Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.01.2025, Az.: 13 FEK 154/22
Entschädigungszahlung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens i.R.e. aufenthaltsrechtlichen Klageverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.01.2025
- Aktenzeichen
- 13 FEK 154/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 10148
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2025:0113.13FEK154.22.00
Rechtsgrundlage
- § 198 Abs. 1 S. 1, 2 GVG
Amtlicher Leitsatz
Zur angemessenen Verfahrensdauer eines aufenthaltsrechtlichen Klageverfahrens mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad und durchschnittlicher Bedeutung für den Kläger sowie ohne ein zu einer relevanten Verzögerung des Rechtsstreits beitragendes Prozessverhalten des Klägers.
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Juni 2022 sowie weitere 1.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. März 2024 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 3/5 und der Beklagte zu 2/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung eines Betrags von mehr als 1.800 EUR durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg (; im Folgenden: Ausgangsverfahren).
Der Kläger - ein vietnamesischer Staatsangehöriger - reiste am 11. Dezember 2004 ohne ein zur Einreise bzw. zum Aufenthalt berechtigendes Dokument und ohne Identitätsdokument in die Bundesrepublik Deutschland ein. Da er ein Asylverfahren anstrebte, wurde er an die Erstaufnahmeeinrichtung in G. -Stadt weitergeleitet. Dort wurde allerdings kein Asylantrag gestellt. Es ist unklar, ob der Kläger daraufhin die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat. Nach einer angeblich erneuten Einreise im Jahr 2007 konnte der im Rahmen einer Verkehrskontrolle überprüfte Kläger wiederum weder ein zur Einreise bzw. zum Aufenthalt berechtigendes Dokument noch ein Identitätsdokument vorweisen. Bei der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde H. -Stadt, an die der Kläger im Hinblick auf die angeblich beabsichtigte Asylantragstellung verwiesen worden war, erschien er nicht. Es ist unklar, ob der Kläger die Bundesrepublik Deutschland in der Folgezeit verlassen hat.
Der Kläger ist Vater einer am ... 2017 in A-Stadt geborenen Tochter, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG ist. Der Kläger wohnt mit diesem Kind und der Kindesmutter - einer vietnamesischen Staatsangehörigen - als Lebensgefährtin zusammen. Diese ist im Hinblick auf ihren am ... 2014 geborenen deutsch-vietnamesischen Sohn im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Am 14. Mai 2018 wurde dem Kläger von der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen eine Duldung ausgestellt.
Bei einer Vorsprache am 10. Juli 2018 bei der Ausländerbehörde der Stadt I., der Beklagten des Ausgangsverfahrens, legte der Kläger einen vom 9. Oktober 2017 bis zum 9. Oktober 2027 gültigen vietnamesischen Nationalpass vor und gab an, im Januar 2017 wieder nach Deutschland eingereist zu sein. Mit Schreiben vom 7. November 2018 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die die Ausländerbehörde der Stadt I. mit Bescheid vom 27. Juni 2019 ablehnte. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe ein Ausweisungsinteresse aufgrund des über 14-jährigen illegalen Aufenthalts des Klägers entgegen. Auch sei der Kläger nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist und habe die zur Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumverfahren gemacht. Trotz Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens aufgrund des Alters der Tochter (seinerzeit 1 1/2 Jahre) betätigte die Ausländerbehörde ihr Ermessen dahingehend, dass das generalpräventive öffentliche Interesse an der Verhinderung langjähriger illegaler Aufenthalte die familiären Interessen überwiege. Auch die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 36 Abs. 2 AufenthG lägen nicht vor, da es dem deutsch-vietnamesischen Sohn der Lebensgefährtin des Klägers zumutbar sei, zusammen mit seiner Familie in Vietnam aufzuwachsen.
Im Ausgangsverfahren hat der Kläger am 8. Juli 2019 vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg Klage erhoben und beantragt, die Stadt I. unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Juni 2019 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Mit Schriftsatz vom 16. August 2019 begründete der Kläger seine Klage und unterbreitete einen Vergleichsvorschlag. Mit Schriftsatz vom 3. September 2019 beantragte die Stadt I., die Klage abzuweisen. Sie hielt an ihrer in dem angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und lehnte den Vergleichsvorschlag des Klägers ab. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2020 ergänzte der Kläger seine Klagebegründung, verzichtete auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und bat anderenfalls um baldige Terminierung. Unter dem 22. Januar 2021 erwiderte die Stadt I. auf den Schriftsatz vom 18. Dezember 2020.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2021 erhob der Kläger Verzögerungsrüge. Das Klageverfahren sei seit mehr als 2 1/4 Jahren anhängig. Allerspätestens seit dem 18. Dezember 2020 bestehe Entscheidungsreife.
Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2022 teilte der Kläger mit, dass er mit seiner Lebensgefährtin ein am ... 2021 geborenes weiteres Kind bekommen habe. Im Hinblick auf die Verfahrensdauer kündigte er die Erhebung einer Entschädigungsklage an. Auf die vom Verwaltungsgericht erbetene Stellungnahme beantragte die Stadt I. aufgrund krankheitsbedingter Personalengpässe mit Schriftsatz vom 22. Februar 2022 Fristverlängerung bis zum 15. März 2022. Nach gewährter Fristverlängerung teilte die Stadt I. mit Schriftsatz vom 11. März 2022 mit, die Geburt des Kindes sei bereits bekannt und könne "sachlich nicht der ergangenen Entscheidung hinzutreten". Unter dem 15. März 2022 wies der Kläger darauf hin, dass "die Sache" nach neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eindeutig sei. Er halte seinen Vergleichsvorschlag nicht mehr aufrecht. Die Stadt I. möge sich aus Kostengründen überlegen, den Kläger klaglos zu stellen. Er forderte die beklagte Stadt I. auf, sich zu dem seinerseits erklärten Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu erklären. Sollte die Stadt I. den Kläger bis zum 17. Mai 2022 nicht klaglos gestellt haben oder das Verwaltungsgericht nicht terminiert oder eine Entscheidung getroffen haben, werde er eine Entschädigungsklage nach § 198 GVG erheben. Mit Verfügung vom 15. März 2022 forderte der Berichterstatter die Stadt I. zur Stellungnahme bis zum 1. April 2022 auf, ob der Kläger unter Berücksichtigung der von ihm angeführten Rechtsprechung klaglos gestellt werden solle. Nach gewährter Fristverlängerung begründete die Stadt I. mit Schriftsatz vom 14. April 2022, warum sie die Klage weiterhin für unbegründet halte. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung könne aus ihrer Sicht verzichtet werden. Unter dem 29. April 2022 trat der Kläger der Rechtsauffassung der Stadt I. entgegen und verwies erneut auf die beabsichtigte Erhebung einer Entschädigungsklage. Auf diesen Schriftsatz erwiderte wiederum die Stadt I. mit Schriftsatz vom 20. Mai 2022.
Am 24. Mai 2022 hat der Kläger bei dem Oberverwaltungsgericht die vorliegende Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erhoben (Entschädigungsklage), die dem Beklagten am 8. Juni 2022 zugestellt worden ist. Mit Beschluss vom 4. August 2022 hat der Berichterstatter des Senats nach vorheriger Anhörung der Beteiligten das Verfahren über die Entschädigungsklage bis zur abschließenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg in dem Ausgangsverfahren ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 17. Mai 2023 forderte der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ausgangsverfahren die Übersendung aktueller PKH-Unterlagen bis zum 9. Juni 2023. Zugleich fragte er an, ob für den Kläger eine Erledigung des Rechtsstreits durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG in Betracht komme. Nachdem der Kläger die angeforderten PKH-Unterlagen mit Schriftsatz vom 19. Juni 2023 eingereicht und der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts die Frist zur Stellungnahme bis zum 14. Juli 2023 verlängert hatte, bat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. September 2023 erneut um Fortgang des Verfahrens. Mit Verfügung vom 26. September 2023 kündigte der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts eine Entscheidung über den PKH-Antrag für Oktober 2023 an. Mit Beschluss vom 13. November 2023 wurde das Ausgangsverfahren zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Mit Beschluss vom gleichen Tage bewilligte der Einzelrichter dem Kläger unter Hinweis auf eine mögliche Titelerteilung nach § 25 Abs. 5 AufenthG Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug und ordnete den Prozessbevollmächtigten des Klägers zu dessen Vertretung bei. Gleichzeitig bat der Einzelrichter die beklagte Stadt I. unter Verweis auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen um Überprüfung ihrer Rechtsauffassung zu § 25 Abs. 5 AufenthG und Stellungnahme bis zum 15. Dezember 2023. Unter diesem Datum erklärte die Stadt I., sie teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht und halte an der Abweisung der Klage fest. Der Kläger habe aber bei Ausreise einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG und dürfe mit einem entsprechenden Visum wieder einreisen. Die Stadt I. sei gewillt, eine Vorabzustimmung zum Familiennachzug zu erteilen. Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2024 bat der Kläger um Unterbreitung eines entsprechenden Vergleichsvorschlags des Gerichts. Daraufhin unterbreitete der Einzelrichter durch Beschluss vom 23. Januar 2024 nach § 106 Satz 2 VwGO den Beteiligten des Ausgangsverfahrens einen Vergleichsvorschlag, den diese mit Schriftsätzen vom 8. Februar 2024 und 9. Februar 2024 annahmen.
Mit Verfügung vom 28. Februar 2024 hat der Berichterstatter des Senats das Entschädigungsklageverfahren wiederaufgenommen.
Zur Begründung seiner Entschädigungsklage trägt der Kläger vor, das Verfahren sei seit der Erwiderung der Ausländerbehörde mit ihrem Schriftsatz vom 3. September 2019 als Erwiderung auf die Klagebegründung "ausgeschrieben". Durch die während des laufenden Klageverfahrens erfolgte Geburt eines weiteren Kindes des Klägers und seiner Lebensgefährtin habe sich nichts geändert. Infolge dieser Entscheidungsreife spätestens im September 2019 habe das Verwaltungsgericht das Verfahren spätestens im März 2020 terminieren und dann entscheiden können. Seit Anfang April 2020 bestehe deshalb ein Schmerzensgeldanspruch wegen unangemessener Dauer des Verfahrens. Für den geduldeten Kläger sei es wegen der stets nur kurzfristig verlängerten Duldung schwierig gewesen, eine Arbeitsstelle zu bekommen und zu behalten. Für den Kläger, seine Lebensgefährtin und die beiden gemeinsamen Kinder habe das Verfahren existenzielle Bedeutung gehabt, weil von dessen Ausgang maßgeblich abgehangen habe, ob er seinen Aufenthalt dauerhaft legalisieren könne oder ob er die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen habe und dadurch von seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern getrennt werde. Den Entschädigungsbetrag bezifferte er in seiner Klageschrift vom 24. Mai 2022 zunächst mit 2.500 EUR für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. April 2022. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2024, dem Beklagten nachweislich zugegangen am 19. März 2024, erweiterte er seine Klage und erhöhte diesen Betrag um weitere 2.076 EUR für den Zeitraum vom 1. Mai 2022 bis zum 23. Januar 2024.
