Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.08.2025, Az.: L 10 VE 2/20

Anspruch auf berufsbezogene Leistungen wegen besonderer beruflicher Betroffenheit; Anspruch auf Berufsschadensausgleich

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.08.2025
Aktenzeichen
L 10 VE 2/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2025, 22528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2025:0828.10VE2.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 13.11.2019 - AZ: S 66 VE 21/16

Amtlicher Leitsatz

Zu berufsbezogenen Leistungen (Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit, Berufsschadensausgleich) nach § 30 Abs. 2 und 3 BVG, wenn der zuletzt ausgeübte Beruf unabhängig von den Schädigungsfolgen aufgegeben worden ist.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. November 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über berufsbezogene Leistungen (GdS-Erhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und Berufsschadensausgleich) nach § 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) seit Mai 2012.

Der 1964 geborene Kläger stammt aus der ehemaligen DDR. Dort hat er die allgemeinbildende Schule bis zum Abschluss der zehnten Klasse besucht. Vom 1. September 1981 bis 31. Januar 1982 war der Kläger Lehrling in der FA-Bergbautechnologie bei der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft H. (SDAG H.). Ab dem 1. Februar 1982 war er in einem Landwirtschaftsbetrieb im staatlichen Eigentum der DDR (sog. Volkseigenes Gut, VEG) im Feldbau beschäftigt. Dort hat er im Rahmen der Erwachsenenqualifikation erfolgreich eine Ausbildung als Landmaschinenschlosser (Mechanisator) durchlaufen.

Im Juni 1983 ist der Kläger verhaftet und beschuldigt worden, Vorbereitungen zum ungesetzlichen Verlassen der DDR mittels eines Heißluftballons getroffen zu haben. Mit Urteil der Strafkammer des Kreisgerichts I. vom 4./5. August 1983 ist er wegen der Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt (vgl. Verwirklichungsersuchen des Kreisgerichts I. vom 17. August 1983, Aktenzeichen J.) und nach Rechtskraft des Urteils aus der Untersuchungshaft in den Strafvollzug überführt worden. Mit Beschluss vom 17. Januar 1984 hat das Kreisgericht I. den Vollzug der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 5. August 1983 auf Bewährung ausgesetzt und den Tag der Entlassung des Klägers auf den 25. Januar 1984 bestimmt (vgl. Aussetzungsbeschluss des Kreisgerichts I. vom 17. Januar 1984, Aktenzeichen K.). Mit Entlassungsverfügung vom 18. Januar 1984 wurde die Entlassung des Klägers am 25. Januar 1984 aus der Strafvollzugseinrichtung L. angeordnet. Am 26. März 1984 ist für den Kläger der Flüchtlingsausweis C gemäß § 3 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) ausgestellt worden (vgl. Bescheinigung des Landkreises M. vom 24. Mai 2000). Am 8. Mai 1984 hat der Landkreis M. dem Kläger nach § 10 Abs. 4 HHG bescheinigt, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG und des § 9 Abs. 1 HHG vorliegen und Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben sind. Der Kläger habe sich im politischen Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 1 und 5 HHG in der Zeit vom 7. Juni 1983 bis 25. Januar 1984 im Gefängnis N., L. und O. der DDR befunden. Mit Urkunde vom 18. Januar 1984, dem Kläger ausgehändigt am 25. Januar 1984, ist seine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR in die BRD erfolgt.

Am 9. Mai 1984 ist der Kläger in der Polizeidirektion M. als Zeuge vernommen worden. Dort hat er erklärt, in den DDR-Haftanstalten seien Bespitzelungen an der Tagesordnung gewesen. In L. habe sein Erzieher veranlasst, dass ein Mithäftling in einer Einzelzelle in Ketten gelegt worden sei. Dieser habe sich in seiner Zelle mehrere Tage unter unmenschlichen Bedingungen aufhalten müssen. Anlass für diese Maßnahme sei eine Arbeitsverweigerung gewesen. Dieser Häftling habe nicht aus politischen Gründen, sondern wegen krimineller Delikte eingesessen. Während seiner Inhaftierung in L. habe er mehrere Ausreiseanträge gestellt und sei vermutlich deshalb von der BRD freigekauft worden. Weitere Angaben könne er nicht machen.

Im Sommer 1994 hat sich der Kläger in der Privat-Nerven-Klink P. aufgehalten. Aus dem Entlassungsbericht vom 2. August 1994 ergibt sich die Abschlussdiagnose "Reaktiv-depressive Verstimmung bei Partnerkonflikt". Im Aufnahmegespräch hat der Kläger zunächst über seine Vorgeschichte berichtet: Er sei nach einer einjährigen Haft in der ehemaligen DDR wegen Republikflucht ausgewiesen worden und vor zehn Jahren in die Bundesrepublik gekommen. Kurze Zeit nach seiner Ausweisung 1984 habe er seine Freundin kennengelernt, sei mit dieser nach Q. gezogen. Er habe dann drei Jahre bei R. gearbeitet, sei anschießend bei der Stadt Q. beschäftigt worden, arbeite jetzt auf dem Bauhof oder im Freibad. Finanziell habe er keine Schwierigkeiten. Seit der Inhaftierung leide er an Agoraphobie. Bzgl. des körperlichen Untersuchungsbefundes ist ein guter, sportlicher und schlanker Allgemeinzustand dokumentiert worden. Sowohl die internistische als auch die neurologische Untersuchung hatte keine pathologischen Befunde ergeben. Therapie und Verlauf des stationären Aufenthaltes beschäftigten sich mit den Beziehungsproblemen des Klägers zu seiner derzeitigen Freundin sowie dieser Partnerbeziehung. Psychische Probleme aufgrund der in der DDR erlittenen Haft hatte der Kläger hier - mit Ausnahme der Agoraphobie - nicht berichtet.

Das Arbeitsverhältnis bei der Stadt Q. hat auf Wunsch des Klägers mit Ablauf des 15. November 1997 geendet (vgl. Bescheinigung der Stadt Q. vom 7. November 1997). Unter dem 15. Dezember 1998 ist zwischen dem Kläger, dem Arbeitsamt S. sowie einem Hufschmied ein Vertrag zur betrieblichen Fortbildung des Klägers in dem Beruf des Hufschmieds abgeschlossen worden. Am 7. Januar 2000 hat der Kläger die Anerkennung als geprüfter Hufbeschlagschmied erlangt und ist danach in die Handwerksrolle der Handwerkskammer T. im Metallbauer-Handwerk, Teiltätigkeit Hufbeschlag, eingetragen worden (vgl. Eintragungsbescheid vom 1. März 2000). Am 11. Juni 2001 hat der Kläger während seiner Tätigkeit als Hufschmied einen Unfall erlitten. In der für die U. erstellten gutachtlichen Stellungnahme vom 21. Januar 2004 hatte die Orthopädin V. insoweit festgehalten, der Kläger habe in seiner Tätigkeit als Hufschmied ein Pferd an der Leine geführt, welches plötzlich gescheut habe. Durch das abrupte Steigen des Pferdes sei ein massiver plötzlicher Zug im Bereich der rechten Schulter und des Brustkorbes entstanden. Seit dem Unfall seien die grobe Kraft der rechten Schulter vermindert und die feinmotorischen Tätigkeiten beeinträchtigt. Die körperliche Leistungsfähigkeit entspreche nicht dem Status vor dem Unfall. Als Diagnose sei eine Ruptur des M. Pectoralis rechts mit Funktionsstörung bei ausgedünntem Sehnenansatz und nachfolgender Kraftminderung von Innenrotation und Adduktion mit Supra- und Infraspinatustendopatie zu stellen. Diese sei eindeutig Folge des Unfalles vom 11. Juni 2001. Der Kläger sei bis dahin vollständig gesund und in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit voll einsatzfähig gewesen. Eine Verbesserung von Kraft und Funktion im Bereich der rechten Schulter sei nicht mehr zu erwarten, die Prognose sei ungünstig.

