Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.06.2025, Az.: 13 LB 259/23

Übertragbarkeit des Stufenmodells auf die Identitätsklärung im Aufenthaltsrecht bzgl. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.06.2025
Aktenzeichen
13 LB 259/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2025, 17630
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2025:0605.13LB259.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 03.11.2022 - AZ: 1 A 210/21

Fundstellen

  • AUAS 2025, 191
  • DÖV 2025, 855
  • NordÖR 2025, 592

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Einzige tatbestandliche Voraussetzung für eine (weitere) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG ist die wirksame Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG, deren gesetzliche Fortgeltung als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 2 AufenthG oder eine bereits erfolgte wirksame Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG.

  2. 2.

    Das vom Bundesverwaltungsgericht zur Identitätsklärung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG im Staatsangehörigkeitsrecht entwickelte Stufenmodell (vgl. Urt. v. 23.9.2020 - BVerwG 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269 - juris) ist auch auf die Identitätsklärung im Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG übertragbar

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 3. November 2022 geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

Die am ... 1996 geborene Klägerin ist nach eigenen Angaben irakische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit sowie yesidischer Religionszugehörigkeit. Sie reiste im September 2002 mit ihren Eltern und ihren beiden jüngeren Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Asylantrag der Familie wurde abgelehnt. Im Klageverfahren erhielten die Eltern der Klägerin die Rechtsstellung von sogenannten Konventionsflüchtlingen. Sie verfügen mittlerweile über Niederlassungserlaubnisse.

Bis zu ihrer Volljährigkeit leitete die Klägerin ihre Aufenthaltserlaubnis von ihren Eltern ab. Sie erhielt am 5. Juni 2003 zunächst eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG und seit dem 14. Juni 2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 AufenthG, welche in der Folge durchgehend, zuletzt bis zum 31. Dezember 2013 gemäß § 34 Abs. 1 AufenthG verlängert wurde. Die Aufenthaltstitel wurden auf Grundlage eines Reiseausweises für Flüchtlinge erteilt, da die Klägerin angegeben hatte, über keinen Nationalpass ihres Heimatlandes zu verfügen. Am 6. Januar 2014 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Ab ihrem 18. Geburtstag erhielt sie Fiktionsbescheinigungen und wurde von der Ausländerbehörde aufgefordert, einen irakischen Nationalpass vorzulegen. Dies tat die Klägerin nicht. Im Jahr 2018 schloss sie das Abitur an einem berufsbildenden Gymnasium ab und studierte bis 2021 Medizin, ohne einen Abschluss zu erreichen. Seit August 2022 absolviert sie eine Ausbildung zur operationstechnischen Assistentin in einem Krankenhaus. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat soll sie dort nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung im Sommer 2025 übernommen werden.

Mangels Bescheidung ihres Verlängerungsantrags vom 6. Januar 2014 erhob die Klägerin am 8. Dezember 2017 Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Göttingen (1 A 393/17) und beantragte, den Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und eines Reiseausweises für Ausländer zu verpflichten. Sie trug vor, sie habe alles ihr Mögliche getan, um einen irakischen Nationalausweis zu erlangen. Das Verfahren wurde am 28. Mai 2020 durch gerichtlichen Vergleich mit folgendem Inhalt beendet:

"1. Der Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin innerhalb eines Monats nach Vergleichsschluss eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von einem Jahr ab dem Erteilungsdatum zu erteilen.

2. Die Aufenthaltserlaubnis wird nach Ablauf der unter 1. erteilten Aufenthaltserlaubnis nur verlängert, wenn die Identität der Klägerin geklärt ist und die Klägerin ihre Passpflicht erfüllt oder wenn die Klägerin zumindest ernsthafte Bemühungen um die Ausstellung eines Nationalpasses nachgewiesen hat.

3. Die Klägerin hat sich ernsthaft bemüht, wenn sie

a) persönlich und unter Nennung aller ihr bekannten Informationen über sich und ihre Eltern (Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Hinweis auf Registrierung des Vaters im Irak) bei der irakischen Botschaft vorgesprochen hat

und

b) einen Vertrauensanwalt unter Vollmachtserteilung - und ggf. Zahlung der erforderlichen Gebühren - mit der Beschaffung von Identitätsdokumenten bzw. eines Passes im Irak konkret beauftragt hat und diesem alle ihr bekannten Informationen über sich und ihre Eltern (Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Hinweis auf Registrierung des Vaters im Irak) genannt hat.

Zudem hat die Klägerin alle sich ggf. im Anschluss an Ziff. a) und b) ergebenden erforderlichen und ihr zumutbaren weiteren Schritte und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Dabei kann es auch erforderlich sein, Auskunft über bestimmte Tatsachen, die für die Identitätsklärung und/oder Passerteilung notwendig sind, von den Eltern zu verlangen, sofern diese dort mit einiger Wahrscheinlichkeit vorliegen, und die Auskunftserteilung ggf. auch gerichtlich durchzusetzen.

Die (erfolglosen) Bemühungen sind nachzuweisen.

4. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte je zur Hälfte."

Daraufhin "verlängerte" (Blatt 421 der Verwaltungsvorgänge) der Beklagte am 1. Juli 2020 die Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG bis zum 30. Juni 2021. Am 17. Juni 2021 beantragte die Klägerin die erneute Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Ab dem 1. Juli 2021 erhielt sie fortlaufend Fiktionsbescheinigungen.

Am 17. September 2021 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Göttingen erneut Klage erhoben, zunächst mit dem Antrag, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Sie hat geltend gemacht, sie habe ihre Pflichten aus dem gerichtlichen Vergleich vom 28. Mai 2020 erfüllt, aber letztlich keinen Nationalpass vorlegen können, weil ihre Eltern über keinerlei Papiere verfügten und auch im Irak keine besessen hätten. Sie habe im Irak keine Angehörigen, die sie bei der Beschaffung von Personenstandsurkunden unterstützen könnten. Auch die von ihr eingeschalteten Vertrauensanwälte seien nicht weitergekommen, weil sie keinerlei Papiere - auch nicht in Kopie - vorlegen könne. Ihre Eltern verfügten auch nicht über Papiere. Die gegenteilige Angabe im Asylverfahren sei auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen. Die entsprechende Auskunft habe sie auch von der irakischen Botschaft erhalten. Sie habe ihr Heimatland im Alter von sechs Jahren verlassen und könne sich nur wenig erinnern. Sie habe alles getan, um sich erfolgreich in Deutschland zu integrieren. Sie sei faktische Inländerin. Im Irak könne sie sich nicht integrieren, weil sie die Sprache nicht spreche und keine Verwandten habe. Als Yesidin müsse sie zudem mit Diskriminierung rechnen.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2021 hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG abgelehnt und sie aufgefordert, freiwillig bis zum 31. Dezember 2021 aus dem Bundesgebiet auszureisen. Für den Fall der Nichtausreise hat der Beklagte ihr die Abschiebung in den Irak oder einen anderen zur Rücknahme verpflichteten Staat angedroht sowie ein auf 24 Monate ab dem Tag der Ausreise befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet. Zur Begründung hat der Beklagte darauf verwiesen, dass die Klägerin nicht über einen Reise- oder Nationalpass ihres Heimatlandes verfüge und auch ihre Identität nicht geklärt sei. Ihre eigenen Erklärungen zu ihrem Geburtsdatum (1. Januar 1996, ... 1996 oder 1. Juli 1996) schwankten. Ihr angeblicher Geburtsort sei im Irak nicht zu ermitteln. Auch einen Ort mit ähnlichem Namen gebe es nicht. Seit ihrer Volljährigkeit sei sie eigenständig zur Mitwirkung an der Beschaffung von Identitätspapieren gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Es könne sein, dass die Klägerin über ihre Identität täusche und vorhandene Identitätsdokumente unterdrücke.