Die Kosten eines teilweise von einem Beklagten während eines laufenden Prozesses ausgesprochenen sofortigen Anerkenntnisses seien auch dann von diesem zu tragen, wenn nach dem Ausspruch keine Zahlung entsprechend dem Anerkenntnis erfolge. Zudem wirke sich eine ungebührliche Verzögerung der Schadensregulierung vor allem im Falle eines erkennbar bestehenden Anspruchs schmerzensgelderhöhend aus. Geldschulden seien Bringschulden. Seine Kontoverbindung über seinen Prozessbevollmächtigten sei dem Beklagten seit der Klageerhebung bekannt, ebenso dessen Vollmachtsurkunde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klageschrift vom 24. Mai 2022 zu zahlen,
sowie
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weitere 2.076 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung des Schriftsatzes vom 27. Februar 2024 zu zahlen.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. Mai 2024 den Entschädigungsanspruch des Klägers in Höhe von 1.800 EUR anerkannt und beantragt sinngemäß,
die Klage im Übrigen abzuweisen.
Der Anspruch des Klägers auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer nach § 198 GVG werde für den Zeitraum von Juni 2022 bis Mitte Mai 2023 und von Mitte Juni 2023 bis Mitte November 2023 anerkannt. Es liege insoweit ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne des § 156 VwGO vor, sodass die Kosten des Verfahrens auch insofern dem Kläger aufzuerlegen seien. Hinsichtlich des mit dem für den Entschädigungszeitraum vom 1. Mai 2022 bis zum 23. Januar 2024 im Klageerweiterungsschriftsatz vom 27. Februar 2024 geltend gemachten weiteren Betrags von 2.076 EUR sei dieses mit Schriftsatz vom 24. Mai 2024 abgegebene Anerkenntnis seine - des Beklagten - erste Äußerung in der Sache. Anlass zur Klageerhebung habe er insoweit nicht gegeben. Die sofortige Erfüllung des Anspruchs sei nicht Voraussetzung der Kostentragungspflicht des § 156 VwGO. Anderenfalls wäre ein Anerkenntnisurteil regelmäßig überflüssig, da die Erfüllung zur Erledigung des Rechtsstreits führe und § 156 VwGO dann nur noch Bedeutung im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO erlangte. Eine ungebührliche Verzögerung der Schadensregulierung liege ebenfalls nicht vor, da der Kläger dem Beklagten weder vorprozessual noch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens mitgeteilt habe, ob eine Zahlung der Entschädigung an den Kläger persönlich oder an einen zum Empfang des anerkannten Entschädigungsbetrags Bevollmächtigten vorzunehmen sei.
Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Der vom Kläger dem Verwaltungsgericht eingeräumte Gestaltungsspielraum von gerade einmal sechs Monaten sei deutlich zu kurz bemessen. Das Verfahren habe entgegen der Auffassung des Klägers allenfalls durchschnittliche Bedeutung für ihn gehabt. Da er eine Duldung erhalten habe, sei es nicht um das "Ob", sondern allein um das "Wie" des Aufenthalts gegangen. Die Abschiebung sei ihm nicht angedroht worden. Soweit ersichtlich habe eine zwangsweise Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens unmittelbar bevorgestanden. Das mache auch der Kläger nicht geltend. Die Legalisierung des Aufenthalts könne unabhängig von der Dauer des Klageverfahrens grundsätzlich auch rückwirkend erfolgen. Die Gefahr eines unwiederbringlichen Rechtsverlusts habe nicht bestanden. Der Kläger sei ausweislich der vorgelegten Verdienstabrechnungen über viele Jahre hinweg bei der J. in I. tätig gewesen. Dass diese Erwerbstätigkeit durch seinen Aufenthaltsstatus gefährdet oder erschwert gewesen sei, habe er nicht vorgetragen.
Das Ausgangsverfahren habe einen durchschnittlichen bis leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufgewiesen. Streitgegenstand sei die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gewesen. Im Falle einer streitigen Entscheidung hätte das Verwaltungsgericht neben den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen überprüfen müssen, ob dem deutsch-vietnamesischen Stiefkind des Klägers eine Ausreise nach Vietnam zumutbar gewesen sei bzw. ob dem Kläger die Ausreise und Nachholung eines Visumverfahrens aufgrund einer zu erwartenden unzumutbar langen Trennung von seinen im Bundesgebiet lebenden Kindern unmöglich gewesen sei. Dabei sei auch eine tragfähige Prognose über die zu erwartende Dauer des Visumverfahrens anzustellen gewesen, was unter anderem eine inzidente Prüfung der Erfolgsaussichten des Visumverfahrens, also eines möglichen Anspruchs nach § 36 Abs. 2 AufenthG, erfordert hätte.
