Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.01.2025, Az.: 11 U 124/24

Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherun; Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Prüfung der vom Versicherungsnehmer behauptete Eintritt der Berufsunfähigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.01.2025
Aktenzeichen
11 U 124/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2025, 21804
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - AZ: 5 O 213/22

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Wegen der Schwierigkeiten, eine negative Tatsache zu beweisen (hier die Behauptung, ab einem bestimmten Zeitpunkt keinen anderen Beruf ausgeübt zu haben), ist vom Prozessgegner zunächst im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positivum sprechenden Tatsachen und Umstände zu verlangen.

  2. 2.

    Diente ein in gesunden Tagen geführter Betrieb ausschließlich der Ermöglichung der Ausübung des eigenen freien Berufes, war z.B. eine Arztpraxis ganz auf den Versicherten und seine besonderen fachlichen Fähigkeiten ausgerichtet und zugeschnitten, besteht eine Regelvermutung, dass dem Versicherten eine Umorganisation nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar ist, da er als Berufsträger gleichsam selbst ersetzen und - infolge der festgestellten Unfähigkeit, die für seine Berufsausübung kennzeichnenden fachlichen Tätigkeiten weiter auszuführen - allenfalls auf die Betreuung der kaufmännischen Aufgaben beschränken müsste.

Tenor:

  1. I.

    Der Senat weist darauf hin, dass die Berufung der Beklagten nicht im Verfahren gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden kann, weil sie nicht in jeder Hinsicht ohne Aussicht auf Erfolg ist. Die Erfolgsaussichten beschränken sich allerdings auf eine Nebenforderung.

  2. II.

    Termin zur mündlichen Verhandlung wird bestimmt auf

    Donnerstag, den 27. Februar 2025, 10.15 Uhr, Saal 150.

  3. III.

    Den Prozessbevollmächtigten der Parteien wird von Amts wegen gemäß § 128a Abs. 2 ZPO gestattet, an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung teilzunehmen.

    Diejenigen Prozessbevollmächtigten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen möchten, werden gebeten, zum Zweck der Durchführung der Videoverhandlung die E-Mail-Adressen mitzuteilen, an die der Link geschickt werden soll, der die Teilnahme an der Videoverhandlung ermöglicht.

    Die Prozessbevollmächtigten werden vorsorglich und zur Vermeidung von Missverständnissen darauf hingewiesen, dass eine Weiterleitung des o.g. Links an die Parteien und sonstige Dritte sowie eine Aufzeichnung der Verhandlung nicht gestattet sind.

    Wegen trotz aller Vorbereitung nicht auszuschließender technischer Probleme bei der Tonübertragung hat es sich in der Vergangenheit als vorteilhaft herausgestellt, dass ein Telefon in Griffweite bereitliegt, um sich damit in die Videoverhandlung einwählen zu können. Die hierfür notwendige Konferenzkennung wird mit dem Einladungslink übersandt.

    Sollten die Prozessbevollmächtigten eine Probeschaltung wünschen, wird um rechtzeitige Mitteilung gebeten.

Gründe

I.

Die Berufung der Beklagten hat - allerdings nur hinsichtlich der Nebenforderungen - Aussicht auf Erfolg.

1. Der Hauptangriff der Berufung dürfte nicht durchgreifen.

a) Die Beklagte meint, dass eine - erst - ab dem Jahresbeginn 2023 bestehende Berufsunfähigkeit des Klägers gar nicht streitgegenständlich sei und dass darauf gründende versicherungsvertragliche Leistungsansprüche mangels Prüfung durch sie, die Beklagte, auch jedenfalls nicht fällig seien. Gegenstand des Prozesses seien lediglich versicherungsvertragliche Leistungsansprüche aufgrund einer seit April 2019 bestehenden Berufsunfähigkeit.