Die Klägerin hat den Bescheid vom 12. Oktober 2021 mit Schriftsatz vom 8. November 2021 zum Gegenstand ihrer Klage gemacht und daran festgehalten, alle zumutbaren Möglichkeiten zur Passbeschaffung ausgeschöpft zu haben.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Oktober 2021 zu verpflichten, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er auf den Bescheid vom 12. Oktober 2021 verwiesen und die Ausführungen zum fehlenden Identitätsnachweis durch die Klägerin vertieft.

Mit Urteil vom 3. November 2022 hat das Verwaltungsgericht Göttingen das Verfahren eingestellt, soweit die Klägerin beantragt hat festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Im Übrigen hat es den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Oktober 2021 verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG. Es bestehe kein Zweifel an ihrer Identität. Zwar sei sie nicht im Besitz eines Passes oder sonstiger amtlicher Dokumente. Diese seien für sie jedoch nicht auf zumutbare Weise erreichbar, womit als Grundlagen für die Identitätsfeststellung allein die eigenen Angaben der Klägerin zur Verfügung stünden. Diese genügten in der Zusammenschau mit den übrigen vorhandenen Hinweisen für die Überzeugungsbildung. Der Beklagte bestreite nicht, dass es sich bei der Klägerin um das leibliche Kind von G. A. und seiner Frau H. A. handele. An der irakischen Staatsangehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit der beiden und ihrer mit ihnen im Jahr 2002 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Kinder habe auch im Asylverfahren kein Zweifel bestanden. Die Klägerin habe sich außerdem auf Empfehlung des Beklagten mit dem Migrationszentrum für Stadt und Landkreis Göttingen in Trägerschaft der Diakonie mehrfach in Kontakt gesetzt, mit den dortigen Mitarbeitern Fragen erarbeitet, die sie ihren Eltern gestellt habe und alle sich hieraus ergebenden Erkenntnisse dem Beklagten vorgelegt. Soweit der Beklagte seine Zweifel an den Angaben der Klägerin (bzw. ihrer Eltern) an der Richtigkeit des Geburtsorts im Irak geäußert habe, habe die Klägerin den Widerspruch zwischen den entsprechenden Angaben ihrer Eltern im Asylverfahren und den Erkenntnissen des Beklagten aus einer Anfrage bei der Deutschen Botschaft im Irak und eigenen Recherchen im Internet aufgelöst. Auch ergäben sich aus der Korrektur des Geburtsdatums der Klägerin keine Zweifel an ihrer Identität. Im Asylverfahren seien die Klägerin, ihre Eltern und ihre zwei Geschwister jeweils mit dem Geburtstag 1. Januar erfasst worden. Das spreche dafür, dass die Erfassung nicht auf entsprechenden Angaben der Eltern der Klägerin beruhe, sondern auf einer Entscheidung des Bundesamtes. Es entspreche der gerichtsbekannten Praxis des Bundesamtes, bei ungesicherten Angaben des Geburtstags den 1. Januar als Geburtstag zu erfassen. Von der Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG könne aufgrund eines atypischen Falls abgesehen werden, da die Klägerin einen Anspruch auf Ausstellung eines Ausweisersatzes nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV habe. Das nach § 34 Abs. 3 AufenthG dem Beklagten eingeräumte Ermessen sei auf Null reduziert, weil der Schutz des Privatlebens der Klägerin gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK keinen Raum für eine ablehnende Entscheidung zulasse. Bei der Klägerin handele es sich um eine faktische Inländerin.

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2023 (13 LA 26/23) hat der Senat auf Antrag des Beklagten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. November 2022 zugelassen, da die in der erstinstanzlichen Entscheidung getroffene und tragende Feststellung, dass die Identität der Klägerin im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG geklärt sei, nach dem Zulassungsvorbringen des Beklagten ernstlichen Richtigkeitszweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausgesetzt ist.

Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte vor, die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG liege nicht vor. Auch unter Zugrundelegung des vom Bundesverwaltungsgericht für das Einbürgerungsverfahren entwickelten Stufenmodells, das wegen der gleichartigen sicherheitsrechtlichen Zielsetzung der Normen auf § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG übertragbar sei, sei die Identität der Klägerin nicht geklärt. Der Vater der Klägerin habe bei seiner Anhörung im Asylverfahren im Jahr 2002 angegeben, einen Personalausweis mit einem Lichtbild sowie eine Staatsangehörigkeitsurkunde im Irak besessen zu haben, was von der Mutter der Klägerin bestätigt worden sei. Wenn er einen Personalausweis sowie eine Staatsangehörigkeitsurkunde besessen habe, müsse er auch bei den irakischen Behörden registriert gewesen sein. Ein normales Leben, wie es die Eltern der Klägerin im Rahmen des Asylverfahrens und im anschließenden Klageverfahren geschildert hätten, sei ohne eine solche Registrierung nicht möglich gewesen.

