Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.12.2024, Az.: 8 SLa 312/24

Entschädigungsanspruch eines Bewerbers wegen einer Benachteiligung bei einer Bewerbung aufgrund seiner Schwerbehinderung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
18.12.2024
Aktenzeichen
8 SLa 312/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 31772
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:1218.8SLa312.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Verden - 07.03.2024 - AZ: 1 Ca 146/23 Ã

Fundstelle

  • ArbR 2025, 145

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ebenso wie im Konkurrentenstreit gilt auch für den Fall, dass ein erfolgloser Bewerber nach dem AGG gegenüber einem öffentlichen Arbeitgeber Entschädigungsansprüche geltend macht, dass dieser sich nur dann zur Verteidigung gegen den Anspruch darauf berufen kann, er habe das Stellenbesetzungsverfahren vor Eingang der Bewerbung des Anspruchstellers abgebrochen, wenn er diesen Abbruch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Die Abbruchsentscheidung muss dafür - im Sinne einer Minimalanforderung - in Schrift- bzw. zumindest Textform abgefasst und datiert sein. Dies ist zu Beweis- und Dokumentationszwecken unabdingbar.

  2. 2.

    Ob und ggf. wem der Text ggf. zu welchem Zeitpunkt zur Kenntnis gebracht worden sein muss, damit sich der öffentliche Arbeitgeber im AGG-Entschädigungsverfahren auf die Abbruchsentscheidung berufen kann, konnte im vorliegenden Fall offen bleiben.

  3. 3.

    Ebenso konnte vorliegend offen bleiben, ob ein Kläger, der Ansprüche nach dem AGG geltend macht, ähnlich wie bei einer Konkurrentenklage mit Erfolg geltend machen kann, der öffentliche Arbeitgeber könne sich auf den Abbruch eines Auswahlverfahrens nicht berufen, falls er die Bewerber hierüber nicht rechtzeitig und umfassend in Kenntnis setzt oder die maßgeblichen Gründe nicht schriftlich dokumentiert oder keinen sachlichen Grund für den Abbruch hat.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 07.03.2024 - 1 Ca 146/23 Ö - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten, einer niedersächsischen Gemeinde, einen Entschädigungsanspruch wegen einer Benachteiligung bei einer Bewerbung aufgrund seiner Schwerbehinderung geltend.

Die Beklagte suchte mit einer auf ihrer Homepage veröffentlichten, jedenfalls am 27.02.2023 online abrufbaren, Stellenanzeige einen Mitarbeiter im Finanzservice mit einer Vergütung nach TVÖD(-VKA) Entgeltgruppe 6. Wegen des Wortlautes der Stellenausschreibung wird auf Blatt 9 und 10 der erstinstanzlichen Akte verwiesen.

Der am 00.00.0000 geborene, ledige und mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger ist ausgebildeter Kaufmann im Groß- und Außenhandel. Er bewarb sich am 27.02.2023 online bei der Beklagten auf die o.g. Stelle (Bewerbungsschreiben nebst Unterlagen siehe Bl. 11 bis 24 der Akte 1. Instanz). In seinem Bewerbungsanschreiben wies er auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hin (vgl. Bl. 11 der Akte 1. Instanz).

Am 01.03.2023 veröffentlichte die Beklagte die Stellenanzeige auch auf Facebook.

Am 12.03.2023 lief die in der Stellenanzeige genannte Bewerbungsfrist ab.

Mit E-Mail vom 22.03.2023 (Blatt 25 der Akte 1. Instanz) schrieb die Beklagte dem Kläger, sie müsse ihm leider für die Position als Mitarbeiter im Finanzservice absagen. Auf Nachfrage des Klägers vom 22.03. teilte die Beklagte dem Kläger mit E-Mail 24.03.2023 (Bl. 26 der Akte 1. Instanz) wörtlich mit:

"Aufgrund einer Vielzahl an Bewerbungen, ist uns die Auswahl nicht leichtgefallen. Ihre Bewerbung hat bei uns einen sehr positiven Eindruck hinterlassen und wir würden uns in Zukunft über eine erneute Bewerbung von Ihnen sehr freuen."

Der Kläger forderte mit Schreiben vom 27.03.2023 (Bl. 27, 28 d.A. 1. Instanz) eine Entschädigung in Höhe von 6.416,34 Euro, woraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2023 (Blatt 29 d.A. 1. Instanz) mitteilte, das Bewerbungsverfahren für die Stelle "Mitarbeiter*in im Finanzservice (m/w/d)" habe nicht abgeschlossen werden können und sei demnach beendet worden, es werde nun eine weitergehende Stellenbemessung erfolgen und im Anschluss werde die Stelle neu ausgeschrieben.