Im Hinblick auf die allenfalls durchschnittliche Bedeutung des Verfahrens für den Kläger und den zumindest leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie der Vielzahl anderer eilbedürftiger Verfahren, mit denen die Ausländerkammer belastet gewesen sei, müsse dem Verwaltungsgericht ein Gestaltungsspielraum von mindestens 18 Monaten zugebilligt werden.
Das Ausgangsverfahren habe zwar bis Ende Januar 2024 gut 54 Monate gedauert. Allerdings sei nicht für den gesamten Zeitraum ab dem Schriftsatz der beklagten Stadt I. vom 3. September 2019 davon auszugehen, dass das Gericht das Verfahren ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert habe. Dies betreffe unter anderem die Zeiträume von Dezember 2020 bis Januar 2021 und von Februar bis Mai 2022, während der die Beteiligten wiederholt Rechtstandpunkte ausgetauscht und neue Umstände vorgetragen hätten, wenn man nicht ohnehin davon ausgehe, dass die Sache zuvor noch nicht entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht habe insofern abwarten dürfen, ob von der jeweiligen Gegenseite auf das entsprechende Vorbringen innerhalb der in angemessener Länge gesetzten Fristen mit neuem Vortrag reagiert werde. Ab November 2023 bis zur Beendigung des Ausgangsverfahrens habe das Verwaltungsgericht das Verfahren durch Erteilung eines rechtlichen Hinweises gefördert und habe die von den Beteiligten unter Setzung angemessener Fristen erbetenen Mitwirkungshandlungen abwarten dürfen. Bei diesen Zeiten handele es sich nicht um entschädigungsrelevante Zeiten unangemessener Verfahrensdauer.
Über die bereits anerkannten Entschädigungszeiträume hinaus beschränke sich das Vorliegen einer unangemessenen Verfahrensdauer daher allenfalls auf einen Zeitraum von wenigen Monaten. Zur Wiedergutmachung sei insoweit die Feststellung nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ausreichend, dass eine unangemessene Verfahrensdauer vorliege. Das Verhalten des Klägers im Ausgangsverfahren sei dabei auch relevant für die Frage, ob trotz überlanger Verfahrensdauer ausnahmsweise eine Wiedergutmachung auf diese Weise ausreichend sei. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger die Geburt eines weiteren Kindes, dessen Belange er nach Art. 6 GG bei der Entscheidung berücksichtigt wissen wollte, dem Verwaltungsgericht erst nach fast fünf Monaten mitgeteilt habe und damit ebenfalls zur Verzögerung des Ausgangsverfahrens beigetragen habe.
Die Beteiligten haben unter anderem mit Schriftsätzen vom 24. Mai 2022 und vom 19. März 2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und die beigezogene Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens (VG Oldenburg, ) verwiesen, die zum Gegenstand der Beratung des Senats gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Die Klage wahrt die Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge gemäß § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG. Die Verzögerungsrüge wurde am 17. November 2021 und die Entschädigungsklage am 24. Mai 2022 erhoben.
b) Die nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs erforderliche Verzögerungsrüge ist auch ihrerseits nicht verfrüht und damit unwirksam erhoben worden. Nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG kann die Verzögerungsrüge frühestens ("erst") erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf. Da sich der richtige Zeitpunkt aus Sicht des Betroffenen, der regelmäßig keinen Einblick in die inneren Abläufe des Gerichts hat, nur schwer einschätzen lässt, geht es im Kern nur darum, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 12.7.2018 - BVerwG 2 WA 1.17 D -, juris Rn. 22 m.w.N.). Dafür ist hier nichts ersichtlich, da der Kläger die Verzögerungsrüge erst etwa 2 1/4 Jahre nach Erhebung der Klage erhoben hat.
c) Der Kläger hat auch die Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der das Ausgangsverfahren beendenden Entscheidung oder dessen anderer Erledigung im Sinne des § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt. Bei Klageerhebung am 24. Mai 2022 war das Ausgangsverfahren noch nicht abgeschlossen. Dieses endete mit der Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags durch den Kläger mit Schriftsatz vom 9. Februar 2024. Die Erhebung der Entschädigungsklage trotz des noch laufenden Ausgangsverfahren war zulässig. Der früheste Zeitpunkt für die Erhebung der Klage ist allein in § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG geregelt, wonach die Klage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG folgt zudem, dass die Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des der Klage zugrundeliegenden Verfahrens erhoben werden darf, da nach dieser Vorschrift das Entschädigungsgericht das Verfahren aussetzen kann, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert.
