchens des Gerichts Bezug genommen.
Im Januar 2018 mündete das Zeitarbeitsverhältnis schließlich in eine Festanstellung bei der Y.
In seinen Einkommensteuererklärungen beantragte der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten ins Werk der Y nach A als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit mit 0,30 € je gefahrenen Kilometer:
2016: 230 Tage x 100 km x 0,30 € = 6.900 €
2017: 230 Tage x 90 km x 0,30 € = 6.210 €
Der Beklagte berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für 2016 vom 4. Mai 2017 und für 2017 vom 16. Juli 2018 die Fahrtkosten lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale:
2016: 230 Tage x 45 km x 0,30 € = 3.105 €
2017: 230 Tage x 45 km x 0,30 € = 3.105 €
Nach Ansicht des Beklagten liege keine Auswärtstätigkeit vor, weil der Kläger dem Entleiher dauerhaft zugeordnet gewesen sei. Ferner wies er daraufhin, dass die einfache Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und seiner ersten Tätigkeitsstätte beim Entleiher in A (nur) 45 km betrage.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinen Einsprüchen vom 11. Mai 2017 (2016) und vom 2. August 2018 (2017). Er begehrte u.a. bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Einkommensteuergesetz - EStG -) für die Streitjahre jeweils den Ansatz von Fahrtkosten in Höhe von 6.210 € (230 Tage x 90 km x 0,30 €). Eine erste Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG liege nicht vor und demnach seien Reisekosten zu berücksichtigen. Das typische Vertragsverhältnis eines Leiharbeiters bedinge gerade, dass dieser flexibel eingesetzt werde und somit nicht unbefristet an einer Tätigkeitsstelle eingesetzt sein könne. Selbst dann nicht, wenn er rückblickend in der Vergangenheit eine gewisse Zeit an einem "festen Ort" gearbeitet habe. Fehle es an einer gesetzlich geforderten Dauerhaftigkeit der Zuordnung zu einem Leihbetrieb im Sinne der gesetzlichen Fiktion gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, komme eine Einordnung als erste Tätigkeitsstätte auch bei Erfüllen der quantitativen Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG generell nicht in Betracht. Ferner seien arbeitsrechtliche Bestimmungen zu beachten, denn das Arbeitsrecht verbiete eine dauerhafte Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers (BAG, Beschluss vom 30. September 2014 -1 ABR 79/12 -, juris).
Auf Antrag des Klägers ruhte das Einspruchsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von der Finanzverwaltung beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegten Revision - VI R 6/17 - gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgericht vom 30. November 2016 - 9 K 130/16 -.
Nachdem der BFH die Revision mit Urteil vom 10. April 2019 - VI R 6/17 - zurückgewiesen hatte, nahm der Beklagte die Bearbeitung der bis dahin ruhenden Einsprüche wieder auf und wies diese mit Einspruchsentscheidung vom 20. April 2020 als unbegründet zurück. Der Kläger sei in den Streitjahren dauerhaft in dem Werk der Y in A eingesetzt worden. Nach der Rechtsprechung des BFH befinde sich seine erste Tätigkeitsstätte, nach Ansicht des Beklagten, somit in A.
