Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.03.2025, Az.: 1 OB 12/25
Beiladung eines Nachbarn i.R.e. Klage gegen bauaufsichtliches Einschreiten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.03.2025
- Aktenzeichen
- 1 OB 12/25
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 11803
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2025:0311.1OB12.25.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 22.01.2025 - AZ: 4 A 3467/22
Rechtsgrundlage
- § 65 Abs. 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Senat lässt offen, ob der Grundstücksnachbar zu einem Hauptsacheverfahren des Bauherrn gegen eine auf Verletzung drittschützender Vorschriften gestützte bauaufsichtliche Verfügung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen ist.
- 2.
Auch wenn in der vorgenannten Konstellation nur die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung vorlägen, wäre diese jedenfalls in der Regel angezeigt, wenn das bauaufsichtliche Einschreiten auf Veranlassung des Nachbarn zurückgeht und auf diesen schützende Normen gestützt wird (Abgrenzung zum Senatsbeschl. v. 6.9.2017 - 1 OB 115/17 -, BauR 2017, 2168 = BRS 85 Nr. 198 = juris Rn. 10).
Tenor:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Berichterstatter der 4. Kammer - vom 22. Januar 2025 wird geändert. Die Beschwerdeführerin wird zum Verfahren beigeladen.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin begehrt ihre Beiladung zum Verfahren, in dem sich die Kläger gegen ein bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten wenden.
Die Kläger haben begonnen, an der Grenze ihres Grundstücks zum Grundstück der Beschwerdeführerin eine Garage zu errichten. Mit dem in der Hauptsache streitigen, von der Beschwerdeführerin angeregten Bescheid gab der Beklagte den Klägern die Einstellung der Bauarbeiten auf, da das Gebäude den Grenzabstand zum Nachbargrundstück verletze. Dagegen haben die Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage erhoben.
Den im Laufe des Klageverfahrens gestellten Antrag der Beschwerdeführerin auf Beiladung hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, streitgegenständlich sei die Verpflichtung der Kläger, der Verfügung des Beklagten nachzukommen. An diesem Rechtsverhältnis sei der Grundstücksnachbar regelmäßig nicht in einer Weise beteiligt, die seine Beiladung gebiete; das Verfahren diene nicht einer verbindlichen Feststellung, ob sich die Baumaßnahme auch in Ansehung von Rechtspositionen des Nachbarn als rechtmäßig erweise. Selbst dann, wenn die Anfechtungsklage der Kläger Erfolg hätte, würden dadurch "Rechte" der Beiladungsbewerberin nicht im eigentlichen Sinne verbindlich und unmittelbar geregelt. Mit ihrem Einschreiten nehme die Behörde, wenn sie nicht ausnahmsweise etwas Anderes erkennen lasse, auch dann lediglich öffentliche Interessen wahr, wenn ihr Handeln vom Nachbarn veranlasst sei. Dass der Beklagte hier im Interesse der Beschwerdeführerin eingeschritten sei, sei nicht erkennbar; dass die Verfügung auf die Verletzung einer nachbarschützenden Norm abstelle, rechtfertige eine Beiladung nicht. Es stehe der Beschwerdeführerin weiter offen, ihre subjektiv-öffentlichen Rechte außerhalb des vorliegenden Verfahrens geltend zu machen.
II.
Die dagegen gerichtete Beschwerde hat Erfolg.