Im Juni 2001 hat sich der Kläger erstmals in stationärer Behandlung des Niedersächsischen Landeskrankenhauses W. befunden. Hier hat er von Angstattacken berichtet, die er seit einer Trennung von seiner Ex-Freundin im Jahre 1997 hatte. Aufgrund einer Verhaltensänderung seiner aktuellen Freundin habe er wieder massive Trennungsängste und vermehrt Suizidgedanken. Einen ersten Suizidversuch habe er 1992 während eines Trennungskonflikts unternommen. Während der Therapie hat der Kläger hier von einer Biografie mit multiplen Gewalterfahrungen berichtet, beginnend durch die Eltern in der Kindheit, fortgesetzt durch mehrmaligen sexuellen Missbrauch im Kindes- und Jugendalter und einer Freiheitsstrafe in der ehemaligen DDR wegen versuchter Republikflucht. Da der Kläger den strukturierten vollstationären Rahmen nicht tolerieren konnte, wurde er auf seinen Wunsch hin in die ambulante nervenärztliche Behandlung entlassen. (vgl. Entlassungsbericht des Landeskrankenhauses W. vom 27. Juni 2001 über den Behandlungszeitraum vom 14. bis 25. Juni 2001).

Am 16. Oktober 2007 hat sich der Kläger mit Rückenschmerzen im X. M. vorgestellt. Er sei selbständiger Hufschmied und müsse regelmäßig in gebückter Körperhaltung arbeiten. Sodann befand sich der Kläger in der Behandlung des Neurologen und Psychiaters Dr. Y.. Dieser hat unter dem 12. Dezember 2007 berichtet, der Kläger habe von gehäuften Episoden mit Rückenschmerzen seit Jahren berichtet. Aktuell habe er seit Mai wieder Beschwerden bei der, aber auch ohne Arbeit, er sei selbständiger Hufschmied und müsse häufig in gebückter Haltung arbeiten. Eine Rückenschule wäre nicht verkehrt, gerade in Anbetracht des Berufes, wobei der Kläger aber auch schon erwäge, da einen Wechsel vorzunehmen.

Im Februar 2008 hat der Kläger sein Gewerbe mit der Tätigkeit Hufbeschlag abgemeldet. Danach war er arbeitslos und bezog bis Dezember 2008 Arbeitslosengeld I.

Im April 2008 ist der Kläger erneut wegen Beschwerden der Wirbelsäule in Behandlung des Z. gewesen. Hier ist die Diagnose "Degeneratives HWS-Syndrom" gestellt worden, wobei der Kläger angegeben hatte, im Jahr 2001 einen Pectoralisabriss rechts erlitten zu haben. Damals habe er eine Operation abgelehnt, zwischenzeitlich seien rezidivierende HWS-Probleme mit tinnitusartigen Beschwerden linksseitig aufgetreten. Die Untersuchung der HWS hatte einen Druckschmerz rechts mit Ausstrahlung in die rechte Schulter bei endgradig eingeschränkter Rechtsrotation und Linksneigung gezeigt. Bei dieser Untersuchung hatte die HWS im Vordergrund gestanden. (vgl. Bericht vom 8. April 2008).

Vom 23. September bis 14. Oktober 2008 befand sich der Kläger in einer RehaMaßnahme der Deutschen Rentenversicherung AA. wegen der Folgen des erlittenen Arbeitsunfalls mit verbliebener Funktionseinschränkung und Kraftminderung des rechten Armes. Zu den aktuellen Beschwerden und funktionellen Einschränkungen ist festgestellt worden, der Kläger wirke insgesamt sehr unruhig und auch depressiv von der Stimmungslage, er ertrage kaum die Mitmenschen im Flur, sei sehr schreckhaft, wenn das Telefon klingele. Er habe den Wunsch, sich eigentlich nur in der Natur aufzuhalten. In den letzten vier Monaten sei er alleine per Rad in der Bundesrepublik unterwegs gewesen, dabei seien die Rückenschmerzen eher im Hintergrund gewesen. Er wisse insgesamt nicht, wie es weitergehen solle, habe verschiedene Überlegungen zu seiner weiteren beruflichen Aktivität, aber noch keine Lösung gefunden. Seine Tätigkeit als Hufschmied könne er nicht mehr ausüben und habe diese wegen Insolvenz beendet.

In seinem Bericht vom 7. Mai 2009 hat der Chirurg Prof. Dr. AB. mitgeteilt, der Kläger habe sich bei ihm wegen anhaltender Beschwerden in der rechten Schulter vorgestellt. Es sei der Befund einer deutlichen Atrophie der Pectoralismuskulatur rechts (Thorax) erhoben worden.

Am 25. Mai 2009 ist der Kläger anlässlich einer bis zum 19. Juni 2009 andauernden Arbeitserprobung im AC. ärztlich untersucht worden. Der Kläger hatte hier angegeben, die Erprobung zum Arbeitspädagogen auf Empfehlung des Kostenträgers durchzuführen. Er selbst könne sich diese Tätigkeit nicht vorstellen und habe in der Vergangenheit bei Kontakt mit psychisch beeinträchtigten und dementen Menschen erhebliche Probleme gehabt. Schwerpunkt der von dem Kläger hier berichteten Eigenanamnese sind die Verletzungsfolgen nach dem im Jahr 2001 erlittenen Arbeitsunfall gewesen: Er habe eine krisenhafte Situation mit schwerer depressiver Episode im Jahr 2001 durchlebt, die im Zusammenhang mit der damals schwierigen Lebenssituation gestanden habe (berufliche Selbständigkeit mit Stress und Existenzängsten, berufliche Selbständigkeit der Lebenspartnerin, daraus resultierende Beziehungskrise und Trennung sowie seine Erkrankung mit starken Schmerzen). In dieser Situation sei es zu Suizidgedanken gekommen. Im Anschluss habe keine ambulante Psychotherapie stattgefunden, erst im Jahr 2003 habe er einige Monate Psychotherapie wahrgenommen. Diese habe er jedoch abgebrochen, da er sich in den Gesprächen nicht wohlgefühlt habe. Das Aufdecken zugrundeliegender Probleme habe er als bedrohlich empfunden. Im Jahr 2008 sei er mehrere Monate allein mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Er habe häufig im Freien übernachtet und zum Geldverdienen in der Landwirtschaft geholfen. In dieser Zeit sei es ihm recht gut gegangen, er sei vor seinen Schulden und Problemen davongefahren. Der Kläger habe sich als Einzelgänger dargestellt, der häufig Probleme habe, mit anderen Menschen und Kollegen auszukommen. Andere Menschen hätten ihrerseits große Probleme, mit ihm zurechtzukommen. Er selbst könne schwer Vertrauen zu anderen Menschen fassen, habe Ängste in Bezug auf Menschenmengen, sei am Liebesten allein im Wald. Er könne sich schlecht in geschlossenen Räumen aufhalten, laute Geräusche machten ihm Angst. In diesem Zusammenhang hatte der Kläger auch über seine Inhaftierung in der ehemaligen DDR berichtet. Viele Situationen, die aktuell angstauslösend seien, hätten ihre Ursache in den Erlebnissen dieser Zeit. Ängste, Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Ängste in geschlossenen Räumen angesichts vergitterter Fenster und Türen und andere Zusammenhänge aktivierten die alten Erlebnisse, so dass hier eine posttraumatische Belastungsstörung vermutet werde. Der Kläger selbst habe den Satz formuliert: Ich habe den Bezug zur Menschheit verloren. Ebenso habe er große Probleme mit eintönigen, stumpfsinnigen Tätigkeiten, zum Beispiel in der Produktion oder vor dem PC. Im Kontakt mit dem Kläger habe sich der Verdacht auf eine tiefergehende strukturelle Störung ergeben. Entsprechende psychopathologische Befundunterlagen lägen allerdings nicht vor (vgl. ärztlicher Untersuchungsbefund des Dr. AD. vom 25. Mai 2009). In dem entsprechenden Ergebnisbericht des AE. war festgehalten worden, der Kläger habe nach Abschluss seiner Lehre zum Hufschmied ab 2000 einen eigenen Reiterhof zusammen mit seiner damaligen Freundin betrieben; infolge des Arbeitsunfalls 2001 mit Brustmuskelabriss habe er den Betrieb Ende 2007 auflösen müssen. Eine berufliche Neuorientierung und -einstellung sei trotz Bemühungen nicht geglückt. Während des Verlaufs der Maßnahme habe der Kläger lange an seiner Wunschvorstellung festgehalten, im Bereich des Naturschutzes zu arbeiten, zum Beispiel als Naturpark-Ranger, obwohl er dort für sich keine realistische Möglichkeit der Ausbildung und Tätigkeit gesehen habe. Zum Ende der Maßnahme habe sich nun der Wunsch herauskristallisiert, eine Ausbildung zum Imker zu absolvieren. Für den Kläger seien die Diagnosen "Posttraumatische Belastungsstörung (PDPS) mit Schlafstörungen, Albträumen und psychomotorischer Anspannung, rezidivierende depressive Episoden mit Rückzug und Ängsten" zu stellen. Es bestehe eine deutlich eingeschränkte psychische Belastbarkeit aufgrund einer schweren seelischen Erkrankung. Zusätzlich bestehe eine deutlich eingeschränkte körperliche Belastbarkeit aufgrund des LWS-Syndroms. Aus psychiatrischer Sicht erscheine es derzeit sinnvoll, den Kläger zu berenten. Wegen wenig realisierbar wirkender beruflicher Vorstellungen und deutlich eingeschränkter seelischer und körperlicher Belastbarkeit seien Umschulungsmaßnahmen wenig erfolgversprechend. (vgl. Ergebnisbericht des AE.).