Am 25.04.2023 veröffentlichte die Beklagte eine Stellenausschreibung für einen Mitarbeiter im Finanzservice mit einer Vergütung nach TVÖD(-VKA) Entgeltgruppe 8. Als Einstellungsvoraussetzung nannte diese Stellenanzeige im Gegensatz zu der zuvor veröffentlichten eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Verwaltungsfachangestellten oder einen erfolgreich abgeschlossenen Angestelltenlehrgang I. Wegen des Inhalts im Einzelnen wird auf Bl. 52 d.A. 1. Instanz / Bl. 118 d.A. 2. Instanz verwiesen. Der Kläger erfüllte das geänderte Anforderungsprofil nicht. Er bewarb sich nicht erneut.

Mit Schriftsatz vom 12.04.2023, bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen am 17.04.2023, hat der Kläger die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG in Höhe von 6.416,34 € geltend gemacht.

Der Kläger hat erstinstanzlich seine Auffassung vorgetragen, die Beklagte sei ihm nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet, weil sie ihn im Bewerbungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Die Beklagte habe es unterlassen, ihn gem. § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Sie habe zudem der Agentur für Arbeit keinen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Vermittlungsauftrag erteilt. Auf einen angeblichen Abbruch des Bewerbungsverfahrens könne sie sich nicht berufen. Die Rechtmäßigkeit des Abbruchs setze insbesondere voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig in geeigneter Form in Kenntnis gesetzt und die wesentlichen Gründe für den Abbruch schriftlich dokumentiert würden. Dies sei nicht erfolgt. Zudem habe die Beklagte auch im Nachgang keine nachvollziehbaren Gründe für den angeblichen Abbruch dargelegt. Sie könne auch überhaupt nicht mitteilen, wann das Verfahren abgebrochen worden sei. Bei der Stellenausschreibung "Mitarbeiter*in im Finanzservice (m/w/d)" vom 25.4.2023 habe es sich im Übrigen nicht um eine Neuausschreibung der ursprünglich im Januar 2023 ausgeschriebenen Stelle, auf die er sich beworben habe, gehandelt, sondern um eine zweite zu besetzende Stelle.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gesteilt wird, mindestens jedoch 6.416,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vor dem Arbeitsgericht ihre Auffassung vorgetragen, der Kläger sei nicht wegen seiner Schwerbehinderung von ihr benachteiligt worden. Die Beklagte habe vor Eingang der Bewerbung des Klägers die Entscheidung getroffen, das Bewerbungsverfahren abzubrechen und die Stelle mit einer höheren Entgeltgruppe und einer geänderten Aufgabenbeschreibung erneut auszuschreiben. Sie habe keinen Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und auch keine Einstellung auf die Stellenausschreibung hin vorgenommen. Der freie Arbeitsplatz sei der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß gemeldet worden.

