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Abschnitt 3 AufenthG§25bARdErl - Erteilungsvoraussetzungen (§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG)

Bibliographie

Titel
Hinweise zur Anwendung des § 25b des Aufenthaltsgesetzes; Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration
Redaktionelle Abkürzung
AufenthG§25bARdErl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
26100

3.1 Begünstigter Personenkreis

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass die Ausländerin oder der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung geduldet oder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG ist.

3.1.1 Duldungsstatus

Geduldet ist eine Ausländerin oder ein Ausländer, wenn ihr oder ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder wenn sie oder er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Auf den Duldungsgrund kommt es hierbei nicht an (z. B. ist auch die sog. "Verfahrensduldung" mitumfasst). Ein Rechtsanspruch auf eine Duldung ist dann anzunehmen, wenn die Abschiebung i. S. von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, da die Behörde bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet ist, der Ausländerin oder dem Ausländer eine Duldung von Amts wegen zu erteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2019 - 1 C 34.18 zu § 25b AufenthG).

Die fehlende schriftliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG steht daher einer Begünstigung nicht entgegen.

Wenn vollziehbar ausreisepflichtigen Betroffenen eine Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB) ausgestellt worden ist, weil sie angegeben haben, freiwillig ausreisen zu wollen und dies innerhalb der gesetzlichen Ausreisefrist nicht möglich war, sind sie jedenfalls bis zum Ablauf der von der Ausländerbehörde gesetzten Frist als geduldet i. S. des § 25b AufenthG anzusehen, weil die Aufenthaltsbeendigung nicht betrieben wird. Die Erteilung einer Duldung kann nicht von der Ausländerbehörde durch die Ausstellung einer GÜB ersetzt werden, wenn diese die GÜB in Kenntnis der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ausgestellt hat, da es sich nur um eine Bescheinigung handelt, mit welcher die Ausreise von ausreisepflichtigen Ausländerinnen oder Ausländern aus dem Bundesgebiet kontrolliert wird (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.06.2012 - 18 E 491/12, VGH Bayern, Beschluss vom 26.11.2018 - 19 CE 17.2453).

Der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, insbesondere nach § 25 Abs. 5 oder § 23a AufenthG, steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG nicht entgegen. Für eine sog. "juristische Sekunde" kann hier ein geduldeter Aufenthalt angenommen werden, wenn die bisherigen Gründe für das Ausreisehindernis fortbestehen. Wenn diesen Aufenthaltserlaubnissen ein Lebenssachverhalt zugrunde liegt, der - sollte die Aufenthaltserlaubnis entfallen - weiterhin zumindest einen Duldungsanspruch begründen würde, ist es insbesondere aus Gründen der Verwaltungsökonomie nicht zweckmäßig, zunächst den förmlichen Übergang in eine Duldung zu verlangen, bevor eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erteilt wird.

3.1.2 Inhaberschaft einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG

Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 31.12.2022 erstreckt sich die Möglichkeit auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG auch auf Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG. Ein entsprechender Antrag ist vor Ablauf der Geltungsdauer des Chancen-Aufenthaltsrechts zu stellen, die Voraussetzungen des § 25b AufenthG müssen grundsätzlich bis zum Ablauf des Titels nach § 104c AufenthG erfüllt sein.

Zu beachten ist jedoch, dass ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 AufenthG auslöst, sofern dieser Antrag während der Dauer der Gültigkeit des Aufenthaltstitels nach § 104c AufenthG gestellt wurde. Nur wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG nicht rechtzeitig gestellt wurde, fallen die Betroffenen in den Status der Duldung - sofern deren Voraussetzungen vorliegen - zurück.

3.2 Nachhaltige Integration

Die zentrale tatbestandliche Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik.

Der Gesetzgeber hat insofern einen unbestimmten Rechtsbegriff genutzt, um der Rechtsanwenderin oder dem Rechtsanwender die Möglichkeit zu eröffnen, den Umständen des jeweiligen Einzelfalles gerecht werden zu können. Gleichsam hat er jedoch in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG einen Katalog an Integrationsleistungen und -indizien aufgenommen, um einzugrenzen, unter welchen Voraussetzungen eine nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik regelmäßig anzunehmen ist.