Soweit das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die eidesstattlichen Versicherungen der Eltern der Klägerin vom 15. Juni 2021 davon ausgegangen sei, dass diese keine Personalpapiere und auch keine Geburtsurkunde besessen hätten, überzeuge dies nicht. Sie gäben darin an, die Angaben im Asylverfahren beruhten auf einem Übersetzungsfehler bzw. Missverständnis. Dem sei entgegenzuhalten, dass die Eltern der Klägerin zu Beginn der Anhörung bestätigt hätten, sich mit dem Sprachmittler verständigen zu können. Sofern die Angabe, über einen Personalausweis und eine Staatsangehörigkeitsurkunde verfügt zu haben, nicht den Tatsachen entsprochen hätte, wäre es an den Eltern der Klägerin gewesen, dies zu korrigieren.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe die Klägerin auf die Frage, wie ihre Eltern ohne eine Registrierung sich und ihre Kinder hätten versorgen können, erstmalig behauptet, sie seien Selbstversorger gewesen. Diese Behauptung stehe wiederum im Widerspruch zu den Angaben im Asylverfahren. Dort habe der Vater der Klägerin angegeben, sein Vater habe Vieh besessen und auch verkauft, er - der Vater der Klägerin - habe es gehütet. Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern der Klägerin und ihre Familienangehörigen als Selbstversorger gelebt haben, ergäben sich hieraus gerade nicht. Dagegen spreche zudem, dass die Großeltern der Klägerin durch den Verkauf von Vieh die Kosten für den Schlepper gezahlt hätten, was wiederum belege, dass sie über eine große Anzahl an Tieren verfügt haben müssten. Andernfalls hätten die Großeltern der Klägerin ihr gesamtes Hab und Gut veräußern müssen, um die Schlepper zu bezahlen. Da sie nach den Angaben im Asylverfahren im Irak verblieben seien, sei es lebensfremd, dies anzunehmen. Das Verwaltungsgericht hätte folglich aufklären müssen, wie die Eltern der Klägerin mit drei kleinen Kindern über mehrere Jahre hinweg ein Leben in der Illegalität hätten führen können, wie sie tatsächlich ihren Lebensunterhalt bestritten haben und warum diese Tatsachen nicht bereits im Asylverfahren erwähnt worden seien. Im Übrigen habe die Klägerin zu den Großeltern väterlicherseits unterschiedliche Angaben gemacht. Der Vater der Klägerin habe im Asylverfahren als Namen seiner Eltern I. A. und J. A. angegeben, die Klägerin aber K. A. und L. A..

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beschaffung eines Passes oder auch nur eines Auszugs aus einem Personalregister sei der Klägerin nur mit Hilfe ihrer Eltern möglich, denen wiederum eine Mitwirkung nicht zuzumuten sei, überzeuge nicht. Den Eltern der Klägerin sei der Flüchtlingsstatus nicht aufgrund von persönlicher Verfolgung zuerkannt worden, sondern ein Nachfluchtgrund sei Grundlage der Entscheidung. Nach dem Sturz des damaligen Staatsoberhaupts Saddam Hussein habe sich die politische Lage gänzlich verändert. Insoweit sei eine Verfolgung durch staatliche Behörden nicht zu befürchten. Die Klägerin habe gemeinsam mit ihren erwachsenen Brüdern bei der irakischen Botschaft vorgesprochen und dort nach eigenen Angaben alle Daten vorgetragen. Es könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Vater der Klägerin oder eventuelle Angehörige im Heimatland, die nach eigenen Angaben jedoch nicht existierten, von Repressalien bedroht wären, wenn der Vater der Klägerin selbst mit der Botschaft Kontakt aufnehmen würde. Zudem würde selbst der Verlust der Flüchtlingseigenschaft für die Eltern der Klägerin keine aufenthaltsrechtlichen Nachteile begründen, da beide über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügten.

Auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Herkunftsermittlung durch eine Befragung der Klägerin an fehlenden kurdischen bzw. arabischen Sprachkenntnissen scheitern musste, überzeuge nicht. Es sei wenig glaubhaft, dass die Klägerin ihre Muttersprache Kurdisch-Kurmanci nicht spreche. Es widerspreche allgemeinen Erfahrungssätzen, dass die Klägerin, die als sechsjähriges Kind nach Deutschland gekommen sei, sofort der deutschen Sprache mächtig gewesen sei und sich fortan mit ihren Eltern nur noch auf Deutsch verständigt habe. Auch die Eltern seien nicht gleichsam mit dem Grenzübertritt der deutschen Sprache mächtig gewesen.

Es treffe zwar zu, dass sich die Klägerin an verschiedene Vertrauensanwälte gewandt habe, um amtliche Dokumente zu beschaffen. Allerdings habe sie als Geburtsort stets "M. N. " angegeben, obwohl sie gewusst habe, dass es sich hierbei um eine rein innerfamiliäre Bezeichnung handele und der Ort so nicht existiere. Hätte die Klägerin den richtigen Ortsnamen angegeben und auf die Registrierung ihres Vaters hingewiesen, hätten für identitätsklärende Dokumente Anknüpfungspunkte bestanden. Im Irak gebe es ein funktionsfähiges öffentliches Register- und Urkundenwesen. Zumindest der von der Klägerin kontaktierte Rechtsanwalt O. habe in Aussicht gestellt, auch ohne amtliche Dokumente Nachforschungen zu betreiben, wenn Anknüpfungstatsachen genannt würden. Am 21. Dezember 2020 habe ein Telefonat zwischen dem Anwalt und den Eltern der Klägerin stattgefunden. Die Fragen seien jeweils mit "Nein" beantwortet worden, sodass sich der Rechtsanwalt ohne Hintergrundinformationen nicht in der Lage gesehen habe, Nachforschungen anzustellen.

Auch weiterer Vortrag der Klägerin sei widersprüchlich, insbesondere in Bezug auf die Eheschließung der Eltern und deren Hochzeitsgäste, die nicht benannt worden seien, den Anforderungen ihrer Eltern an einen künftigen Ehemann und zum angeblich zerstörten Herkunftsort im Irak, was zweifelhaft sei, sodass dort Unterlagen zur Identitätsklärung beschafft werden könnten.

Das Verwaltungsgericht habe sich mit diesen Widersprüchen nicht ausreichend auseinandergesetzt und sei von einem unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Aufgrund der Widersprüche und den seitens der Klägerin noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten, nichtamtliche Unterlagen oder zumindest Zeugenaussagen zu erlangen, hätte das Verwaltungsgericht nicht zu der Überzeugung gelangen dürfen, dass Beweismittel wie nichtamtliche Unterlagen oder Zeugenaussagen aus dem Heimatland für die Klägerin nicht auf zumutbare Weise erreichbar seien.

Auf die Aufforderung, sich in den Besitz von identitätsklärenden Dokumenten zu bringen, habe die Klägerin zunächst nur die irakische Botschaft gebeten, dem Beklagten gegenüber zu bestätigen, dass ihr die geforderten Dokumente nicht vorliegen. In der Folgezeit sei die Klägerin mehrfach schriftlich aufgefordert worden, Angaben über Herkunft, Identität und persönliche Erinnerungen zu machen sowie die bisher gegebenen widersprüchlichen Angaben aufzuklären. Über ihren damaligen Prozessbevollmächtigten habe sie mitgeteilt, dass ein yesidischer "Landverweser" die Geburt der Kinder registriert habe. Angaben zu ihren Lebensverhältnissen im Irak, um Anknüpfungspunkte für eine Identitätsklärung zu geben, habe sie nicht gemacht. Auf die Fragen der kontaktierten Vertrauensanwälte habe die Klägerin entweder nicht oder mit widersprüchlichen Angaben reagiert. Einen Großteil der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Angaben habe die Klägerin erst in der mündlichen Verhandlung gemacht. Den sich aufdrängenden Widersprüchen sei das Verwaltungsgericht nicht nachgegangen, obwohl es diese Widersprüche grundsätzlich erkannt und zunächst eine Befragung der Eltern in Betracht gezogen habe.

Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung zudem angegeben, mit dem Migrationszentrum Fragen erarbeitet zu haben, die für die Identitätsklärung hilfreich sein könnten und von einer "Checkliste" gesprochen. Auf seine - des Beklagten - Bitte, diese vorzulegen, habe die Klägerin ihre Angabe dahingehend relativiert, dass sie keine "Checkliste" habe, sondern sich nur Fragen notiert und diese ihren Eltern gestellt habe.

Hinsichtlich des Ortes, in dem die Klägerin bis zu ihrer Ausreise im Irak gelebt habe, habe sie stets den Namen "M. N. " genannt, obwohl die deutsche Botschaft bereits am 10. Mai 2017 mitgeteilt habe, dass es im Irak einen Ort mit diesem Namen nicht gebe. Gleichwohl habe die Klägerin weiterhin auf der Angabe dieses Geburtsortes beharrt, den sie zunächst auch in den Anfragen an die Vertrauensanwälte als ihren Geburtsort bezeichnet habe. Erst nachdem er - der Beklagte - mehrfach auf die Mitteilung der Botschaft hingewiesen habe, habe die Klägerin vorgetragen, bei der Bezeichnung "M. N. " handele es sich um eine rein innerfamiliäre Bezeichnung. Gemeint sei das Dorf "M. ". Es sei unverständlich, warum gegenüber Behörden und den Vertrauensanwälten ein Ortsname angegeben worden sei, den die Klägerin und ihre Eltern nach eigenen Angaben ausschließlich innerfamiliär verwendet hätten und dessen Bezeichnung zumindest teilweise nicht einmal eine Bedeutung habe. Es habe sich der Klägerin aufdrängen müssen, dass mit einer solchen Bezeichnung erfolgversprechende Nachforschungen nicht betrieben werden konnten.

Auch hinsichtlich ihres Geburtsdatums seien die Angaben der Klägerin widersprüchlich. Zunächst habe sie vorgetragen, dass der Landverweser die Geburtsdaten der Klägerin und ihrer Geschwister auf den 1. Januar festgelegt habe, als er ihre Geburt registriert habe. Dabei sei grundsätzlich (je nach Zeitpunkt) als Geburtsdatum der 1. Januar oder der 1. Juli des jeweiligen Jahres als Geburtsdatum für die neugeborenen Kinder festgelegt worden. Später habe die Klägerin behauptet, ihre Eltern hätten im Asylverfahren "aus Angst" und auf Ratschlag eines Dolmetschers falsche Geburtsdaten angegeben. Auch mit diesem Widerspruch habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt, sondern die Eintragung der Geburtsdaten dem Bundesamt zugeschrieben, und die Angabe der Klägerin, ihre Eltern hätten die Geburtsdaten aus Angst bzw. auf Anraten des Dolmetschers mitgeteilt, als alternativ richtig unterstellt.

Aufgrund der Widersprüche, die das Verwaltungsgericht erkannt, aber nicht aufgeklärt habe, könnten die Angaben der Klägerin nicht für die erforderliche Überzeugungsbildung ausreichen, um ihre Identität als geklärt zu betrachten.

Soweit das Verwaltungsgericht ausführe, dass der Umstand der Nichterfüllung der Passpflicht der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstehe, überzeuge dies nicht. Eine atypische Konstellation, die geeignet sei, von der Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen, liege nicht vor, denn es erscheine nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin bei entsprechender Mitwirkung ihrer Eltern einen (irakischen) Nationspass oder ein Passersatzpapier erlangen könne. Das nach § 34 Abs. 3 AufenthG eingeräumte Ermessen sei auch nicht auf Null reduziert, denn die Klägerin erfülle die Erteilungsvoraussetzungen der geklärten Identität und der Passpflicht nicht.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 3. November 2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt zutreffend ermittelt. Ihre Eltern hätten eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Eine Beweisaufnahme hätte nichts geändert, zumal der Beklagte keinen Beweisantrag gestellt habe. Ob ihr Vater im Asylverfahren falsche Angaben gemacht habe, habe mit diesem Verfahren nichts zu tun. Es sei unzutreffend, dass ihre Eltern im Irak als Selbstversorger kaum in der Lage gewesen wären, die Kosten für den Schlepper aufzubringen. Die Großeltern hätten ihr Vieh auch ohne Personalpapiere verkaufen können. Ihre Eltern seien im Irak nie auf Personalpapiere angewiesen gewesen. Über die Höhe der Kosten für den Schlepper spekuliere der Beklagte lediglich. Die Angaben zu den Namen ihrer Großeltern seien nicht falsch. Die von ihr genannten und die richtigen Namen unterschieden sich kaum. Sie habe sie nur nach dem Gehör gekannt. Das gleiche gelte für ihren Geburtsort. Dass der von ihr genannte Ort ein Wort enthalte, das es weder in der arabischen noch in der kurdischen Sprache gebe, spreche dafür, dass sie nur den Laut des Namens kenne, ohne zu wissen, ob er eine Bedeutung habe. Der Vergleich in dem Verfahren 1 A 393/17 müsse auch in diesem Verfahren eine Rolle spielen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet und führt zur Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 2021 verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Denn der dies ablehnende und die Abschiebung androhende sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnende Bescheid ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 AufenthG).

1. Die Klägerin kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG nicht beanspruchen.

a)Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die Verlängerung gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG, welche der Klägerin am 1. Juli 2020 erteilt wurde und deren Verlängerung sie rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeitsdauer am 30. Juni 2021 mit Schreiben vom 17. Juni 2021 beantragte.

Der Streitgegenstand einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird bestimmt und begrenzt durch die Aufenthaltszwecke, aus denen der Ausländer seinen Anspruch herleitet (BVerwG, Urt. v. 4.9.2007 - BVerwG 1 C 43.06 -, juris Rn. 12).

Die Klägerin erhielt am 5. Juni 2003 zunächst eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG und seit dem 14. Juni 2005 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, welche in der Folge durchgehend, zuletzt bis zum 31. Dezember 2013, gemäß § 34 Abs. 1 AufenthG verlängert wurde (vgl. auch Blatt 158 der Verwaltungsvorgänge). Am 6. Januar 2014 (Blatt 172 ff. der Verwaltungsvorgänge; Blatt 22R der Gerichtsakte) beantragte sie die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, ohne jedoch einen konkreten Aufenthaltsgrund zu nennen bzw. mitzuteilen, welche Aufenthaltserlaubnis sie begehrt. Auch in der Folgezeit machte sie hierzu keine Angaben (vgl. Blatt 212 f., 330 ff. und 513 f. der Verwaltungsvorgänge). Anschließend wurden der Klägerin zunächst Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Aufgrund des am 28. Mai 2020 vor dem Verwaltungsgericht Göttingen geschlossenen Vergleichs wurde der Klägerin eine bis zum 30. Juni 2021 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG erteilt. Durch Schriftsatz vom 17. Juni 2021 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, alle Voraussetzungen des Vergleichs erfüllt zu haben und forderte ihn auf, nunmehr "die Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen". Die Klägerin nahm dadurch erkennbar auf die zuvor nach § 34 Abs. 3 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis Bezug und verwies nochmals in ihrem Schreiben vom 1. Juli 2021 auf die am 30. Juni 2021 abgelaufene Aufenthaltserlaubnis (Blatt 519 der Verwaltungsvorgänge). Der Beklagte hat im nachfolgend erlassenen Ablehnungsbescheid vom 12. Oktober 2021 auch nur den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG abgelehnt.