Die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch den Kläger sei im Übrigen rechtsmissbräuchlich. Er habe sich auf die ausgeschriebene Stelle ausschließlich in Spekulation auf eine Ablehnung beworben, um Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend machen zu können. Ein Indiz hierfür sei das außergerichtliche Aufstellen weit überhöhter Entschädigungsforderungen unter Verwendung eines formularmäßigen, nicht auf den Anlassfall bezogenen Schreibens vom 27.03.2023.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Mit Urteil 07.03.2024 hat das Arbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte schulde dem Kläger nach § 15 Abs. 2 AGG die Zahlung einer angemessenen Entschädigung. Der Kläger habe seinen Entschädigungsanspruch entsprechend den von § 15 Abs. 4 AGG und § 61b Abs. 1 ArbGG vorgegebenen Fristen geltend gemacht. Die Beklagte habe einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot begangen. Sie habe der Agentur für Arbeit die Stelle nicht ordnungsgemäß gemeldet. Eine ordnungsgemäße Meldung im Sinne von § 165 Satz 1 SGB IX setze die Erteilung eines Vermittlungsauftrages an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX bei der Agentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen zur Durchführung der bei der Agentur für Arbeit zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gesetzlich übertragenen Aufgaben unter Angabe der Daten, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag erforderlich sind, voraus. Die Beklagte habe lediglich vorgetragen, die Agentur für Arbeit habe mit E-Mail vom 08.02.2023 bestätigt, die Stelle veröffentlicht zu haben. Dies reiche jedoch für eine Meldung im Sinne von § 165 Satz 1 SGB IX nicht aus. Die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Agentur für Arbeit allein löse nicht den Vermittlungsservice der Agentur für Arbeit aus. Die Beklagte könne der Klage auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, das Stellenbesetzungsverfahren sei vor Eingang der Bewerbung des Klägers abgebrochen worden. Der von der Beklagten vorgebrachte erhöhte Bedarf im Bereich Finanzen sei im Januar 2023 längst bekannt gewesen. Weshalb die Beklagte danach zu der Erkenntnis gelangt sein solle, dass die zu besetzende Stelle auf höherwertige und komplexere Aufgaben ausgelegt werden solle, sei nicht nachvollziehbar. Der behauptete Abbruch sowie sein Zeitpunkt seien nicht dokumentiert worden. Das Entschädigungsverlangen des Klägers sei auch nicht dem Einwand des Rechtsmissbrauchs ausgesetzt. Die Beklagte habe ihrer diesbezüglich bestehenden Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Der Kläger mache keine überhöhten Entschädigungsforderungen geltend, da er die Kappungsgrenze des § 15 Abs. 2 AGG einhalte. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erscheine eine Entschädigung in Höhe eines auf die ausgeschriebene Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdienstes nach der Entgeltgruppe E6 Stufe 3 TVöD, mithin in Höhe von 3.208,17 Euro, als angemessen. Soweit der Kläger eine Entschädigung über diesen Betrag hinaus begehre, unterliege die Klage der Abweisung.

Gegen dieses ihr am 02.04.2024 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 30.04.2024 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Fristverlängerung auf den 02.07.2024 mit einem am 02.07.2024 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums begründet.

Die Beklagte macht geltend, zu Unrecht habe das erstinstanzliche Gericht ihre Entscheidung, das Stellenbesetzungsverfahren abzubrechen, nicht berücksichtigt. Auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Stellenabbruchs komme es bei der Prüfung des hier allein streitgegenständlichen Anspruchs auf Entschädigungszahlung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht an. Ein solcher Anspruch stelle einen anderen Streitgegenstand als Schadenersatzansprüche im Rahmen von Konkurrentenklagen, für die der genannte Maßstab (allein) gelte, dar. Das LAG Düsseldorf habe mit Urteil vom 23.04.2024 - 3 Sa 556/22 - bestätigt, dass der Arbeitgeber die Vermutung einer Benachteiligung eines abgelehnten schwerbehinderten Bewerbers u. a. durch den Beweis, dass das Stellenbesetzungsverfahren zum Zeitpunkt des Eingangs der Bewerbung des abgelehnten Schwerbehinderten bereits beendet war, widerlegen könne. Entscheidungserheblich sei daher ausschließlich, ob die Beklagte das Stellenbesetzungsverfahren tatsächlich abgebrochen habe, ohne dass ein Auswahlverfahren stattgefunden habe und ohne dass die Stelle besetzt worden sei. Letzteres sei der Fall. Die Beklagte sei insbesondere in Person der Ersten Gemeinderätin Frau E. zu der Erkenntnis gelangt, den Fokus der zu besetzenden Stelle auf höherwertige und komplexere Aufgaben aus dem Fachdienst Finanzen zu legen, weshalb die Erste Gemeinderätin das hier streitgegenständliche Stellenbesetzungsverfahren Mitte/Ende Februar 2023 vor Eingang der Bewerbung des Klägers abgebrochen habe, ohne ein Auswahlverfahren durchzuführen oder einen Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Veröffentlichung der Stellenanzeige auf Facebook am 01.03.2023 sei ohne Rücksprache mit dem Fachdienstpersonal erfolgt. Der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens werde auch durch die geänderte Stellenausschreibung vom 25.04.2023 belegt.