2. Die Klage ist in dem im Tenor bezeichneten Umfang auch begründet.
Infolge seines Teilanerkenntnisses ist der Beklagte gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 307 Satz 1 ZPO zu verurteilen, dem Kläger eine Entschädigung für den Zeitraum von Juni 2022 bis Mitte Mai 2023 und von Mitte Juni 2023 bis Mitte November 2023 in Höhe von 1.800 EUR zu zahlen. Einer kontradiktorischen Entscheidung bedarf es insoweit nicht mehr. Ein entsprechendes (Teil-)Anerkenntnis ist auch im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage zulässig, sofern der Beklagte - wie hier - im Einklang mit § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 307 Satz 1 ZPO berechtigt ist, über den streitgegenständlichen Anspruch zu verfügen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.8.2017 - BVerwG 5 A 2.17 D -, juris Rn. 18 f.; Senatsurt. v. 3.8.2023 - 13 FEK 36/23 -, juris Rn. 22).
Im Übrigen ist die Klage teilweise begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 1 GVG wegen einer unangemessenen Verfahrensdauer für den - über die von dem Anerkenntnis des Beklagten umfassten Zeiträume von Juni 2022 bis Mitte Mai 2023 und von Mitte Juni 2023 bis Mitte November 2023 hinausgehenden - Zeitraum vom 3. März 2021 bis zum 9. Februar 2024.
Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu die folgenden Grundsätze aufgestellt (BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, BVerwGE 147, 146, 157 ff. - juris Rn. 37 ff.):
"bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.
(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der ,unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens' (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).
(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 [BVerfG 28.01.2013 - 2 BvR 1912/12] <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).
(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.
Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).
Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).
Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn.14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).
Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde."
Der Senat folgt diesen - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fortgeführten (vgl. bspw. BVerwG, Beschl. v. 12.3.2018 - BVerwG 5 B 26.17 D -, juris Rn. 6) - Grundsätzen in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. bspw. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2526 f. [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 38 ff.; Gerichtsbescheid d. Senats v. 3.4.2020 - 13 F 315/19 -, V.n.b., Umdruck S. 5 ff.) aus eigener Überzeugung.
Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es zudem nicht darauf an, ob sich der zuständige Spruchkörper pflichtwidrig verhalten hat, so dass die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer dementsprechend für sich allein keinen Schuldvorwurf für die mit der Sache befassten Richter impliziert (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drs. 17/3802, S. 19). Da es für die Frage der Unangemessenheit der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt und eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist, benennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drs. 17/3802, S. 18). Der Senat ist aufgrund der dargelegten Grundsätze der Auffassung, dass nicht jede gerichtliche Handlung und jeder Zeitraum, in dem keine nach außen dokumentierten Aktionen des Gerichts stattgefunden haben, im Einzelnen darauf hin überprüft werden müssen, ob hierin eine unangemessene Verzögerung lag oder ob hierin ein gerechtfertigter Zeitraum zur Entscheidungsfindung gesehen werden kann. Dies würde gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters verstoßen, da die Gewichtung der vielfältigen Verfahren in einem Dezernat und die Frage, wie und zu welchem Zeitpunkt ein konkretes Verfahren gefördert werden soll, grundsätzlich einem Entscheidungsspielraum des Richters unterliegt. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls dahingehend vorzunehmen, ob es unangemessene Verzögerungen des Verfahrens gegeben hat, die in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Spruchkörpers fallen, wobei einzelne Abschnitte des Verfahrens in den Blick genommen werden können (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2527 [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 47).
Mit § 198 Abs. 1 GVG ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar, noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, BVerwGE 147, 146, 153 ff. - juris Rn. 28 ff.). Jedenfalls ist bei einer Betrachtung und Bewertung der dem jeweiligen Gericht obliegenden Verfahrenshandlungen eine Überlänge des gerichtlichen Verfahrens nicht jeweils bereits ab Entscheidungsreife zu bejahen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Bereits aus dem Wortlaut "unangemessen" lang folgt, dass nicht die optimale oder "richtige" Länge des Gerichtsverfahrens zu bestimmen ist, sondern eine solche, die den Rahmen des noch Angemessenen überschreitet (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2527 f. [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 48).
Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben erweist sich die Dauer des hier zu beurteilenden erstinstanzlichen Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg, das insgesamt 55 Monate (8.7.2019 - 9.2.2024) lief, als unangemessen. Davon ist hinsichtlich der von dem Anerkenntnis des Beklagten umfassten Zeiträume von Juni 2022 bis Mitte Mai 2023 und von Mitte Juni 2023 bis Mitte November 2023 ohne weitere Prüfung auszugehen. Insgesamt begründet aber der Zeitraum vom 3. März 2021 bis zum 9. Februar 2024 einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer.
a) Das Ausgangsverfahren wies einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Streitgegenstand war der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dabei waren als Anspruchsgrundlagen § 25 Abs. 5 AufenthG und § 36 Abs. 2 AufenthG in den Blick zu nehmen. Der Schwerpunkt hätte bei streitiger Entscheidung des Ausgangsverfahrens auf der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG gelegen. In diesem Zusammenhang wäre unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie (Art. 6 GG) im Hinblick auf die minderjährigen Kinder des Klägers die ordnungsgemäße Ausübung des Absehensermessens des § 5 Abs. 2 Satz 2 und des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu überprüfen gewesen. Auch wären etwaige während des gerichtlichen Verfahrens eingetretenen Änderungen nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO zu ermitteln und zu berücksichtigen gewesen. Dabei handelt es sich insgesamt um ein bei den für das Aufenthaltsrecht zuständigen Kammern der Verwaltungsgerichte häufig abzuarbeitendes Prüfungsprogramm.
b) Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger ist ebenfalls als zumindest durchschnittlich einzuschätzen. Entscheidend ist dabei eine objektive, nicht aber eine subjektive Beurteilung des jeweiligen Klägers, es kommt vielmehr auf den verständigen Betroffenen an (vgl. Senatsurt. v. 23.2.2023 - 13 FEK 101/22 -, juris Rn. 43, Senatsurt. v. 25.5.2023 - 13 FEK 484/21 -, juris Rn. 39). Der Kläger hatte grundsätzlich ein gesteigertes Interesse an der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, da sein Aufenthaltsstatus auf der Grundlage einer Duldung weder legal noch gesichert war. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Stadt I. zu keinem Zeitpunkt beabsichtigte, den Aufenthalt des Klägers zu beenden und ihn abzuschieben. So enthält auch der angefochtene Ablehnungsbescheid vom 27. Juni 2019 (Blatt 5 ff. der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens) keine Abschiebungsandrohung. Die Erwerbstätigkeit war dem Kläger trotz seines rechtlich ungesicherten Aufenthalts entgegen seines Vortrags offensichtlich ohne weiteres möglich. Das wird durch die zur Begründung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorgelegten Gehaltsabrechnungen der Firma J. (Blatt 5 sowie Blatt 28R und 29 des PKH-Heftes) deutlich. Danach war der Kläger seit dem 1. September 2018 ununterbrochen für dieses Unternehmen tätig. Weitergehende Schwierigkeiten hat der Kläger nicht aufgezeigt, so dass auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit zur rückwirkenden Aufenthaltslegalisierung (vgl. hierzu bspw. Senatsurt. v. 8.2.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 30 m.w.N.) ein unwiederbringlicher Rechtsverlust allein durch die Dauer des Ausgangsverfahrens nicht drohte. Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger kann danach insgesamt noch als durchschnittlich angesehen werden kann.
c) Ein zögerliches Verhalten im Ausgangsverfahren, das das Ausgangsverfahren in relevanter Weise verzögert hätte, kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden. Das gilt insbesondere für die Mitteilung der Geburt des weiteren gemeinsamen Kindes mit Schriftsatz vom 8. Februar 2022 und damit erst fünf Monate nach dessen Geburt am ... 2021. Es ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht bei früherer Mitteilung der Geburt zu einer früheren Bearbeitung und zügigeren Erledigung des Verfahrens gelangt wäre. So hat der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts den entsprechenden Schriftsatz des Klägers vom 8. Februar 2022 lediglich an die Gegenseite zur Stellungnahme weitergeleitet und keine weitergehenden Aktivitäten entfaltet. Noch mit Verfügung vom 14. Juli 2022 hat der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts auf Nachfrage des Berichterstatters des Senats erklärt, gegenwärtig und in absehbarer Zeit stehe das Ausgangsverfahren nicht zur Entscheidung an, da in dem von ihm geführten Dezernat ältere Klageverfahren anhängig seien und die Kammer mit zahlreichen, oftmals abschiebungsrelevanten Eilverfahren im Asyl- und Ausländerrecht belastet sei.
d) Unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten angestellten Bewertungen und der richterlichen Gestaltungsfreiheit wurde das Verfahren zeitweise ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert und erreichte so beginnend am 3. März 2021 bis zum Abschluss Anfang Februar 2024, mithin für etwa 35 Monate, eine unangemessene Dauer.
Der Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge am 17. November 2021 ist dabei mit einzubeziehen. Denn einen Zeitpunkt, zu dem die Rüge spätestens erhoben sein muss, legt das Gesetz nicht fest. Auf die Entschädigung bleibt ein Zuwarten deshalb grundsätzlich ohne Einfluss. Aus § 198 Abs. 3 GVG ergibt sich, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich zeitlich unbefristet einzustellen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.2.2016 - BVerwG 5 C 31.15 D -, juris Rn. 33 mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes; BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 23 ff.; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 198 Rn. 20; a.A. für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit: BFH, Urt. v. 6.4.2016 - X K 1/15 -, juris Rn. 40 ff.).
Das Ausgangsverfahren war ausgeschrieben, nachdem die im Ausgangsverfahren beklagte Stadt I. mit Schriftsatz vom 3. September 2019 auf die Klagebegründung des Klägers vom 16. August 2019 erwidert und die Abweisung der Klage beantragt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war dem Verwaltungsgericht Oldenburg im hier zu beurteilenden Einzelfall ein Spielraum für die Gestaltung des Verfahrens und für die Entscheidungsfindung von 18 Monaten zuzugestehen. Dieser Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gestaltung des Verfahrens in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und diesem für die rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, derer es für eine Förderung des Verfahrens bis hin zu einer Sachentscheidung bedarf, eine angemessene Zeit einzuräumen ist. Der Umfang des Zeitraums ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit die Ex-ante-Sicht des mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.8.2017 - BVerwG 5 A 2.17 D -, juris Rn. 34). Angesichts der noch durchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens für den Kläger und seinem daraus abgeleiteten zumindest mittelgewichtigen Interesse, Rechtsschutz in einer angemessenen Zeit zu erlangen, der durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens und der zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife Anfang September 2019 seit Erhebung der Klage verstrichenen Zeit von lediglich zwei Monaten geht der Senat davon aus, dass der Kammer des Verwaltungsgerichts ein richterlicher Überdenkens- und Entscheidungszeit- und zugleich -spielraum von 18 Monaten nach dem Ausschreiben des Verfahrens Anfang September 2019 zuzugestehen war, innerhalb derer die Kammer zu beurteilen hatte, wie das Verfahren zu fördern und wann es letztlich zu entscheiden war (vgl. zu einer ähnliche Fallgestaltung: Senatsurt. v. 23.2.2023 - 13 FEK 201/22 -, juris, insb. Rn. 48).