Auch im Gerichtsverfahren hat die Klägerin allein die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG und damit einen Aufenthalt aus familiären Gründen geltend gemacht. Eine andere Rechtsgrundlage für einen danach erstrebten Aufenthalt aus familiären Gründen als § 34 Abs. 3 AufenthG hat weder die Klägerin aufgezeigt noch ist sie für den Senat ersichtlich.

b) Die Klägerin erfüllt auch die in § 34 Abs. 3 AufenthG bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis.

Gemäß § 34 Abs. 1 AufenthG ist die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verlängern, solange ein personensorgeberechtigter Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt und das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt oder das Kind im Falle seiner Ausreise ein Wiederkehrrecht gemäß § 37 AufenthG hätte.

Mit Eintritt der Volljährigkeit wird nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht, wobei nach Satz 2 das Gleiche gilt bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU oder wenn die Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung des § 37 AufenthG verlängert wird. § 34 Abs. 2 AufenthG bestimmt dabei eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge, wenn ein Ausländer, der eine für den Kindernachzug erteilte Aufenthaltserlaubnis (§ 32, § 34 Abs. 1 AufenthG) besitzt, volljährig wird. § 34 Abs. 2 AufenthG ist keine Anspruchsgrundlage für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, sondern regelt nur einen Interimszeitraum (bis zum Ablauf der umgewandelten Aufenthaltserlaubnis) unter Wahrung der Privilegien des § 34 Abs. 1 AufenthG (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 1.8.2024 - 19 ZB 23.848 -, juris Rn. 14; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 15. Aufl. 2025, § 34 AufenthG Rn. 22 ff.). § 34 Abs. 2 AufenthG verhilft daher zwar zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht. Er beinhaltet selbst aber keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU noch nicht vorliegen. Ergibt sich - wie hier - ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht aus § 34 Abs. 1 i.V.m. § 37 AufenthG oder § 35 AufenthG, so steht die Verlängerung gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde.

Einzige tatbestandliche Voraussetzung für eine (weitere) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG ist danach die wirksame Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG, deren gesetzliche Fortgeltung als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 2 AufenthG oder eine bereits erfolgte wirksame Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin schon deshalb, weil der Beklagte zuletzt am 1. Juli 2020 eine Verlängerung nach § 34 Abs. 3 AufenthG bis zum 30. Juni 2021 vorgenommen und die Klägerin rechtzeitig am 17. Juni 2021 die weitere Verlängerung beantragt hat. Ob die Verlängerung vom 1. Juli 2020, die der Beklagte auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 28. Mai 2020 vorgenommen hat, rechtmäßig gewesen ist, bedarf in diesem Verfahren keiner Prüfung. Dass diese Verlängerung wirksam gewesen ist, steht zwischen den Beteiligten außer Streit und auch der Senat hat keinen vernünftigen Grund, hieran zu zweifeln.

c) Die Klägerin erfüllt derzeit aber die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und Nr. 4 AufenthG nicht.

aa) Die Identität der Klägerin ist nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG geklärt.

Die Regelerteilungsvoraussetzung geklärter Identität und Staatsangehörigkeit in § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, mit der die Aufklärungspflicht der Ausländerbehörde (§ 49 Abs. 3 AufenthG) und eine entsprechende Mitwirkungspflicht des Ausländers (§ 49 Abs. 2 AufenthG) korrespondieren, ist Ausdruck des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Individualisierung der Person, die einen Aufenthaltstitel begehrt. Im Gesetzgebungsverfahren kommt das sicherheitsrechtlich motivierte Anliegen der notwendigen Identifizierung des Ausländers vor der Legalisierung seines Aufenthalts deutlich zum Ausdruck. Denn zur Begründung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG wurde im Innenausschuss des Bundestags darauf abgestellt, dass es nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Terroranschläge des 11. September 2001 und des weltweit agierenden Terrorismus nicht angehen könne, dass Personen, die an der Klärung ihrer Identität nicht mitwirken, der Zugang zu einem Aufenthaltstitel geebnet wird (BT-Drs. 15/955, S. 7). Der Zweck der Vorschrift und ihre systematische Stellung als vor die Klammer gezogene Regelerteilungsvoraussetzung belegen, dass das öffentliche Interesse an der Identifizierung des Ausländers und Klärung seiner Rückkehrberechtigung in das Herkunftsland nicht davon abhängt, ob die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung besteht oder nicht (BVerwG, Beschl. v. 7.5.2013 - BVerwG 1 B 2.13 -, juris Rn. 4; vgl. auch Fleuß, ZAR 2021, 156, wonach im Staatsangehörigkeitsrecht der Zweck der Identitätsklärung auch in der Verhinderung einer neuen Identität liegt).

Die Identitätsklärung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG beinhaltet die Klärung sowohl der Personalien als auch der historischen Identität, mithin den Nachweis der in Deutschland gängigen Personaldaten wie Vorname und Name sowie Geburtsdatum und Geburtsort sowie die Klärung der Frage, ob der Ausländer dieselbe Person ist, zu der bereits ein Vorgang vorliegt. Es muss Gewissheit über die Person hergestellt und einer Verwechselungsgefahr entgegengewirkt werden (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 8.3.2023 - 2 L 102/20 -, juris Rn. 59; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 30.7.2014 - 11 S 2450/13 -, juris Rn. 32 f.; Maor, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 43. Edition 2024, § 5 AufenthG Rn. 4 f.).

Grundlage der Identitätsklärung ist regelmäßig ein gültiger Pass oder ein anderes gültiges amtliches Ausweisdokument (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.3.2014 - BVerwG 1 B 17.13 -, juris Rn. 8; Leuschner, in: Hofmann, NK-AuslR, 3. Aufl. 2023, § 5 AufenthG Rn. 15). Dabei ist aber das vom Bundesverwaltungsgericht zur Identitätsklärung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG im Staatsangehörigkeitsrecht entwickelte Stufenmodell (vgl. Urt. v. 23.9.2020 - BVerwG 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269 - juris), wie es bereits das Verwaltungsgericht angenommen hat (vgl. S. 6 des Urteilsabdrucks), auch auf die Identitätsklärung im Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG übertragbar (vgl. dahingehend auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 8.3.2023 - 2 L 102/20 -, juris Rn. 68; Maor, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 43. Ed. 2024, § 5 AufenthG Rn. 5a; Samel, in: Bergmann/Dienelt, 15. Aufl. 2025, § 5 AufenthG Rn. 50 ff.).