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. AF. hat unter dem 15. Oktober 2009 berichtet, in den neun Jahren Tätigkeit im Öffentlichen Dienst bei der Unterhaltung der Stadt Q. habe der Kläger viel alleine gearbeitet, da die anderen nicht hätten mit ihm zusammenarbeiten wollen. Durch die Bekanntschaft mit einer Tierärztin sei er durch die Liebe völlig aus der Bahn geraten, habe das Reiten und Hufschmieden kennengelernt. Nach Absolvierung der Hufschmiedausbildung habe er keine Anstellung finden können, habe eine eigene Firma gegründet und mit viel Einsatz auch erfolgreich führen können. Seine Frau, mit der von 2001 bis 2003 verheiratet gewesen sei, habe einen Reiterhof betrieben, gemeinsam habe man schwer geschuftet. Auch nach dem Arbeitsunfall im Jahr 2001 habe er seinen Betrieb weitergeführt, die starken Schmerzen ignoriert. Ende 2007 habe er jedoch aufhören müssen, den Betrieb aufgelöst. Versuche, eine neue Existenz aufzubauen, seien bislang erfolglos. Nach vielen Bewerbungsgesprächen sei keine Einstellung erfolgt. Tätigkeiten, die er sich vorstellen könne, würden entweder vom Arbeitsamt oder von Ärzten abgelehnt. Aktuell lebe er in einer ausgebauten Garage in M., male viel, halte sich gerne in der Natur auf und treibe oft Sport, wie Rad- oder Inlinerfahren. Zu seiner psychiatrischen Anamnese befragt, hatte der Kläger hier angegeben, im Kindesalter von 7, 14 und 16 Jahren sexuelle Übergriffe durch Fremde erlebt zu haben. Sein starkes Misstrauen hatte er auf diese Ereignisse zurückgeführt. Eine weitere Traumatisierung sei die Haft gewesen, er habe das menschenverachtende System nur mit viel Anstrengung überleben können. Noch heute habe er Schlafstörungen und Träume von Erschießungen. Nach einer Trennung sei er suizidal und neun Wochen psychiatrisch stationär behandelt worden. In der BRD habe er viel gearbeitet, besonders in der Zeit als Hufschmied im eigenen Betrieb, da habe er nie fehlen dürfen, so auch mit unerträglichen Schmerzen über Jahre. Nach dem Unfall 2001 sei er selbstmordgefährdet gewesen, habe sich in die Psychiatrie eingewiesen. Nach drei Wochen dort habe er wieder funktionieren können und sich wieder in das System integriert und ununterbrochen seinen Betrieb am Laufen halten müssen. Seit 2001 habe er wegen Schmerzen zunehmende Schlafstörungen. Nach dem Ausstieg aus der Ehe 2003 sei er nach M. gegangen und dort lange nicht zurechtgekommen. Eine neue Partnerschafft könne er sich nicht mehr vorstellen. Er fühle sich nicht belastbar, unter Druck und unruhig. Nur in der Natur fühle er sich entspannt und frei. Ein starkes seelisches Tief mit erneuter Suizidalität habe er im Sommer 2008 durch eine monatelange Radtour durch Deutschland und die Schweiz bewältigt. Er sei phasenweise sehr menschenscheu, habe Angst vor allem und jedem, sei am liebsten alleine. Diese Zustände kämen auch ohne erkennbare Auslöser. Die Ärztin hat die Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" gestellt und hierzu ausgeführt, es bestehe eine deutliche eingeschränkte psychische Belastbarkeit aufgrund einer schweren seelischen Erkrankung. Aus psychiatrischer Sicht erscheine es sinnvoll, den Kläger zu berenten.

In der Zeit vom 14. September 2009 bis 30. Oktober 2009 hat der Kläger im AC. an der Maßnahme "Berufsfindung-Spezial", vom 29. März bis 23. April 2010 an einer Berufsfindung und Arbeitserprobung und vom 25. Mai bis 24. Juli 2010 an einer Integrationsmaßnahme der AG. Gesellschaft zur beruflichen Integration teilgenommen.

Im August 2010 ist der Kläger im Auftrag des Landgerichts Hannover anlässlich seines gegen die AH. geführten Rechtsstreites wegen privater Berufsunfähigkeitsrente von der Fachärztin für Orthopädie Dr. AI. untersucht worden. Diese hat unter dem 18. Oktober 2010 festgestellt, bei dem Kläger bestehe eine deutliche Verschmächtigung des großen Brustmuskels rechts. Als Krankheiten seien eine Lumbalgie ohne Nachweis von Nervenwurzelreizerscheinungen, ein Rundrücken, ein Zustand nach Riss des großen Brustmuskels rechts, ein Schulterengpasssyndrom der rechten Schulter, ein HWS-Syndrom und ein Tinnitus beidseits festzustellen. In seinem Beruf als Hufschmied sei der Kläger dauerhaft aufgrund der bezeichneten Krankheiten mindestens zu 50 % außer Stande, diesen Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung auszuüben.