Mit seiner am 30. April 2020 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er als Arbeitnehmer an verschiedenen Orten hätte eingesetzt werden können. Es sei auch eine Versendung innerhalb des Betriebes der Y von der Schmelzerei in die Montage erfolgt. Der Arbeitsvertrag mit der X sei von vornherein befristet gewesen und habe einen Zeitraum von 48 Monaten nicht überschritten. Bereits bei seiner Einstellung sei ihm mitgeteilt worden, dass wenn ein Bedarf im Betrieb der Y am Standort in A nicht mehr bestünde, er damit rechnen müsse, an den Standort in B entliehen zu werden. Er habe "Glück gehabt", dass er weiter am Standort in A habe arbeiten können. Andere Leiharbeiter, die gemeinsam mit ihm angestellt worden seien, hätten dagegen in das Werk in B wechseln müssen.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 4. Mai 2017 sowie den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 16. Juli 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2020 dergestalt zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit als Fahrtkosten in Höhe von jeweils 3.105 € anerkannt und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Aus der Tatsache, dass aufgrund des Arbeitsvertrages ein Einsatz an verschiedenen Orten bundesweit und bei unterschiedlichen Entleihern möglich gewesen wäre, lasse sich nicht die Anwendung von Dienstreisegrundsätzen ableiten. Auch der erfolgte Einsatz in zwei unterschiedlichen Abteilungen der Y sei für die Beurteilung einer steuerlichen "ersten Tätigkeitsstätte" unbedeutend. Es liege vielmehr eine dauerhafte Zuordnung im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG hinsichtlich des Einsatzortes bei der Y im Werk in A vor. Unstreitig sei der Arbeitsvertrag mit der X befristet gewesen. Jedoch sei der Vertrag jeweils vor Ablauf der Befristung schriftlich durch bloßes Hinausschieben des Beendigungszeitpunkt bei ansonsten unveränderten Vertragsverhältnissen verlängert worden. Dies sei im Rahmen des Auskunftsersuchens durch die X nochmals bestätigt worden. Werde aber ein Leiharbeiter - wie der Kläger - ausschließlich bei demselben Entleiher/Einsatzort eingesetzt, so liege eine erste Tätigkeitsstätte vor, wenn - wie im Streitfall - die jeweiligen Befristungen laut Arbeitsvertrag mit den Entsendemitteilungen identisch seien, da somit die Überlassung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses erfolge. Dies habe der BFH sowohl in seiner Entscheidung vom 10. April 2019 - VI R 6/17 als auch in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 bestätigt. Zwar hätte der Kläger aufgrund des abgeschlossenen Arbeitsvertrages auch vor Ablauf der Befristung in einem anderen Werk der Y an einem anderen Standort eingesetzt werden können. Nach den tatsächlichen Abläufen - zeitlicher Gleichlauf der jeweiligen Dauer der Befristung des Arbeitsverhältnisses sowie der Dauer der befristeten Zuordnung - sei jedoch von Anfang an "geplant" gewesen, den Kläger über den gesamten Einsatzzeitraum an den Betrieb der Y in A zu entleihen. Auch im Rahmen einer ex ante Betrachtung müsse man auf den wahrscheinlichsten Ablauf abstellen. Die Fahrtaufwendungen des Klägers seien daher zutreffend mit der Entfernungspauschale berücksichtigt worden, da der Kläger während des gesamten befristeten Arbeitsverhältnisses im Werk der Y in A eingesetzt gewesen sei. Lediglich in den Fällen, in denen eine nur vorübergehende Abordnung im Rahmen einer Entleihe bei zugrundeliegendem unbefristeten Arbeitsvertrag bestehe, müsse eine dauerhafte Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses verneint werden. Diese Situation liege jedoch im Streitfall nicht vor. Die Grundsätze des BFH-Urteils vom 12. Mai 2022 (Az. VI R 32/20, BStBl II 2023, 35) fänden daher auf den Streitfall keine Anwendung, da der Urteilssachverhalt und der Streitfallsachverhalt nicht identisch seien.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 4. Mai 2017 sowie der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 16. Juli 2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2020, sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zu Unrecht ist das beklagte Finanzamt davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG in der für die Streitjahre 2016 und 2017 geltenden Fassung für die Fahrten von der Wohnung zur betrieblichen Einrichtung des Entleihers nur die Entfernungspauschale geltend machen kann.
1. Grundsätzlich sind beruflich veranlasste Fahrtkosten Erwerbsaufwendungen, die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG (in der für die Streitjahre geltenden Fassung) in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung), ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).
Die unterschiedliche steuerliche Berücksichtigung beruflich veranlasster Mobilitätskosten durch die Abzugsfähigkeit im Rahmen der Entfernungspauschale oder nach Reisekostengrundsätzen orientiert sich daran, ob ein Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, seine Wegekosten gering zu halten, etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch entsprechende Wohnsitznahme (BFH, Urteil vom 9. Februar 2012 - VI R 22/10 -, BFHE 236, 426, BStBl II 2012, 827; Urteil vom 8. August 2013 - VI R 59/12 -, BFHE 242, 354, BStBl II 2014, 66; FG München, Urteil vom 21. März 2023 - 6 K 1233/20 -, juris).