Für eine solche Übertragung des für § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG entwickelten Stufenmodells zur Klärung der Identität eines Ausländers auf § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG spricht bereits der gleiche Wortlaut der Normen, die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. für die Einbürgerung eine geklärte Identität voraussetzen. Das gesetzgeberische Interesse ist dasselbe, nämlich die Wahrung gewichtiger sicherheitsrechtlicher Belange der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. September 2020 (- BVerwG 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269, 272 f. - juris Rn. 12 ff.) aus:

"Mit dem Erfordernis der Identitätsklärung verfolgt der Gesetzgeber wie schon im Ausländerrecht (vgl. BT-Drs. 15/955 S. 7) auch im Staatsangehörigkeitsrecht eine sicherheitsrechtliche Zielsetzung. Die identitätsrelevanten Personalien sind Grundlage für die Prüfung des Vorliegens einer Reihe weiterer Einbürgerungsmerkmale.

Mit dem Wirksamwerden der Einbürgerung (vgl. § 16 Satz 1 StAG) wird einer bestimmten Person mit einer in der Einbürgerungsurkunde festgehaltenen Identität konstitutiv eine neue Staatsangehörigkeit verliehen. Das öffentliche Interesse daran zu verhindern, dass einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität verschafft und ihr dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren aufzutreten, gebietet es, die identitätsrelevanten Personalien einer sorgfältigen Überprüfung mit dem Ziel einer Richtigkeitsgewähr zu unterziehen (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 27.10 - BVerwGE 140, 311 Rn. 13).

Die Feststellung der Identität des Ausländers ist zudem Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Prüfung des Vorliegens einer Reihe von Einbürgerungsvoraussetzungen. Zum einen stellt sie einen regelmäßig unverzichtbaren Teil der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG vorgesehenen Statusprüfung dar. Zum anderen bildet die Identitätsprüfung auch eine notwendige Voraussetzung der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 12a StAG und § 11 StAG vorgesehenen Sicherheitsüberprüfung (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 27.10 - BVerwGE 140, 311 Rn. 12; vgl. auch BT-Drs. 19/11083 S. 11 f.)."

Hinzu kommt, dass der Einbürgerung eines Ausländers in den deutschen Staatsverband typischerweise der Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines vergleichbaren langfristigen Aufenthaltstitels vorausgeht (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG). Es ließe sich nur schwer begründen, weshalb bei der Erteilung eines (in der Gültigkeitsdauer beschränkten) Aufenthaltstitels andere bzw. strengere Anforderungen an die Identitätsklärung gelten sollten als bei einer (dauerhaften) Einbürgerung. Dass auch im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens eine Identitätsprüfung stattfindet, spricht nicht dagegen, die Identität des Ausländers nach den gleichen Maßstäben bereits im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG im aufenthaltsrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfen (vgl. VG Saarland, Beschl. v. 27.10.2023 - 6 K 647/21 -, juris Rn. 33 ff.).

Die sachliche Rechtfertigung für die Entwicklung des Stufenmodells im Staatsangehörigkeitsrecht gilt gleichsam im Aufenthaltsrecht. Diese liegt darin, dass es bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit mitwirkenden Einbürgerungsbewerbern auch dann möglich bleiben muss, ihre Identität nachzuweisen, wenn sie sich in einer Beweisnot befinden, etwa weil deren Herkunftsländer nicht über ein funktionierendes Personenstandswesen verfügen oder ihre Mitwirkung aus Gründen versagen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder weil diese als schutzberechtigte Flüchtlinge besorgen müssen, dass eine auch nur technische Kontaktaufnahme mit Behörden des Herkunftslandes Repressalien für Dritte zur Folge hätte. Unter dem Gesichtspunkt eines zukunftsgerichteten Entfaltungsschutzes als Grundbedingung menschlicher Persönlichkeit gebietet es das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht, dass Einbürgerungsbewerber, die sich aller Voraussicht nach dauerhaft in Deutschland aufhalten werden, eine realistische Chance auf Klärung ihrer Identität haben müssen (BVerwG, Urt. v. 23.9.2020 - BVerwG 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269, 273 - juris Rn. 15 f.). Zwar besteht für Ausländer, die eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis beantragen, nicht zwingend eine Aussicht, sich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten zu dürfen, was dafür sprechen könnte, das Stufenmodell im Aufenthaltsrecht nicht heranzuziehen. Diese Sichtweise würde allerdings praktisch dazu führen, dass das Stufenmodell des Bundesverwaltungsgerichts leerliefe. Denn die Erteilung einer Aufenthalts- bzw. Niederlassungserlaubnis geht der Einbürgerung regelmäßig voraus. Gelingt es dem Ausländer ohne Heranziehung des Stufenmodells im Aufenthaltsrecht aber schon nicht, seine für die Erlangung eines Aufenthaltstitels erforderliche Identität zu klären, kommt er von vorneherein regelmäßig nicht in den Genuss einer Einbürgerung.

Nach dem Stufenmodell hat der Ausländer den Nachweis seiner Identität zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes, hilfsweise auch durch einen anerkannten Passersatz oder ein anderes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild (z.B. Personalausweis oder Identitätskarte) zu führen. Ist er nicht im Besitz eines solchen amtlichen Identitätsdokuments und ist ihm dessen Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann er seine Identität auch mittels anderer geeigneter amtlicher Urkunden nachweisen, bei deren Ausstellung Gegenstand der Überprüfung auch die Richtigkeit der Verbindung von Person und Name ist, sei es, dass diese mit einem Lichtbild versehen sind (z.B. Führerschein, Dienstausweis oder Wehrpass), sei es, dass sie ohne ein solches ausgestellt werden (z.B. Geburtsurkunden, Melde-, Tauf- oder Schulbescheinigungen). Dokumenten mit biometrischen Merkmalen kommt insoweit ein höherer Beweiswert zu als solchen ohne diese Merkmale. Ist der Ausländer auch nicht im Besitz solcher sonstigen amtlichen Dokumente und ist ihm deren Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann er sich zum Nachweis seiner Identität sonstiger nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG zugelassener Beweismittel bedienen. Hierzu zählen insbesondere nichtamtliche Urkunden oder Dokumente, die geeignet sind, die Angaben zu seiner Person zu belegen, gegebenenfalls auch Zeugenaussagen. Ist dem Ausländer auch ein Rückgriff auf sonstige Beweismittel im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann seine Identität ausnahmsweise allein auf der Grundlage seines Vorbringens als nachgewiesen anzusehen sein, sofern die Angaben zur Person auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und des gesamten Vorbringens des Einbürgerungsbewerbers zur Überzeugung der Einbürgerungsbehörde feststehen (BVerwG, Urt. v. 23.9.2020 - BVerwG 1 C 36.19 -, BVerwGE 169, 269, 274 f. - juris Rn. 18 f.).