Liegen die in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG genannten Voraussetzungen vor, ist daher regelmäßig von einer nachhaltigen Integration i. S. des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG auszugehen.

Da die in Satz 2 genannten Integrationsvoraussetzungen jedoch nur "regelmäßig" gegeben sein müssen, kann im Einzelfall auch dann ausnahmsweise von einer nachhaltigen Integration auszugehen sein, wenn noch nicht alle dort genannten Voraussetzungen vollständig erfüllt werden (z. B. kürzere Voraufenthaltszeit, vgl. Nummer 4.1.1), die Ausländerin oder der Ausländer aber besondere - in Satz 2 nicht benannte - Integrationsleistungen von vergleichbarem Gewicht erbracht hat oder einzelne benannte Integrationsvoraussetzungen "übererfüllt", und dadurch die nicht vollständig erfüllte Regelerteilungsvoraussetzung kompensiert wird. In derartigen Fällen ist grundsätzlich anhand einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles zu bewerten, ob sich die Ausländerin oder der Ausländer nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik integriert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2019 - 1 C 34.18). Hierbei ist auch die Intention des Gesetzgebers, gut integrierten geduldeten und langjährig im Bundesgebiet aufhältigen Personen eine langfristige Aufenthaltsperspektive zu gewähren, hinreichend zu berücksichtigen.

Als eine Integrationsleistung von vergleichbarem Gewicht kann beispielsweise ein herausgehobenes soziales Engagement angesehen werden (vgl. Bundestags-Drucksache 18/4097). Erforderlich ist hierfür stets die Übernahme von besonderer Verantwortung oder besonderen Funktionen über einen längeren Zeitraum. Dabei ist es nicht erforderlich, dass das Engagement in einem Verein erfolgt. Auch ein besonderes Engagement in zivilgesellschaftlichen Initiativen, Gruppen oder als Einzelperson kann eine Integrationsleistung von vergleichbarem Gewicht darstellen. Die bloße Vereinsmitgliedschaft o. Ä. ist hingegen nicht ausreichend. Ob vergleichbare Integrationsleistungen vorliegen, ist unter Berücksichtigung der individuellen Möglichkeiten und Verhältnisse der geduldeten Ausländerin oder des geduldeten Ausländers im jeweiligen Einzelfall zu prüfen.

Liegen nicht sämtliche der in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG genannten Voraussetzungen und keine gleichwertigen unbenannten Integrationsleistungen vor, schließt dies eine Begünstigung im Einzelfall nicht zwingend aus, wenn die Kompensation einzelner Integrationsdefizite durch Übererfüllung eines der anderen in Satz 2 explizit genannten Kriterien erfolgt. So kann z. B. auch eine besondere - also über den Regelfall hinausgehende - berufliche Integration und damit einhergehende langjährige, vollständige Lebensunterhaltssicherung im Einzelfall ausnahmsweise eine Begünstigung rechtfertigen. Ebenso ist eine besonders erfolgreiche sprachliche Integration - beispielsweise nachgewiesene Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen - bei der Prüfung der nachhaltigen Integration ein hohes Gewicht beizumessen.

Ebenso kann z. B. trotz erheblicher unentschuldigter Fehlzeiten der minderjährigen ledigen schulpflichtigen Kinder in der Schule dann noch eine nachhaltige Integration der Eltern gegeben sein, wenn die übrigen Integrationsleistungen die erheblichen unentschuldigten Fehlzeiten der Kinder überwiegen und die Eltern ihren erzieherischen Pflichten - soweit erkennbar - nachgekommen sind.