Die beklagte und berufungsklagende Gemeinde beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 07.03.2024 - 1 Ca 146/23 Ö - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung als richtig. Er bestreitet u.a., dass die Erste Gemeinderätin E. zur Erkenntnis gelangt sei, den Fokus der zu besetzenden Stelle auf höherwertige und komplexere Aufgaben aus dem Fachdienst Finanzen zu legen, und dass das Stellenbesetzungsverfahren daher Mitte/Ende Februar 2023 vor Eingang der Bewerbung des Klägers abgebrochen worden sei. Der Kläger macht geltend, der Vortrag der Beklagten werde insbesondere dadurch widerlegt, dass die Beklagte die streitgegenständliche Stelle in ihrem Facebook-Auftritt am 01.03.2023 - also zeitlich nach dem vorgeblichen Abbruch des Bewerbungsverfahrens und nach dem Eingang seiner eigenen Bewerbung - erneut veröffentlicht und angeboten habe. Widerlegt werde der Beklagtenvortrag auch dadurch, dass dem Kläger unstreitig mit Mail vom 22.03.2023 mitgeteilt worden sei, dass der Beklagten die Auswahl aufgrund einer Vielzahl an Bewerbungen nicht leichtgefallen sei. Ein vermeintlicher Abbruch des Verfahrens sei dem Kläger bis zu diesem Zeitpunkt nicht mitgeteilt worden.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen vor dem erkennenden Gericht gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingereicht und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verurteilt. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg gegen die Höhe der ausgeurteilten Entschädigung wenden.

1.

a)

Der Kläger hat seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung innerhalb der Fristen der §§ 15 Abs. 4 AGG, 61b Abs. 1 ArbGG außergerichtlich und sodann gerichtlich geltend gemacht. Dies hat bereits das Arbeitsgericht festgestellt, die Beklagte wendet sich hiergegen in der Berufungsinstanz nicht.

Ferner wendet sich die Beklagte auch nicht gegen die Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Verstoß der Beklagten gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot, der jedenfalls dadurch indiziert wird, dass die Beklagte der Agentur für Arbeit keine ordnungsgemäße Meldung im Sinne von § 165 Satz 1 SGB IX gemacht hat. Diese hätte die Erteilung eines Vermittlungsauftrages an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX bei der Agentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen vorausgesetzt, was nicht geschehen ist. Insofern kann auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 1.5.1. der Entscheidungsgründe (Seite 9 ff.) verwiesen werden.

Die Beklagte wendet sich auch nicht gegen die Wertung des Arbeitsgerichts, das Entschädigungsverlangen des Klägers sei nicht dem Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 242 BGB ausgesetzt. Auch diesbezüglich kann daher auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 1.5.4. der Entscheidungsgründe (Seite 11 ff.) verwiesen werden.

b)

Mit ihrer Berufung beschränkt sich die Beklagte auf den Einwand, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass sie das Stellenbesetzungsverfahren vor Eingang der Bewerbung des Klägers abgebrochen habe. Hiermit kann sie jedoch nicht durchdringen.

aa)

Das Bundesverfassungsgericht vertritt im Falle von Konkurrentenstreitigkeiten in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass sich aus Art. 33 Abs. 2 GG für jeden Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ergibt. Daraus folgt nach Ansicht des BVerfG der Anspruch eines Beförderungsbewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung. Nach Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG kann der unterlegene Bewerber in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen lassen, ob er durch die Auswahlentscheidung in seinem subjektiv-öffentlichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt worden ist (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch, vgl. BVerfG 28.11.2011 - 2 BvR 1181/11 -, Rn. 20, juris, m.w.N., dem folgend das BAG in std. Rspr., zuletzt Urteil vom 19.09.2024 - 8 AZR 368/22 -, juris, m.w.N.). Im Einzelnen muss sich der öffentliche Arbeitgeber im Konkurrentenstreit an folgenden Anforderungen messen lassen:

  • Der öffentliche Arbeitgeber muss erstens unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er das Stellenbesetzungsverfahren ohne Stellenbesetzung endgültig beenden will (BAG 12.12.2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 37 mwN, BAGE 161, 157; BAG 19.09.2024 - 8 AZR 368/22 -, Rn. 38, juris).

  • Die Bewerber müssen zweitens von dem Abbruch rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen. Der öffentliche Arbeitgeber hat hierfür Sorge zu tragen (BAG 19.09.2024 - 8 AZR 368/22 -, Rn. 38, juris).

  • Drittens muss der für den Abbruch maßgebliche Grund, sofern er nicht evident ist, schriftlich dokumentiert werden (vgl BVerfG, 09.07.2007, 2 BvR 206/07, BVerfGK 11, 398 <402 f>; BVerfG, 12.07.2011, 1 BvR 1616/11, Rn 26; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. November 2011 - 2 BvR 1181/11 -, juris).