Im November 2010 hat der Kläger bei der Rentenversicherung AJ. die Zuerkennung einer Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. In diesem Zusammenhang hat der Orthopäde Dr. AK. den Kläger untersucht und in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2010 festgestellt, der Kläger wünsche eine vorzeitige Berentung und habe jetzt keine Lust mehr. Weiter habe der Kläger angegeben, seine Gehstrecke sei unbegrenzt, er gehe sechs bis sieben Stunden spazieren, darüber hinaus betätige er sich sportlich, besuche zweimal in der Woche ein Fitnesscenter, wo er jeweils für die Dauer von 1 1/2 Stunden einen Geräteparcours absolviere mit einem Trainingsprogramm für sämtliche Muskelpartien des Körpers. Dieser Gutachter hat Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet gestellt und hierzu mitgeteilt, der Kläger sei in gutem Allgemein- und sehr guten Kräftezustand, körperlich trainiert. In seinem gegen den ablehnenden Rentenbescheid der Deutsche Rentenversicherung AJ. vor dem Sozialgericht (SG) Hannover geführten Klageverfahren hatte der Kläger zur Begründung angeführt, er sei aufgrund seiner physischen und psychischen Einschränkungen nicht in der Lage, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Jedenfalls könne er nicht in seinem Beruf als Hufschmied arbeiten. Der Arbeitsunfall im Juni 2001 habe bei ihm zu einem psychischen Einbruch geführt, der einen stationären Aufenthalt für drei Wochen im LKH W. erforderlich gemacht habe. Schwere Traumatisierungen habe er außerdem in der Kindheit und auch durch die Inhaftierung in der DDR erlitten, deshalb leide er heute noch unter massiven Schlafstörungen und Albträumen von Erschießungen. Bei ihm bestehe eine PTBS (SG Hannover, Aktenzeichen S 12 R 50/11).

Im August 2011 hat das Landgericht Hannover die AL. Lebensversicherung zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente an den Kläger verurteilt. In diesem Verfahren hatte sich der Kläger für seinen Anspruch auf eine völlige Einschränkung für Bücken, Hocken, Knieen, Über-Kopf-Arbeiten und Zwangshaltungen wegen Schmerzen in der LWS mit Ausstrahlung in das linke Bein bezogen. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, der Kläger sei in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als gelernter Hufschmied seit November 2007 berufsunfähig: Er könne seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Hufschmied mit der für diesen Beruf maßgeblich prägenden Möglichkeit des Beschlagens von Hufen zu wenigstens 50 % nicht mehr ausüben. Für seine Überzeugung hat sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. AI. gestützt. Psychische Beschwerden hatte das Landgericht nicht thematisiert, ein bei dem Kläger bestehender Tinnitus war nicht von übergeordneter Bedeutung. Am 3. Mai 2012 ist vor dem Oberlandesgericht Celle ein Vergleichsbeschluss zwischen dem Kläger und der AH. erwirkt worden, wonach die Lebensversicherung an den Kläger 85.000,00 € zu zahlen hatte und damit sämtliche Ansprüche des Klägers aus der von ihm genommenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erledigt waren (Az BU 209/11).

Ab dem 22. August 2011 ist für den Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt worden.

Im Mai 2012 hat der Kläger bei dem beklagten Land Leistungen nach den HHG beantragt und hierfür geltend gemacht, durch den in der Zeit vom 7. Juni 1983 bis 25. Januar 1984 erlittenen politischen Gewahrsam ein psychisches Trauma erlitten zu haben, welches einen GdS von jedenfalls 40 rechtfertige. Im Vollzug sei er mit einer gelben Binde gekennzeichnet und damit für Schikanen durch Mithäftlinge freigegeben worden, die auch erfolgt seien. Die Kleinstzelle sei zunächst Tag und Nacht mit Licht ausgeleuchtet worden. Immer wieder sei er am Schlafen gehindert worden. Der Transport von der Haftanstalt N. nach L. sei liegend in einen Viehtransporter erfolgt. Hier sei er durch die begleitenden Polizisten mit einer durchgeladenen Flinte bedroht worden und habe Todesängste ausgestanden. Die kontinuierlichen Demütigungen und Schikanen hätten zu einer PTBS mit Schlafstörungen, psychomotorischen Anspannungen, sozialen Rückzug und Ängsten sowie immer wieder auftretender Suizidalität geführt. 2001 sei er wegen akuter Suizidalität für drei Wochen stationär im LKH W. behandelt worden. Im Sommer 2008 habe er erneut unter akuter Suizidalität gelitten. Er sei Einzelgänger, habe häufig Problem mit anderen Menschen, könne schwer Vertrauen zu anderen Menschen fassen, habe Ängste in Bezug auf Menschenmassen. Geschlossene Räume und laute Geräusche machten ihm Angst. Für seinen Vortrag bezog sich der Kläger auf das für das Berufsförderungswerk AM. erstellte Gutachten der Dr. AD. vom 25. Mai 2009 sowie weitere von ihm vorgelegte Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Inhaftierung in der DDR standen. Ergänzend führte der Kläger aus, bei seinen Aufenthalten in den Kliniken AN. und W. sei nur am Rande auf die Haftzeit eingegangen worden; die Ärzte dieser Kliniken hätten kein Interesse an diesem Thema gezeigt. Erst im Rehazentrum AM. sei etwas mehr darauf eingegangen worden.

Das beklagte Land zog die Schwerbehindertenakten des Klägers nach dem SGB IX sowie Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung AA. bei. Unter dem 5. November 2012 erteilte das Bundesarchiv dem beklagten Land eine Auskunft über den Kläger aus der zentralen Gefangenenkartei des MDI und der Gefangenenpersonalakte (Signatur: AO.). Weitere Recherchen seien dort ohne Erfolg verlaufen; Angaben zu den Umständen der Inhaftierung, die über die vorliegenden Informationen hinausgingen, hätten nicht erlangt werden können. Die vom beklagten Land von der JVA N. unter dem 30. November 2012 beigezogene Kurznachricht über die Haftzeit des Klägers samt Übersendung der Gefangenenkarteikarte ergab ebenfalls keine weiteren Erkenntnisse zu den Umständen der Inhaftierung.

In der JVA AP. und der JVA AQ. waren keinerlei Unterlagen über den Kläger mehr auffindbar. Die JVA AR. übersandte dem beklagten Land unter dem 17. Januar 2013 eine Haftkarteikarte, aus der hervorging, dass der Kläger am 9. Januar 1984 in die ehemalige Einrichtung des AS. in AT. verlegt worden war; dabei seien alle Unterlagen mitgegeben worden. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR teilte unter dem 22. Januar 2013 mit, zu dem Kläger lägen lediglich medizinische Unterlagen aus der Untersuchungshaftanstalt N. vor. Daraus sei u.a. ersichtlich, dass der Kläger mit dem Verpflegungssatz nicht ausgekommen sei; auf Antrag sei dieser am 24. Juni 1983 verdoppelt worden. Konkrete Hinweise zu Haftbedingungen, wie sie der Kläger erlebt habe, seien den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen. Aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes hätten sich anhand der übermittelten Personendaten des Klägers keine Hinweise auf Anhaltspunkte zu Ausschließungsgründen gemäß § 2 HHG ergeben.