Nach Ablauf dieses Überdenkens- und Entscheidungszeitraums Anfang März 2021, ausgehend vom Ausgeschriebensein am 3. September 2019 daher konkret am 3. März 2021, bestand keine sachliche Rechtfertigung mehr für eine weitere Fortdauer des Verfahrens. Eine solche sachliche Rechtfertigung ist insbesondere nicht im zwischenzeitlichen weiteren Austausch der Rechtsstandpunkte der Beteiligten zu sehen. Dieser in verwaltungsgerichtlichen Verfahren regelmäßig auftretende weitergehende Schriftsatzwechsel ist vom vorgenannten Überdenkens- und Entscheidungszeitraum umfasst und rechtfertigt nicht dessen Verlängerung, wenn das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht innerhalb des angemessenen Überdenkens- und Entscheidungszeitraums zum Abschluss gebracht hat.
Die Geburt eines weiteren gemeinsamen Kindes am ...2021 stellt zwar einen neuen Umstand dar, der bei einer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen gewesen wäre. Dieser erforderte aber keine zusätzliche Sachaufklärung, so dass er auch keine Verlängerung des Überdenkens- und Entscheidungsspielraums rechtfertigt. Hinzu kommt, dass das weitere Kind des Klägers erst deutlich nach Ablauf dieses Zeitraums Anfang März 2021 geboren worden ist, die Kammer bei angemessenem Verfahrenslauf mithin insoweit keine zusätzlichen Überlegungen hätte anstellen müssen.
Nach Ablauf des Überdenkens- und Entscheidungszeitraums ergriffene verfahrensfördernde Maßnahmen des Verwaltungsgerichts sind ebenfalls nicht geeignet, diesen zu verlängern. Das Gericht entfaltet insoweit lediglich Aktivitäten, die bei Förderung und Abschluss des Verfahrens innerhalb des angemessenen Überdenkens- und Entscheidungszeitraums bereits zu einem früheren Zeitpunkt angezeigt waren.
Soweit das Verwaltungsgericht in der Verfügung seines Berichterstatters vom 14. Juli 2022 darauf verwiesen hat, gegenwärtig und in absehbarer Zeit stehe das Ausgangsverfahren nicht zur Entscheidung an, da in dem von ihm geführten Dezernat ältere Klageverfahren anhängig seien und die Kammer mit zahlreichen, oftmals abschiebungsrelevanten Eilverfahren im Asyl- und Ausländerrecht belastet sei, führt dies für den hier zu beurteilenden Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG nicht zu einer Rechtfertigung der Verfahrensverzögerung. Denn es wäre entweder Aufgabe des Präsidiums gewesen, die zuständige Kammer zu entlasten, oder - bei einer Überlastung des gesamten Gerichts - Aufgabe des Beklagten, zusätzliche Richter einzustellen. Derartige strukturelle Mängel muss sich, wie oben dargestellt, der Staat zurechnen lassen (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2529 [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 56).
Da nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung kein Rechtsmittel statthaft war und sich somit keine zweite Instanz anschloss, konnte die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens nicht durch ein beschleunigt durchgeführtes Verfahren in einer höheren Instanz kompensiert werden (vgl. zu dieser Kompensationsmöglichkeit: BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 12).
e) Durch die Verzögerung von 35 Monaten hat der Kläger als Verfahrensbeteiligter des Ausgangsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg einen immateriellen Nachteil erlitten, der durch eine Entschädigungszahlung in Höhe von 3.500 EUR wiedergutzumachen ist. Soweit der Kläger mit seiner Klage eine darüberhinausgehende Entschädigungszahlung begehrt, ist die Klage unbegründet und abzuweisen.
Für den vom Beklagten nicht bereits als entschädigungspflichtig anerkannten Zeitraum (März 2021 bis Mai 2022, Mitte Mai bis Mitte Juni 2023 und Dezember 2023 bis zum Verfahrensabschluss) ist eine Feststellung des Senats, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, nicht ausreichend.
Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Vermögensnachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Wiedergutmachung auf andere Weise ist danach insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts möglich, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.