b) Die einschlägige Rechtslage dürfte - wie der Kläger zutreffend in seinem Schriftsatz vom 14. Oktober 2024 (Bl. III/127 f. d. A.) vermerkt hat - spätestens durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 2023 (IV ZR 125/23, juris Rn. 15) geklärt sein. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung, die ebenfalls Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zum Gegenstand hatte - nach dem Verständnis des Senats - eindeutig zu erkennen gegeben, dass zwar der maßgebliche Zeitpunkt für die rechtliche Prüfung der vom Versicherungsnehmer behauptete Eintritt der Berufsunfähigkeit ist, und insofern auf einen früheren eigenen Beschluss (vom 20. Juni 2007 - IV ZR 3/05, juris Rn. 6 m.w.N.) verwiesen. Der IV. Zivilsenat hat aber auch vermerkt, dass eine Prüfung der Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit allein in Bezug auf das vom dortigen Kläger behauptete Datum 1. Januar 2015 zu kurz griffe. Sie überginge, dass der Vortrag des dortigen Klägers, seit dem 1. Januar 2015 bedingungsgemäß außerstande zu sein, seinen zuletzt ausgeübten Beruf [...] auszuüben, die Behauptung umfasse, seit Januar 2015 dauerhaft berufsunfähig zu sein. In einem solchen Fall könne die Ablehnung eines Leistungsanspruchs nicht allein darauf gestützt werden, die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit hätten zum 1. Januar 2015 nicht vorgelegen. Das dortige Berufungsgericht müsse demgemäß prüfen, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt nach dem 1. Januar 2015 vorgelegen hat und zu diesem Zeitpunkt die weiteren Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten bestanden hätten.

Diese Ausführungen lassen für den von der Beklagten geführten Berufungsangriff eigentlich nicht viel Raum.

c) Die Beklagte meint in ihrem Schriftsatz vom 23. Oktober 2024 (Bl. III/132 ff. d. A.), dass im Hinblick auf Zeiträume etwaiger erst nach dem vom Versicherungsnehmer behaupteten Stichtag eingetretener Berufsunfähigkeit danach unterschieden werden müsse, ob sie vor oder nach der vom Versicherer vorgerichtlich durchgeführten Anspruchsprüfung lägen. Wenn die Berufsunfähigkeit zwar tatsächlich nach dem vom Versicherungsnehmer behaupteten Strichtag eingetreten sei, jedoch vor dem Abschluss der vom Versicherer vorgerichtlich durchgeführten Prüfung, handele es sich im Falle einer anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung um denselben Streitgegenstand und auch die Fälligkeit sei dann eingetreten. Wenn der erstmalige Eintritt der Berufsunfähigkeit hingegen erst während der Rechtshängigkeit des auf Leistung gerichteten Klageanspruchs erfolge, handele es sich um einen vollständig anderen Streitgegenstand als bei dem mit der Behauptung eines früheren (bereits vor Beginn des Prozesses erfolgten) Eintritts geltend gemachten und überdies fehle es dann mangels Durchführung des bindungsgemäßen vorgerichtlichen Prüfungsverfahrens durch den Versicherer auch an der Fälligkeit.

d) Für diese Rechtsansicht gibt der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 2023 (a.a.O.) allerdings nichts her. Der IV. Zivilsenat hat dem dortigen Berufungsgericht gerade nicht aufgegeben zu prüfen, ob die Berufsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt zwischen dem 1. Januar 2015 und dem März 2019, dem Datum der endgültigen Leistungsablehnung durch den dort verklagten Versicherer, eingetreten war. Der Bundesgerichtshof hat das dortige Berufungsgericht vielmehr unterschiedslos zu einer Prüfung aufgefordert, ob die Berufsunfähigkeit irgendwann nach dem vom dortigen Kläger behaupteten Stichtag eingetreten war - und dies vor dem Hintergrund eines dort zweitinstanzlich gestellten Klage- und Berufungsantrags, der auf Zahlung rückständiger Rente bis Juli 2022, künftige Renten, Erstattung weiterer gezahlter Beiträge und Befreiung von zukünftigen Beitragszahlungen gerichtet war (a.a.O. Rn. 5).

e) Auch im Übrigen lässt sich der von der Beklagten verfochtene Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mit einer solchen Eindeutigkeit entnehmen, wie es die Beklagte meint. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr etwa schon in dem Beschluss vom 16. Januar 2008 (IV ZR 271/04, juris Rn. 3) bezüglich des dort erhobenen Anspruchs aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung das Folgende ausgeführt:

