Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.06.2024, Az.: 16 U 510/22
Schadensersatzanspruch eines Käufers eines Gebrauchtfahrzeugs gegen den Hersteller wegen Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.06.2024
- Aktenzeichen
- 16 U 510/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 29436
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlage
- § 826 BGB
Redaktioneller Leitsatz
1. Im Zusammenhang mit einem Schadensersatzanspruch wegen unzulässiger Abschalteinrichtung muss der Hersteller in Bezug auf die Auslegung und Befolgung des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 gegenüber sich selbst nicht strenger sein, als es die zuständigen Behörden ihm gegenüber sind. 2. Ein Thermofenster erweist sich als zulässig, wenn es die im gesamten Unionsgebiet vorliegenden Bedingungen sicher abdeckt.
In dem Rechtsstreit
S. S., ...,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsgesellschaft ...,
gegen
B. AG, ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2024 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 8. September 2022 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. "Dieselabgas-Skandal" in Anspruch.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 8. Mai 2018 einen gebrauchten BMW X6 xDrive 30d zum Kaufpreis von 53.000 € mit einem Kilometerstand von 20.950. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs B47 der Schadstoffklasse Euro 6 ausgestattet. Von einer Rückrufanordnung des Kraftfahrtbundesamts ist das Fahrzeug nicht betroffen. Am 18.8.2022 lag die Laufleistung bei 97.869.
Der Kläger hat unter Verweis auf andere Fahrzeuge der Beklagten behauptet, die Motorsteuerung des Fahrzeugs sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet, u.a. einem nicht näher bestimmten Thermofenster, einer Beeinflussung des SCR-Systems, Deckelung der AdBlue-Einspritzung. Zudem unterliege das On-Board-Diagnosesystems (OBD-System) einer Manipulation, um die unzulässige Beeinflussung des Emissionsverhaltens des Fahrzeugs zu verschleiern. Auf diese Weise habe die Beklagte die Typgenehmigung für das Fahrzeug durch Täuschung der zuständigen Behörden erschlichen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen und gestellten Anträge verwiesen wird (§ 540 Abs. 2 ZPO), die Klage abgewiesen. Zugunsten des Klägers begründeten sich keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus § 826 BGB, weil er ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht hinreichend dargelegt habe.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der zunächst wie zuvor den großen Schadensersatz verlangt hat; zuletzt verlangt er lediglich den Differenzschaden.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz, welcher jedoch mindestens 7.950,00 € (15% des Kaufpreises) beträgt, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil des Landgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft des KBA. Wegen der Einzelheiten wird auf die Auskunft des KBA vom 21. Juni 2023 (Bl. 346 f. d.A.) verwiesen.
II.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich dem Vorbringen des Klägers die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB nicht schlüssig entnehmen lassen. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass die Beklagte ihm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt hätte. Der Kläger beschränkt demnach auch seine Klage nunmehr auf den Differenzschaden aus § 823 II, der aber ebenfalls nicht besteht.
1. Der Kläger stützt seinen Anspruch zutreffend nicht mehr auf die Voraussetzungen des § 826 BGB. Denn dieser besteht nicht.
Zwar kommt, wenn unter Täuschung im EG-Typgenehmigungsverfahren bewusst eine unzulässige Motorsteuerungssoftware verbaut wird, eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316; OLG Celle, Urteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18, juris Rn. 26 ff und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18, juris). Voraussetzung hierfür ist jedoch eine sittenwidrige Schädigung, was zu verneinen ist.
Zwar hat der Kläger das Vorhandensein verschiedener Abschalteinrichtungen behauptet. Das KBA hat den hier betroffenen Motortyp B47 aber bereits (nachträglich) überprüft und keine Beanstandungen gehabt. Ausweislich durch den Senat eingeholten Auskunft des Kraftfahrtbundesamts (KBA) vom 21. Juni 2023 (Bl. 346 f. d.A.) wurde jedoch ein mit dem Fahrzeug des Klägers vergleichbarer BMW durch das KBA auf die Ausstattung mit unzulässigen Abschalteinrichtungen hin untersucht, ohne dass Unzulässigkeiten festgestellt wurden. Dem tritt der Kläger nicht mit Substanz entgegen.
Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Ausführungen des KBA nicht die rechtliche Beurteilung, ob eine Abschalteinrichtung nach dem Maßstab des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007 S. 1 ff; künftig: VO 715/2007/EG) zulässig ist, einer eigenständigen zivilgerichtlichen Prüfung zu entziehen vermögen (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, NJW 2022, 1238 Rn. 80). Die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde ist an der objektiven Rechtslage zu messen. Sie hängt nicht davon ab, ob die im jeweiligen Einzelfall zuständige Zulassungsbehörde eine entsprechende Betriebsuntersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesprochen hat oder eine solche (zunächst) unterblieben ist (vgl. BGH aaO Rn. 82). Darüber hinaus fehlt es jedenfalls an dem erforderlichen Vorstellungsbild der Beklagten, das Fahrzeug in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer Unrechtmäßigkeit hergestellt und in den Verkehr gebracht zu haben, wenn aus Sicht des KBA keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung bestehen oder gar die Erforderlichkeit eines Rückrufs bestehen. Denn die Beklagte musste in Bezug auf die Auslegung und Befolgung des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 gegenüber sich selbst nicht strenger sein, als es die zuständigen Behörden ihr gegenüber waren.