  • Viertens kommt dem Dienstherrn hinsichtlich der Beendigung eines eingeleiteten Bewerbungs- und Auswahlverfahrens zwar ein weites organisations- und verwaltungspolitisches Ermessen zu (vgl. BVerwG 22.07.1999 - 2 C 14/98 -, NVwZ-RR 2000, S. 172; BVerfG 19.12.2008 - 2 BvR 627/08 -, NVwZ-RR 2009, S. 344). Durch den Abbruch des Auswahlverfahrens lässt sich allerdings insb. die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern, weshalb der Abbruch einen sachlichen Grund erfordert (BVerfG 28.11.2011 - 2 BvR 1181/11 -, Rn. 21, juris m.w.N.).

Wird der Abbruch eines Auswahlverfahrens dieser Anforderung nicht gerecht, so darf nach Auffassung des BVerfG (28.11.2011 - 2 BvR 1181/11 - und öfter) von Verfassungs wegen keine Neuausschreibung erfolgen. Durch eine Auswahlentscheidung in einem neuen Auswahlverfahren werden die Bewerber des ursprünglichen Auswahlverfahrens in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt.

bb)

Im Wege eines Konkurrentenstreits verfolgt der unterlegene Bewerber - jedenfalls primär - das Ziel, die ausgeschriebene Stelle übertragen zu bekommen mit der Begründung, in seinem grundrechtsgleichen Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verletzt zu sein. Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz stützen sich hingegen auf eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes und sind auf die Leistung von Schadensersatz bzw. einer Entschädigung gerichtet. Aufgrund der unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsschutzziele ist es - entgegen der offenbar seitens des Klägers vertretenen Auffassung - keineswegs selbstverständlich, dass die für Konkurrentenklagen aufgestellten Rechtsgrundsätze ohne Weiteres auch in einem gegen einen öffentlichen Arbeitgeber gerichteten Entschädigungsverfahren nach dem AGG Geltung beanspruchen können.

Das LAG Hamm vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Stellenabbruches komme es bei der Prüfung eines Anspruchs auf Entschädigungszahlung nach dem AGG nicht an. Zwar könnten aus Fehlern im Besetzungsverfahren Schadensersatzansprüche erwachsen. Derartige Schadensersatzansprüche seien jedoch im Rahmen eines Konkurrentenverfahrens unter Berufung auf die Verletzung eines Bewerbungsverfahrensanspruchs geltend zu machen. Der dortige Kläger habe den von ihm geltend gemachten Anspruch ausschließlich auf einen Sachverhalt gestützt, aus dem sich nach seiner Auffassung ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1, 2 AGG ergebe. Ein solcher Anspruch stelle einen anderen Streitgegenstand als der genannte Schadensersatzanspruch dar. Ohnehin aber komme die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs dann nicht in Betracht, wenn es zu einer Vergabe der Stelle wegen vorzeitigen Abbruchs des Stellenbesetzungsverfahrens nicht gekommen sei (vgl. LAG Hamm vom 30.06.2022 - 11 Sa 39/22; OVG Lüneburg vom 25.02.2010 - 5 LA 305/08; OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 28.10.2009 - 2 L 209/06). Auch könne ein AGG-Kläger jedenfalls dann nicht mit Erfolg geltend machen, ihm sei der Abbruch nicht (rechtzeitig) mitgeteilt worden, wenn auch kein anderer Bewerber über den Stellenabbruch informiert worden sei, da hierin dann auch keine Benachteiligung gegenüber anderen Bewerbern liege und im Übrigen eine derartige Verletzung erneut allenfalls zu konkurrentenrechtlichen Schadensersatzansprüchen führen könne (zu allem Vorstehenden LAG Hamm 30.03.2023 - 11 Sa 878/22 -, Rn. 43 - 44, juris).

cc)

Ob ein Kläger, der Ansprüche nach dem AGG geltend macht, mit Erfolg geltend machen kann, der öffentliche Arbeitgeber könne sich auf den Abbruch eines Auswahlverfahrens nicht berufen, falls er die Bewerber hierüber nicht rechtzeitig und umfassend in Kenntnis gesetzt oder die maßgeblichen Gründe nicht schriftlich dokumentiert oder keinen sachlichen Grund dafür hat, kann vorliegend unentschieden bleiben. Ebenso wie im Konkurrentenstreit gilt auch für den Fall, dass ein erfolgloser Bewerber nach dem AGG gegenüber einem öffentlichen Arbeitgeber Entschädigungsansprüche geltend macht, dass dieser sich nur dann zur Verteidigung gegen den Anspruch darauf berufen kann, er habe das Stellenbesetzungsverfahren vor Eingang der Bewerbung des Anspruchstellers abgebrochen, wenn er den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Dies hat die Beklagte jedoch vorliegend nicht getan.

dd)