"Davon abgesehen ist das Berufungsurteil im Ergebnis schon deshalb richtig, weil der geltend gemachte Anspruch bereits im vorangegangenen Rechtsstreit des Klägers gegen die Beklagte rechtskräftig abgewiesen worden ist. Die Klagabweisung durch das Urteil des Landgerichts Weiden vom 21. Juni 2001 umfasst alle Ansprüche auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die auf die damals behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen gestützt waren. Wie die Beschwerdeerwiderung mit Recht darlegt, konnte der Kläger aus wegen identischer Gesundheitsbeeinträchtigungen bestehender Berufsunfähigkeit nur einen einheitlichen Anspruch herleiten. Die Auffassung des Berufungsgerichts, jede Änderung des Klägervortrags allein über den Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit - hier zunächst Mai 1999, dann 14. September 1998 - schaffe einen neuen Klagegrund, der einen anderen Versicherungsfall und damit einen anderen Streitgegenstand betreffe, ist nicht richtig."

Auch diese Ausführungen sind eindeutig. Eine Einschränkung auf den Zeitraum bis zum Abschluss der Anspruchsprüfung durch den Versicherer ergibt sich daraus nicht.

f) Richtig ist fraglos, dass der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung das sog. Stichtagsprinzip betont (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 1987 - IVa ZR 8/86, juris Rn. 35 ff.; vom 12. Januar 2000 - IV ZR 85/99, juris Rn. 10 ff.; Beschluss vom 20. Juni 2007, a.a.O.). Nach dem Verständnis des beschließenden Senats ging es in den einschlägigen Fällen allerdings nicht darum, die Prüfung des Gesundheitszustandes des jeweiligen Versicherungsnehmers bzw. Versicherten auf den Zeitraum des behaupteten Eintritts der Berufsunfähigkeit zu verengen, sondern eher darum festzulegen, auf welches genaue Berufsbild die Prüfung zu beziehen war. In den betroffenen Fallgestaltungen hatten sich der Ausbildungsstand oder die tatsächliche Berufstätigkeit der jeweiligen Versicherungsnehmer offenbar, zum Teil mehrfach, verändert. Nichts Anderes dürfte für jedenfalls Teile der die in der Berufungsbegründung zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung gelten (OLG Saarbrücken, Urteil vom 13. November 2013 - 5 U 359/12, juris Rn. 75 ff.).

g) Soweit im Schrifttum (besonders prononciert zu der im Vorstehenden zitierten jüngsten höchstrichterlichen Entscheidung: Neuhaus, jurisPR-VersR 2/2024 Anm. 1 unter D.: "Die Aussagen im obiter dictum sind nicht nachvollziehbar. Nimmt man sie für bare Münze, "kippt" der BGH damit das Stichtagsprinzip und hält die Gerichte und letztlich auch die Versicherer an, die Berufsunfähigkeit nicht nur bezogen auf den Stichtag zu prüfen, sondern auf jeden in Betracht kommenden Zeitpunkt danach.") aus dem Stichtagsprinzip mitunter diejenigen weitergehenden rechtlichen Schlüsse abgeleitet werden, die auch die Beklagte im vorliegenden Prozess ziehen möchte, könnte diese Sichtweise auf einer Überinterpretation der Bedeutung des Stichtagsprinzips beruhen. Gleiches könnte für einige obergerichtliche Entscheidungen gelten, etwa das in der Berufungsbegründung auch zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 7. Dezember 2006 - 19 U 53/06, juris Rn. 25).

Durchaus zutreffend dürfte der Ansatz sein, zwischen einer - allerdings deutlichen - Verschlechterung der gesundheitlichen Verfassung des Versicherungsnehmers einerseits zu unterscheiden und einer lediglich kontinuierlichen Fortentwicklung der schon zum Stichtag behaupteten Krankheit (so auch Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 172 Rn. 37). Soll die behauptete - insbesondere nach dem Abschluss der Leistungsprüfung des Versicherers eingetretene - Verschlechterung auf einer selbstständigen neuen Erkrankung beruhen, wird fraglos von einem neuen Streitgegenstand auszugehen sein (insofern vollkommen zutreffend Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 6. Rn. 227 m.w.N.). Soll es sich demgegenüber "nur" um eine Verschlechterung der bereits zuvor angezeigten Erkrankung handeln, werden geradezu zwangsläufig Abgrenzungsprobleme auftreten, weil sich mitunter kaum sicher sagen lässt, ob ein neuer, zusätzlicher Sachverhalt hinzugetreten ist (vgl. besonders deutlich etwa den vom Oberlandesgericht Karlsruhe, a.a.O., entschiedenen Fall einer weiteren Thrombose). Nur dann aber liegt nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, wonach sich der Streitgegenstand eines Zivilprozesses anhand des Leistungsantrags einerseits und des dem Klagebegehren zugrundeliegenden Lebenssachverhalts andererseits bestimmt, ein anderer Streitgegenstand vor.