Zwar behauptet der Kläger, wenn auch im Allgemeinen verbliebend, dass die Fahrzeuge der Beklagten verschiedentlich in der Lage seien zu erkennen, ob sie sich auf dem Prüfstand befänden und dementsprechend ihr Emissionsverhalten anpassten. Hierfür fehlt es allerdings an entsprechenden Anknüpfungstatsachen im Tatsächlichen. Betreffend ein angebliches Thermofenster hat der Kläger bereits weder erstinstanzlich noch im Berufungsverfahren eine unzulässige Abschalteinrichtung, erst recht keine Prüfstandserkennung ausreichend dargelegt. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist bei der Frage, ob eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 vorliegt, zu prüfen, ob diese Software die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems "unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind," verringert (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - C-128/20, juris Rn. 37). Der Begriff "normaler Fahrzeugbetrieb" bezieht sich dabei auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen und tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - C-128/20, aaO Rn. 40).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt hat der Kläger das Vorhandensein einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung in Gestalt einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung (sog. Thermofenster) nicht schlüssig dargelegt. Er verbleibt dabei lediglich im Allgemeinen. Selbst in der Berufungsbegründung trägt er dazu lediglich vor, dass auf dem NEFZ eine Temperatur von 25 +/- 5° Celsius herrsche. Das Thermofenster sei so programmiert, dass es den Prüfstand aufgrund der konstanten Temperatur im NEFZ erkenne. Die Funktion schalte dann in einen optimierten Abgasnachbehandlungsmodus. Dies genügt in dieser Pauschalität nicht, um von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Auch die Gesamtschau aller vom Kläger vorgetragenen Umstände reicht nicht aus, um auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der für die Beklagte verantwortlichen Personen schließen zu können oder auch nur eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu ihren internen Entscheidungsvorgängen auszulösen. Zwar bietet die zugunsten des Klägers unterstellte Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen sowie eine Abweichung der Abgaswerte zwischen Prüfstand und Realbetrieb einen gewissen Anh< für die Vermutung, eine Prüfstanderkennung könne Verwendung finden, genügt dies aber nicht. Ausschlaggebende Bedeutung kommt daher der Bewertung durch das KBA zu, nach dessen Vorgaben sich die Beklagte richten durfte. Somit fehlt es mangels Täuschung des KBA und Erschleichens der Typgenehmigung an einer Täuschung aller potentiellen Erwerber und damit an einer deliktischen Handlung der Beklagten, die als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung anzusehen wäre.
2. Die Beklagte haftet wegen der fehlenden Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers und den denkbaren Vermögensvorteilen der Beklagten auch nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 24).
3. Der Kläger hat auch keinen zuletzt allein verlangten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 EG-FGV in Höhe von 5 bis 15% des Kaufpreises.
a) Nach der neuen Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26. Juni 2023 zum Aktenzeichen VIa ZR 335/21) kann das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung zwar zu einem Anspruch des Klägers auf Ersatz eines Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 führen. Dazu bedarf es aber des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Daran fehlt es hier, weshalb dahinstehen kann, ob dem Kläger ein Differenzschaden entstanden ist.
aa) Unter welchen konkreten Umständen eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, richtet sich nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Bei der Subsumtion unter Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (vgl. BGH VIa ZR 335/21, Urteil vom 26.06.2023, zitiert nach juris).
Nach Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kann eine Abschalteinrichtung schon dann vorliegen, wenn die Funktion nur eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit von bestimmten Parametern verändert und die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs verringert wird. Maßstab für die Frage der Zulässigkeit einer Funktionsveränderung in Abhängigkeit von bestimmten Parametern ist nach Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht die Einhaltung des Grenzwerts, sondern die Wirksamkeit des unverändert funktionierenden Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs. In diesem Zusammenhang bedarf es eines Vergleichs der Wirksamkeit des unverändert funktionierenden und derjenigen des verändert funktionierenden Gesamtsystems, und zwar jeweils unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im gesamten Unionsgebiet. Ob die Grenzwerte unter den Bedingungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) auch bei veränderter Funktion eingehalten würden, ist hingegen mit Rücksicht auf den Wortlaut des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht von Bedeutung. Die Prüfung im NEFZ lässt nur in Bezug auf die dabei wirksamen Emissionskontrollsysteme Prognosen für den gewöhnlichen Fahrbetrieb zu und auch das nur dann, wenn die Wirksamkeit der betreffenden Systeme im gewöhnlichen Fahrbetrieb nicht verringert wird. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 knüpft an die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit an und nicht an die Einhaltung der Grenzwerte im NEFZ. Das gilt ohne Rücksicht auf die jeweils eingesetzten Technologien (vgl. EuGH, Urteil vom 8. November 2022 C-873/19, NJW 2022, 3769 Rn. 92; BGH a.a.O., Rn. 51).
bb) Danach ist keine unzulässige Abschalteinrichtung festzustellen. Es kann hierzu auf das oben Dargestellte verwiesen werden. Mit dem Ergebnis der Auskunft des KBA kann nicht von unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgegangen werden. Hinsichtlich eines Thermofensters fehlt es bereits an einem substantiellen Vortrag, dass dieses in einem näher bestimmten Temperaturbereich wirkt. Der Verweis auf die die Prüftemperaturen im NEFZ genügt hierfür nicht. Denn nicht jedes Thermofenster erweist sich als unzulässig. So ist dies zulässig, wenn es die im gesamten Unionsgebiet vorliegenden Bedingungen sicher abdeckt, wozu die Beklagte mit Substanz vorgetragen hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, 2, § 713 ZPO.
Es bestanden keine Gründe, die Revision zuzulassen.