Das beklagte Land zog noch den Entlassungsbericht des Niedersächsischen Landeskrankenhauses W. vom 27. Juni 2001 und den Entlassungsbericht der Privat-Nerven-Klinik Dr. AU. vom 2. August 1994 bei. Sodann veranlasste es eine Begutachtung des Klägers durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie AV.. Diese stellte nach Untersuchung des Klägers im Juli 2013 in ihrem Gutachten vom 5. August 2013 fest, der Kläger habe berichtet, in der U-Haft nicht durchgängig in Einzelhaft, sondern auch in einer Zwei- bzw. Drei-Mann-Zelle untergebracht gewesen zu sein. Er sei täglich stundenlang verhört worden, es habe immer wieder Drohungen seitens des Wachpersonal gegeben, auch Todesdrohungen. Seine Eltern hätten ihn in dieser Zeit drei- bis viermal besuchen dürfen. Er sei mehrfach im Keller in die sog. "Mumpe" gekommen, wo es keinerlei Fenster gegeben habe, dunkel und kalt gewesen sei. Dort habe er Stunden zubringen müssen. Mit dem Grotewol-Express sei er dann nach L. in den Strafvollzug transportiert worden. Er habe sich in einem besonderen Verschlag aufhalten müssen, in dem er sich nicht habe bewegen können und es auch kein Fenster gegeben habe. Bei einer kleinen Unterbrechung habe er nur mit dem Gewehr vor dem Gesicht aussteigen können. Ihm sei sofort gedroht worden, dass man ihn erschieße, wenn er ein Anzeichen zur Flucht unternehme. In den Zellen sei oft das Licht angemacht worden, damit er nicht habe schlafen können. Auch sei absichtlich Lärm mit einem Schlüsselbund gemacht worden oder die Türen seien ständig bewegt worden, so dass er nicht habe schlafen können. Tagsüber hätten die Betten hochgeklappt sein müssen. Auf ihnen hätte man eh nicht lange liegen können, da es nur Holzpritschen gewesen seien. Es habe nur eine Toilette für alle gegeben, man habe auch nicht lüften können, was er als schrecklich wahrgenommen habe. Er habe sich nackt ausziehen müssen und sei an allen Körperöffnungen untersucht worden, was er als extrem demütigend empfunden habe. Als Schweißer habe er in drei Schichten arbeiten müssen und sei oft völlig erschöpft gewesen. Die Wärter hätten absichtlich in seiner Zelle alles durcheinander geschmissen und er habe mitten in der Nacht, nach der Arbeit, stundenlang alles wieder aufräumen müssen. Freigang habe es nur in Buchten mit Gittern darüber gegeben. Oft habe er Angst gehabt, vor allem auch, dass man ihn erschieße bzw. nicht wieder aus der Mumpe herauslasse. Letztendlich sei er nicht direkt körperlich misshandelt worden und habe auch selbst keine sexuellen Übergriffe erleben müssen. Besonders schlimm sei für ihn die fehlende Rückzugsmöglichkeit gewesen, die Enge, die vielen Leute und Geräusche. Bis heute könne er deswegen enge geschlossene Räume oder Gitter vor den Fenstern nicht ertragen, auch viele Menschen nicht mehr. Er kriege sofort Angst und Panik. Er könne deshalb bis heute nur unter starken Schwierigkeiten öffentliche Verkehrsmittel benutzen, könne nicht auf Konzerte gehen, nicht in Geschäfte oder Lokale oder Kinos. Bis heute habe er riesige Probleme, wenn jemand einen rauen oder autoritären Ton anschlage. Dann fühle er sich sofort angegriffen, reagiere gereizt und verbal aggressiv, was auch in seinen Beziehungen vorgekommen sei. Deshalb habe er auch beim Arbeiten immer wieder Probleme gehabt mit seinen Kollegen und anderen Menschen oder es in Räumlichkeiten oder Hallen auszuhalten und dort zu arbeiten. Er fühle sich eigentlich nur wohl, wenn er Ruhe habe, allein sei. Er sei ein totaler Einzelgänger geworden. Er denke, dass er durch die Haft beziehungsunfähig geworden sei. Seine Tätigkeit als Hufschmied habe er aufgrund eines Arbeitsunfalls 2001 und aufgrund zunehmender Probleme mit Wirbelsäule und Schulter nicht weiter ausführen können. Deshalb habe er die selbständige Tätigkeit aufgegeben. Er habe diverse Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bzw. Arbeitsrehabilitierungsmaßnahmen durchgeführt, letztlich ohne Erfolg. Er könne sich aufgrund seiner Ängste, der Kontaktprobleme zu anderen Menschen, seiner Geräusch- und Reizempfindlichkeit eigentlich nur vorstellen, irgendwo draußen zu arbeiten mit möglichst wenig Menschen. Ein Praktikum im Wildpark habe ihm gut gefallen, aber auch dort hätten die Leute ihn abgelehnt und ihn für einen Spinner gehalten, da er zu schnell Kritik geäußert habe. Dies höre er häufiger. Nach Auszahlung einer privaten BU-Rente habe er auf alles verzichtet und sei mit dem Fahrrad einige Monate herumgefahren, was ihm gutgetan habe. Das Geld sei langsam alle. Der Druck werde wieder steigen. Er habe Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt, diese Entscheidung sei noch offen. Er habe große Zukunftsängste, da er so viele Einschränkungen habe und keinen Belastungen gewachsen sei. Er wolle auch keine Therapie machen, damit alte Narben nicht wieder aufreißen. Am besten gehe es ihm, wenn er allein sei und seine Ruhe habe. Er beschäftige sich allein, male gerne, lese oder fahre in den Wald. Einen Freundeskreis besitze er nicht mehr. Er begebe sich so wenig wie möglich unter Menschen. Das Arbeitstraining als Schweißer habe er nicht ausgehalten, weil die Erinnerungen an die Haft wieder hochgekommen seien. Er könne so etwas nicht mehr, er könne nur noch draußen sein. Die Gutachterin gelangte zu der abschließenden Bewertung, bei dem Kläger liege das Vollbild einer PTBS mit deutlichem Bezug zur Haftzeit vor. Innerhalb der PTBS bestehe eine deutliche Agora- und Klaustrophobie mit Panikstörung und Vermeidungsverhalten, ebenfalls mit deutlichem Bezug zur Haftzeit, was auch zu einer erheblichen Einschränkung der sozialen Aktivitäten, zum Rückzug und zu Einschränkungen der beruflichen Möglichkeiten führe. Hierdurch sei der Kläger in seiner Kontaktfähigkeit und im Umgang mit anderen Menschen eingeschränkt und auch in seiner beruflichen Belastungsfähigkeit betroffen. Bisher seien alle Berufsfindungsmaßnahmen daran gescheitert, dass vorrangig Maßnahmen ausgesucht worden seien, die die psychischen Einschränkungen des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Schädigungsbedingt lägen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung durch die Hafterlebnisse eine chronifizierte PTBS mit Agora- und Klaustrophobie, Panikattacken und Vermeidungsverhalten sowie leichtere depressive Symptome vor. Aufgrund der Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, der sozialen Aktivitäten sowie der beruflichen Betroffenheit empfahl die Gutachterin einen GdS von 40.

Nach Auswertung dieses Gutachtens erkannte das beklagte Land mit Erstanerkennungsbescheid vom 18. Oktober 2013 als Schädigungsfolgen nach dem HHG an: "Posttraumatische Belastungsstörung", stellte den GdS gemäß § 30 Abs. 1 BVG ab dem 1. Mai 2012 mit 40 fest und bewilligte dem Kläger dementsprechende Beschädigtenversorgung ab Mai 2012 (Widerspruchsbescheid vom 12. April 2016). Diese Entscheidung ist in dem vor dem Senat vom Kläger geführten Parallelverfahren streitgegenständlich (vgl. Urteil vom heutigen Tage zum Az. L 10 VE 6/20).