h) Im Streitfall stellt sich indes kein Abgrenzungsproblem. Der Kläger hat stets behauptet, nach schon zuvor bestehenden gleichartigen orthopädischen Problemen (vgl. Seite 18 f. der Klageschrift: "zunehmende Schmerzen in der rechten Schulter" und im rechten Ellenbogen) spätestens seit dem April 2019 infolge einer "Rotatorenmanschettenruptur der Schulter rechts", einer sog. Kalkschulter sowie infolge eines HWS-Syndroms mit Muskelverhärtungen im Schulter-Nackenbereich (vgl. Seit 19 f. der Klageschrift) nicht mehr zur Ausübung seines Berufes in der Lage gewesen zu sein. Der vom Landgericht beauftragte orthopädische Sachverständige Dr. B. hat einen fortgeschrittenen Mehrverschleiß des rechten Schulterhauptgelenks jedenfalls zu Beginn des Jahres 2023 bestätigt. Das ist keine wesentlich andere Erkrankung. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass sich das Krankheitsbild seit dem April 2019 wesentlich verändert habe.

Der vorliegende Fall ist mithin nicht dadurch gekennzeichnet, dass eine erst während des laufenden Prozesses hinzugekommene selbstständige neue Erkrankung entscheidungserheblich wird. Er ist nicht einmal dadurch gekennzeichnet, dass eine wesentliche Verschlechterung der bereits ursprünglich angezeigten Erkrankung festzustellen ist. Der vorliegende Fall wird vielmehr lediglich dadurch geprägt, dass dem Kläger nicht der volle Beweis gelungen ist, dass die nunmehr sicher feststellbare Ausprägung der Erkrankung auch schon vier Jahre zuvor in diesem Ausmaß bestand und sich insbesondere schon damals in gleicher Weise auf die für die Ausübung seines Berufs erforderlichen physischen Fähigkeiten des Klägers auswirkte. Dabei handelt es sich letztlich um eine nicht allzu ungewöhnliche prozessuale Lage. Nicht selten wird ein Klageanspruch auf einen Sachverhalt gestützt, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, beispielsweise auf einen Dienstlohnanspruch für Dienstleistungen, die über einen längeren Zeitraum hinweg erbracht worden sein sollen. Bestreitet der jeweilige Beklagte den anspruchsbegründenden Lebenssachverhalt umfassend und kann der jeweilige Kläger sodann diesen Sachverhalt nur für einen Teilabschnitt des betroffenen Zeitraums beweisen, entsteht daraus kein neuer Klagegegenstand. Nicht anders verhält es sich im Streitfall.

Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung demgegenüber den Eindruck zu erwecken versucht, dass der Gerichtssachverständige die gleichsam sichere Feststellung getroffen habe, dass die Berufsunfähigkeit erst im Januar 2023 eingetreten sei, geht das fehl. Der Sachverständige hat vielmehr ausdrücklich bestätigt, dass schon als Ergebnis des im Frühjahr 2019 durchgeführten bildgebenden Verfahrens eine krankhafte Veränderung des rechten Schultergelenks sicher feststellbar sei (vgl. Seite 12 ff., 26 des schriftlichen Gutachtens, Bl. II/436 ff., 450 d. A.). Er hat es überdies (a.a.O.) als gesichert angesehen, dass diese Veränderung dem Kläger schon damals Beschwerden bereitete. Den Nachweis einer schon damals bestehenden Unfähigkeit zur weiteren Ausübung des konkreten Berufs des Klägers hat der Sachverständige allein deshalb als nicht geführt angesehen, weil es an weitergehender aussagekräftiger Dokumentation fehlt und er deshalb die konkreten Auswirkungen auf die physischen Fähigkeiten des Klägers rückblickend nicht sicher hat beurteilen können (a.a.O. Seite 27 f.). Das hat der Sachverständige - an und für sich unmissverständlich - am Ende seines Gutachtens (a.a.O. Seite 30) wie folgt zusammengefasst: "...lässt sich eine Berufsunfähigkeit als Zahnarzt ab dem 4. April 2019 gutachterlich weder beweisen noch ausschließen." Die beiden letzten Worte dieser gutachterlichen Äußerung übergeht die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung.

