Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 14.01.2025, Az.: 1 B 79/24
Anzeige; Automatenshop; Gaststätte; Warenautomat; Gaststättenrechtliche Anzeige für einen "Automatenshop"
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 14.01.2025
- Aktenzeichen
- 1 B 79/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 10052
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2025:0114.1B79.24.00
Rechtsgrundlagen
- NgastG § 1 Abs. 3
- NgastG § 2 Abs. 1 Satz 1
Fundstelle
- NVwZ-RR 2025, 523
Amtlicher Leitsatz
Der Verzehr an Ort und Stelle fordert einen engen räumlichen Zusammenhang mit der Abgabe sowie einen alsbaldigen Verzehr, wobei auf die typischen Verkehrsgewohnheiten und -anschauungen abzustellen ist.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. August 2024 wird hinsichtlich der Nr. 1 wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Pflicht, ein Gaststättengewerbe anzuzeigen.
Die Antragstellerin meldete zum 1. Juni 2024 beim Gewerbeamt der Antragsgegnerin das Gewerbe "Aufstellen von Automaten und Verkauf von abgepackten Lebensmitteln/Snacks" an der Adresse E., C-Stadt an. Im Erdgeschoss des an dieser Adresse befindlichen Gebäudes stellte die Antragstellerin mehrere Warenverkaufsautomaten für Rauchwaren, Hygieneartikel, alkoholfreie und alkoholhaltige Getränke sowie für Snacks auf. Außerdem befindet sich in dem von der Antragstellerin als "Automatenshop" bezeichneten Raum, der durchgehend zugänglich und videoüberwacht ist, ein Kaffee-, ein Box- und ein Schlagkraftautomat ("Hau den Lukas") sowie ein Airhockeytisch.
Mit Anordnung vom 26. Juni 2024 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, an Sonn- und Feiertagen diejenigen Verkaufsautomaten, die nicht Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle ausgeben, für höchstens drei Stunden außerhalb der ortsüblichen Gottesdienstzeiten zu betreiben sowie unverzüglich eine Gaststättenanzeige i.S.d. § 2 des Niedersächsischen Gaststättengesetzes (NGastG) beim Gewerbeamt einzureichen, sofern sie weiterhin Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle anbiete. Hinsichtlich des letztgenannten Punktes führte die Antragsgegnerin aus, die Antragstellerin betreibe eine Gaststätte i.S.d. § 1 Abs. 3 NGastG. Sie biete über den Kaffeeautomaten gewerbsmäßig Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle an. Auch wenn die Getränke "to go" angeboten würden, sei festgestellt worden, dass sie im Verkaufsraum verzehrt worden seien. Dies sei offensichtlich auch gewollt, da die Vergnügungsspielgeräte die Verweildauer deutlich verlängerten. Folglich müsse die Antragstellerin den Betrieb der Gaststätte auch beim Gewerbeamt anzeigen. Dieser Bescheid ist Gegenstand des hiesigen Klageverfahren 1 A 166/24 sowie des ebenfalls mit heutigem Beschluss der Kammer entschiedenen Eilverfahrens 1 B 61/24.
Mit weiterer Anordnung vom 28. August 2024 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut auf, unverzüglich, spätestens bis zum 18. September 2024, eine Gaststättenanzeige i.S.d. § 2 NGastG beim Gewerbeamt einzureichen, sofern sie weiterhin Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle anbiete. Die sofortige Vollziehung der Maßnahme wurde - anders als in der Anordnung vom 26. Juni 2024 - angeordnet. Die Begründung der Anordnung entspricht wörtlich derjenigen vom 26. Juni 2024. Ergänzt ist lediglich, dass es unerheblich sei, dass sich in den Räumlichkeiten der Antragstellerin Hinweisschilder befänden, auf denen vermerkt sei, dass das Mitbringen und Verzehren von Lebensmitteln strengstens untersagt sei.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 30. September 2024 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (1 A 228/24), und am 5. November 2024 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung ihres Eilantrages führt sie im Wesentlichen aus, die Begründung der Antragsgegnerin zur Anordnung der sofortigen Vollziehung entspreche nicht den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin lege hierin lediglich das Vollzugsinteresse, nicht aber die die Interessen der Antragstellerin zugrunde. Sie sei formelhaft und genüge daher nicht der ihr zukommenden Warn- und Hinweisfunktion. In der Sache trägt sie vor, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Sie biete keine Speisen oder Getränke zum Verzehr vor Ort in den Räumlichkeiten an. Diese würden ausschließlich zum Erwerb angeboten. Ein Verzehr vor Ort sei den Kunden nicht gestattet, was durch Hinweisschilder in den Räumlichkeiten mitgeteilt werde. Ebenso böten die örtlichen Gegebenheiten der Einrichtung keinerlei Möglichkeit, entsprechende Speisen oder Getränke zu sich zu nehmen. Es gebe keinerlei Sitzmöglichkeiten wie etwa Bänke oder Stehtische. Insbesondere würden keine Teller, Gläser, Besteck, Servietten oder Flaschenöffner angeboten, um einen Verzehr vor Ort zu ermöglichen. Allein die Möglichkeit eines Verzehres von Speisen und Getränken vor Ort und Stelle reiche nicht aus. Die Spieldauer der Spielgeräte sei auf eine kurze Spielzeit (eine Minute und 30 Sekunden) angelegt. Die Antragsgegnerin verkenne, dass bei einem Spiel an den vorhandenen Spielgeräten der Kunde beide Hände benutzten müsse und dass keine Abstellmöglichkeit auf den Spielgeräten gegeben sei. Ein Zusammenhang mit dem Spiel an den Spielgeräten und dem Verzehr von Getränken vor Ort schließe sich per se aus.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. August 2024 zu Ziffer 1 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des sonstigen Sachstands wird auf die Gerichtsakte sowie auf den im Verfahren 1 A 166/24 beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom 28. August 2024 ist voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin daher in ihren Rechten. Somit überwiegt im vorliegenden Eilverfahren das Suspensivinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit.