Die Berufung auf den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens durch einen öffentlichen Arbeitgeber in einem auf die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG gerichteten Verfahren setzt nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts die Schrift- bzw. zumindest Textform der Abbruchsentscheidung im Sinne einer Minimalanforderung voraus. Erforderlich ist, dass ein vertretungsberechtigtes Organ oder ein aus abgeleitetem Recht zur Entscheidung über die Ausschreibung von Stellen und deren Rücknahme berufener Mitarbeiter den Entschluss, das Stellenbesetzungsverfahren ernsthaft und endgültig abzubrechen, schriftlich niederlegt. Dies ist zu Beweis- und Dokumentationszwecken unabdingbar. Aus dem Schriftstück oder dem elektronisch gefertigten Text muss sich auch ergeben, wann es bzw. er gefertigt wurde. Ob und ggf. wem der Text ggf. zu welchem Zeitpunkt zur Kenntnis gebracht worden sein muss, damit sich der öffentliche Arbeitgeber im AGG-Entschädigungsverfahren auf die Abbruchsentscheidung berufen kann, kann das erkennende Gericht offenlassen, da es vorliegend selbst an einem datierten internen Vermerk fehlt.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, ihre als Anlage B 6 im Berufungsverfahren zur Akte gereichte Ausschreibung einer nach TVöD-VKA Entgeltgruppe 8 dotierten Stelle wahre diese Erfordernisse. Erstens ergibt sich aus dieser neuen Stellenausschreibung gerade nicht, dass sie die zuvor ausgeschriebene Stelle ersetzen soll; denkbar wäre insoweit auch, dass die neue Stelle zur alten hinzutreten sollte. Zweitens ist die neue Stellenausschreibung undatiert. Geht man davon aus, dass sie am 25.04.2023, dem angabegemäßen Datum ihrer Veröffentlichung, gefertigt wurde, wäre dies jedenfalls zu spät, weil die Abbruchsentscheidung spätestens getroffen worden sein muss, bevor der Bewerber Entschädigungsansprüche nach dem AGG schriftlich geltend macht, was vorliegend bekanntlich am 27.03.2023 erfolgte. Vor dem 03.04.2023 existierte die Stellenausschreibung jedenfalls nicht, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass die Beklagte dem Kläger an diesem Tag schrieb, es werde zunächst eine Stellenbemessung erfolgen und die Stelle werde sodann neu ausgeschrieben.

ee)

Hilfsweise und selbstständig tragend begründet das erkennende Gericht im vorliegenden Fall seine Entscheidung damit, dass die Berufung selbst dann, wenn man entgegen dem Ausgeführten von dem Erfordernis einer in Textform gehaltenen Abbruchsentscheidung absehen wollte, zurückzuweisen wäre. Die Beklagte hat zwar behauptet, dass sie in Person ihrer Ersten Stadträtin, Frau E., den Entschluss zum Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens getroffen habe. Entscheidet jedoch ein zur Vertretung der betreffenden Gebietskörperschaft befugtes Organ lediglich gedanklich, ein Stellenbesetzungsverfahren abbrechen zu wollen, liegt eine bloße innere Tatsache vor, die nicht dem Beweis zugänglich ist. Aufgrund des Umstandes, dass bei einem öffentlichen Arbeitgeber mehrere Personen berufen sind bzw. berufen sein können, eine Abbruchsentscheidung zu treffen, wäre, wollte man die bloße innere Entscheidung ausreichen lassen, auch überhaupt nicht klar, wie bei sich widersprechenden inneren Entscheidungen der Verantwortlichen verfahren werden müsste. Die Beklagte behauptet nicht substantiiert, dass Frau E. die Außenwelt an ihrem Entschluss zum Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens zumindest im Wege einer mündlichen Äußerung habe teilhaben lassen, geschweige denn, wem gegenüber, wann genau, in welcher genauen Art und Weise und unter welchen genauen Umständen dies erfolgt sein sollte.

Nach alledem hat die Beklagte ihre Abbruchsentscheidung nicht hinlänglich nachgewiesen.

III.

Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, waren nicht ersichtlich. Die Beklagte hat keinen verwertbaren Vortrag nebst Beweisangebot zu einer in die Außenwelt gelangten Abbruchsentscheidung geleistet, so dass es auf die Frage, ob man mit dem erkennenden Gericht zu Beweis- und Dokumentationszwecken eine zumindest in Textform gehaltene Abbruchsentscheidung verlangt, nicht entscheidungserheblich ankommt.