i) Die in diesem Zusammenhang in der Berufungsbegründung auch erhobene Rüge, das Landgericht habe den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es dem angefochtenen Urteil Feststellungen des Sachverständigen zugrunde gelegt habe, die weder Bestandteil des klägerischen Sachvortrages, noch Gegenstand des Beweisbeschlusses gewesen und erkennbar nur durch Überschreitung der Vorgaben im Beweisbeschluss zustande gekommen seien, geht vor diesem Hintergrund ebenfalls fehl. Nochmals sei hervorgehoben, dass der Kläger stets behauptet hat, seit dem April 2019 durchgehend - mithin auch noch im Januar 2023 und danach - wegen derselben Erkrankung nicht mehr zur Ausübung seines Berufs in der Lage gewesen zu sein.

2. Auch die weiteren Berufungsangriffe dürften jedenfalls in Bezug auf den vom Landgericht (teilweise) zugesprochenen Hauptanspruch nicht durchgreifen.

a) Es fehlt nicht an Vortrag des Klägers dazu, welchen Beruf er in demjenigen Zeitpunkt ausübte, für den das Landgericht das Bestehen der Berufsunfähigkeit festgestellt hat, mithin für den Zeitraum ab dem Januar 2023. Es ist unstreitig, dass der Kläger über mehrere Jahrzehnte hinweg als selbstständig praktizierender Zahnarzt tätig war. Unstreitig ist des Weiteren, dass er seine kassenärztliche Zulassung zum Ende des Jahres 2020 zurückgab. Für den Zeitraum ab Herbst 2020 hat der Kläger - zunächst schriftsätzlich, sodann aber auch im Rahmen der vom Landgericht durchgeführten Anhörung persönlich mündlich - erklärt, dass er seitdem ohne Beschäftigung sei und von seinen Ersparnissen lebe (vgl. Seite 2 f. der Sitzungsniederschrift vom 28. Februar 2023, Bl. II/347 f. d. A.). Dieses Vorbringen nimmt dem Klageanspruch - weder bezogen auf den ursprünglich geltend gemachten noch bezogen auf den vom Landgericht zugesprochenen Umfang - nicht die Schlüssigkeit. Die gegenteiligen Ausführungen in der Berufungsbegründung (Seite 7 oben) sind nicht zutreffend.

Weder § 172 VVG noch Nummer 2.1 der hier einschlägigen ABV (Bl. I/70 ff. d. A.) regeln, dass der Versicherte bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit gearbeitet haben muss. Der zuletzt ausgeübte Beruf kann deshalb schon einige Zeit zurückliegen. Auch ein Arbeitsloser kann folglich im versicherungsrechtlichen Sinne berufsunfähig werden. Maßstab dafür ist sein in gesunder Zeit zuletzt ausgeübter Beruf. Auf diesen ist im Allgemeinen nur dann nicht mehr abzustellen, wenn der Versicherungsnehmer ihn bewusst aufgegeben hat oder er so lange zurückliegt, dass er die Qualifikation zu seiner Fortführung verloren hat (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2011 - IV ZR 143/10, juris Rn. 30; Prölss/Martin/Lücke, VVG, 32. Aufl., § 172 Rn. 59). Das von der Beklagten vorgegebene Bedingungswerk enthält darüber hinaus sogar eine ausdrückliche Regelung in diesem Sinne. Gemäß Nummer 2.6 Satz 1 AVB besteht weiterhin Versicherungsschutz für die restliche Versicherungszeit für die zuletzt vor dem Ausscheiden ausgeübte Tätigkeit, wenn der Versicherte vorübergehend oder endgültig aus seiner Erwerbstätigkeit ausscheidet. Der Versicherungsschutz entfällt nur dann, wenn der Versicherte in zumutbarer Weise eine andere Tätigkeit konkret ausübt, die aufgrund der Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner Lebensstellung hinsichtlich der Vergütung und sozialen Wertschätzung zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Erwerbstätigkeit entspricht.