Die Voraussetzungen der von der Antragsgegnerin nicht benannten, hier aber allein in Frage kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 11 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) liegen voraussichtlich nicht vor. Die von der Antragsgegnerin angenommene Verpflichtung der Antragstellerin, nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NGastG ein stehendes Gaststättengewerbe anzuzeigen, besteht nicht, da die Antragstellerin ein solches nicht betreibt.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NGastG hat derjenige, der ein stehendes Gaststättengewerbe betreiben will, dies der zuständigen Behörde mindestens vier Wochen vor dem erstmaligen Anbieten von Getränken oder zubereiteten Speisen anzuzeigen. Nach § 1 Abs. 3 NGastG betreibt ein Gaststättengewerbe, wer gewerbsmäßig Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle anbietet, wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Hierbei fordert der Verzehr an Ort und Stelle einen engen räumlichen Zusammenhang mit der Abgabe sowie einen alsbaldigen Verzehr, wobei auf die typischen Verkehrsgewohnheiten und -anschauungen abzustellen ist. Sind besondere Einrichtungen für den alsbaldigen Verzehr an Ort und Stelle vorhanden (z.B. Abstell- oder Sitzgelegenheiten), sind die Voraussetzungen in der Regel erfüllt; auch Vorrichtungen zum Öffnen von Flaschen oder das Bereitstellen von Bechern sprechen hierfür. Fehlen solche Einrichtungen, kommt es darauf an, ob der Ort mit Wissen und Duldung des Gewerbetreibenden tatsächlich als Verzehrort benutzt wird. Der räumliche Zusammenhang ist nicht mehr gewahrt, wenn mit dem Verzehr an Ort und Stelle begonnen wird, der Verzehr aber hauptsächlich im Weitergehen stattfindet (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 19. März 2024 - Au 8 S 24.238 -, juris Rn. 39 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der Kammer nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht vor. Vielmehr vermittelt die Einrichtung der Antragstellerin nach Aktenlage den Eindruck, dass die weit überwiegende Anzahl der Verkaufsgeschäfte, sowohl bezogen auf Getränke als auch auf sonstige Gegenstände, mit dem Ziel der Mitnahme erfolgt. Sie ähnelt daher mehr einem Kiosk als einer Gaststätte (siehe hierzu auch den Beschluss der Kammer vom heutigen Tage in dem Verfahren 1 B 61/24). Insofern ist der Antragstellerin darin beizupflichten, dass der Raum insbesondere wegen des Fehlens von Sitz- oder Abstellmöglichkeiten im Kern keine Anreize setzt, sich längerfristig zum Getränkeverzehr dort aufzuhalten. Sofern die Antragsgegnerin auf die im Raum vorhandenen Unterhaltungsgeräte verweist, mag dies zwar anders zu bewerten sein. Allerdings hat die Kammer derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass es trotz der Untersagung durch die Antragstellerin in einem Maße zu einem Vor-Ort-Konsum von Getränken kommt, dass - etwa in Bezug auf die Beeinträchtigung der Nachbarschaft - eine gaststättenähnliche Situation anzunehmen wäre. Die Antragsgegnerin begründet ihren Bescheid lediglich damit, sie habe feststellen können, dass Getränke im Verkaufsraum verzehrt worden seien. Wie häufig und in welchem Maße dies geschehen ist, ergibt sich aus dem Verwaltungsvorgang nicht. Es ist daher aktuell nicht feststellbar, ob es sich um Einzelfälle handelt, oder ob die Vorfälle der Einrichtung gleichsam ein eigenes Gepräge geben. Die in der Bescheidbegründung wiedergegebene Auffassung der Antragsgegnerin, es genüge, dass Getränke aus Automaten angeboten würden und in den Räumlichkeiten verzehrt werden könnten, ist so nach vorstehendem jedenfalls nicht zutreffend.
Da mithin derzeit nicht von dem Betrieb eines Gaststättengewerbes auszugehen ist, stellt sich auch die Frage nicht, ob ein Mischbetrieb aus Verkaufsstelle und Gaststätte vorliegt und ob die jeweiligen Einheiten getrennt voneinander behandelt werden können. Hingewiesen sei allerdings darauf, dass die Antragsgegnerin sich für die Begründung, es liege eine Gaststätte vor, allein auf den Heißgetränkeautomaten bezogen hat. Der Kammer ist derzeit unklar, ob die Antragsgegnerin die übrigen Getränkeautomaten der Verkaufsstelle oder der Gaststätte zuordnet und ob eine derart eindeutige Zuordnung überhaupt getroffen werden kann.
Die aufschiebende Wirkung war hinsichtlich der Nr. 3 des Bescheides vom 28. August 2024 nicht anzuordnen, da die Antragstellerin dies nicht beantragt hat. Ihr Antrag war auch nicht entsprechend auszulegen. Mit Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Nr. 1 des Bescheides ist dessen weitere Vollstreckung gehindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.