Bei der in § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG normierten gesetzlichen Vermutungsregelung handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 40 m.w.N., und v. 13.4.2017 - III ZR 277/16 -, juris Rn. 21). Diese Vermutungsregel, die sich sowohl auf das Vorliegen eines Nichtvermögensnachteils als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität erstreckt, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht (vgl. EGMR, Urt. v. 29.3.2006 - 36813/97 - (Scordino/Italien), NJW 2007, 1259 - Rn. 204; vgl. ferner - eine "starke Vermutung" für einen Nachteil i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG annehmend - etwa auch BSG, Urt. v. 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R -, juris Rn. 40). Bei einer gesetzlichen Vermutung des Vorliegens einer Tatsache ist nach der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 173 Satz 1 VwGO entsprechend anzuwendenden Regel des § 292 Satz 1 ZPO in Ermangelung einer anderweitigen gesetzlichen Anordnung der Beweis des Gegenteils zulässig, d.h. der Beweis, dass die vom Gesetz vermutete Tatsache in Wirklichkeit nicht gegeben ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1994 - BVerwG 8 C 4.93 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Um die Vermutung im Sinne einer Widerlegung zu entkräften, genügt es aber nicht, sie lediglich zu erschüttern; es muss vielmehr der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1994 - BVerwG 8 C 4.93 -, juris Rn. 19, und v. 24.8.1990 - BVerwG 8 C 65.89 -, BVerwGE 85, 314, 321 - juris Rn. 18 ff. jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 4.2.2002 - II ZR 37/00 -, juris Rn. 7).
In Anbetracht dessen ist im Fall des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils nur dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung des vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.6.2020 - BVerwG 5 C 3.19 D -, juris Rn. 12 f.; BGH, Urt. v. 13.3.2017 - III ZR 277/16 -, juris Rn. 21, und v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 41). Dies kann der Fall sein, wenn bei einer Gesamtbewertung der Schluss gerechtfertigt ist, dass die unangemessene Verfahrensdauer entweder als solche nicht nachteilig (oder sogar vorteilhaft) gewesen ist oder es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (vgl. BFH, Urt. 20.11.2013 - X K 2/12 -, BFHE 243, 151 - juris Rn. 26 ff.; BGH, Urt. v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 41).
Der Beklagte hat die gesetzliche Vermutung im vorliegenden Fall nicht widerlegt. Der Kläger hat aus der Dauer des Verfahrens keinerlei Vorteile gezogen. Da es im Ausgangsverfahren um die Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ging und eine zwangsweise Beendigung seines Aufenthalts nicht im Raum stand, kann der weitere (rechtlich ungesicherte) Aufenthalt im Bundesgebiet während des gerichtlichen Verfahrens nicht als Vorteil angesehen werden. Auch ist die Höhe des Entschädigungsanspruchs nach Abzug der vom Beklagten anerkannten Summe von 1.800 EUR in Höhe von weiteren 1.700 EUR nicht derart geringfügig, dass insoweit eine schlichte Feststellung der überlangen Verfahrensdauer als ausreichend angesehen werden könnte. Ohnehin ist es nach dem Regelungssystem des § 198 Abs. 2 und 4 GVG aber auch denklogisch nicht zu rechtfertigen, einen Entschädigungsanspruch (nur) in einer bestimmten Höhe anzuerkennen, in der überschießenden Höhe aber davon auszugehen, eine schlichte Feststellung der Überlänge der Verfahrensdauer sei ausreichend. Anderenfalls würde dem Beklagten die Macht verliehen, einen bestehenden Entschädigungsanspruch durch teilweise Anerkennung einseitig zu reduzieren.
Der Kläger ist danach in Höhe von 3.500 EUR (= 35 Monate unangemessener Verfahrensdauer x 100 EUR/Monat) zu entschädigen. Die Bemessung des immateriellen Nachteils richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige, aber höchstens monatliche Berechnung zu (vgl. Niedersächsisches OVG, Gerichtsbescheid v. 24.6.2016 - 21 F 1/16 -, juris Rn. 65). Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 3.500 EUR nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine solche Unbilligkeit erachtet der Senat hier nicht für gegeben. Insbesondere vermag er eine "ungebührliche Verzögerung der Schadensregulierung" nicht zu erkennen.
f) Der Zinsanspruch des Klägers in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezogen auf den für den immateriellen Nachtteil zuerkannten Entschädigungsbetrag folgt aus § 291 Satz 1 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach diesen auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften sind Prozesszinsen immer dann zu zahlen, wenn das einschlägige Fachrecht - so wie hier die §§ 198 ff. GVG - keine abweichende Regelung trifft und die Geldforderung - wie hier - eindeutig bestimmt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 46). Die Beschränkung des Zinsanspruchs auf die Zeiträume ab Zustellung der Klageschrift bzw. des Klageerweiterungsschriftsatzes an den Beklagten entspricht der Antragstellung des Klägers.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 156 VwGO und berücksichtigt die unterschiedlichen Obsiegens- und Unterliegensanteile der Verfahrensbeteiligten. Der Anwendung des § 156 VwGO setzt entgegen der Auffassung des Klägers nicht voraus, dass der Beklagte den anerkannten Betrag bereits an den Kläger gezahlt hat. Die vom Kläger angeführten Belege aus der zivilprozessrechtlichen Kommentarliteratur bestätigen diese Ansicht nicht. Wollte man für ein wirksames Anerkenntnis die vorherige oder zumindest zeitgleiche Zahlung des anerkannten Betrages fordern, so läge eine Erledigung der Hauptsache vor. Eine eigenständige Bedeutung käme der Regelung des § 156 VwGO dann nicht mehr zu.
III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nrn. 1 und 10, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.