2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 (BGBl I 2013, 285) neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte" (vgl. BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.).
a) Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht (siehe hierzu auch BFH, Urteile jeweils vom 11. April 2019 - VI R 40/16 -, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546 und - VI R 12/17 -, BFHE 264, 265, BStBl II 2019, 551).
b) Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht (BFH, Urteil vom 11. April 2019 - VI R 40/16 -, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546).
Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist durch alle nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll (vgl. BFH, Urteil vom 11. April 2019 - VI R 40/16 -, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546).
c) Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, nicht an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (vgl. BFH, Urteil vom 4. April 2019 - VI R 27/17 -, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536 und Urteil vom 11. April 2019 - VI R 40/16 -, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546).
d) Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer
unbefristet (1. Alternative),
für die Dauer des Dienstverhältnisses (2. Alternative) oder
über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus (3. Alternative)
an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
aa) Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (BFH, Urteil vom 4. April 2019 - VI R 27/17 -, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536).
Ist das Arbeitsverhältnis seinerseits befristet, kommt eine unbefristete Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht. Denn es ist in einem solchen Fall ausgeschlossen, dass "der Arbeitnehmer unbefristet [...] an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll", wie es § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut voraussetzt (BFH, Urteil vom 10. April 2019 - VI R 6/17 -, BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539).
bb) Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt (BFH, Urteil vom 4. April 2019 - VI R 27/17 -, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536).
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das beklagte Finanzamt zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Betrieb des Entleihers in A in den Streitjahren die erste Tätigkeitsstätte des Klägers war.
a) Maßgeblich für die Beurteilung ist vorliegend das zwischen dem Kläger und der X bestehende Arbeitsverhältnis (sog. Leiharbeitsverhältnis, vgl. BAG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 5 AZR 252/16 -, BAGE 158, 205-213 und Urteil vom 23. November 2016 - 5 AZR 53/16 -, BAGE 157, 213-219 sowie BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35).
Im Fall der wirtschaftlichen Arbeitnehmerüberlassung i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (AÜG, hierzu z.B. BAG, Urteil vom 2. Juni 2010 - 7 AZR 946/08 -, juris) besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ein Arbeitsverhältnis allein zwischen dem Verleiher (hier: X) und dem Arbeitnehmer. Der Entleiher (hier: Y) nimmt nur die Arbeitsleistung entgegen, lenkt sie nach Bedarf durch Weisungen und erfüllt die korrespondierenden Fürsorgepflichten (BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.). Entsprechend ist der Verleiher lohnsteuerrechtlicher Arbeitgeber i.S. des § 38 EStG (z.B. Eisgruber in: Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 42d, Rz 58).
Auch während der Überlassung des Arbeitnehmers bleibt der Verleiher dessen Arbeitgeber (BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.). Der Gesetzgeber hat mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG den Leiharbeitnehmer arbeitsrechtlich dem Verleiher zugeordnet und deshalb allein diese Beziehung als Arbeitsverhältnis qualifiziert. Nur dort, wo das Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist, fingiert § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher (zum lohnsteuerrechtlichen Arbeitgeber siehe BFH, Urteil vom 2. April 1982 - VI R 34/79 -, BFHE 135, 501, BStBl II 1982, 502 und Urteil vom 4. Februar 1983 - VI R 63/81 -, juris). Damit schließt das AÜG zugleich für den Regelfall ein vertraglich begründetes Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher als Rahmen für die Leistungsverbringung des Leiharbeitnehmers aus (BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.).
Bei der Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Verleihers prägt die Verpflichtung des Leiharbeitnehmers, nach Weisung seines Arbeitgebers (Verleiher) bei verschiedenen Entleihern zu arbeiten, das Arbeitsverhältnis (BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.).
Nach der Intention des Gesetzgebers soll das Leiharbeitsverhältnis im Regelfall ein unbefristetes Arbeitsverhältnis sein. Der Arbeitnehmer ist im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses verpflichtet, bei wechselnden Dritten und nach deren Weisungen zu arbeiten, weshalb sein Arbeitsvertrag von vornherein die Auswechslung und Bestimmung der Entleiher durch den Verleiher vorsehen muss. Der Verleiher legt dann durch einseitige Bestimmung den jeweiligen Empfänger der Arbeitsleistung, den Entleiher, für den Leiharbeitnehmer verbindlich fest (BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.).
b) Bei dem Betrieb des Entleihers in A handelt es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung eines vom Arbeitgeber - X - bestimmten Dritten. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Senat sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.