In Anwendung dieses Maßstabs vermochte der Senat - entgegen der Auffassung des erstinstanzlich entscheidenden Verwaltungsgerichts - nicht die erforderliche Überzeugung davon zu gewinnen, dass die Identität der Klägerin bereits geklärt ist.

Die Klägerin hat einen irakischen Pass, hilfsweise einen anerkannten Passersatz oder ein anderes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild irakischer Behörden, nicht vorgelegt. Es steht aber nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Klägerin die Beschaffung eines solchen Dokuments objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar ist.

Es bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass die irakische Botschaft in Berlin der Klägerin von vorneherein keinen Pass ausstellen will und deshalb jedwede Bemühungen der Klägerin offensichtlich erfolglos bleiben müssen. Denn die Botschaft hat sich dem nicht verweigert, sondern der Klägerin mit Schreiben vom 9. Mai 2014 (Blatt 187 Verwaltungsvorgänge) mitgeteilt, welche Dokumente sie vorlegen müsse, um einen Pass zu bekommen.

Die - gerichtlich vollständig überprüfbare (vgl. Senatsurt. v. 8.2.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 41 m.w.N.) - Frage, welche konkreten Initiativ- und Mitwirkungshandlungen zur Erlangung eines Passes dem Ausländer zumutbar sind, beurteilt sich unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.6.2006 - BVerwG 1 B 54.06 -, Buchholz 402.242 AufenthG § 25 Nr. 4 - juris Rn. 4; Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 52). Grundsätzlich sind sämtliche Handlungen zumutbar, die zur Beschaffung eines zur Ausreise notwendigen Dokuments erforderlich sind und nur vom Ausländer persönlich vorgenommen werden können (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 9.7.2009 - 4 PA 365/08 -, juris Rn. 3 m.w.N.). Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den Nachweis zu differenzieren. Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit (vgl. Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 52; Senatsbeschl. v. 4.4.2011 - 13 ME 205/10 -, NVwZ-RR 2011, 498, 499 - juris Rn. 6; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.2.2005 - 11 PA 345/04 -, juris Rn. 14 m.w.N.).

Im hier zu beurteilenden Einzelfall sind dabei zuvörderst die Initiativ- und Mitwirkungshandlungen in den Blick zu nehmen, zu deren Vornahme sich die auch seinerzeit anwaltlich vertretene Klägerin in dem gerichtlichen Vergleich vom 28. Mai 2020 verpflichtet hat. Mit der freiwilligen Eingehung dieser Verpflichtung hat die Klägerin selbst bekundet, dass ihr die Vornahme dieser Handlungen möglich und zumutbar ist. Anhaltspunkte für eine relevante Änderung der tatsächlichen Vergleichsgrundlage sind für den Senat auch unter Berücksichtigung der geänderten politischen Verhältnisse im Irak nicht ersichtlich, zumal der Prozessbevollmächtigte der Klägerin noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Berücksichtigung des Vergleichs ausdrücklich eingefordert hat.

Der gerichtliche Vergleich vom 28. Mai 2020 enthält unter anderem die Verpflichtung der Klägerin, "persönlich und unter Nennung aller ihr bekannten Informationen über sich und ihre Eltern (Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Hinweis auf Registrierung des Vaters im Irak) bei der irakischen Botschaft" vorzusprechen und "einen Vertrauensanwalt unter Vollmachtserteilung - und ggf. Zahlung der erforderlichen Gebühren - mit der Beschaffung von Identitätsdokumenten bzw. eines Passes im Irak konkret ... (zu beauftragen) und diesem alle ihr bekannten Informationen über sich und ihre Eltern (Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Hinweis auf Registrierung des Vaters im Irak) ... zu nennen". Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat die Klägerin nach dem Vergleich "nachzuweisen".

Die Vornahme dieser Initiativ- und Mitwirkungshandlungen hat die Klägerin nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

Dabei stellt der Senat nicht in Abrede, dass die Klägerin überhaupt aktiv geworden ist, zahlreiche Hilfsangebote im Bundesgebiet angenommen hat, die irakische Botschaft aufgesucht hat und auch mit verschiedenen möglichen Vertrauensanwälten im Irak in Kontakt getreten ist. Es ist aber nicht hinreichend belegt, dass die Klägerin sowohl der irakischen Botschaft als auch einem bevollmächtigten Vertrauensanwalt im Irak "alle ihr bekannten Informationen über sich und ihre Eltern (Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Hinweis auf Registrierung des Vaters im Irak)" persönlich und auch inhaltlich richtig präsentiert hat.

So fehlt es schon an der Beauftragung eines Vertrauensanwalts im Irak "unter Vollmachtserteilung - und ggf. Zahlung der erforderlichen Gebühren -". Die Klägerin hat zwar verschiedene Vertrauensanwälte kontaktiert, die eine Mandatsübernahme auch nicht von vorherein abgelehnt haben (vgl. bspw. Blatt 429 ff. der Verwaltungsvorgänge). Auch das von der Klägerin konsultierte Migrationszentrum für Stadt und Landkreis Göttingen und die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen haben im September bzw. Oktober 2020 auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ein bevollmächtigter Vertrauensanwalt im Irak das Register einsieht und ggf. Kopien von Identitätsdokumenten beschafft (Blatt 476 f. Verwaltungsvorgänge). Selbiges ergibt sich aus einer E-Mail der irakischen Botschaft vom 10. Mai 2017 mit dem Zusatz, dass die Bevollmächtigung des Anwalts von einer irakischen Auslandsvertretung beglaubigt sein muss (Blatt 315 der Verwaltungsvorgänge). Die Klägerin hat über die bloße Kontaktaufnahme hinaus, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigte, einen Vertrauensanwalt aber nicht beauftragt und auch nicht bevollmächtigt.