Nach Maßgabe insbesondere dieser vertraglichen Regelung besteht der Versicherungsschutz im Streitfall auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers. Dafür genügt seine Behauptung, aus dem Erwerbsleben zum Ende des Jahres 2020 endgültig ausgeschieden zu sein und seitdem tatsächlich keine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt zu haben.

b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht diese Einlassung seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es trifft zwar, wie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung im Ausgangspunkt zutreffend ausführt, zu, dass der Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen des erhobenen Anspruchs im Bestreitensfall zu beweisen hat. Die Behauptung, dass er seit dem Ende des Jahres 2020 keinen anderen Beruf ausgeübt habe, betrifft indes eine negative Tatsache. Wegen der Schwierigkeiten, eine solche negative Tatsache zu beweisen, ist vom Prozessgegner zunächst im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positivum sprechenden Tatsachen und Umstände zu verlangen (vgl. nur Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., Vorbem. § 284 Rn. 24 m.w.N.).

Weder weist die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nach, dass sie im ersten Rechtszug substantiiert darlegt habe, dass der Kläger nach dem Ende des Jahres 2020 seinen Beruf als Zahnarzt - oder einen anderen zumutbaren und vergleichbaren Beruf - ausübte, noch hat der Senat derartiges Vorbringen in den Akten von sich aus auffinden können.

Folglich hat das Landgericht seine Entscheidung - nach der Anhörung des Klägers - zu Recht auf die Annahme gestützt, dass der Kläger seit Beginn des Jahres 2021 keiner beruflichen Erwerbstätigkeit mehr nachgeht. Deshalb geht die Berufungsbegründung fehl, soweit sie auf einen vermeintlichen "Berufswechsel" und hierzu ergangene gerichtliche Entscheidungen abstellt.

Die Beklagte hat im ersten Rechtszug lediglich Vermutungen darüber angestellt, dass die Schließung der Praxis des Klägers auf Schwierigkeiten mit dem Gewerbeaufsichtsamt wegen hygienischer Mängel in den Praxisräumen beruht haben könnte und dass der Kläger im Übrigen - so dürfte sich das Vorbringen zusammenfassen lassen - keine Motivation mehr zur Ausübung seines Berufes gehabt habe. Dieses Vorbringen ist nicht rechtlich erheblich gewesen. Der Kläger durfte sich nach Maßgabe des zitierten einschlägigen Bedingungswerks durchaus entscheiden, seine Berufstätigkeit aus freien Stücken zu beenden - und auch womöglich zur Meidung etwaiger Kosten zur Beseitigung etwaiger Mängel in seiner Praxis. Der Entstehung des Klageanspruchs hätte all dies nicht entgegengestanden. Deshalb - dies nur am Rande - überschritt die Beklagte etwa mit ihrer an den Kläger gerichteten Aufforderung, den mit dem Gewerbeaufsichtsamt geführten Schriftverkehr vorzulegen, den Rahmen der ihr vertraglich zustehenden Auskunftsansprüche.

c) Es trifft - wiederum im Ausgangspunkt - zu, dass ein Versicherungsnehmer, der Inhaber eines selbstständigen Gewerbebetriebs ist, nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (und gemäß Nr. 2.1 Abs. 3 ABV) darzulegen und ggfs. zu beweisen hat, dass diejenigen Tätigkeitsfelder, in denen er mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung in seinem Betrieb noch arbeiten kann, ihm keine Betätigungsmöglichkeiten belassen, die die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen, und dass ihm auch eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnen könnte, die die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Februar 2003 - IV ZR 238/01, juris Rn. 8 f. m.w.N.).

Abgesehen davon, dass der Kläger zu dieser Fragestellung - vor allem in der Klageschrift (Seite 39 ff.) - durchaus vorgetragen und Beweis angeboten hat, ergibt sich im Streitfall nach den in Rede stehenden Verhältnissen und nach Maßgabe des vom Landgericht nach Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugen getroffenen Feststellungen von selbst, dass dem Kläger eine Umorganisation nicht in zumutbarer Weise möglich war.