Liegen sämtliche in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG genannten Integrationsvoraussetzungen vor, ist allenfalls unter Berücksichtigung besonderer, atypischer Umstände eine Versagung des Aufenthaltstitels möglich (vgl. auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 17.08.2020 - 8 ME 60/20, Randnummern 65 ff.). Maßgebend ist in einem solchen Fall, ob die bei Vorliegen der Maßgaben von Satz 2 Nrn. 1 bis 5 eingreifende Regelvermutung der nachhaltigen Integration widerlegt ist, weil im Einzelfall Integrationsdefizite festzustellen sind, die dazu führen, dass den erzielten Integrationsleistungen bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringeres Gewicht zukommt (vgl. u. a. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.07.2015 - 18 B 486/14; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 17.03.2022 - 13 ME 91/22).

Ein solcher Ausnahmefall von der regelmäßig anzunehmenden Integration kann trotz Vorliegens der Voraussetzungen dann vorliegen, wenn der Einzelfall durch besondere, atypische Umstände oder Geschehensabläufe geprägt ist, die eine Begünstigung nach § 25b AufenthG grob rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Dies kann z. B. - auch außerhalb des Versagungsgrundes des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG - dann der Fall sein, wenn die geforderten Aufenthaltszeiten nur deshalb erreicht wurden, weil die Ausländerin oder der Ausländer in erheblichem Maße über ihre oder seine Identität getäuscht oder die Aufenthaltsbeendigung anderweitig verhindert hat und die Täuschungshandlung oder fehlende Mitwirkung nach ihrer Art oder Dauer so bedeutsam sind, dass sie das Gewicht der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 AufenthG relevanten Integrationsleistungen für die maßgebliche Annahme der nachhaltigen Integration beseitigen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.07.2015 - 18 B 486/14).

Unter den gleichen Gesichtspunkten sind auch Fälle zu prüfen und zu bewerten, in denen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ein Aufenthaltsrecht erwirkt und aufgrund dessen die geforderte Aufenthaltszeit erreicht wurde. In der Vergangenheit liegende Täuschungshandlungen können jedoch, auch wenn diese für die lange Aufenthaltsdauer allein ursächlich gewesen sind, im Rahmen der Gesamtbetrachtung und -bewertung des Einzelfalles dann unbeachtlich sein, wenn die Ausländerin oder der Ausländer ihre oder seine wahre Identität von sich aus offenbart und aktiv an der Beschaffung von Identitätsnachweisen mitgewirkt hat ("tätige Reue", vgl. Bundestags-Drucksache 18/4097, hierzu auch Nummer 5.1).

Auch erhebliche strafrechtliche Verstöße unterhalb der Strafbarkeitsschwelle des § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG können die Regelannahme einer nachhaltigen Integration widerlegen, da auch nicht von dieser Vorschrift erfasste Straftaten für das Ausmaß der Integration, für die es u. a. auch auf die Akzeptanz der hiesigen Rechts- und Gesellschaftsordnung ankommt, von Belang sind. Die Bewertung der Nachhaltigkeit der Integration hängt in diesem Fall auch davon ab, ob besondere Umstände vorliegen, die gleichwohl die Integration der Ausländerin oder des Ausländers im Bundesgebiet belegen (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 17.08.2020 - 8 ME 60/20). Entscheidend ist, dass unter Berücksichtigung der Gesamtumstände trotz strafrechtlichen Fehlverhaltens (weiterhin) von einer nachhaltigen Integration ausgegangen werden kann. Unter Berücksichtigung der Zielrichtung des § 25b Abs. 1 AufenthG sind überzogene Anforderungen an die oder den Betroffenen - insbesondere bei Vorliegen von Straftaten, die nur von Ausländerinnen und Ausländern begangen werden können - zu vermeiden. Insbesondere stehen Geldstrafen von bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen bei Straftaten, die nach dem AufenthG oder dem AsylG nur von Ausländerinnen oder Ausländern begangen werden können, der Annahme der nachhaltigen Integration nicht entgegen. Zur Frage der Erheblichkeit strafrechtlicher Verstöße und dem Absehen vom Vorliegen eines Ausweisungsinteresses wird auf die Nummern 5 und 6.4 verwiesen.

Außer Kraft am 1. Januar 2031 durch Nummer 11 des RdErl. vom 20. Januar 2025 (Nds. MBl. 2025 Nr. 46)