Der Senat hat erwogen, ob die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen, auf ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bezogenen Ausführungen des Senats, der Nachbar sei zu einem Verfahren gegen eine auf die Verletzung drittschützender Vorschriften gestützte bauaufsichtliche Anordnung jedenfalls nicht gemäß § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen (Beschl. v. 6.9.2017 - 1 OB 115/17 -, BauR 2017, 2168 = BRS 85 Nr. 198 = juris Rn. 6), auch auf Hauptsacheverfahren übertragbar sind. Dagegen könnte immerhin sprechen, dass in der Aufhebung eines Verwaltungsakts - anders als in der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein vorzunehmenden Prognose der Erfolgsaussichten - die an der Rechtskraft teilhabende Feststellung enthalten ist, dass ein Verwaltungsakt dieser Art den Kläger in seinen Rechten verletzt. Das hat zur Folge, dass § 121 VwGO den Beklagten hindert, bei - mit Blick auf die tragenden Entscheidungsgründe - unveränderter Sach- und Rechtslage einen gleichartigen Verwaltungsakt erneut zu erlassen (BVerwG, Urt. v. 30.8.1962 - 1 C 161.58 -, BVerwGE 14, 359 = juris Rn. 8 f.). Sollte in einem Klageverfahren wie dem hier zu entscheidenden die Baueinstellungsverfügung mit der Begründung aufgehoben werden, dass eine Grenzabstandsunterschreitung nicht vorliegt, könnte dies mithin bedeuten, dass in einem nachfolgenden Verfahren, in dem die Beschwerdeführerin nunmehr versuchte, ihren vermeintlichen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten selbst durchzusetzen, zwar mangels Beiladung nicht ihr gegenüber, wohl aber zwischen Bauaufsichtsbehörde und Einschreitensadressaten das Nichtbestehen des das Einschreiten ermöglichenden Verstoßes rechtskräftig feststünde. Das könnte bereits in diesem Verfahren eine Beiladung erfordern (für eine notwendige Beiladung auch Mann, in: Große-Suchsdorff, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 79 Rn. 117; dagegen etwa BayVGH, Beschl. v. 17.1.2011 - 15 C 10.3060 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschl v. 4.2.2013 - 10 E 1265/12 -, NVwZ-RR 2013, 295 = juris Rn. 2).
Dies kann jedoch offenbleiben. Ginge man nämlich davon aus, dass die Verneinung einer Grenzabstandsverletzung im ersten Prozess noch keine Entscheidung über einen auf dieselbe Verletzung gestützten Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten beinhaltete mit der Folge, dass lediglich eine einfache Beiladung (§ 65 Abs. 1 VwGO) in Betracht käme, wäre jedenfalls diese angezeigt. Die im vorzitierten Senatsbeschluss vom 6. September 2017 (- 1 OB 115/17 -, BauR 2017, 2168 = BRS 85 Nr. 198 = juris Rn. 10) noch offen gelassene Frage, ob mit dem OVG NRW (Beschl. v. 4.2.2013 - 10 E 1265/12 -, NVwZ-RR 2013, 295 = juris Rn. 8) eine Beiladung des Nachbarn regelmäßig dann vorgenommen werden sollte, wenn das bauaufsichtliche Einschreiten, gegen das der Kläger sich wehrt, auf seine Veranlassung zurückgeht und auf nachbarschützende Normen gestützt wird, entscheidet der Senat nunmehr im Sinne der Beschwerdeführerin. Wird ohne Mitwirkungsmöglichkeit des Nachbarn, der durch seine Initiative ein aktives Interesse an diesem deutlich gemacht hat, das Anfechtungsklageverfahren des Bauherrn zu seinen Lasten entschieden, so liegt es nicht fern, dass der Nachbar anschließend versucht, seine Interessen über eine Verpflichtungsklage, auf die auch hier das Verwaltungsgericht ihn verwiesen hat, durchzusetzen. Schon die realistische Möglichkeit einer solchen Doppelung des gerichtlichen Arbeitsaufwands entspricht im Regelfall - und auch hier - nicht den Grundsätzen der Prozessökonomie. Der dem Senatsbeschluss vom 6. September 2017 zugrundeliegende Sonderfall, dass parallel zum gegen ein bauaufsichtliches Einschreiten gerichteten Verfahren des Bauherrn der Beiladungsbewerber ein Untätigkeitsklageverfahren betreibt, liegt hier nicht vor. Der Senat betätigt daher das ihm im Beschwerdeverfahren eingeräumte eigene Ermessen (Senatsbeschl. v. 6.9.2017 - 1 OB 115/17 -, BauR 2017, 2168 = BRS 85 Nr. 198 = juris Rn. 10) hinsichtlich der Beiladung im aus dem Tenor ersichtlichen Sinne.
Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, da die Beschwerde Erfolg hat und die Beschwerdeentscheidung nur eine unselbständige Zwischenentscheidung in dem in erster Instanz anhängigen Rechtsstreit darstellt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 65 Abs. 4 Satz 3, 152 Abs. 1 VwGO).