Spätestens nach der Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugen, bei denen es sich um das frühere Personal seines Praxisbetriebs handelte, steht fest, dass der Kläger - wie es das Landgericht im angefochtenen Urteil (Seite 6 oben) prägnant auf den Punkt gebracht hat - als selbständiger "Einzelkämpfer" eine Zahnarztpraxis führte, welche von ihrem Umfang her mit anderen Zahnarztpraxen mit entsprechender personeller Ausstattung vergleichbar war, allgemein übliche Öffnungszeiten hatte und der Kläger insofern einen "Fulltimejob" hatte. Diese Feststellungen hat die Beklagte mit ihrer Berufung nicht angegriffen; der Senat ist daran folglich gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden.

Der vom Kläger in gesunden Tagen geführte Betrieb diente damit ausschließlich der Ermöglichung der Ausübung seines eigenen freien Berufes. Der Betrieb war mithin - wie in jeder anderen nur von einem Berufsträger geführten ärztlichen Praxis - ganz auf ihn und seine besonderen fachlichen Fähigkeiten ausgerichtet und zugeschnitten. Bei einer solchen Sachlage besteht eine Regelvermutung, dass dem Versicherten eine Umorganisation nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar ist; er müsste sich als Berufsträger gleichsam selbst ersetzen und - infolge der festgestellten Unfähigkeit, die für seine Berufsausübung kennzeichnenden fachlichen Tätigkeiten weiter auszuführen - allenfalls auf die Betreuung der kaufmännischen Aufgaben beschränken (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 22. Februar 2022 - 4 U 1585/21, juris Rn. 30; OLG Karlsruhe, Urteil vom 3. April 2008 - 12 U 151/07, juris Rn. 77, jeweils für selbstständige Frisörmeister; OLG Koblenz, Urteil vom 1. Juni 2012 - 10 U 960/11, juris Rn. 59, OLG Saarbrücken, Urteil vom 13. August 2008 - 5 U 27/07, juris Rn. 80 f.; jeweils für den Betreiber einer kleinen Gastwirtschaft). Der Betrieb, dessen Einkünfte in gesunden Tagen dem Kläger als einzigem Zahnarzt die standesangemessenen Einkünfte verschaffte, hätte künftig zwei Berufsträgern ein standesangemessenes Einkommen verschaffen müssen, ohne dass die Behandlungskapazitäten - und damit die Einkunftsmöglichkeiten - gesteigert worden wären.

Im Streitfall sind - insbesondere auch unter Berücksichtigung der Aussagen der vom Landgericht zur Frage der betrieblichen Abläufe vernommenen Zeugen - keine Anhaltspunkte ersichtlich, die diese Regelvermutung erschüttern; die Beklagte trägt Dergleichen auch nicht konkret vor, sondern beschränkt sich - auch in ihrer Berufungsbegründung - auf rein abstrakte Erwägungen.

d) Der Senat teilt die in der Berufungsbegründung vorgetragene Ansicht, dass das Landgericht die Einzelheiten der Tätigkeit eines Zahnarztes nicht als allgemein bekannt habe voraussetzen dürfen, nicht. Annähernd jeder hierzulande Lebende begibt sich in regelmäßigen Abständen in die Behandlung eines Zahnarztes und erlebt dann die üblichen zahnärztlichen Tätigkeiten. Das Landgericht hat - von der Berufungsbegründung unangegriffen - durch Vernehmung von Zeugen festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers keine Besonderheiten aufwies. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. lässt erkennen, dass der Sachverständige sich selbst durchaus in der Lage gesehen hat, sich ein Bild von den körperlichen Herausforderungen dieser Tätigkeiten im Allgemeine zu machen. Es ist keineswegs erforderlich gewesen, dass der Sachverständige und das Gericht die medizinisch-fachlichen Einzelheiten und Hintergründe einer jeden Behandlungsmaßnahme nachvollziehen konnten. Es trifft - anders als etwa vom Kammergericht in dem von der Beklagten als Anlage zur Berufungsbegründung auszugweise vorgelegten Urteil vom 25. Januar 2022, Bl. IIII/100 ff. d. A.) hinsichtlich eines Gymnasiallehrers erkannt - gerade nicht zu, dass die jeweiligen Einzelanforderungen an die mit dem Beruf verbundenen Tätigkeiten von den konkreten Umständen der jeweiligen Tätigkeit abhängen (wie dort dem Schultyp, den Unterrichtsfächern, der Jahrgangsklasse, Anzahl, Alter und Herkunft der Schüler). In jenem Fall hat offensichtlich die Frage einer psychisch bedingten Berufsunfähigkeit im Streit gestanden. Im vorliegenden Streitfall geht es hingegen um die körperlich bedingte Unfähigkeit, bestimmte typische Körperhaltungen einzunehmen, die jeder Zahnarzt bei der Durchführung der Behandlung einnehmen muss, und in gleicher Weise typische Behandlungsschritte durchzuführen.