Mit dem Bescheid war dem Kläger mitgeteilt worden, ein Anspruch auf Gewährung von Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG ab Mai 2012 werde noch geprüft; auch waren dem Kläger die Vordrucke für die Beantragung berufsbezogenen Leistungen nach § 30 Abs. 2 und 3 BVG übersandt worden. In seinem sodann auf die - im vorliegenden Verfahren streitgegenständlich berufsbezogenen Leistungen - gerichteten Antrag gab der Kläger an, seit 2008 aus gesundheitlichen Gründen trotz Reha-Maßnahmen und Berufsförderung nicht berufstätig zu sein. Er sei vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden wegen des im Jahr 2001 erlittenen Arbeitsunfalls.

Das beklagte Land zog vom SG Hannover die im Klageverfahren S 12 R 50/11 über den Kläger beigezogenen medizinischen Unterlagen sowie das über den Kläger erstattete Gutachten der Psychiaterin Dr. AW. vom 21. Januar 2014 bei. Dr. AW. hatte die Diagnosen "PTBS" und "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" gestellt und war zu der Einschätzung gelangt, der Kläger könne körperlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen und bevorzugt im Freien arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten. Unzumutbar seien dem Kläger Tätigkeiten in engen geschlossenen Räumen, Arbeiten in Wechselschicht oder Nachtschicht und auch keine Arbeiten unter besonderem Zeitdruck oder mit häufigem Publikumsverkehr. Mit den genannten Einschränkungen könne der Kläger regelmäßig fünf Tage pro Woche arbeiten. Die bei dem Kläger bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen aufgrund der psychiatrischen Diagnosen seien durch eine Rehabilitationsmaßnahme nicht mehr zu beheben.

Das Klageverfahren des Klägers bzgl. der Erwerbsminderungsrente ist über drei Instanzen mangels Vorliegens versicherungsrechtlicher Voraussetzungen zunächst erfolglos geblieben (Urteil des SG Hannover vom 30. Juni 2014; Az. S 12 R 50/11; Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) vom 17. Dezember 2014, L 2 R 355/14; Beschluss des Bundessozialgerichts vom 10. Oktober 2017, B 13 R 65/15 B). Auf den vom Kläger im Dezember 2017 bei der DRV AX. gestellten Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X erkannte die DRV Knappschaft-AY. im März 2019 den Anspruch des Klägers auf volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer ab November 2010 an (Az.: S 12 R 27/18).

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Juli 2015 lehnte das beklagte Land den Antrag des Klägers auf Gewährung von Berufsschadensausgleich und Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ab. Der Kläger sei zuletzt beruflich als Hufschmied selbständig tätig gewesen und habe diesen Beruf infolge eines im Jahr 2001 erlittenen Arbeitsunfalls aufgeben müssen. Die Ausübung dieses Berufes sei wegen der schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet erfolgt. Die schädigungsbedingten psychischen Beeinträchtigungen seien insoweit nicht von wesentlicher Bedeutung. Im Übrigen bestehe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Ein schädigungsbedingter Einkommensverlust liege daher nicht vor. Aus denselben Gründen bestehe auch kein Anspruch auf eine Höherbewertung des GdS nach § 30 Abs. 2 BVG. Die bei dem Kläger bestehende PTBS sei keine wesentliche oder annähernd gleichwertige Bedingung dafür, dass er weder in seinem früheren Beruf als Hufschmied noch in einem sozial gleichwertigen Beruf arbeiten könne.

Am 14. August 2015 ist der Kläger als Fahrradfahrer von einem Auto angefahren und überfahren worden.

Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17. Juli 2015 wies das beklagte Land mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2016 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 19. April 2016 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und mit dieser die Höherbewertung des GdS aufgrund besonderer beruflicher Betroffenheit sowie Gewährung von Berufsschadensausgleich begehrt. Durch den Arbeitsunfall 2001 sei es zu einer Retraumatisierung und in der Folge zu einer anhaltenden, somatoformen Schmerzstörung gekommen im Rahmen der PTBS, was ihn zur Berufsaufgabe gezwungen habe. Das SG hat eine Begutachtung des Klägers durch den Psychiater Dr. AZ. veranlasst. Dieser Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 16. November 2017 zu dem Ergebnis gelangt, das komplexe Krankheitsbild mit im Vordergrund stehenden chronifizierten Ängsten, dem Gefühl von Entfremdung, Bedrohung und der chronischen inneren Unruhe und Anspannung führe zu einem aufgehobenen beruflichen Leistungsvermögen, welches durch die nicht vorhandene Veränderungsmotivation und die ablehnende Haltung zu sämtlichen Hilfsmaßnahmen zusätzlich prognoseverschlechternd wirke. Der Kläger habe hierzu geäußert, dass er auch weitere Begutachtungen ablehnen würde, wenn dies für ihn nachteilige finanzielle Folgen hätte. Auch hieran zeige sich die erheblich eingeschränkte Anpassungsfähigkeit an Veränderungen und die bereits fest in das Selbstbild integrierte Persönlichkeitsveränderung. Aufgrund der körperlichen Einschränkungen, die im Wesentlichen aus dem Arbeitsunfall im Jahr 2001 resultierten, wäre der Kläger durchaus in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig zu sein. Es stünden jedoch die psychopathologischen Veränderungen im Vordergrund, so dass der Kläger aufgrund seiner psychiatrischen Erkrankung, nämlich der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, auf Dauer nicht in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu werden. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. März 2018 hat Dr. AZ. außerdem darauf hingewiesen, sowohl die chronifizierte PTBS als auch die schwere Erkrankung im Sinne der andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung seien mit sehr hoher und ausreichender Wahrscheinlichkeit durch den politischen Gewahrsam allein verursacht worden. Insgesamt leide der Kläger unter einer erheblich und global eingeschränkten Leistungsfähigkeit, hauptsächlich im interpersonellen Bereich mit erheblichen und chronifizierten Problemen. Die nahezu durchgängige starke Erschöpfung mit gesteigertem Ruhebedürfnis und dem Bedürfnis, alleine zu sein, schränke den Kläger in nahezu sämtlichen Lebensbereichen so erheblich ein, dass von einer schweren seelischen Behinderung auszugehen sei. Der GdS sei mit 80 zu bewerten. Aufgrund der schwersten Einschränkungen sei der Kläger auch nicht mehr in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. In seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 17. Dezember 2018 hat Dr. AZ. betont, eine somatoforme Schmerzstörung könne nicht mehr diagnostiziert werden. Der Kläger habe mehrfach und ausführlich über sein körperliches Befinden berichtet. Die diagnostischen Kriterien einer somatoformen Schmerzstörung seien nicht erfüllt. Der GdS sei mit 80 zu bewerten. Eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gutachten von Frau AV. und Dr. AW. habe er aus ökonomischen Gründen nicht vorgenommen.

Das SG hat weitere medizinische Ermittlungen für notwendig erachtet und ein weiteres psychiatrisches Gutachten über den Kläger veranlassen wollen. Dies hat der Kläger abgelehnt. Daraufhin hat das SG mit Urteil ohne mündliche Verhandlung am 13. November 2019 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches und auch nicht auf die Höherbewertung des GdS nach § 30 Abs. 2 BVG. Es sei nicht erwiesen, dass der Kläger seine selbständige berufliche Tätigkeit schädigungsbedingt aufgegeben und einen schädigungsbedingten Einkommensverlust erlitten habe. Vielmehr habe der Arbeitsunfall des Klägers im Jahr 2001 wesentlich dazu geführt, dass er die Tätigkeit als Hufschmied aufgeben musste und seitdem keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgegangen sei. Der Arbeitsunfall 2001 habe nicht zu einer Retraumatisierung des Klägers geführt. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. AZ. seien nicht nachvollziehbar. Dieser habe sich nicht mit den Vorgutachten auseinandergesetzt. Eine weitere Begutachtung habe der Kläger abgelehnt, so dass zu den aktuellen Funktionseinschränkungen keine Tatsachen festgestellt werden könnten.