c) Dieser Einrichtung war der Kläger aufgrund entsprechender wiederholender Weisungen seines Arbeitsgebers im Streitjahr auch unstreitig zugeordnet.
d) Entgegen der Ansicht des beklagten Finanzamtes war die Zuordnung des Klägers zu der Einrichtung des Entleihers nicht dauerhaft i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG.
aa) Da der Kläger bei der X lediglich befristet beschäftigt war, kommt nach den oben gemachten Ausführungen die Annahme der 1. Alternative des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG von vornherein nicht in Betracht (BFH, Urteil vom 10. April 2019 - VI R 6/17 -, BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539).
bb) Die Zuordnung erfolgte auch nicht gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG aus der maßgeblichen Sicht ex ante betrachtet für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses.
aaa) Eine dauerhafte Zuordnung gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG ergibt sich im Streitfall - entgegen der Ansicht des Beklagten - gerade nicht aus den Grundsätzen der Entscheidung des BFH vom 10. April 2019 - VI R 6/17 - (BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539). Der Beklagte verkennt die Aussage der BFH-Entscheidung soweit er die Ansicht vertritt, dass, wenn bei einem befristeten Arbeitsverhältnis die Dauer der jeweiligen Befristung der Dauer der wiederholten befristeten Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte entspräche, regelmäßig von einer dauerhaften Zuordnung auszugehen sei. Vielmehr hat der BFH in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt, dass, wenn ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Befristung schriftlich durch bloßes Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts bei ansonsten unverändertem Vertragsinhalt verlängert werde, ein einheitliches befristetes Beschäftigungsverhältnis vorliege. Bei einer bloßen Verlängerung wird das bisherige befristete Arbeitsverhältnis nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) lediglich über den zunächst vereinbarten Endtermin bis zu dem neu vereinbarten Endtermin fortgesetzt. Dies ist der Fall, wenn die Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts zum einen noch vor Abschluss der Laufzeit des bisherigen Vertrags in schriftlicher Form vereinbart wird und der Vertragsinhalt zum anderen ansonsten unverändert bleibt; andernfalls handelt es sich um den - nicht ohne weiteres zulässigen - Neuabschluss eines befristeten Arbeitsvertrags (s. z.B. BAG, Urteile vom 16. Januar 2008 - 7 AZR 603/06, BAGE 125, 248 und vom 26. Oktober 2016 - 7 AZR 535/14, Rz 18 und 24; BFH, Urteil vom 10. April 2019 - VI R 6/17 -, BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539, Rz. 34 und 35). Für die Frage, ob eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses erfolgt, ist daher nach der vorgenannten Entscheidung des BFH auf das einheitliche Beschäftigungsverhältnis und nicht lediglich auf den Zeitraum der Verlängerung abzustellen (BFH, Urteil vom 10. April 2019 - VI R 6/17 -, BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539, Rz. 34 und 35). Anders wäre dies nur, wenn jede Verlängerung der Befristung zugleich ein neues Beschäftigungsverhältnis darstellen würde.
Im Streitfall lag danach nur ein einziges, wiederholt verlängertes Beschäftigungsverhältnis des Klägers zu seinem Arbeitgeber von Januar 2015 bis Januar 2018 vor, da die X das Beschäftigungsverhältnis jeweils schriftlich vor Ablauf der Befristung verlängerte und der übrige Vertragsinhalt in diesem Zusammenhang ansonsten nicht geändert wurde.
Der Kläger war daher dem Betrieb der Y in A aus ex ante Sicht nicht für die Dauer seines befristeten Beschäftigungsverhältnisses (§ 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG) zugeordnet. Er wurde vielmehr während seines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses von Januar 2015 bis Januar 2018 wiederholt befristet der Tätigkeitsstätte in A zugeordnet.
bbb) Auch kann aus dem Umstand, wie der Beklagte meint, dass die Dauer der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses jeweils der Dauer der wiederholten befristeten Zuordnung entsprach, nicht geschlossen werden, das ex ante betrachtet von Anfang an "geplant" gewesen sei, den Kläger dauerhaft der Tätigkeitstätte in A zuzuordnen.
Für die Frage der dauerhaften Zuordnung ist entscheidend auf die zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarungen abzustellen.