Die Beklagte übergeht im Übrigen, dass das Landgericht dem Sachverständigen keineswegs nur allgemein aufgetragen hatte, die Fähigkeit des Klägers zur Verrichtung allgemeiner zahnärztlicher Tätigkeiten zu überprüfen. Es hat den Sachverständigen, wie sich aus dem Beweisbeschluss vom 4. April 2023 (B l. I/380 f. A.) ergibt, vielmehr dahin instruiert, dass er bei seiner Begutachtung diejenige Tätigkeitsbeschreibung zugrunde legen solle, die der Kläger in seiner Klageschrift (dort Seite 11 ff.) vorgetragen hatte, und überdies die mündlichen Erläuterungen bei seiner Anhörung am 28. Februar 2023 berücksichtigen solle. Diese Darstellungen, insbesondere auch die in Bezug genommene exemplarische Tagesablaufschilderung (Anlage K 8, Bl. I/81 ff. d. A.), genügen den prozessualen Anforderungen allemal. Das Landgericht hat nach der Anhörung des Klägers und der Vernehmung seiner früheren Angestellten als Zeugen keinen Anlass gesehen, die Richtigkeit dieser Darstellung zu bezweifeln. Die Beklagte trägt mit ihrer Berufungsbegründung auch keine konkreten Anhaltspunkte i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vor, die Anlass zu Zweifeln geben könnten.

Die Anzahl der täglich behandelten Patienten ist nicht entscheidungserheblich gewesen, folglich auch nicht die erstinstanzlichen Bemühungen der Beklagten, anhand etwaiger Bestellzahlen für Einmalhandschuhe auf diesen Wert schließen zu wollen. Der Sachverständige Dr. B. hat - unabhängig von der Anzahl der täglich behandelten Pateinten - festgestellt, dass der Kläger die üblichen zahnärztlichen Tätigkeiten insgesamt nicht mehr ausüben kann.

3. Der vom Landgericht zugesprochene Verzinsungsanspruch, beginnend ab (frühestens) dem 2. Januar 2023, hat seine Rechtsgrundlage in § 291 BGB; der Feststellung des Verzuges bedarf es nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung nicht.

4. Die Frage, ob die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben hat, würde sich bezüglich der Entscheidung über die Kosten des Rechtstreits nur bei der Anwendung der Regelung des § 93 ZPO stellen. Mangels Anerkenntnisses der Beklagten besteht dazu kein Anlass. Das Landgericht hat die Kosten folglich rechtsfehlerfrei gemäß § 92 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe des Obsiegens und Unterliegens verteilt.

5. Erfolg verspricht die Berufung nach alledem lediglich insoweit, als das Landgericht der Beklagten die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten auferlegt hat (vgl. LGU, Tenor zu 5. und 6.). Da sich die Feststellung nicht hat treffen lassen, dass der Kläger schon im Zeitpunkt der von der Beklagten ausgesprochenen Leistungsablehnung berufsunfähig war, lässt sich ein Verzug der Beklagten mit der Erfüllung von auch nur Teilen des Klageanspruchs nicht begründen, folglich auch kein Anspruch auf Ersatz der außergerichtlich entstandenen Kosten gemäß §§ 280, 286 Abs. 1 BGB. Eine andere durchgreifende Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich.

II.

Die Parteien könnten erwägen, die streitige Fortsetzung des Rechtsstreits dadurch zu erledigen, dass zunächst der Kläger die Klage insoweit zurücknimmt, als sie auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtet ist (LGU, Tenor zu 5. und 6.), die Beklagte dieser Teilrücknahme sodann - wie zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 269 Abs. 1 ZPO erforderlich - zustimmt und sodann die Berufung im danach verbliebenen Umfang zurücknimmt. Eine Kostenersparnis wäre mit einem solchen Vorgehen vor allem dann verbunden, wenn diese Schritte rechtzeitig vor der Berufungsverhandlung erfolgten.