Gegen das ihm am 20. Dezember 2019 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 3. Januar 2020 erhobenen Berufung, mit der er weiterhin die Gewährung von Berufsschadensausgleich sowie die Höherbewertung des GdS aufgrund einer besonderen beruflichen Betroffenheit geltend macht. Hierfür stützt er sich auf das Rentengutachten der Dr. AW. und ergänzend auf die Ausführungen der erneut im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen Ebbinghaus.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. November 2019 sowie den Bescheid des beklagten Landes vom 17. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2016 aufzuheben,

  2. 2.

    das beklagte Land zu verurteilen, ihm ab Mai 2012 Berufsschadensausgleich zu gewähren und den Grad der Schädigungsfolgen um 10 aufgrund einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu erhöhen.

Das beklagte Land beantragt schriftlich,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. November 2019 zurückzuweisen.

Es hält die erstinstanzliche Entscheidung sowie seinen damit überprüften Bescheid auch unter Berücksichtigung der erneut im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen AV. für zutreffend. Auch diese Sachverständige habe herausgearbeitet, dass das schädigende Ereignis keine zumindest annähernd gleichwertige Ursache dafür sei, dass der Kläger seine berufliche Tätigkeit als Hufschmied aufgegeben habe.

Der erkennende Senat hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Verwaltungsunterlagen der DRV Knappschaft-Bahn-See und der Gerichtsakten des SG Hannover zum Az.: S 12 R 50/11 und S 12 R 27/18. Außerdem hat er die beim Landgericht Hannover zum Az.: 2 O 8/09 noch vorhandenen Unterlagen beigezogen. Weiter hat der Senat die Akten des SG Hannover zu den Verfahren S 18 VE 9/16, S 18 VE 4/13 sowie die Akten zur Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) = S 40 SB 270/17 = LSG Nds.-Bremen L 10 SB 80/90 beigezogen.

Außerdem hat der Senat eine Begutachtung nach Aktenlage durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie AV. veranlasst. Zu einer persönlichen Untersuchung durch die Sachverständige hat sich der Kläger wegen gesundheitlicher Gründe nicht in der Lage gesehen. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 31. Juli 2024 zusammenfassend ausgeführt, bei dem Kläger liege eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) nach ICD 11 vor. Damit entfielen die Diagnosen der PTBS/der andauernden Änderung der Persönlichkeit nach Extrembelastung. Andere psychische Störungsbilder könnten nicht festgestellt werden. Die kPTBS beruhe aus medizinischer Sicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung auf der Haftzeit und sei als komplexe PTBS zu bezeichnen. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bestehe nicht und wäre auch nicht auf die Haft zurückzuführen, sondern dann im Zusammenhang zum Unfall im Jahre 2001 zu sehen. Eine entsprechende Diagnose könne aber nicht gestellt werden. Den GdS habe sie nach ihrer Begutachtung im Jahr 2013 für die PTBS mit 40 angegeben. Damals sei keine Erhöhung des GdS um 10 wegen beruflicher Betroffenheit vorgenommen worden, die aber aus Sicht der aktuellen Begutachtung schon zum damaligen Zeitpunkt berechtigt gewesen wäre, was sich ja auch aus der rückwirkenden Berentung des Klägers ergebe. Es hätte also bereits damals eine Erhöhung des GdS um 10 stattfinden müssen. Im weiteren Verlauf habe sich die Symptomatik weiter chronifiziert und verstärkt, so dass das Vollbild einer kPTBS entstanden sei. Dies werde bereits in der Begutachtung ab 2014 deutlich, auch nach den erfolglosen Maßnahmen des Berufsförderungswerkes. Ab 2014 bestünden schwere Störungen mit mindestens mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten, die mit einem GdS von 50 zu bewerten seien. Dieser GdS von 50 beziehe eine zusätzliche Einschränkung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit noch nicht ein, insoweit müsse es zu einer zusätzlichen Erhöhung kommen. Seinen früheren Beruf als Hufschmied habe der Kläger nicht wegen der Schädigungsfolgen, sondern wegen des Unfalls 2001 beenden müssen. Dieser Beruf sei eindeutig aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen aufgegeben worden. Einen sozial gleichwertigen Beruf habe der Kläger aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigungen nicht ausüben können. Alle entsprechenden Versuche seien gescheitert. Aus medizinischer Sicht sei der Kläger schon ab Mai 2012 bzw. ab der Berentungszeit nicht in der Lage gewesen, einen sozial gleichwertigen Beruf auszuüben. Die anerkannten Schädigungsfolgen seien seit der rückwirkenden Berentung Ende 2010 bzw. spätestens ab Mai 2012 überwiegende Bedingung für den Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2025 ist die Sachverständige dabeigeblieben, seit der Begutachtung durch Dr. AW. sei eine Verstärkung der Symptome erkennbar, so dass ab diesem Zeitpunkt eine kPTBS diagnostiziert werden könne, die als schwere Störung mit mindestens mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten einzuordnen sei und einen GdS von 50 begründe.

In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2025 ist die Sachverständige AV. dabeigeblieben, der von ihr im Jahr 2013 empfohlene GdS von 40 hätte bereits zu diesem Zeitpunkt wegen beruflicher Betroffenheit um 10 angehoben werden müssen. Bereits bei der Begutachtung durch Dr. AW. sei eine Verstärkung der Symptome eingetreten, so dass ab diesem Zeitpunkt eine kPTBS diagnostiziert werden sollte, die als schwere Störung mit mindestens mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten einzuordnen sei und einen GdS von 50 begründe. Diese Bewertung erfolge ohne Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit. Im Ergebnis sei der durch die Begutachtung 2013 festgestellte GdS von 40 wegen der beruflichen Betroffenheit um 10 auf 50 zu erhöhen; der für die kPTBS festgestellte GdS von 50 sei bei Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit auf 60 zu erhöhten.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des beklagten Landes Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten in Anwendung von § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des beklagten Landes vom 17. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht gemäß § 30 Abs. 2 BVG kein Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nach einem höheren GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit zu. Ebenso wenig hat der Kläger gemäß § 30 Abs. 3 BVG einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich.

Die Voraussetzungen der genannten Vorschriften liegen nicht vor.

Gemäß § 30 Abs. 2 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1. auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte, noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,

2. zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlichen höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder

3. die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gemindert hat.

Gemäß § 30 Abs. 3 BVG erhalten rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolge gemindert ist, einen Berufsschadensausgleich.

Beide Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass die Schädigungsfolgen Ursache der beruflichen Nachteile sind, was nach der Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung zu beurteilen ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Dezember 1966 - 9 RV 346/65 -, SozR Nr. 23 zu § 30 BVG, Rn. 10, zitiert nach Juris). Ursache eines Erfolges sind danach diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu einem Erfolg (hier: dem beruflichen Nachteil) mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Ursachen im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens wenigstens den anderen Bedingungen gleichwertig sind. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Sträßer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1).