Darüber hinaus ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin gegenüber der irakischen Botschaft und auch gegenüber einem Vertrauensanwalt auf die Registrierung ihres Vaters im Irak hingewiesen und dessen genaue Personenstandsdaten mitgeteilt hat. Bekannt ist ausweislich eines Gesprächsprotokolls vom 21. Dezember 2020 nur, dass ein Vertrauensanwalt nicht habe tätig werden können, weil die Klägerin alle von diesem auch zu den Eltern gestellten Fragen mit "Nein" beantwortet habe und ihm deshalb die notwendigen Informationen fehlten (Blatt 490 der Verwaltungsvorgänge). Vielmehr behauptet die Klägerin nunmehr, ihre Familie sei im Irak nicht registriert gewesen, weshalb die Identität durch Vorlage eines amtlichen Dokuments nicht in Betracht komme. Die zugrunde liegenden, in eidesstattlichen Versicherungen vom 15. Juni 2021 (Blatt 515 f. der Verwaltungsvorgänge) von ihren Eltern aufgestellten Behauptungen, sie hätten nie ein amtliches Dokument besessen, sind für den Senat allerdings unglaubhaft, da sie im Asylverfahren noch Gegenteiliges angaben. So teilte der Vater der Klägerin bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem seinerzeit zuständigen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 18. September 2002 (Blatt 25 ff. der Verwaltungsvorgänge) mit, er habe einen Personalausweis mit seinem Bild darauf und eine Staatsangehörigkeitsurkunde besessen. Seine Kinder hätten keinen Personalausweis gehabt. Die Mutter teilte mit, sie habe keine Papiere im Irak besessen, nur ihr Mann habe über einen Personalausweis verfügt. Die Eltern bestätigten bei ihrer Anhörung zudem, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben habe. In ihren eidesstattlichen Versicherungen vom 15. Juni 2021 behaupten sie nunmehr nur pauschal, ihre Angaben beruhten auf einem Übersetzungsfehler. Ohne weitere Details kann dem nicht geglaubt werden, denn das würde bedeuten, dass sich der Dolmetscher auch die übrigen Angaben bei der Anhörung der Eltern ausgedacht hat, was weder vorgetragen wird noch sonst ersichtlich ist.

Schließlich ist nicht belegt, dass die Klägerin gegenüber der irakischen Botschaft und auch einem bevollmächtigten Vertrauensanwalt ihre eigenen Personenstandsdaten vollständig und korrekt angegeben hat, insbesondere ihr Geburtsdatum und ihren Geburtsort. Vielmehr liegen in diesem Verfahren abweichende Angaben zum Geburtsort (u.a. M. oder M. N.), widersprüchliche Angaben zur Registrierung der eigenen Geburt im Irak (Blatt 339 der Verwaltungsvorgänge und Blatt 356 f. der Verwaltungsvorgänge), zu ihrem Geburtstag (1. Januar 1996 oder ... 1996, Blatt 240 und 242 der Verwaltungsvorgänge) und zu den Geburtsdaten der Eltern (1. Januar 1977 oder ... 1977 [Vater]/... 1977 [Mutter]; s. dazu Blatt 480R der Verwaltungsvorgänge sowie Blatt 442 der Verwaltungsvorgänge ["A.s Eltern wollen keineswegs ihre richtigen Geburtsdaten angeben"]; Blatt 470 der Verwaltungsvorgänge ["Es müssen jedoch die richtigen Angaben beim Geburtsdatum (auch bei den Eltern) gemacht werden ..."]) vor. Auch will die Klägerin nach eigenen Angaben (Blatt 357 der Verwaltungsvorgänge) erstmals im Alter von 11 Jahren von ihrem "wahren" Geburtsdatum (... 1996 statt 1. Januar 1996) erfahren haben, wobei sie das "falsche" Geburtsdatum aber auch danach noch, insbesondere auch nach Eintritt der Volljährigkeit, im Rechtsverkehr sowie gegenüber der Ausländerbehörde verwendet hat (s. etwa Blatt 240 der Verwaltungsvorgänge).

Die Klägerin wird daher zunächst "alle ihr bekannten Informationen über sich und ihre Eltern (Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Hinweis auf Registrierung des Vaters im Irak)" widerspruchsfrei zusammenzustellen und sodann sowohl der irakischen Botschaft als auch einem bevollmächtigten Vertrauensanwalt im Irak zu präsentieren haben, damit diese zunächst eine Registrierung bei irakischen Behörden auffinden oder ggf. erreichen können und anschließend ein irakischer Pass ausgestellt werden kann. Erst wenn die im gerichtlichen Vergleich vom 28. Mai 2020 genannten möglichen und zumutbaren Bemühungen nachweislich erfolglos verlaufen sind, ist der Klägerin nach dem aufgezeigten Stufenmodell die Möglichkeit eröffnet, ihre Identität durch andere als amtliche Identitätsdokumente mit Lichtbild irakischer Behörden zu klären und nachzuweisen.

bb) Die Klägerin erfüllt darüber hinaus nicht die Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG.

Der Gesetzgeber verlangt die Erfüllung der Passpflicht als weitere, zur Identitätsklärung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG hinzutretende Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Denn nur ein Pass oder ein Passersatz gewährleisten im Rahmen ihrer Geltungsdauer auch die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der betreffenden Person durch den das Dokument ausstellenden Staat im Fall der Notwendigkeit oder des Wunsches zur Rückkehr (BVerwG, Beschl. v. 17.6.2013 - BVerwG 10 B 1.13 -, juris Rn. 4).

Die Klägerin verfügt nicht über einen irakischen Pass oder Passersatz.

cc) Es ist nach vorstehenden Erwägungen auch keine atypische Fallkonstellation gegeben, die es bereits auf Tatbestandsseite gebietet, vom Vorliegen der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und 4 AufenthG abzusehen.

Sowohl verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen als auch atypische Umstände des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 AufenthG rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.8.2019 - BVerwG 1 C 23.18 -, BVerwGE 166, 219, 231 f. - juris Rn. 30; Senatsbeschl. v. 17.5.2022 - 13 ME 113/22 -, juris Rn. 4). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar (BVerwG, Urt. v. 13.6.2013 - BVerwG 10 C 16.12 -, juris Rn. 16).

Da nach den vorstehenden Erwägungen bislang nichts dafür ersichtlich ist, dass der Klägerin die Erlangung eines irakischen Passes nicht in zumutbarer Weise möglich ist, besteht für den Senat kein Anlass, von einem Ausnahmefall auszugehen. Gleichermaßen steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Ausstellung eines Passersatzpapiers/Ausweisersatzes zu (vgl. in diesem Zusammenhang auch Wittmann, in: Klaus/Wittmann, AufenthV, 1. Aufl. 2022, § 6 Rn. 7 zu § 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthV), mit dem sie die Passpflicht ebenso erfüllen könnte.

2. Die darüber hinaus im Bescheid vom 12. Oktober 2021 verfügte Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot beruhen auf §§ 11, 59 AufenthG und sind rechtlich nicht zu beanstanden. Ein etwaiges aus den Schutzwirkungen des Art. 8 EMRK wegen des im Bundesgebiet geführten Privat- und Familienlebens folgendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis steht dem Erlass der Abschiebungsandrohung nach §§ 59 Abs. 1 Satz 1, 60 Abs. 5 AufenthG nicht entgegen, da der Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention lediglich Abschiebungshindernisse umfasst, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse; vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - BVerwG 10 C 15.12 -, juris Rn. 35; Senatsbeschl. v. 14.11.2023 - 13 ME 177/23 -, juris Rn. 20).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Sie umfasst die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, des Berufungszulassungsverfahrens 13 LA 26/23 und des Berufungsverfahrens 13 LB 259/23.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.