Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.04.2025, Az.: 13 ME 44/25

Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.04.2025
Aktenzeichen
13 ME 44/25
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2025, 13217
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2025:0407.13ME44.25.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 19.02.2025 - AZ: 12 B 4372/24

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die Sach- und Rechtslage ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit des stammberechtigten deutschen Kindes maßgeblich.

  2. 2.

    Es ist nicht erforderlich, dass sich das stammberechtigte Kind nach Eintritt der Volljährigkeit bis zum Entscheidungszeitpunkt lückenlos in einer Ausbildung befunden hat. Unwesentliche Unterbrechungen einer begonnenen Ausbildung oder Übergangszeiträume zwischen Schule und Berufsausbildung bzw. Studium sind unbeachtlich.

  3. 3.

    Es ist im Rahmen einer Verlängerung nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht erforderlich, dass das volljährige Kind konkret auf die Lebenshilfe durch den betreffenden Elternteil angewiesen ist.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 19. Februar 2025 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 19. Februar 2025 bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragtellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juli 2024 (Blatt 1201 ff. der E-Beiakte 1) über die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, die Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen bei Anwendung des in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfungsmaßstabs keine andere Entscheidung.

1. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht hinreichend glaubhaft gemacht (vgl. zum Glaubhaftmachungserfordernis im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: Senatsbeschl. v. 4.9.2019 - 13 ME 282/19 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.5.1999 - 10 S 2766/98 -, NVwZ 1999, 1243, 1244 - juris Rn. 12; Hessischer VGH, Beschl. v. 1.8.1991 - 4 TG 1244/91 -, NVwZ 1993, 491, 492 [VGH Hessen 01.08.1991 - 4 TH 1244/91] - juris Rn. 34; Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 80 Rn. 125 m.w.N.).

a) Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist bei Verpflichtungsklagen, die auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels gerichtet sind, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 21; Senatsurt. v. 6.3.2024 - 13 LC 116/23 -, juris Rn. 42; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 30.3.2023 - 7 B 10122/23.OVG -, juris Rn. 7). Etwas anderes gilt aber dann, wenn besondere Gründe des anzuwendenden materiellen Rechts es gebieten, auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2009 - BVerwG 1 C 11.08-, juris Rn. 19). So ist etwa, wenn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Zeitraum in der Vergangenheit beantragt wird, hinsichtlich der Sach- und Rechtslage auf den jeweils von der Antragstellung umfassten Erteilungszeitraum abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - BVerwG 1 C 49.21 -, juris Rn. 9 m.w.N.).

Begehrt ein Ausländer die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, ist hiernach die Sach- und Rechtslage ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit des stammberechtigten deutschen Kindes maßgeblich (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 30.3.2023 - 7 B 10122/23.OVG -, juris Rn. 6 ff.).

Nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt. Die Anknüpfung an den genannten Zeitpunkt ist insoweit geboten, als das Begehren des Antragstellers sich auf eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ab dem Zeitpunkt der Volljährigkeit richtet, die sich an die ihm zur Wahrnehmung der Personensorge gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis unmittelbar anschließen soll. Die Verlängerung kann nach dem Wortlaut der Norm zudem nur "solange" beansprucht werden, wie das Kind sich in einer Ausbildung "befindet". Daraus ist zu folgern, dass bei fehlendem Fortbestand eines Ausbildungsverhältnisses kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis besteht. Damit geht der Gesetzgeber von einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und deren Verlängerung nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aus. Dem entspricht es auch, dass diese Norm nur die Rechtsfolge der Verlängerung, nicht aber einer (Neu-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgesehen hat. Da dieses Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG damit zumindest auch für einen vergangenen Zeitraum, nämlich seit Ablauf der Aufenthaltserlaubnis des Elternteils mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes beansprucht wird, muss es insoweit zwangsläufig auch auf die damaligen Umstände bei Eintritt der Volljährigkeit ankommen.

Für dieses Verständnis, wonach es maßgeblich auch auf die Sach- und Rechtslage ab den Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze der Volljährigkeit ankommt, spricht auch der Zweck der Regelung. Sie sollte eine Lücke schließen, die darin bestand, dass bislang für Aufenthaltserlaubnisse für Elternteile minderjähriger lediger Deutscher bei Eintritt der Volljährigkeit des deutschen Kindes eine § 34 Abs. 2 AufenthG entsprechende Vorschrift fehlte und ein eigenständiges, vom Familiennachzug unabhängiges Aufenthaltsrecht gesetzlich nicht vorgesehen ist (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern, BT-Drs. 17/13536, S. 15). Damit hat der Gesetzgeber eine begrenzte Weitergeltung des Aufenthaltsrechts ermöglicht, die untrennbar mit dem ursprünglichen Aufenthaltszweck und dessen Fortsetzung bei Erreichung der Volljährigkeit verknüpft ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - BVerwG 1 C 49.21 -, juris Rn. 17; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 30.3.2023 - 7 B 10122/23.OVG -, juris Rn. 6 ff. jeweils m.w.N.).

b) Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat daher im Hinblick auf diese enge zeitliche und teleologische Verknüpfung davon aus, dass es für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht nur auf ein punktuelles Erfüllen der Tatbestandsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Volljährigkeit ankommt. Allerdings ist zweifelhaft, ob eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur möglich ist, wenn sich das stammberechtigte Kind nach Eintritt der Volljährigkeit bis zum Entscheidungszeitpunkt lückenlos in einer Ausbildung befunden hat. Eine derart enge Betrachtungsweise liefe im Ergebnis darauf hinaus, nur diejenige Ausbildung des Kindes als Grundlage einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Elternteils nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG anzuerkennen, in der sich das Kind bei Eintritt der Volljährigkeit gerade befindet. Ein zeitlich tatsächlich lückenloser Übergang etwa von der Schulausbildung zu einer beruflichen oder Hochschulausbildung ist bei üblichem Ablauf regelmäßig nicht möglich. Auch der Eintritt der Volljährigkeit während eines von einem Minderjährigen bereits aufgenommenen Hochschulstudiums dürfte nur in wenigen Ausnahmefällen gegeben sein. Angesichts der normativ beschriebenen "Ausbildung ..., die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt" entspricht es aber ersichtlich nicht dem Willen des Gesetzgebers, diese nachfolgenden Ausbildungen faktisch vom Regelungsbereich des § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auszuschließen. Unwesentliche Unterbrechungen einer begonnenen Ausbildung oder Übergangszeiträume zwischen Schule und Berufsausbildung bzw. Studium sind daher unbeachtlich. Ob zur weiteren Konkretisierung der Dauer solcher unwesentlichen Unterbrechungen oder Übergangszeiträume auf den Rechtsgedanken der allgemeinen Regelung des § 85 AufenthG zurückgegriffen werden kann, wonach Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bis zu einem Jahr außer Betracht bleiben können (vgl. ablehnend: OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 30.3.2023 - 7 B 10122/23.OVG -, juris Rn. 14 m.w.N.), bedarf hier keiner Entscheidung, da die Unterbrechung der Ausbildung der Tochter des Antragstellers auch diesen großzügigen zeitlichen Rahmen überschreitet.

Die am ..... 2020 volljährig gewordene Tochter des Antragstellers besuchte bis zum 31. Juli 2022 die Schule. Nach ihrem Vortrag in der Beschwerdebegründung und der dazu vorgelegten Studienbescheinigung der Hochschule Bielefeld vom 18. März 2024 (Blatt 56 der E-Gerichtsakte OVG) hat sie ihr Studium der Sozialpädagogik zum Wintersemester 2023/2024 im Oktober 2023 aufgenommen. Zwischen Beendigung der Schule und dem Studienbeginn lag mithin deutlich mehr als ein Jahr. Von einer ununterbrochenen Ausbildung kann damit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, aus welchen Gründen es zu dieser Unterbrechung gekommen ist.

c) Darüber hinaus spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller und seine in der Hochschulausbildung befindliche Tochter nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft leben.

Allerdings dürfte es nicht zulässig sein, § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen das volljährige Kind konkret auf die Lebenshilfe durch seinen Elternteil angewiesen ist. Diese in der Rechtsprechung zur Frage der Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen volljährigen Familienangehörigen entwickelten allgemeinen Grundsätze (vgl. dazu: Senatsbeschl. v. 9.8.2017 - 13 ME 167/17 -, juris Rn. 18 m.w.N.) hat der Gesetzgeber in § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in der Weise modifiziert, dass das Fortbestehen des Ausbildungsverhältnisses des volljährig gewordenen Kindes für die Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der familiären Lebensgemeinschaft grundsätzlich ausreicht. Eine zusätzliche Voraussetzung konkret erforderlicher und erbrachter Lebenshilfe durch den Elternteil besteht daneben nicht.

Auch unter diesen Voraussetzungen lässt sich dem Vortrag des Antragstellers aber nicht das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner Tochter entnehmen. Ausweislich seines Vorbringens in der Beschwerdebegründung ist der Antragsteller inzwischen völlig mittellos und selbst auf die Unterstützung seiner Familie sowie auf die Unterstützung von Bekannten angewiesen. Er wohnt in einem Männerwohnheim in der Nähe der 2-Zimmer-Wohnung, die seine Tochter und ihre Mutter - die geschiedene Ehefrau des Antragstellers - bewohnen. Er hält sich tagsüber in dieser Wohnung auf und verlässt sie am Abend, um in seinem Zimmer im Männerwohnheim zu schlafen. Nähere Angaben, wie der Antragteller unter diesen Umständen eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner studierenden Tochter lebt, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Der Umstand, dass der Antragsteller während des Tages Aufnahme in der Wohnung seiner geschiedenen Ehefrau findet, dürfte dafür nicht ausreichen.

2. Da der Antragsteller weder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, noch einen Anspruch auf eine solche hat, scheidet die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG oder § 9 AufenthG voraussichtlich aus.

3. Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Vorbringen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG sowie Nrn. 8.1 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).