Der Kläger ist von Juni 1983 bis Januar 1984 im politischen Gewahrsam der ehemaligen DDR gewesen. Erst danach hat er in der Zeit von Januar bis August 1999 das Handwerk des Hufschmieds erlernt und in diesem Beruf bis Februar 2008 gearbeitet. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger diesen Beruf schädigungsbedingt aufgegeben hat, liegen nicht vor. Der Kläger selbst hat immer wieder davon gesprochen, diesen Beruf wegen der körperlichen Folgen des am 11. Juni 2001 während seiner Tätigkeit als Hufschmied erlittenen Unfalls aufgegeben zu haben. Dies lässt sich plausibel auch an den vorliegenden Behandlungsberichten sowie denjenigen Unterlagen nachzeichnen, die anlässlich der Rentenverfahren des Klägers zum Vorgang gelangt sind. Dementsprechend nachvollziehbar und richtig bewertet der Senat die abschließende Einschätzung der Sachverständigen AV., seinen Beruf als Hufschmied habe der Kläger nicht wegen der Schädigungsfolgen, sondern wegen des Unfalls 2001 beenden müssen. Ausdrücklich und deutlich hat die Sachverständige in diesem Zusammenhang dargelegt, dieser Beruf sei eindeutig aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen aufgegeben worden. Dabei hat die Sachverständige auch darauf hingewiesen, der Beruf des Hufschmieds sei für den Kläger unter Berücksichtigung der Haftfolgen gerade besonders gut geeignet gewesen ("letzte Nische im Freien ohne viel Kontakt zu Menschen", vgl. ergänzende Stellungnahme vom 23. März 2025).

Zusammengefasst gibt es keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Kläger im Wesentlichen wegen der Schädigungsfolgen den Beruf des Hufschmieds nicht oder nur eingeschränkt ausüben konnte und deshalb aufgegeben hat.

Auf die vom Kläger in den Mittelpunkt des Verfahrens gerückte Frage, ob er etwa noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bzw. einen zum Hufschmied sozial gleichwertigen Beruf ausüben oder wesentlich durch die bestehenden Schädigungsfolgen bedingt nicht ausüben konnte oder kann, kommt es damit nicht an (vgl. Gesetzeswortlauf des § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVG: "auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte [...] noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann").

Im Hinblick auf den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit gemäß § 30 Abs. 2 BVG ist außerdem zu berücksichtigen, dass es sich bei § 30 Abs. 2 BVG um eine Härteregelung handelt, die dem Grundgedanken des § 581 Abs. 2 RVO a.F. (vgl. jetzt § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII) entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RV 18/94 -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 14, SozR 3-3100 § 31 Nr. 2; zitiert nach Juris). Ausgehend von dem Gedanken, dass nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG die allgemeinen Auswirkungen der durch die Schädigungsfolgen bedingten Funktionsbeeinträchtigungen bereits durch die "medizinische" MdE (jetzt GdS) ausgeglichen werden sollen, besteht ein Anlass zu einer Höherbemessung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG an sich - nur - wenn und soweit solche Schädigungsfolgen vorliegen, die sich im allgemeinen Leben einschließlich des Erwerbslebens nur begrenzt auswirken und deshalb zu einem nur begrenzten Grad der nach § 30 Abs. 1 BVG zu bemessenen MdE führen, die aber in dem speziellen nach § 30 Abs. 2 BVG zu berücksichtigenden Vergleichsberuf ungleich stärkere Auswirkungen haben. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 18. Oktober 1995 (Az.: 9 RV 18/94, SozR 3-3100 § 30 Nr. 14) herausgearbeitet, dass seit Anfang 1979 Berufsschadensausgleich für alle Beschädigten in Betracht kommt und diese Leistung als zweite Säule zum Ausgleich schädigungsbedingter wirtschaftlicher Nachteile getreten ist. Vor diesem Hintergrund hat das Bundessozialgericht darauf hingewiesen, dass das Institut der besonderen beruflichen Betroffenheit seit Anfang 1979 wesentlich an Bedeutung verloren habe. Mit Rücksicht darauf erscheint es für die Zeit nach Ende 1978 nicht mehr geboten, durch Auslegung des § 30 Abs. 2 BVG Kompensationsmöglichkeiten auch für solche Verdiensteinbußen zu schaffen, die gar nicht - ausschließlich - in dem Beruf des Beschädigten, sondern allgemein eingetreten sind (vgl. zum Vorstehenden: Urteil des Senats vom 24. September 2015, L 10 VE 35/13, juris, RdNr. 22). Bei den psychischen Schädigungsfolgen des Klägers handelt es sich aber um allgemeine, sich grundsätzlich auf jede Erwerbstätigkeit auswirkende Folgen der Schädigung. Schon aus diesen rechtlichen Gründen scheidet ein Anspruch des Klägers aus § 30 Abs. 2 BVG gegen das beklagte Land von vorneherein aus.

Ein Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 BVG besteht auch nicht bei Anwendung der sog. "Nachschadensregelung" in § 30 Abs. 11 Satz 1 BVG. § 30 Abs. 11 Satz 1 BVG sieht folgendes vor: Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung, das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), so gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde, d.h. ein fiktives, in der Regel über dem tatsächlichen derzeitigen Bruttoeinkommen liegendes fiktives Einkommen. Der Einkommensverlust ermittelt sich mithin nach dieser Regelung aus dem Vergleich zweier fiktiver Rechengrößen. Sinn der mit dem Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes vom 18. Dezember 1975 (HStruktG-AFG - BGBl I S 3113) eingeführten Regelung war es, zu verhindern, dass in Fällen, in denen ein - unter Umständen auch nur geringer - schädigungsbedingter Einkommensverlust eingetreten ist, zugleich auch versorgungsfremde, unabhängig von der Schädigung eingetretene berufliche Einbußen mitentschädigt werden müssen. Die Regelung sollte also die öffentlichen Haushalte vor Mehrbelastungen schützen, die dadurch entstehen können, dass schädigungsunabhängige Ereignisse einen bereits vorhandenen Einkommensverlust vergrößern. Hiervon hat der Gesetzgeber wiederum eine Ausnahme zugelassen: Vergrößert sich der Einkommensverlust dadurch, dass der Berechtigte arbeitslos geworden oder altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, so gilt dies nicht als schädigungsunabhängiger Nachschaden (vgl. § 30 Abs. 11 Satz 1 2. Halbsatz BVG). Mit dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber das Risiko der ungewollten Arbeitslosigkeit und die Zufälligkeiten der Konjunktur und der Arbeitsmarktlage der öffentlichen Hand zurechnen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 9a RV 5/82 -, SozR 3100 § 30 Nr. 57; zitiert nach Juris)

Diese Ausnahmeregelung bietet aber keine Handhabe für die Zuerkennung eines sonst nicht vorhandenen Anspruchs auf Berufsschadensausgleich. Die Nachschadensregelung ist eine Regelung zu Lasten des Beschädigten. Sie soll verhindern, dass der Berufsschadensausgleich durch Berücksichtigung schädigungsunabhängiger Einkommensverluste erhöht wird. Besteht ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich sonst nicht, so kann er nicht durch die in § 30 Abs. 11 Satz 1 2. Halbsatz BVG genannten Umstände, d.h. nicht durch den Eintritt von (schädigungsfremder) Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, begründet werden. Denn in einem solchen Fall ist die Nachschadensregelung des § 30 Abs. 11 BVG insgesamt, also einschließlich ihrer Ausnahmeregelungen, unanwendbar. Das entspricht auch der Rechtslage vor Inkrafttreten des HStruktG-AFG. Danach konnte sich ebenso wenig ein schädigungsbedingter Einkommensverlust allein aufgrund einer unverschuldet, aber schädigungsfremd eingetretenen Arbeitslosigkeit ergeben (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 5. November 1997 - 9 RV 4/96 -, BSGE 81, 150-156, SozR 3-3100 § 30 Nr 18, Rn. 22, zitiert nach Juris unter Hinweis auf BT-Drucks 7/4127 S. 55).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.