Die X hat dazu im Rahmen des gerichtlichen Auskunftsersuchens mit Schreiben vom 18. April 2024 ausgeführt, dass der Kläger jeweils befristet beim Entleiher eingesetzt worden sei. Der weitere Einsatz des Klägers beim Entleiher sei davon abhängig gewesen, dass der Verleiher mit dem Entleiher nach Ablauf der jeweiligen Frist eine weitere (wiederum befristete) Arbeitnehmerüberlassung vereinbarte. Danach war der Kläger aber nicht "bis auf Weiteres" für die Dauer des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (Januar 2015 bis Januar 2018) beim Entleiher eingesetzt. Aufgrund der "befristeten" Einsätze des Klägers beim Entleiher kann nur eine ebenfalls befristete Zuordnung des Klägers zu der betrieblichen Einrichtung des Entleihers angenommen werden.
Besteht der Einsatz des Arbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG (BFH, Urteil vom 12. Mai 2022 - VI R 32/20 -, BFHE 277, 167, BStBl II 2023, 35, m.w.N.). Der Ansicht des Beklagten, dass die Grundsätze der vorgenannten Entscheidung des BFH auf den Streitfall keine Anwendung fänden, kann nicht gefolgt werden. Dem Beklagten ist zwar insoweit zuzustimmen, dass sich der Sachverhalt im Streitfall von dem dem BFH im vorgenannten Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt insoweit unterscheidet, dass im Entscheidungsfall des BFH zwischen dem Arbeitnehmer und dem Verleiher ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestand. Wie aber bereits ausgeführt, liegt im Streitfall ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vor, bei dem für die Frage der dauerhaften Zuordnung auf die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses von Januar 2015 bis Januar 2018 und nicht auf die einzelne Verlängerung abzustellen ist. Demnach übersteigt auch im Streitfall die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses die jeweils befristete Zuordnung des Klägers an den Entleiher.
Der Kläger konnte danach zu Beginn seiner Tätigkeit (aus ex ante Sicht) nicht davon ausgehen im Werk der Y in A dauerhaft tätig zu sein. Er hat vielmehr erst kurzfristig vor Ablauf seiner Zuordnung erfahren, dass er weiterhin wiederum befristet beim Entleiher im Werk in A eingesetzt werden soll. Er konnte sich daher nicht - wie der Beklagte meint - auf den immer gleichen Arbeitsweg einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Der Beklagte nimmt hier eine nicht zulässige ex post Betrachtung vor.
cc) Schließlich war der Kläger dem Unternehmen des Entleihers aus der maßgeblichen Sicht ex ante aber auch nicht nach § 9 Abs. 4 Satz 3 3. Alternative EStG über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus zugeordnet. Dem stehen die zwar stetig wiederholten, aber jeweils nur befristet erfolgten Einsätze des Klägers und letztlich auch § 1 AÜG in der im Streitjahr geltenden Fassung entgegen, wonach die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher nur vorübergehend erfolgt (nach der ab dem 1. April 2017 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1b AÜG darf - vorbehaltlich einer abweichenden tarifvertraglichen Regelung - der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 Monate demselben Entleiher überlassen). Nach den erfolgten Zuweisungen lag keine einzelne Abordnung an den Entleiher über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten vor. Darauf, dass dieser Zeitraum bei einer ex post Betrachtung überschritten wird, kommt es nach dem Gesetz nicht an, was im Übrigen im Streitfall auch nicht der Fall war.
dd) Zwar handelt es sich bei § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG lediglich um Regelbeispiele für eine dauerhafte Zuordnung. Eine dauerhafte Zuordnung kann daher grundsätzlich auch unter anderen Voraussetzungen gegeben sein. Dies erfordert jedoch, dass diese anderen Voraussetzungen mit den im Gesetz genannten Regelbeispielen zumindest vergleichbar sein müssen. Dies kann hier nicht festgestellt werden.
e) Die Höhe der Fahrtkosten steht zwischen den Beteiligten nicht in Streit. Die Werbungskosten des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit sind in den Streitjahren deshalb um weitere Fahrtkosten in Höhe von jeweils 3.105 € zu erhöhen.
Nach alledem hatte die Klage in vollem Umfang Erfolg.
2. Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2016 und 2017 wird dem beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO übertragen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).